:: 8/2008

Landwirtschaftszählung 1999 – Agrarstrukturerhebung 2007

Eine Ceteris-paribus-Analyse der betriebssystematischen Veränderungen

Bislang sind in dieser Reihe drei Beiträge erschienen, die sich mit den Ergebnissen der Agrarstrukturerhebung 2007 befasst haben. Dabei lag der Fokus immer auf einem einzelnen Aspekt der agrarstrukturellen Entwicklung, wie der Betriebsgrößenstruktur oder den aktuellen Veränderungen in der Bodennutzung. In dieser eher traditionellen Betrachtungsweise wird aus Gründen der Übersichtlichkeit immer nur ein Aspekt behandelt, da bei der simultanen Betrachtung mehrerer Faktoren der Überblick schnell verloren geht. Auf der anderen Seite fehlt durch die isolierte Betrachtung einzelner Aspekte der Blick für das Ganze.

Aus dem Verfahren der Klassifikation (siehe i-Punkt) stehen dagegen zwei Informationen zur Verfügung, die den Betrieb als Ganzes klassifizieren und typisieren: die betriebswirtschaftliche Ausrichtung und der Standarddeckungsbeitrag. Für alle landwirtschaftlichen Betriebe im Land zusammen errechnet sich für das Jahr 2007 ein Standarddeckungsbeitrag von 2,0 Mrd. Euro, wobei die höchsten Standarddeckungsbeiträge in Gartenbaubetrieben anzutreffen sind.

Der wichtigste und eingängigste Indikator für die strukturelle Entwicklung in der Landwirtschaft ist die Anzahl und Größe landwirtschaftlicher Betriebe, die deshalb hier nochmals genannt werden: 2007 gab es im Land 57 049 landwirtschaftliche Betriebe mit einer mittleren Flächenausstattung von 25,2 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF). Die Aussagekraft dieser Zahlen relativiert sich, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Wertschöpfungsspannen zwischen einem Hektar Blumen und Zierpflanzen und einem Hektar Schafweide liegen. Mit den Informationen der Klassifikation (vgl. i-Punkt) wird ein Blick auf die agrarstrukturellen Verhältnisse möglich, der über diese eindimensionale Betrachtung hinausgeht und den Betrieb als Ganzes sieht: die beiden wichtigsten Kenngrößen sind die betriebswirtschaftliche Ausrichtung und der Standarddeckungsbeitrag. Die betriebswirtschaftliche Ausrichtung beschreibt den wirtschaftlichen Schwerpunkt des Betriebes und der Standarddeckungsbeitrag gibt einen Anhaltspunkt über das ökonomische Potenzial des Betriebes.

Klassifikation: Hürden bei der Interpretation

Die Interpretierbarkeit der Ergebnisse der Klassifikation leidet jedoch darunter, dass die verwendeten Standarddeckungsbeiträge bei jeder Erhebung aufs Neue berechnet werden, um den aktuellen wirtschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen. In den Ergebnissen der Klassifikation sind daher im Zeitvergleich strukturelle Entwicklungen und veränderte Bewertungen nicht zu unterscheiden, weil der gleiche Betrieb zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich bewertet wird und folglich jeweils einem anderen betriebswirtschaftlichen Schwerpunkt zugeordnet werden könnte. Die Klassifikation kann somit Entwicklungen suggerieren, die tatsächlich gar nicht stattgefunden haben, sondern im Wesentlichen auf eine veränderte Bewertung zurückzuführen sind.

Ein Beispiel hierfür ist die Zahl der Veredlungsbetriebe (Betriebe mit Schwerpunkt in der Haltung von Schweinen und Geflügel) in Baden-Württemberg in den Jahren 2003 und 2007:

20031 156 Betriebe
20071 347 Betriebe

Legt man die Ergebnisse der Klassifikation zugrunde, dann nimmt die Zahl der Veredlungsbetriebe um über 15 % zu. Im gleichen Zeitraum geht jedoch die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg insgesamt um 13 % zurück. Der Vergleich der so unterschiedlichen Veränderungsraten verführt zu dem Schluss, dass die Veredlungsbetriebe eine glänzende Entwicklung erfahren haben. Vielmehr ist es aber so, dass in den entscheidenden Jahren für die Festlegung der ökonomischen Koeffizienten (2003 bis 2006 für das Jahr 2007) im Durchschnitt deutlich günstigere Werte galten als in den Referenzjahren für 2003. Nähme man die aktuellen – ziemlich desaströsen – Wirtschaftlichkeitszahlen der Schweinehaltung, dann würde sich die Zahl der Veredlungsbetriebe dagegen deutlich niedriger darstellen. Durch die Veränderung der ökonomischen Koeffizienten können also strukturelle Entwicklungen vorgetäuscht werden, ohne dass diese den realen Veränderungen entsprechen.

