:: 11/2008

Reurbanisierung – Gibt es eine »Renaissance der Städte« in Baden-Württemberg?

Jahrzehntelang war die Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg, aber auch in weiten Teilen Deutschlands, von Suburbanisierungsprozessen geprägt: Die Entwicklung in den Städten und verdichteten Gebieten verlief seit den 60er-Jahren deutlich schwächer als in den Umlandgemeinden und ländlichen Räumen. Seit einigen Jahren scheint sich dieses regionale Entwicklungsmuster aber geändert zu haben. Schlagzeilen wie »Triumph der Städte«, »Raus aus Suburbia, rein in die Stadt« oder »Das Ende der Stadtflucht ist abzusehen« bestimmen zunehmend die Diskussion in Fachkreisen um die regionale Entwicklung in Deutschland.

In diesem Beitrag soll gezeigt werden, dass solche Reurbanisierungstendenzen für Baden-Württemberg tatsächlich nachgewiesen werden können: Seit der Jahrhundertwende sind die Wanderungsgewinne in der Mehrzahl der Mittel- und Oberzentren erstmals wieder größer als in den Umlandgemeinden des Landes. Darüber hinaus wurde der Frage nachgegangen, welche Altersgruppen diesen neuen Trend bestimmen, was die Ursachen hierfür sind und ob davon ausgegangen werden kann, dass sich diese Entwicklung auch in Zukunft fortsetzen wird.

Dynamische Entwicklung der Städte bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts wird …

Starke regionale Unterschiede haben die Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg seit jeher gekennzeichnet. Lange Jahre wurde diese durch sehr hohe Zuwächse in den Städten und nur sehr geringe in den Umlandgemeinden geprägt. So nahm von 1871 bis 1900 die Bevölkerungszahl in den heutigen Mittelzentren um 53 %, in den Umlandgemeinden lediglich um 3 % zu (siehe i-Punkt). In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat sich dieser Unterschied bereits deutlich verringert (+ 71 % gegenüber + 43 %), wobei dies auch auf die starken Kriegszerstörungen vor allem in den Großstädten zurückzuführen ist.

In den 50er-Jahren wurde die Bevölkerungsentwicklung zu einem sehr großen Teil vom Zustrom der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen bestimmt. Neben den politischen Vorgaben war die Verteilung dieser Bevölkerungsgruppen in erster Linie von der Möglichkeit der Unterbringung diktiert: Vor allem die kaum zerstörten ländlichen Gebiete der amerikanisch besetzen Zone bildeten die Hauptauffanggebiete für die Heimatvertriebenen1 – die französische Besatzungsmacht unterband weitgehend die Aufnahme von Heimatvertriebenen. Mit dem beginnenden Wiederaufbau und der allmählichen Normalisierung des Lebens wurden Arbeitskräfte auch wegen der immensen Zerstörungen vor allem in den großen Städten benötigt. Die Förderung des Wohnungsbaus wurde aus diesem Grund an den Arbeitsstätten orientiert und kam somit vorrangig den Städten zugute. Vor allem deshalb war die Bevölkerungsentwicklung in dieser Dekade in den Zentren erneut überdurchschnittlich (+ 26 % gegenüber + 14 % in den Umlandgemeinden).

… von einem jahrzehntelangen Suburbanisierungsprozess abgelöst

Zum Ende der 50er-Jahre erzeugte aber die hohe Bevölkerungs- und Wohndichte und die damit verbundene schwierige Wohnungsbeschaffung eine von den Zentren weggerichtete Wanderungsbewegung in das nähere Umland. Gefördert wurde diese Entwicklung auch durch immer günstiger werdende Verkehrsverbindungen und die zunehmende Motorisierung. Dieser als Suburbanisierung bezeichnete Prozess setzte sich auch in den folgenden Jahrzehnten fort: Knapper Baugrund, hohe Erschließungskosten und damit relativ teueres Wohnen waren jetzt Gründe dafür, dass zahlreiche – überwiegend deutsche – Haushalte die Zentren verließen und in das nähere und weitere Umland zogen. Hinzu kam, dass die Bevölkerungszahl in den Mittel- und Oberzentren auch deshalb schwächer anstieg, weil hier die Geburten-/Gestorbenen-Relation jahrzehntelang ungünstiger als im Umland war; allerdings haben sich diese Unterschiede zuletzt erheblich verringert.

