:: 5/2008

Die Realschulen: »Mittelschulen« im 3-gliedrigen Schulsystem Baden-Württembergs

Den Realschulen kommt in der aktuellen bildungspolitischen Diskussion eine besondere Bedeutung zu. Mit ihrer »mittleren Stellung« zwischen Hauptschule und Gymnasium sollen sie eine erweiterte Bildung und ein vertieftes Grundwissen vermitteln, aber auch die Grundlage für praktisch orientierte Berufe schaffen. Insbesondere durch die abnehmende Akzeptanz der Schulart Hauptschule, deren sinkenden Übergangsquoten und den demografisch bedingt rückläufigen Schülerzahlen, werden immer häufiger Forderungen laut nach einer verstärkten Kooperation von Hauptschule und Realschule bis hin zu einer vollständigen Verschmelzung. Der folgende Beitrag möchte daher die Schulart Realschule insbesondere aus statistischer Sicht näher beleuchten. Im laufenden Schuljahr 2007/08 werden dort an 477 Schulen fast 245 000 Schüler unterrichtet.

Realschulen sollen theoretische und praktische Kenntnisse vermitteln

Die Realschule in Baden-Württemberg umfasst die Jahrgangsstufen 5 bis 10. Sie soll eine »erweiterte allgemeine Bildung« vermitteln, »die sich an lebensnahen Sachverhalten orientiert und zu deren theoretischer Durchdringung und Zusammenschau führt. Sie schafft die Grundlage für eine Berufsausbildung und für weiterführende, insbesondere berufsbezogene schulische Bildungsgänge«.1 Sie ist damit in besonderer Weise der »Realität« verpflichtet.

Im 3-gliedrigen Schulsystem Baden-Württembergs nimmt die Realschule eine mittlere Stellung zwischen Hauptschule und Gymnasium ein. Sie unterscheidet sich in der gesetzlichen Zielsetzung von der Hauptschule, die laut Schulgesetz eine »grundlegende allgemeine Bildung« vermittelt, »die sich an lebensnahen Sachverhalten und Aufgabenstellungen orientiert« und im besonderen Maße praktische Begabungen fördert. Andererseits reicht der Bildungsauftrag der Realschule nicht so weit wie der des Gymnasiums, das laut Schulgesetz »eine breite und vertiefte Allgemeinbildung, die zur Studierfähigkeit führt« vermittelt.2

Realschulen haben stark unterschiedliche Größen

Im aktuellen Schuljahr 2007/08 gibt es 477 Realschulen in Baden-Württemberg, 427 in öffentlicher und 50 in privater Trägerschaft. Davon haben

weniger als 200 Schüler7 %
200 bis unter 400 Schüler21 %
400 bis unter 600 Schüler39 %
600 bis unter 800 Schüler26 %
800 oder mehr Schüler7 %

Die kleinste öffentliche Realschule in Baden-Württemberg im laufenden Schuljahr ist die Münsterschule in Zwiefalten mit 150 Schülern3, die größte öffentliche die Kraichgau-Realschule in Sinsheim mit 1 050 Schülern. Bei den 50 privaten Realschulen schwankt die Schülerzahl zwischen 2 Schülern an der Daniel-Schule (Adventistische Bekenntnisschule) in Murrhardt und 761 Schülern an der Mädchenrealschule St. Klara in Rottenburg.

Insgesamt werden 244 834 Schüler an den Realschulen unterrichtet, 233 030 an öffentlichen und 11 804 an privaten. Damit ist die Schülerzahl im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert geblieben. Im Zeitverlauf seit 1960 lässt sich ein Höchststand im Schuljahr 1979/80 (257 352 Schüler) feststellen, und ein weiterer im Schuljahr 2004/05 mit 247 564 Schülern. Seither ist demografisch bedingt ein leicht rückläufiger Trend zu beobachten.

Eine öffentliche Realschulklasse hat im Schnitt fast 28 Schüler

Mit den Schülerzahlen ist auch die durchschnittliche Klassenstärke angewachsen. So waren 1995/96 an den öffentlichen und privaten Realschulen im Mittel 25,9 Schüler in einer Klasse, im Schuljahr 2004/05 mit dem relativen Höchststand von fast 248 000 Schülern aber 27,7 – also fast 2 Schüler mehr. Seither hat sich die Schüler-Klassen-Relation bei 27,5 stabilisiert. Öffentliche Schulen haben im aktuellen Schuljahr 2007/08 im Schnitt mit 27,6 Schülern etwas größere Klassen als private mit 26,1. Damit liegen die öffentlichen Realschulen nahezu gleichauf mit den öffentlichen Gymnasien, haben aber wesentlich größere Klassen als die öffentlichen Hauptschulen mit nur rund 20 Schülern pro Klasse.

Nur 1 % der Schüler kam 2006/07 aus der Hauptschule

Im vergangenen Schuljahr 2006/07 waren fast 95 % der knapp 245 000 Schüler »normal« versetzt worden, hatten also das Klassenziel erreicht bzw. waren auf Probe versetzt worden. Knapp 3 % waren Wiederholer. Dabei schwankt die Wiederholerquote stark zwischen den einzelnen Klassenstufen: am höchsten war sie in Klassenstufe 9 mit gut 5 % und in Klassenstufe 8 mit knapp 4 %. Der Anteil der Schü­ler, die das Klassenziel nicht erreicht haben, ist an den Realschulen seit Jahren merklich höher als an den Hauptschulen oder den Gymnasien.