In den Zeitraum 2003 bis 2007 fallen noch weitere gravierende Veränderungen, die einen direkten Vergleich bzw. eine Interpretation der Veränderungen schwierig oder unmöglich machen. Dazu zählt die zweite Stufe der Agrarreform mit der produktionsneutralen Ausgestaltung der Ausgleichszahlungen. Damit wurden die an die jeweilige Fruchtart gebundenen Zahlungen nach der EU-Kulturpflanzenregelung durch allgemeine Zahlungsansprüche abgelöst, mit der Folge, dass der Deckungsbeitrag der jeweiligen Fruchtart deutlich sank. Im Jahr 2003 wurde auch die bis dato übliche nationale Klassifikation durch ein Verfahren abgelöst, das den einheitlichen europäischen Anforderungen entsprach.

Der Ausweg: Der Vergleich ceteris paribus

Die Ergebnisse der Klassifikation sind daher nicht über einen größeren Zeitraum vergleichbar. Sie werden erst dann vergleichbar, wenn sie zwei Jahre nach einem einheitlichen Schema und mit einheitlichen Koeffizienten klassifiziert werden (ceteris paribus). Für den vorliegenden Beitrag wurden die Ergebnisse der Landwirtschaftszählung 1999 deshalb mit den Werten der aktuellen Agrarstrukturerhebung 2007 klassifiziert. Aufgrund methodischer Veränderungen lässt sich nicht jedes Detail des aktuellen Verfahrens rückwirkend umsetzen, die dadurch bedingten Abweichungen sind jedoch marginal. Gravierender ist sicher die Bewertung von Produktionsverfahren mit konstanten Werten über eine 8-jährige Zeitspanne, weil dadurch Produktivitätsfortschritte und Ähnliches ausgeschaltet werden. Nur so wird aber ein Vergleich erst möglich.

Futterbaubetriebe häufigste Betriebsform

Im Hinblick auf die betriebswirtschaftliche Ausrichtung der Betriebe zeigt sich vergleichsweise wenig Bewegung. Sowohl 1999 wie 2007 sind in Baden-Württemberg die nach der Nomenklatur der EU sogenannten »Weideviehbetriebe«1 die häufigste Betriebsform. Mehr als ein Drittel der Betriebe im Land sind dieser Kategorie zuzurechnen. Im Zeitvergleich bleibt ihr Anteil nahezu gleich, sie schneiden im Strukturwandel damit weder besser noch schlechter als der Durchschnitt ab. An Bedeutung verloren haben die Verbundbetriebe, deren Anteil von 21 % auf 18 % zurückging. Verbundbetriebe sind Betriebe ohne eindeutigen Schwerpunkt, im Betrieb gibt es zwei oder drei gleichermaßen bedeutsame Produktionszweige. Die Abnahme der Gemischtbetriebe kann als Indiz gewertet werden, dass Professionalisierung und Spezialisierung auch für die landwirtschaftlichen Betriebe im Land ein Gebot der Zeit sind. Nimmt man die zweite Anteilsverschiebung hinzu, die Zunahme der Ackerbaubetriebe von 14 % auf 16 %, dann deutet sich eine weitere Entwicklung an: die Vereinfachung der Produktionsstruktur durch Aufgabe der Viehhaltung.

Standarddeckungsbeitrag sinkt um 175 Mill. Euro

Die zweite wichtige Größe aus der Klassifikation ist der Standarddeckungsbeitrag (SDB, siehe i-Punkt). Der kalkulatorische Deckungsbeitrag aller landwirtschaftlichen Betriebe im Land beziffert sich für das Jahr 2007 auf gut 2,0 Mrd. Euro. Gegenüber 1999 sind dies rund 175 Mill. Euro oder 8 % weniger. Bei identischen Bewertungen der Produktionsverfahren muss dieser Rückgang daher entweder auf Verschiebungen von produktiveren zu weniger effizienten Produktionsverfahren oder auf den Verlust von Produktionspotenzialen zurückzuführen sein.

