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Wie viel Staat?

Ob Bürokratieabbau, Haushaltskonsolidierung, Reformen der Sozialversicherung, Konjunkturprogramme oder Rettungspaket für die Sicherung der Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzsystems – letztendlich geht es auch immer um die ordnungspolitische Grundsatzfrage, in welchem Umfang der Staat insgesamt in das Wirtschaftsgeschehen eingreift. Zur Beantwortung dieser Frage stellen die nationalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) die sogenannte Staatsausgabenquote bereit, bei der die Summe der Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt ins Verhältnis gesetzt wird. Allerdings ist diese Staatsquote nicht Bestandteil des Veröffentlichungsprogramms des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (VGR d L), sodass sich der vorliegende Beitrag auf eine Eigenberechnung für Baden-Württemberg stützt. Demnach war die Staatsausgabenquote in Baden-Württemberg mit zuletzt etwas über 39 % deutlich geringer als in Deutschland, wo sie sich auf knapp 47 % belief. Unter marktwirtschaftlichen Aspekten wird eine niedrigere Staatsquote eher günstiger bewertet.

Der Staat ist neben den Unternehmen1 und privaten Haushalten ein zentraler Akteur im wechselseitigen Gefüge der Güter-, Verteilungs- und finanziellen Transaktionen des Wirtschaftskreislaufs. Nach den Regeln des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen werden zum Sektor Staat alle öffentlichen Körperschaften zusammengefasst, die für die Allgemeinheit nicht marktbestimmte Güter (= sonstige Nichtmarktproduktion) bereitstellen und die sich primär mit Zwangsabgaben (zum Beispiel Steuern) von anderen Sektoren finanzieren. Nicht marktbestimmt heißt, dass diese Güter kostenlos zur Verfügung gestellt werden bzw. dass nach den Konventionen der VGR weniger als 50 % ihrer Produktionskosten durch Umsätze, Gebühreneinnahmen etc. gedeckt sind. Bei der Nichtmarktproduktion des Staates handelt es sich um die gesamte Palette öffentlicher Leistungen, die der Gesellschaft entweder zum Individualkonsum (Bildung, Gesundheit, Sport und Kultur) oder zum Kollektivkonsum (Verwaltung, innere Sicherheit, Verteidigung, Umweltschutz, Forschung und Entwicklung, Infrastruktur und Wirtschaftsförderung) bereitstehen. In der sektoralen Untergliederung werden je nach der territorialen Zuständigkeit die Teilsektoren Bund (Zentralstaat) Länder und Gemeinden/Gemeindeverbände unterschieden. Zum Staat gehört ferner die Sozialversicherung.

Abgrenzung der Staatsausgaben

Um den Umfang und die Intensität staatlicher Aktivitäten zu messen, werden die Staatsausgaben zum (nicht preisbereinigten) Bruttoinlandsprodukt, dem umfassenden Maß für die wirtschaftlichen Leistungen eines Gebietes, ins Verhältnis gesetzt. Die sich so ergebende Quote ist eine Größe, wie sie üblicherweise als Staatsquote berechnet und als solche auch so bezeichnet wird. Dabei wird in einer eigenen EU-Verordnung2 festgelegt, welche Ausgabenarten zu den Staatsausgaben nach VGR-Konzept zu zählen sind. Sie umfassen die konsumbezogenen Ausgaben wie das Arbeitnehmerentgelt für die Staatsbediensteten, die monetären Sozialleistungen wie Renten, Pensionen und Arbeitslosengeld, die Bruttoinvestitionen im Rahmen von Infrastrukturmaßnahmen, die Subventionen zur Unterstützung bestimmter Wirtschaftbereiche und Regionen, die Zinszahlungen für Staatsschulden, die Schuldentilgungen bis hin zu fällig gewordenen Bürgschaften (siehe auch Übersicht). Insofern wird mit der Staats(ausgaben)quote das gesamte Spektrum staatlicher Aktivitäten im Wirtschaftskreislauf aus dem Blickwinkel der Ausgabenseite erfasst. Das wertmäßige Pendant zu den Ausgaben sind die Einnahmen des Staates, die sich im Wesentlichen aus den Steuern und Sozialbeiträgen rekrutieren. Falls sich zwischen den Ausgaben und Einnahmen ein Finanzierungsdefizit einstellt, wird es durch Kredite geschlossen.