Die Realschule als »mittlere« Schulart ist sowohl die »nächsthöhere« Schulart für leistungsstarke Hauptschüler als auch die »nächstniedrige« für leistungsschwächere Gymnasiasten. Zum Schuljahr 2006/07 waren 2 361 oder 1 % der Realschüler von einer Hauptschule auf die Realschule gewechselt – weit mehr als die Hälfte in die 6. Klassenstufe, knapp ein Viertel in die 7. Klassenstufe und nur noch sehr wenige in höhere Klassenstufen. Dies dürfte vor allem an den mit den Jahren zunehmenden Entwicklungsunterschieden der Lehrinhalte liegen. Andererseits waren 2 735 Schüler oder 1 % der Realschüler im vorangegangenen Schuljahr auf einem Gymnasium gewesen. Diese waren vor allem in die Klassenstufen 7, 8 und 9 einer Realschule eingetreten.

Mädchen schneiden besser ab als Jungen: sie wiederholen seltener eine Klasse, schaffen etwas häufiger den Wechsel von der Hauptschule auf die Realschule und gehen etwas seltener vom Gymnasium weg auf die Realschule.

Mädchen und Jungen wählen bei den Wahlpflichtfächern eher »klassisch«

Ab Klassenstufe 7 werden an den Realschulen in Baden-Württemberg durch den Wahlpflichtbereich Bildungsschwerpunkte gesetzt. Von jedem Schüler ist je nach Neigung eines der drei Wahlpflichtfächer Französisch/Englisch, Technik oder Mensch und Umwelt zu wählen. 25 % der Realschüler der Klassenstufen 7 bis 10 nehmen im aktuellen Schuljahr 2007/08 am Wahlpflichtfach Französisch teil (Englisch ist nur von denjenigen Schülern zu wählen, die als erste Pflichtfremdsprache Französisch belegt haben), 40 % am Wahlpflichtfach Technik und 35 % am Wahlpflichtfach Mensch und Umwelt. Diese Wahl fällt seit Jahren zwischen Jungen und Mädchen sehr unterschiedlich aus. Für eine (zweite) Fremdsprache entscheiden sich doppelt so viele Mädchen wie Jungen. Mädchen belegen auch 5-mal so häufig das Fach Mensch und Umwelt, in dem »klassische« weibliche Themen wie Ernährung oder Zusammenleben in Familie und Gesellschaft behandelt werden. Der technische Schwerpunkt ist dagegen eindeutig eine Domäne der Jungen.

6 % der Abgänger verfehlen (zunächst) das angestrebte Ziel

Zum Ende des Schuljahres 2006/07 sind knapp 43 000 Schüler von einer Realschule abgegangen, 5 % mehr als im Vorjahr und ungefähr gleich viele Mädchen wie Jungen. Ohne Abschluss gingen 2 % der Schüler ab, mit dem Hauptschulabschluss 4 %. Das an dieser Schulart angestrebte Ziel »Realschulabschluss« erreichten 94 % der Abgänger, Mädchen etwas häufiger als Jungen (95 % zu 93 %). Entsprechend lagen die Anteile der männlichen Abgänger ohne Abschluss bzw. mit Hauptschulabschluss etwas höher als die der weiblichen. 7 % der Abgänger waren Ausländer ohne deutschen Pass. Von ihnen erzielten 89 % den Realschulabschluss; 6 % verließen die Schule mit Hauptschulabschluss und 5 % ohne Abschluss.

Die Abschlussprüfung 2007 war die letzte nach altem Muster – am Ende des aktuellen Schuljahres wird zum ersten Mal nach den Vorgaben des neuen Bildungsplans geprüft. Neu sind beispielsweise eine 15-minütige verbindliche Kommunikationsprüfung in der ersten Fremdsprache, die gleich gewichtet wird wie die schriftliche Prüfung, und die Einführung fächerübergreifender Kompetenzprüfungen als Gruppenarbeit.4

Nach dem erfolgreichen Besuch der Realschule mit dem Erwerb der »Mittleren Reife« stehen den Schülern viele Wege offen:5

  • Berufsausbildung in Industrie, Handwerk, Handel oder Verwaltung (Lehre im dualen System mit Besuch einer Berufsschule in Teilzeitform).
  • Nach abgeschlossener (Berufs-)Ausbildung Besuch einer Berufsoberschule, einer Fachschule oder des 1-jährigen Berufskollegs, an denen dann die Hochschulreife (an Berufsoberschulen) bzw. die Fachhochschulreife erlangt werden kann.
  • Anstatt einer Lehre können Realschüler auch eine vollzeitschulische Ausbildung in einem 2- oder 3-jährigen Berufskolleg wählen bzw. eine schulische Berufsausbildung an einer Berufsfachschule (zum Beispiel Altenpflege) oder einer Schule für Berufe des Gesundheitswesens (zum Beispiel Gesundheits- und Krankenpflege) absolvieren.
  • Wechsel auf ein berufliches Gymnasium: Hier kann mit einem bestimmten Notendurchschnitt innerhalb von 3 Jahren die allgemeine Hochschulreife erworben werden.
  • Wechsel auf ein allgemeinbildendes Gymnasium: In der Regel ist dies für »besonders leistungsfähige« Schüler möglich, wenn ab Klassenstufe 7 eine zweite Fremdsprache belegt wurde und bestimmte Notenvoraussetzungen erfüllt sind.