Eine aufwendige Analyse dieser Fragestellung ist im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich. Eine einfache Einschätzung führt jedoch zu dem Schluss, dass die Verschiebung zwischen Produktionsverfahren nur eine untergeordnete Rolle spielt. Noch am markantesten ist die Abnahme der Brache infolge der Flächenstilllegungsprogramme zwischen 1999 und 2007 um rund 10 000 Hektar. Viel gravierender sind dagegen die Verluste an Produktionspotenzialen.

Das betrifft zum einen die landwirtschaftlich genutzte Fläche an sich. Die statistisch nachgewiesene landwirtschaftlich genutzte Fläche ist 2007 um rund 40 000 Hektar niedriger als im Jahr 1999. Darunter sind mit Sicherheit auch Flächen, die im Zuge der Extensivierung oder Betriebsaufgabe aus der statistischen Beobachtung gefallen sind. In der Mehrheit dürfte es sich jedoch um Flächen handeln, die durch den Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke auf Dauer als Produktionspotenzial entzogen sind.

Am schwersten dürfte jedoch der Rückgang in der Tierhaltung, namentlich der Rinderhaltung, wiegen. Allein der Rückgang des Milchkuhbestandes um über 80 000 Tiere hatte bei überschlägiger Rechnung eine Abnahme des Standarddeckungsbeitragsvolumens um rund 100 Mill. Euro zur Folge.

Diese Gegenüberstellung beleuchtet allerdings auch den Schwachpunkt der Ceteris-paribus-Analyse: die Ausblendung von Produktivitätsfortschritten. Gerade im Bereich der Milchkuhhaltung gab es deutliche Produktivitätsfortschritte. Ein im Jahr 2007 um etwa 20 % niedrigerer Milchkuhbestand produziert die annährend gleiche Milchmenge wie im Jahr 1999 (2,25 zu 2,21 Mill. Tonnen). Durch die Produktivitätsfortschritte dürfte sich in der Realität der rechnerische Betrag von 100 Mill. Euro etwas relativiert haben. Der Abbau der Tierbestände (Rinder insgesamt – 240 000, Schweine insgesamt – 80 000, Legehennen – 550 000 und Schafe – 20 000) ist aber nach wie vor als Hauptursache für das rückläufige SDB-Volumen einzustufen.

Für den einzelnen Betrieb bleibt trotzdem mehr

Auch wenn der Standarddeckungsbeitrag nicht dem Einkommen entspricht, lässt seine Entwicklung doch auf entsprechende Veränderungen in den Einkommenspotenzialen der landwirtschaftlichen Betriebe schließen. So ergibt sich trotz des rückläufigen Gesamtvolumens für alle Betriebe im Zeitraum von 1999 bis 2007 für den einzelnen Betrieb ein beachtliches Plus: Im Durchschnitt erhöht sich sein Einkommenspotenzial um gut 22 %. Eine Ursache ist im Bereich der Bodennutzung zu suchen, wo Betriebe durch die Übernahme der Bewirtschaftung von im Strukturwandel freigesetzten Flächen ihr Einkommenspotenzial entsprechend vergrößern.

Im Bereich der Milcherzeugung gibt es im Ansatz ähnliche Bedingungen, weil das die Produktion begrenzende Element, die sogenannte Milchquote, unter den Landwirten gehandelt werden kann. Dabei war – zumindest bis 2007 – sichergestellt, dass die Milchquote nur im Land gehandelt werden konnte und damit als Produktionspotenzial den Landwirten im Land erhalten blieb. Seit 2007 können Milchquoten jedoch auch überregional gehandelt werden. Ein Wettbewerb, in dem Baden-Württemberg bislang stets Milchquoten und damit Produktions- und Einkommenspotenziale an andere Bundesländer verloren hat. Der Abgang beziffert sich bislang auf über 63 Mill. kg Milch, was der Erzeugung durch mehr als 10 000 Milchkühe entspricht. Bei einer Bewertung mit dem durchschnittlichen Standarddeckungsbeitrag je Milchkuh aus der Agrarstrukturerhebung 2007 entspricht dies einem Verlust von rund 13 Mill. Euro an Standarddeckungsbeitrag.