Der »Fall der Mauer« und die Umbrüche in Osteuropa führten Ende der 80er-Jahre zu einem starken Anstieg der Bevölkerungszahl. Die Dynamik der Entwicklung wird deutlich, wenn die Zunahmen in den Jahren 1989 bis 1994 mit denjenigen zwischen 1970 und 1989 verglichen werden: Sie lagen in diesen 5 Jahren im Jahresdurchschnitt mehr als 3-mal so hoch wie in den beiden Jahrzehnten zuvor!

Die Veränderungen in Osteuropa bewirkten aber Anfang der 90er-Jahre nicht nur ein starkes Bevölkerungswachstum, sondern auch eine Überlagerung der Stadt-Umland-Wanderungen. Entscheidend hierfür war, dass die Zuwanderung durch administrative Eingriffe bestimmt wurde. Die neu ankommenden Asylbewerber sowie Aussiedler wurden nach einem Quotenverfahren über das Land verteilt. Dadurch erreichten die Wanderungsgewinne der Mittelzentren annähernd das Niveau der Umlandgemeinden in diesem Zeitraum.

Von Ende 1994 bis Ende 2000 war die Regionalentwicklung wieder durch das jahrzehntelang gültige Muster bestimmt; dabei hatte sich der Suburbanisierungsprozess gegenüber den 80er-Jahren sogar noch beschleunigt: Der Anstieg der Bevölkerungszahl war in den Umlandgemeinden fast 4-mal so hoch wie in den Zentren.

Seit der Jahrhundertwende: Städte werden wieder attraktiver

In den letzten Jahren zeichnet sich aber eine (erneute) Trendwende ab, die nicht – wie zu Beginn der 90er-Jahre – durch administrative Eingriffe mitbestimmt ist: Der Zuwachs der Bevölkerungszahl in den Mittelzentren entspricht nach Jahrzehnten erstmals wieder dem Landesdurchschnitt (jeweils + 2 % im Zeitraum Ende 2000 bis Ende 2007).

Noch deutlicher wird diese Entwicklung, wenn nicht auf die Veränderung der Bevölkerungszahl sondern ausschließlich auf den Wanderungssaldo abgestellt wird. Denn im Hinblick auf die hier thematisierte Fragestellung »Gibt es ein Zurück in die Stadt?« sollte die Bevölkerungszunahme aufgrund eines Geburtenüberschusses außer Betracht bleiben.

Schaubild 2 zeigt, dass sich tatsächlich eine Trendumkehr beim Wanderungsverhalten beobachten lässt: Der relative Wanderungssaldo, das heißt der Saldo bezogen auf die jeweilige Bevölkerung, war noch in jedem Jahr der zweiten Hälfte der 90er-Jahre in den Mittel- und Oberzentren im Schnitt geringer als in den Umlandgemeinden. Seit dem Jahr 2001 hat sich diese Entwicklung umgekehrt: Die Wanderungssalden lagen in den Zentren in jedem Jahr jeweils höher als in den Umlandgemeinden. In den Jahren 2006 und 2007 war es sogar so, dass im Schnitt nur noch die Zentren von Wanderungsgewinnen profitiert haben; der Entwicklungsunterschied zwischen den Städten und den Umlandgemeinden hat sich damit in den letzten Jahren deutlich vergrößert.

Räumliches Entwicklungsmuster seit 1995 – am Beispiel der Region Stuttgart

Die Wanderungsgewinne der Umlandgemeinden waren in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre also noch höher als in den Zentren. Dabei lagen diese Gewinne im Schnitt umso höher, je kleiner die Kommunen und/oder je weiter diese von den Zentren entfernt waren. Dieses räumliche Muster hat sich seit der Jahrhundertwende umgekehrt, was exemplarisch anhand der polyzentralen Region Stuttgart gezeigt werden soll: Werden die Gemeinden um die Landeshauptstadt Stuttgart konzentrischen »Ringen« zugeordnet, so waren im Zeitraum 1995 bis 2000 die Wanderungsgewinne derjenigen Kommunen noch am höchsten, die innerhalb der Region am weitesten von Stuttgart, nämlich 21 bis 30 km bzw. mehr als 30 km entfernt liegen. Dagegen hatten die unmittelbaren Nachbargemeinden der Landeshauptstadt nur einen ausgeglichenen Wanderungssaldo, Stuttgart selbst sogar einen Wanderungsverlust. Seit der Jahrhundertwende hat sich dieses Bild deutlich verändert: Die höchsten Wanderungsgewinne haben die unmittelbaren Nachbargemeinden Stuttgarts; die Landeshauptstadt konnte ebenfalls relativ hohe Gewinne verbuchen, während die entfernter liegenden Kommunen zuletzt schwächer abgeschnitten haben.2