Berechnungsmethode für die regionale Staatsquote

Die Staatsausgaben werden auf nationaler Ebene vom Statistischen Bundesamt in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erfasst und berechnet. Dabei werden die Ausgaben und Einnahmen einschließlich des Finanzierungssaldos des Gesamtstaates und dessen Teilsektoren differenziert nachgewiesen. Die für den Staatssektor erstellten Tabellen speisen sich aus Einzelpositionen des für den Staat geführten Kontensystems. So entstammen die Vorleistungen dem Produktionskonto, das Arbeitnehmerentgelt dem Einkommensentstehungskonto, die monetären Sozialleistungen dem Konto der sekundären Einkommensverteilung und die Bruttoinvestitionen dem Sachvermögensänderungskonto des Staates.3 Maßgebend für die Berechnung der Staatsquote auf Bundesebene ist die konsolidierte Ausgaben-Einnahmen-Tabelle für den Staat, in der sich die Ströme zwischen den Teilsektoren des Staates gegenseitig aufheben.

Allerdings steht seitens des Arbeitskreises VGR d L für die Bundesländer ein derart umfassendes und in sich geschlossenes Konten- und Tabellensystem nicht zur Verfügung, sodass für die Berechnung der regionalen Staatsquote nach einem anderen Lösungsweg gesucht werden musste. In den regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ist es anerkannte Praxis, sich im Fall von Datenlücken der Schlüsselungstechnik bzw. der Top-down-Methode zu bedienen. Das heißt, dass der Bundeseckwert anhand einer geeigneten Schlüsselgröße auf das jeweilige Bundesland heruntergebrochen wird. Dazu wählt man eine Schlüsselgröße, bei der a priori von einem engen Zusammenhang zwischen dem zu berechnenden Aggregat und dem Schlüssel ausgegangen werden darf.

Die Schlüsselgrößen für die Ableitung der baden-württembergischen Staatsquote sind in der Übersicht zusammengefasst. Ausgangspunkt der Berechnungen waren die entsprechenden Bundeseckwerte für die einzelnen Ausgabenkategorien aus den bereits oben erwähnten konsolidierten Staatstabellen. Im abschließenden Rechengang wurden die so für Baden-Württemberg pro Referenzjahr erzeugten verschiedenen Ausgabenwerte zu den gesamten Staatsausgaben zusammengefasst und als Staatsquote zum jeweiligen nominalen Bruttoinlandsprodukt ins Verhältnis gesetzt.

Obwohl auf der regionalen Ebene ein komplettes Kontensystem nicht geführt wird, ist es erstaunlich, dass am Beispiel von 2005 rund neun Zehntel der Gesamtausgaben des Staates anhand weitgehend vergleichbarer Landesdaten regionalisiert werden konnten. Nur bei rund einem Zehntel musste ungeachtet der Berechnungsmethoden für die im Arbeitskreis VGR d L vorliegenden Ausgabekategorien auf den etwas einfach anmutenden Schlüssel der Einwohnerzahl zurückgegriffen werden. Auch in den Vorjahren bewegten sich diese Anteile in ähnlichen Größenordnungen. Insgesamt gesehen kann somit dem gewählten Top-down-Ansatz eine relativ hohe Qualität attestiert werden.

Noch auf Folgendes sei hingewiesen: Bei dem gewählten Berechnungsverfahren werden neben den Leistungen der Sozialversicherung auch die Aktivitäten des Teilsektors Bund auf Baden-Württemberg regionalisiert. Dies ist geradezu zwingend, weil ja der Zentralstaat kein imaginäres Gebilde ist, sondern mit seinem Handeln stets auch einen regionalen Bezug hat. So kommen einerseits seine Dienstleistungen wie innere und äußere Sicherheit den Einwohnern aller Bundesländer zugute, andererseits betreibt er Infrastruktureinrichtungen (zum Beispiel Autobahnen, Bundesstraßen) in der Fläche und er hat seine Dienststellen (zum Beispiel Bundesverfassungsgericht, Zollämter, Bundespolizeidirektionen) auf die Länder verteilt.

Staatsquote in Baden-Württemberg geringer als im Bundesdurchschnitt

In Baden-Württemberg belief sich die entsprechend dem oben aufgeführten Verfahren berechnete Staatsquote 20054 auf 39,4 %. Damit war hierzulande der Einfluss des Staates auf den Wirtschaftskreislauf deutlich geringer ausgeprägt als in Gesamtdeutschland mit einer Quote von 46,9 %. Im gesamten Untersuchungszeitraum 1995 bis 2005 konnte Baden-Württemberg ein günstigeres Ergebnis als das Bundesgebiet aufweisen (Schaubild 1). Gleichzeitig fällt auf, dass in diesem Zeitraum weder in Baden-Württemberg noch in Deutschland die Staatsquote nennenswert reduziert werden konnte. Der Rückgang im Jahr 2000 ist im Wesentlichen auf eine Sonderentwicklung durch den Verkauf der UMTS-Mobilfunklizenzen zurückzuführen.5