Höchstes Einkommenspotenzial in Gartenbaubetrieben – größte Dynamik in Veredlungsbetrieben

Die verschiedenen Betriebsformen unterscheiden sich deutlich in der Höhe der erzielten Standarddeckungsbeiträge je Betrieb. Den höchsten Standarddeckungsbeitrag erzielen Gartenbaubetriebe (125 000 Euro je Betrieb), auf die mit schon deutlichem Abstand die Veredlungsbetriebe (87 700 Euro) folgen. Bemerkenswert ist der Unterschied in der Dynamik zwischen diesen beiden Betriebsformen. In den Gartenbaubetrieben ist der Zuwachs mit rund 8 % in 8 Jahren sehr bescheiden, während die Veredlungsbetriebe mit einem Zuwachs von 40 % glänzen. Dieser Anstieg ist ganz klar die Folge des enormen Strukturwandels in der Schweinehaltung, in der viele Betriebe aufgegeben haben. Die verbleibenden Betriebe aber haben ihre Produktionskapazitäten deutlich ausgeweitet (zum Beispiel: Zuchtsauen je Halter 1999: 44; 2007: 69).

Das untere Ende markieren die Reblandbetriebe (18 200 Euro) und die Futterbaubetriebe (27 600 Euro). Bei den Reblandbetrieben wird sichtbar, dass die Bewirtschaftung vielfach im Nebenerwerb und damit in einer überschaubaren Größenordnung erfolgt. Nachdenklich stimmen die Kenndaten der Futterbaubetriebe, der häufigsten Betriebsform im Land. Ihr Standarddeckungsbeitrag ist der zweitniedrigste und es ist der Standarddeckungsbeitrag mit der zweitniedrigsten Wachstumsrate. Auf hohem Niveau – wie bei den Gartenbaubetrieben – lässt sich ein geringe Wachstumsrate erheblich leichter verkraften als auf dem Niveau der Futterbaubetriebe.

Eine Ursache für diese Entwicklung ist mit Sicherheit der weiter oben bereits beschriebene Abgang an Produktionspotenzialen durch den Abbau der Tierbestände. Eine weiterer Grund für das mäßige Niveau des Standarddeckungsbeitrags liegt darin, dass die Klassifikation den Futterbaubetrieben auch Betriebe zurechnet, die zwar über Raufutterflächen (im Wesentlichen Grünland) verfügen, aber nicht über den zur Verwertung notwendigen Viehbestand. Das heißt, auch Betriebe ohne oder – mit im Vergleich zur Fläche – nur wenigen Raufutterfressern werden dieser Betriebskategorie zugerechnet. Ohne Tierhaltung ist aber nur eine sehr bescheidene wirtschaftliche Nutzung der Flächen zur Heu- und Futtergewinnung möglich. Aber auch mit Tieren sind bei extensiver Produktionsweise, zum Beispiel in der Mutterkuh- oder Schafhaltung, in der Regel nur sehr überschaubare Potenziale vorhanden. Größere und spezialisierte Futterbaubetriebe, zum Beispiel in der Milchproduktion, schneiden deutlich besser ab und brauchen – wie der abschließende Blick in die Ergebnisse der Klassifikation zeigt – den Vergleich mit den anderen Betriebsformen nicht zu scheuen: Der durchschnittliche Standarddeckungsbeitrag in Milchviehbetrieben liegt 2007 bei knapp 55 000 Euro.

1 Darunter werden Betriebe verstanden, deren Schwerpunkt in der Verwertung betriebseigenen Wirtschaftsfutters durch Raufutterfresser (Rinder, Schafe) liegt. Die Benennung als »Weideviehbetriebe« ist unter den Bedingungen in Baden-Württemberg etwas irreführend, da die (ganzjährige) Stallhaltung dominiert. Die für diesen Betriebstyp früher übliche Bezeichnung »Futterbaubetrieb« charakterisiert diese Betriebe sprachlich zutreffender und wird daher in diesem Beitrag synonym verwendet.