Zur Kooperation von Hauptschule und Realschule

Im Kontext der Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der Hauptschule (abnehmende Akzeptanz, rückläufige Übergangsquoten, demografische Entwicklung und damit einhergehend sinkende Schülerzahlen, schwieriger Arbeitsmarkt für Hauptschulabsolventen etc.) werden immer häufiger Forderungen laut nach einer verstärkten Kooperation von Hauptschule und Realschule bis hin zu einer vollständigen Verschmelzung.

Im aktuellen Schuljahr gibt es in Baden-Württemberg 65 öffentliche und 11 private Schulen, an denen »unter einheitlicher Leitung«, das heißt in einer gemeinsamen Dienststelle unter gemeinsamer Schulleitung, die beiden Schulgliederungen Realschule und Hauptschule vorhanden sind. Diese »verbundenen« Schulen sind in den einzelnen Kreisen sehr unterschiedlich verteilt. Im öffentlichen Bereich gibt es nur in 2 der 9 Stadtkreise solche Schulen: eine ehemalige Gesamtschule im Stadtkreis Stuttgart und 3 Schulen im Stadtkreis Mannheim. Dagegen finden sich im Landkreis Schwäbisch Hall und im Ortenaukreis jeweils 6 Schulen, im Ostalbkreis 5 Schulen, an denen sowohl ein Haupt- als auch ein Realschulzweig vorhanden sind. Alle 3 Landkreise gehören zu den flächengrößten in Baden-Württemberg.

Es ist anzunehmen, dass an diesen Verbundschulen zum Beispiel bei den freiwilligen Arbeitsgemeinschaften, bei Projekten und auch in einzelnen Fächern zumindest teilweise schulartübergreifend unterrichtet und zusammengearbeitet wird. Aus der Schulstatistik sind dazu aber keine Angaben möglich. Die derzeitigen Erhebungsunterlagen sind strikt nach Schularten getrennt, nur die Grund- und Hauptschulen werden zusammen erhoben. Mögliche Kooperationen in einzelnen Fächern werden schulstatistisch nicht erfasst.

Eigenständige Realschulen und Hauptschulen nur noch in wenigen Bundesländern

In vielen anderen Bundesländern wurden Hauptschulen und Realschulen bereits zusammengefasst: So gibt es in Bremen und in fast ganz Ostdeutschland keine eigenständige Hauptschule mehr, auch in Hamburg und Schleswig-Holstein sind »Stadtteilschulen« bzw. »Regionalschulen« beschlossen. In Rheinland-Pfalz sollen die Hauptschulen bis zum Jahr 2013 durch erweiterte Realschulen (»Realschule plus«) ersetzt werden. Dort soll sowohl der Hauptschulabschluss als auch die Mittlere Reife erworben werden können.6

Das Nachbarland Bayern hält ebenso wie Baden-Württemberg am 3-gliedrigen Schulsystem fest. Erst zum Schuljahr 2003/04 ist dort die flächendeckende Einführung der 6-jährigen Realschule mit den Jahrgangsstufen 5 bis 10 abgeschlossen worden. Vorher dauerte die Realschule in Bayern regulär 4 Jahre und begann erst mit der Klassenstufe 7. Eine Aufnahme in eine vierstufige Realschule erfolgt seit dem Schuljahr 2005/06 nicht mehr.7

Baden-Württemberg setzt auf die Kooperation von Haupt- und Realschule. Im Rahmen eines Modellversuchs sollen sich Hauptschulen und Realschulen als Kooperationsschulen zusammentun und damit ab dem Schuljahr 2009/10 Kinder in den Klassenstufen 5 und 6 gemeinsam unterrichten können.8

1 Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG) in der Fassung vom 1. August 1983 (GBl. S. 397), zuletzt geändert am 18. Dezember 2006 , § 7 (1).

2 Ebenda, § 6 (1) und § 8 (1).

3 Zur besseren Lesbarkeit des Beitrags steht im Folgenden der Begriff »Schüler« für Schüler und Schülerinnen.

4 Vgl. Schule im Blickpunkt, 2007/08, Heft 1, S. 14.

5 Vgl. Kultusportal Baden-Württemberg, Stand 22. Januar 2008. Keine abschließende Aufzählung.

6 Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 21. Oktober 2007.

7 Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Schule und Bildung in Bayern 2006, Reihe A Bildungsstatistik, Heft 47, S. 79.

8 Vgl. Rede des Kultusministers Helmut Rau MdL am 20. Februar 2008 auf der Messe didacta in Stuttgart.