Hauptbestandteil der Staatsausgaben sind die konsumbezogenen Ausgaben, deren Höhe vor allem vom Arbeitnehmerentgelt für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst bestimmt wird. Sie erbringen die kollektiv oder individuell konsumierbaren Dienstleistungen des Staates. Bei fast 43 % der Gesamtausgaben des Staates in Baden-Württemberg handelte es sich im Jahr 2005 um konsumbezogene Ausgaben (Tabelle). Den zweitgrößten Posten mit einem Ausgabenanteil von fast 40 % stellten die monetären Sozialleistungen dar. In Deutschland hatten die Sozialtransfers im gesamten Untersuchungszeitraum durchgängig ein größeres Gewicht, was vor allem auf die im Vergleich zu Baden-Württemberg deutlich höhere Arbeitslosenquote und ungünstigere Altersstruktur der Bevölkerung zurückzuführen sein dürfte.

Bemerkenswert ist das Verhältnis der (geleisteten) Vermögenseinkommen, das heißt der Zinslasten, zu den Bruttoinvestitionen des Staates. In allen Jahren wurde in Baden-Württemberg wie in Deutschland stets mehr für Zinsen als für Investitionen ausgegeben. Zum Teil war es gut das Doppelte. Deutlich zurückgegangen ist der Anteil der Subventionen. Betrug er in Baden-Württemberg 1995 noch 3,9 %, waren es 2005 nur noch 2,4 %.

Sozialleistungen expandieren – Investitionen sinken

Die Gesamtausgaben des Staates sind in Baden-Württemberg 2005 gegenüber 1995 um gut 23 % gewachsen (Schaubild 2). Dabei haben die monetären Sozialleistungen nicht zuletzt infolge des demografischen Wandels mit rund 36 % deutlich stärker zugelegt als die konsumbezogenen Ausgaben, für die sich eine Zunahme von fast 20 % ergab. Dagegen wiesen die staatlichen Bruttoinvestitionen ein Minus von knapp 13 % auf, wobei durchaus ein Zusammenhang mit dem vielfach beklagten Aufschub dringlicher Reparaturen, Erneuerungen und Erweiterungen öffentlicher Infrastruktureinrichtungen gesehen werden kann. Als Kritik am Investitionsbegriff der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen bleibt anzumerken, dass er sehr eng gefasst ist und daher die Ausgaben für Bildung sowie für Forschung und Entwicklung nicht umfasst. Diese Ausgabenkategorien zählen konzeptionell zu den konsumtiven Staatsausgaben, obwohl sie gerade im Hinblick auf den stetig voranschreitenden Wandel zur Wissensgesellschaft eigentlich ebenfalls der Kapitalisierung bedürften.6

1 In der Terminologie des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen handelt es sich hierbei vor allem um die nicht finanziellen und finanziellen Kapitalgesellschaften. Siehe Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat): Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen – ESVG 1995, Luxemburg 1996, S. 22 ff.

2 Verordnung (EG) Nr. 1500/2000 der Kommission vom 10. Juli 2000 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 2223/96 des Rates vom 25. Juni 1996 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Gemeinschaft (ESVG 1995) im Hinblick auf die Ausgaben und Einnahmen des Staates.

3 Siehe Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.4, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Inlandsproduktsberechnung, Detaillierte Jahresergebnisse, Stand: Februar 2008, S. 203 ff.

4 Aufgrund der eingeschränkten Datenverfügbarkeit für die regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen konnte bis zum Redaktionsschluss des vorliegenden Beitrags die Berechnung der Staatsquote nur bis zum Jahr 2005 durchgeführt werden. Wegen diverser Datenlücken waren auch Berechnungen für die Jahre vor 1995 nicht möglich. Um Verzerrungen in der Zeitreihe zu vermeiden, werden die Staatsausgaben für das Basisjahr 1995 ohne die Vermögenstransfers im Zusammenhang mit der Schuldenübernahme der Treuhandanstalt und der Wohnungswirtschaft der ehemaligen DDR durch den Bund angegeben.

5 Mobilfunklizenzen werden im ESVG als nicht produzierte Vermögensgüter betrachtet. Ihr Versteigerungserlös ist im Jahr 2000 mit negativem Vorzeichen in die Ausgabenposition »Nettozugang an nicht produzierten Vermögensgütern« eingeflossen und hat somit zu einem nicht unerheblichen Einbruch bei den Gesamtausgaben des Staates geführt.

6 In dem neuen System of National Accounts 2008, dem weltweiten Rahmen für das noch zu revidierende ESVG, werden ab dem voraussichtlichen Implementierungsjahr 2015 Forschung und Entwicklung jedoch als Investitionen behandelt werden.