:: 2/2009

Gesundheitsausgaben in Baden-Württemberg und den Ländern der OECD

Seit den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts ist der Gesundheitssektor eine Dauerbaustelle der Politik. Regelmäßig werden Reformen vorgenommen, um den Anstieg der Gesundheitsausgaben zu bremsen. Der Gesundheitsfonds, der am 1. Januar 2009 seine Arbeit aufgenommen hat, ist das vorerst jüngste Ergebnis dieser Reformbemühungen. Doch die Gesundheitsausgaben steigen weiter. Allein schon aus demografischen Gründen wird dieser Trend auch in den kommenden Jahrzehnten anhalten, sodass die Entwicklung der Gesundheitsausgaben nicht an Brisanz verlieren wird. Der folgende Beitrag stellt die Ausgabensituation in Baden-Württemberg dar und zieht den Vergleich mit Deutschland und anderen Ländern der OECD1.

Was versteht man unter Gesundheitsausgaben?

Gesundheitsausgaben sind alle Ausgaben, die für die Wiederherstellung oder den Erhalt der Gesundheit getätigt werden. In Baden-Württemberg beliefen sich die Gesundheitsausgaben im Jahr 2006 auf insgesamt 32,2 Mrd. Euro. Das entspricht rund einem Zehntel der in Baden-Württemberg erzielten Wirtschaftsleistung. Dabei handelt es sich sowohl um laufende Gesundheitsausgaben als auch um Investitionen im Gesundheitssektor. Durch die laufenden Gesundheitsausgaben wird die direkte Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen finanziert, also beispielsweise die ambulante Versorgung in Arztpraxen und Apotheken oder die stationäre Versorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen2. Investitionen dienen dem Ausbau und dem Erhalt der Versorgungsinfrastruktur im Gesundheitswesen. Für Baden-Württemberg werden die laufenden Gesundheitsausgaben und die investiven Gesundheitsausgaben bislang noch nicht getrennt ausgewiesen. In Deutschland machten die laufenden Ausgaben im Jahr 2006 rund 96 % der gesamten Gesundheitsausgaben in Höhe von 245 Mrd. Euro aus3.

Baden-Württemberg: 3 000 Euro pro Kopf und Jahr für Gesundheit

Die Gesundheitsausgaben bilden den Ressourcenverbrauch für Gesundheitszwecke ab. Sie werden deshalb, wenn Preiseffekte vernachlässigt werden können, als Maß für den Umfang der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung interpretiert. Als Messgröße werden in der Regel die Gesundheitsausgaben je Einwohner herangezogen. Diese beliefen sich in Baden-Württemberg im Jahr 2006 auf 3 000 Euro und lagen damit geringfügig über dem Wert für Deutschland in Höhe von 2 975 Euro. Dieser Unterschied ist zu gering, als dass sich von einem signifikant höheren Niveau der Gesundheitsversorgung im Land sprechen ließe. Auch die Zunahme der Pro-Kopf-Ausgaben im Zeitraum von 2000 bis 2006 liegt in Baden-Württemberg mit einer Steigerungsrate von knapp 16 % nur um einen Prozentpunkt über dem Durchschnittswert, der sich für das gesamte Bundesgebiet ergibt.

Die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind aber nicht nur ein Versorgungsindikator, sondern auch ein Kostenindikator. Wenn schon der Ressourceneinsatz für die Gesundheitsversorgung sich wenig vom Bundesdurchschnitt unterscheidet, kommt sie den Baden-Württembergern dann auch genauso teuer zu stehen? Im Hinblick auf die absoluten Beträge muss diese Frage bejaht werden. Aber wichtiger als der absolute Preis eines Gutes ist in der Regel sein Preis bezogen auf das Einkommen. Die sogenannte Gesundheitsausgabenquote stellt – gesamtwirtschaftlich – eine derartige Relation her: Sie setzt die Gesundheitsausgaben in Bezug zur Wirtschaftsleistung. In Baden-Württemberg wurde 2006 gemessen am Bruttoinlandsprodukt deutlich weniger für Gesundheit ausgegeben als im Bundesdurchschnitt. Die Gesundheitsausgaben im Land machten 9,5 % der Wirtschaftsleistung aus, in Deutschland belief sich die Gesundheitsausgabenquote auf 10,6 %.

Es ist vor allem die hohe Wirtschaftsleistung im Land, die zu der gegenüber dem Bund geringeren Gesundheitsausgabenquote führt. Die in Baden-Württemberg überdurchschnittliche Erwerbstätigenproduktivität und die verhältnismäßig geringe Erwerbslosigkeit hatten zur Folge, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Baden-Württemberg 2006 um knapp 12  % über dem Bundeswert lag. Durch dieses überdurchschnittliche Wohlstandsniveau war die Gesundheitsausgabenquote in unserem Bundesland um fast ein Zehntel niedriger als in Deutschland, obwohl die Gesundheitsausgaben pro Kopf im Land sogar leicht über dem Bundesdurchschnitt lagen.

Interpretiert man die Wirtschaftsleistung (näherungsweise) als Maß für das gesamtwirtschaftliche Einkommen, dann bedeutet die geringere Gesundheitsausgabenquote, dass die Baden-Württemberger im Schnitt für ein vergleichbares Niveau der Gesundheitsversorgung einen kleineren Teil ihres Einkommens aufwenden müssen als der durchschnittliche Bundesbürger. Sie müssen also – relativ gesehen – auf weniger verzichten, um eine genauso hohe, wenn nicht sogar höhere Gesundheitsversorgung als in Deutschland zu finanzieren. In diesem Sinne lässt sich durchaus die Ansicht vertreten, dass die baden-württembergische Gesundheitsversorgung preiswerter ist als im Bundesdurchschnitt – wenn auch nicht absolut, so doch bezogen auf das Gesamteinkommen.