Neuer Trend ist nicht flächendeckend

Die gestiegene Attraktivität der Städte für Zuziehende ist zwar nicht für das gesamte Land zu beobachten, jedoch waren die relativen Wanderungsgewinne der Mittelzentren im Zeitraum 2001 bis 2007 in immerhin 63 von 99 Mittelbereichen höher als in den jeweiligen Umlandgemeinden; im Zeitraum 1995 bis 2000 waren es erst 46.3

Großräumig, das heißt für die Ebene der 12 Planungsregionen Baden-Württembergs, lassen sich überwiegend Reurbanisierungstendenzen nachweisen: In immerhin 10 dieser 12 Raumeinheiten lagen die relativen Wanderungsgewinne in den Zentren im Schnitt höher als in den jeweiligen Umlandgemeinden. Am stärksten war der Entwicklungsunterschied innerhalb der Region Südlicher Oberrhein (4,2 Prozentpunkte). Dort haben die Zentren mit 7,3 % das mit Abstand höchste Plus erzielt; die Entwicklung in den Umlandgemeinden lag ebenfalls über dem entsprechenden Wert für Baden-Württemberg insgesamt. Nur in den Regionen Ostwürttemberg und Neckar-Alb war die Entwicklung in den Zentren schwächer als im jeweiligen Umland. Ostwürttemberg nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sowohl in den Mittelzentren als auch den Umlandgemeinden Wanderungsverluste zu verzeichnen waren.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die im Vergleich zu den Umlandgemeinden hohe Attraktivität der Städte davon abhängig ist, ob es sich um ein eher prosperierendes oder eher schrumpfendes Gebiet handelt. Wird hierzu die prozentuale Bevölkerungsentwicklung in einem Mittelbereich insgesamt dem jeweiligen Entwicklungsunterschied zwischen Mittelzentrum und Umland gegenüber gestellt, so zeigt sich ein positiver, wenn auch eher schwach ausgeprägter Zusammenhang:4 Zumindest der Tendenz nach hat dort eine relativ günstige Entwicklung des Zentrums stattgefunden, wo sich auch der Mittelbereich insgesamt günstig entwickelt hat. Sehr deutlich ist dieser Zusammenhang beispielsweise in den Mittelbereichen Baden-Baden und Bad Krozingen ausgeprägt, in denen ein sehr großer Entwicklungsunterschied zwischen Zentrum und Umland mit einer dynamischen Bevölkerungs- und Beschäftigungsentwicklung einherging. Auf der anderen Seite die Mittelbereiche Albstadt und Heidenheim – mit den höchsten Wanderungsverlusten und einem starken Abbau der Beschäftigung – in denen sich die Umlandgemeinden günstiger als die Zentren entwickelt haben.

Schaubild 4 zeigt die räumliche Verteilung der Mittelbereiche in Baden-Württemberg, in denen sich die Mittelzentren zuletzt dynamischer als die Umlandgemeinden beziehungsweise die Umlandgemeinden günstiger als die Zentren entwickelt haben. Auffällig ist, dass vor allem in Süd- und Mittelbaden sowie im Nordosten des Landes ganz überwiegend die Zentren höhere Wanderungsgewinne als die jeweiligen Umlandgemeinden erzielt haben.

Verdichtungsräume gewinnen, ländliche Räume verlieren an Dynamik

Eine Trendumkehr bei der Bevölkerungsentwicklung lässt sich nicht nur bei einer funktionalen Gliederung der Kommunen in Zentren und Umlandgemeinden beobachten, sondern auch bei der Unterscheidung in verdichtete und dünner besiedelte Gebiete: Noch in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre hatten die Verdichtungsräume die mit Abstand geringsten Wanderungsgewinne der Raumkategorien nach dem Landesentwicklungsplan5. Seit dem Jahr 2001 liegen diese aber nur noch geringfügig niedriger als in den Randzonen um die Verdichtungsräume, aber erheblich über denjenigen des Ländlichen Raumes insgesamt.

Schließlich wird die Trendwende im regionalen Wanderungsgeschehen auch deutlich, wenn die Kommunen – ergänzend zur Einteilung in Zentren und Umlandgemeinden – nach Größenklassen betrachtet werden: Es zeigt sich, dass die Städte ihre Position im Wanderungsgeschehen im Schnitt umso stärker verbessert haben, je größer sie sind: Die durchschnittlichen jährlichen Wanderungsgewinne der Gemeinden in den sechs gebildeten Gemeindegrößenklassen mit weniger als 20 000 Einwohnern sind im Zeitraum 2001 bis 2007 gegenüber 1995 bis 2000 zurückgegangen, während die Kommunen mit 20 000 und mehr Einwohnern im Schnitt ihre Wanderungsgewinne zum Teil deutlich steigern konnten und zwar tendenziell um so stärker, je größer sie sind.

Reurbanisierung: determiniert von Bildungswanderung sowie …

Welche Bevölkerungsgruppen haben zu dieser Trendumkehr beigetragen? Zur Klärung dieser Frage wurden die Wanderungssalden für vier Altersgruppen gebildet und jeweils auf die entsprechende Bevölkerungsgruppe bezogen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Verbesserung der Position der Mittelzentren im Wanderungsgeschehen ganz überwiegend auf die Altersgruppe der 15- bis unter 30-jährigen zurückzuführen ist: 1995 bis 2000 hatten die Zentren bereits 17 Personen je 1 000 dieser Altersgruppe durch Wanderungen hinzugewonnen; in den Umlandgemeinden waren es nur 4 je 1 000. In den Jahren 2001 bis 2007 hat sich der Wert für die Mittelzentren auf 23 erhöht; die Umlandgemeinden haben dagegen per saldo praktisch keine Bevölkerung dieser Altersgruppe mehr durch Wanderungen hinzugewonnen.

Allerdings hat sich die relative Position der Zentren gegenüber der der Umlandgemeinden auch in den anderen Altersgruppen verbessert:

  • Bei den Kindern und Jugendlichen hat sich der geringe Wanderungsverlust der Zentren in den Jahren 1995 bis 2000 zuletzt in einen leichten Wanderungsgewinn verwandelt, während der der Umlandgemeinden etwas zurückgegangen ist.
  • Die Wanderungsverluste bei den 30- bis 65-Jährigen bezogen auf 1 000 Personen dieser Altersgruppe sind in den Mittel- und Oberzentren um zwei Drittel zurückgegangen, während sich gleichzeitig die Wanderungsgewinne der Umlandgemeinden um gut ein Fünftel verringert haben.
  • Die relativen Wanderungsverluste der Zentren bei den noch Älteren sind zwar um knapp ein Fünftel angestiegen; die bisherigen Wanderungsgewinne der Umlandgemeinden sind aber gleichzeitig um gut drei Viertel zurückgegangen.

Damit dürfte die zu beobachtende Trendumkehr zwar stark von der bildungsinduzierten Wanderung6 bestimmt sein, doch zeigt sich anhand der differenzierten Wanderungssalden, dass dieser neue Trend in abgeschwächter Form auch für die übrigen Altersgruppen gilt. Zumindest scheinen die Zugezogenen wohl häufiger als früher in den Zentren wohnen zu bleiben. Insofern kann tatsächlich von Reurbanisierungstendenzen in Baden-Württemberg gesprochen werden.

… von einer geänderten Einstellung zum Wohnen in der Stadt

Nahe liegend wäre es, die gestiegene Attraktivität der Städte auch auf die Entwicklung der regionalen Arbeitsmärkte und/oder auf die Entwicklung der Wohnungs- bzw. Pendelkosten zum Arbeitsplatz zurückzuführen. Diese Zusammenhänge lassen sich aber nur bedingt feststellen:

  • Die prozentuale Veränderung der Beschäftigtenzahl insgesamt in den Zentren lag im Zeitraum 1995 bis 2000 noch einen Prozentpunkt unter der der Umlandgemeinden. Seit dem Jahr 2000 hat sich der Entwicklungsunterschied auf einen halben Prozentpunkt verringert. Auch die These, dass die Zentren vor allem von Hochqualifizierten profitieren, die zu einem stärkeren Zuzug geführt haben, kann nur sehr eingeschränkt nachgewiesen werden: Zwar liegt der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Hoch- bzw. Fachhochschulabschluss an allen Beschäftigten wohnortbezogen in den Mittelzentren deutlich höher als in den Umlandgemeinden (12,4 % gegenüber 8,6 %). Die Zunahme der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Akademiker entsprach aber in den Zentren in den letzten Jahren nur noch knapp dem Landesdurchschnitt. 7
  • Die regionale Veränderung der Baulandpreise in den letzten Jahren dürfte ebenfalls nur einen geringen Erklärungswert für die Reurbanisierungsprozesse liefern: In den zentralen Orten war der Anstieg der Quadratmeterpreise für baureifes Land nur geringfügig schwächer als in den Umlandgemeinden (Durchschnitt der Jahre 2004 bis 2006 gegenüber 1998 bis 2000: + 20 % gegenüber + 23 %).
  • In der Vergangenheit ist die Verkehrsdichte zwar enorm gestiegen, die das Einpendeln in die Arbeitsplatzzentren zunehmend erschwert hat. Auch wurde aufgrund der Entwicklung der Spritpreise und der Kürzung der Entfernungspauschale das Pendeln immer teurer. Dennoch hat sich die Zahl der Pendler über die Gemeindegrenze in den letzten Jahren in Baden-Württemberg sogar etwas erhöht. 8

Somit bleiben als Erklärungsansätze für den neuen Trend vor allem die geänderte Zusammensetzung der Bevölkerung nach der Haushaltsstruktur und dem Alter einerseits sowie eine geänderte Einstellung zum Wohnen in der Stadt andererseits. Zwar ist die Zahl der Einpersonenhaushalte, die in den (Groß-)Städten überrepräsentiert sind, zuletzt schwächer gestiegen als die der Mehrpersonenhaushalte, jedoch hat die Bevölkerung im Alter von 15 bis 30 Jahren – von der die Städte in den letzten Jahren besonders profitiert haben – seit der Jahrhundertwende sowohl absolut als auch anteilsmäßig zugenommen.

Neben diesen Altersstruktureffekten dürften vor allem die gestiegene Bedeutung der Städte als Ausbildungsplatzzentren sowie insbesondere eine geänderte Einstellung zum Wohnen in der Stadt ursächlich für die Reurbanisierungstendenzen sein. Nach Auffassung von Horst W. Opaschowski kommen in den Zukunftsvorstellungen der Bevölkerung Lebensqualitätswünsche zum Ausdruck, die mit den Attributen »zentral«, »nah«, »kurz« auf eine stärkere räumliche Nähe von Wohn- und Arbeitsplatz hinweisen; beim »Citywohnen« ließen sich Berufs- und Privatleben besser miteinander verbinden.9

Fazit und Perspektiven

Alles in allem kann in Baden-Württemberg von Reurbanisierungstendenzen gesprochen werden, wenn auch regional in stark unterschiedlichem Umfang. 10 Dabei ist die Gruppe der Ausbildungs- und jüngeren Arbeitsplatzsuchenden die bestimmende Bevölkerungsgruppe für diesen Trend. Nicht bestätigt hat sich die Vermutung, dass dieser Prozess entscheidend von älteren Menschen getragen wird, weil diese verstärkt die räumliche Nähe zu altersgruppenspezifischen Infrastrukturangeboten suchen. Zumindest hat sich aber die Abwanderung der Älteren aus den Zentren in den letzten Jahren abgemildert.11

Welche Entwicklung ist für die Zukunft zu erwarten? Auf der einen Seite könnte die künftige Veränderung der altersstrukturellen Zusammensetzung der Bevölkerung auf eine Abschwächung des Reurbanisierungsprozesses hindeuten: Zum einen wird die Altersgruppe der 15- bis 30-Jährigen allein bis zum Jahr 2025 landesweit um 13 % zurückgehen; zum anderen wird die Zahl der Älteren, die per saldo immer noch aus den Städten wegziehen, deutlich ansteigen – bis 2025 um etwa 30 %.

Ebenfalls für eine Abschwächung des Reurbanisierungsprozesses könnte sprechen, dass die Städte vor allem von Fernwanderungen profitieren, während die Abwanderung an das Umland immer noch bedeutsam ist.12 Für die Zukunft ist aber nur noch mit eher moderaten Wanderungsgewinnen Baden-Württembergs gegenüber den anderen Bundesländern und dem Ausland zu rechnen, sodass die »Hauptquelle Fernwanderung« weniger bedeutsam werden könnte.

Auf der anderen Seite spricht jedoch einiges dafür, dass der Reurbanisierungsprozess anhalten und sich möglicherweise noch verstärken wird, weil die Zentren künftig auch stärker von Stadt-Umland-Wanderungen profitieren könnten:

  • Wanderungsmotivuntersuchungen der 90er-Jahre brachten zutage, dass die Akzeptanz der Stadt weit höher ist, als die Umlandwanderung es erscheinen lässt. Viele Umlandwanderer wären in der Stadt geblieben, wenn sie ihren Wohnflächenbedarf bei gleichen Kosten in der Stadt hätten realisieren können.13 Das heißt, eine Wohnungsknappheit in den Zentren hatte bisher eine stärkere Zuwanderung verhindert. Langfristig wird aber die Einwohnerzahl zurückgehen, sodass der Hinderungsgrund »Wohnungsknappheit« für eine Zuwanderung wegfallen könnte. Der Bevölkerungsrückgang könnte bereits aus diesem Grund in den Zentren schwächer ausfallen als in den Umlandgemeinden.
  • Bereits in der Vergangenheit wurde die Infrastruktur gerade in ländlichen Gebieten (zum Beispiel bei Ärzten, Post, Banken, Geschäften) ausgedünnt. Der langfristige Rückgang der Bevölkerungszahl könnte diesen Prozess beschleunigen, wodurch der Ländliche Raum im Vergleich zu den verdichteten Gebieten an Attraktivität verlieren würde. Hinzu kommt, dass die zum Teil fehlende Breitbandverkabelung im Ländlichen Raum als Standortnachteil empfunden wird.14
  • Und schließlich könnte eine erneute Verteuerung der Spritpreise dazu führen, dass künftig verstärkt versucht wird, das arbeitsplatzbedingte Pendeln einzuschränken, das heißt möglichst nahe am Arbeitsplatz zu wohnen. Da sich aber die Arbeitsplatzzentren überwiegend in den verdichteten Gebieten befinden, könnte dies das Wohnen in den Städten zusätzlich attraktiver machen.

Reurbanisierung ist kein Selbstläufer

Auch wenn somit alles in allem einiges für die Fortsetzung des Reurbanisierungsprozesses spricht, ist diese Entwicklung hin zu den Städten kein Selbstläufer. »(…) Attraktivität wird es ohne Qualität nicht geben. (…) Nur Städte, die es schaffen, auch die Wohnqualität zu steigern, kreative Milieus anzusiedeln, werden es schaffen (…).«15 Und: »Es gilt, die Voraussetzungen für »gelungenes Wohnen« in der Innenstadt nicht nur für bestimmte Lebensstilgruppen zu schaffen, sondern für Menschen in allen Lebensphasen mit unterschiedlichen Lebensstilen auszuweiten. Die Innenstadt als Wohnstandort kann für breitere Bevölkerungsgruppen erschlossen werden. Voraussetzung für eine steigende Nachfrage der (gehobenen) Mittelschicht ist ein ansprechendes und differenziertes Wohnungsangebot, das mit einem angenehmen Wohnumfeld korrespondiert.«16

Schließlich könnte sich mit dem Übergang zur Wissensökonomie die Bedeutung der Arbeit als Produktionsfaktor erhöhen, wodurch Arbeitsmärkte für Hochqualifizierte zum zentralen Standortfaktor werden. »Unternehmen werden sich in ihren Standortentscheidungen zunehmend an der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte orientieren und damit in den Stadtmetropolen eine kumulative Dynamik zwischen Arbeitskräftenachfrage und Arbeitskräfteangebot auslösen«.17 Nach Auffassung von Jens Dangschat könnten diejenigen Städte die größten Wachstumsimpulse haben, »in denen die neuen unternehmensbezogenen und wissensbasierten Dienstleistungen sowie Kulturproduktionen (Finanz- und Versicherungswesen, Immobilienwirtschaft, Wissensproduktion, Medien) stark sind, aber auch Orte mit hoher Lebens- und Wohnqualität, mit Hoch- und Kreativkultur sowie Orte von hohem touristischen Interesse.«18

1 Vgl. Schindler, Jörg-Wolfram: Heimatvertriebene und Flüchtlinge, in: 40 Jahre Baden-Württemberg, hrsg. von Schaab, Meinrad, 1992, S. 154 ff.

2 Vgl. beispielsweise auch: Borgmann, Thomas: Viele Menschen ziehen wieder in die Innenstadt, in: Stuttgarter Zeitung vom 10. Juli 2008, S. 21.

3 Nicht berücksichtigt wurden die Mittelbereiche Rastatt und Horb, weil dort die Zu- und Fortzüge in den beiden Gemeinden mit einer Zentralen Aufnahmestelle für Spätaussiedler (Gemeinde Empfingen im Landkreis Freudenstadt und Stadt Rastatt im Landkreis Rastatt) bis zum Jahr 2000 nicht korrekt erfasst sind; ebenfalls nicht berücksichtigt sind die beiden Verwaltungsräume Neckargerach/Waldbrunn sowie Schliengen.

4 Der Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson liegt bei 0,3.

5 Zur Abgrenzung der Raumkategorien vgl. Landesentwicklungsplan 2002, herausgegeben vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, S. B7 ff.

6 Insbesondere Standorte mit Hochschulen und beruflichen Schulen dürften profitiert haben.

7 Eine Erklärung dafür, dass sich die für die Bevölkerungsentwicklung festgestellten Reurbanisierungstendenzen kaum für die Beschäftigung nachweisen lassen, könnte die in Baden-Württemberg praktisch flächendeckend gute Erreichbarkeit der Arbeitsplätze liefern. Nach einer aktuellen Untersuchung gibt es im Land keine systematischen wohnortbedingten Ungleichheiten in der Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen; vgl. Winkelmann, Ulrike: »Berufspendler in Baden-Württemberg –Wo sind die Arbeitswege am längsten?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 08/2008«

8 Allerdings sind die Preise für Benzin und vor allem für Diesel erst im 1. Halbjahr 2008 erheblich angestiegen und haben somit in der Pendlerstatistik noch keinen Eingang gefunden.

9 Vgl. Opaschowski, Horst W.: Zukunft findet Stadt! Abschied vom urbanen Pessimismus, in: Der Bürger im Staat, Heft 3/2007, S. 192–197.

10 In den letzten Jahren haben einige Städte verstärkt versucht, Bürger, die bisher mit Zweitwohnsitz gemeldet waren, bei Vorliegen der melderechtlichen Voraussetzungen als »Erstwohnsitzler« zu gewinnen. Ob und ggf. in welchem Umfang solche Aktionen die festgestellten Reurbanisierungstendenzen beeinflusst haben, kann nicht abgeschätzt werden.

11 Dies bestätigt auch eine Untersuchung am Beispiel der Stadt Mainz, in der zwar Potenziale, aber kein Massentrend festgestellt wurden; vgl. Glasze, Georg/Graze, Philip: Raus aus Suburbia, rein in die Stadt?, in: RuR, 5/2007, S. 467 ff.

12 Vgl. beispielsweise: Borgmann, Thomas: Stuttgart lockt zum Wohnen und Arbeiten, in: Stuttgarter Zeitung vom 26. Januar 2008, S. 23, sowie: Urbanczyk, Rafael: Zur Frage der Reurbanisierung – Das Comeback der Stadt in Nordrhein-Westfalen?, S. 121 f.

13 Vgl. Brühl, Hasso u. a.: Wohnen in der Innenstadt – eine Renaissance?, herausgegeben vom Deutschen Institut für Urbanistik, 2005, S. 13 (Zitierweise: Wohnen in der Innenstadt).

14 Vgl. beispielsweise die Pressemitteilung des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2007: Minister Peter Hauk MdL: »Breitbandanschlüsse sind unverzichtbar für den Ländlichen Raum.«

15 Professor Richard Reschl in der Stuttgarter Zeitung vom 22. Oktober 2007: »Das Ende der Stadtflucht ist abzusehen«.

16 Brühl: Wohnen in der Innenstadt, S. 14.

17 Hannemann, Christine/Läpple, Dieter: Zwischen Reurbanisierung, Suburbanisierung und Schrumpfung. Ökonomische Perspektiven der Stadtentwicklung in West und Ost, in: Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur, Heft 5/2004, Beilage »Zukunft der Städte«, S. X.

18 Dangschat, Jens S.: Reurbanisierung – eine Renaissance der (Innen-)Städte?, in: Der Bürger im Staat, Heft 3/2007, S. 187.