Im OECD-Vergleich: Überdurchschnittliche Gesundheitsausgaben im Land und im Bund

Die Gesundheitsausgabenquote und die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit sind zentrale Kenngrößen für den internationalen Vergleich der Gesundheitsausgaben. Die OECD4 hat für 26 ihrer 30 Mitgliedsländer die entsprechenden Kennzahlen unter anderem für die Jahre 2000 und 2006, für die auch Daten für Baden-Württemberg vorliegen, ausgewiesen5.

Deutschland belegt unter den OECD-Ländern bei der Gesundheitsausgabenquote den 4. Platz. Höhere Ausgaben für Gesundheitszwecke wurden 2006, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, lediglich in den USA, der Schweiz und in Frankreich getätigt. Baden-Württemberg würde im Ranking der OECD-Länder den 9. Rang einnehmen. Die baden-württembergische Gesundheitsausgabenquote in Höhe von 9,5 % entsprach in ihrer Höhe etwa den Quoten von Dänemark und den Niederlanden. Den Mittelwert von 8,9 % für alle 26 OECD-Länder übertraf die baden-württembergische Quote deutlich.

Bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf sieht das Ranking etwas anders aus. Die OECD veröffentlicht die international vergleichbaren Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben in Kaufkraftstandards, wobei eine Einheit der Kaufkraft eines US-Dollars entspricht (USD (KKS)). Die Pro-Kopf-Ausgaben für Deutschland beliefen sich nach Angaben der OECD im Jahr 2006 auf 3 371 USD (KKS). Die baden-württembergischen Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit dürften demnach 3 398 USD (KKS) betragen haben. Beide Werte lagen deutlich über dem Durchschnittswert der OECD-Länder in Höhe von rund 2 824 USD (KKS). Auch bei diesen bevölkerungsbezogenen Gesundheitsausgaben würde Baden-Württemberg den 9. Rang unter den 26 OECD-Ländern einnehmen. Deutschland folgt auf dem 11. Platz. Beide weisen ein ähnliches Niveau der Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit auf wie die Niederlande, Belgien, Frankreich und Island. An der Spitze des Rankings stehen die USA mit 6 714 USD (KKS), Norwegen mit 4 520 USD (KKS), die Schweiz mit 4 311 USD (KKS) und Luxemburg mit 4 303 USD (KKS).

Die Gesundheitsausgaben hängen stark vom Wohlstandsniveau ab …

Bereits das Ranking lässt vermuten, dass ein Zusammenhang zwischen den Gesundheitsausgaben pro Kopf und dem Wohlstandsniveau in den betrachteten Ländern besteht. Für die 26 OECD-Länder (ohne Baden-Württemberg) erreicht der Korrelationskoeffizient zwischen den Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben und dem nominalen Bruttoinlandsprodukt je Einwohner mit einem Wert von 0,8 fast den Wert von 1, bei dem eine vollständige Proportionalität zwischen den beiden Größen vorliegen würde. Es besteht also ein starker positiver Zusammenhang zwischen den Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben und dem Pro-Kopf-Einkommen6.

Die Abhängigkeit zwischen der Gesundheitsausgabenquote und dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist dagegen wesentlich schwächer ausgeprägt. Die Korrelation zwischen diesen beiden Größen erreicht lediglich eine Stärke von 0,33. Dieser Wert gilt zudem nur für die gesamte Gruppe der 26 OECD-Länder. Denn während bei Ländern mit einem geringeren Wohlstandsniveau der positive Zusammenhang zwischen der Gesundheitsausgabenquote und dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf sehr ausgeprägt ist, fällt er bei den wohlhabenden OECD-Ländern nur schwach aus.

Korreliert man die Gesundheitsausgabenquote und die Pro-Kopf-Einkommen der Länder mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von weniger als 30 000 USD (KKS), dann ergibt sich ein Koeffizient von 0,68. In Schwellenländern wie beispielsweise Mexiko, aber auch in den neuen EU-Mitgliedsländern Mittel- und Osteuropas besteht damit eine enge Proportionalität zwischen der Gesundheitsausgabenquote und dem Pro-Kopf-Einkommen7. Bei den OECD-Ländern mit einem Pro-Kopf-Einkommen von über 30 000 USD (KKS) (ohne Baden-Württemberg) lässt sich dagegen kein positiver Zusammenhang zwischen dem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner und der Gesundheitsausgabenquote feststellen. Mit einem Korrelationskoeffizienten von – 0,21 ist der Zusammenhang sogar leicht negativ.

Ab einem bestimmten Wohlstandsniveau scheint sich der Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheitsausgaben grundlegend zu wandeln. Zwei Erklärungen für diesen empirischen Befund sind möglich: Entweder kommt es zu einer Veränderung der Präferenzen der Bevölkerung in Bezug auf die Gesundheitsversorgung, oder andere Kräfte wirken dem Anstieg der Gesundheitsausgabenquote entgegen.

… aber in fast allen OECD-Ländern muss gespart werden.

Der gebremste Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in den wohlhabenden Ländern dürfte hauptsächlich auf politisch motivierte Kostendämpfungsmaßnahmen zurückzuführen sein und nicht auf eine Verschiebung der individuellen Präferenzen für Leistungen der Gesundheitsversorgung. Die politische Motivation der Maßnahmen wird plausibel, wenn man sich vor Augen hält, dass in der ganz überwiegenden Zahl der OECD-Länder der Anteil der öffentlichen Ausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben deutlich über 60 % liegt. Mit einem Wert von 72 % im Jahr 2006 weist Baden-Württemberg sogar einen verhältnismäßig niedrigen Wert auf.

In den meisten OECD-Ländern mit hohem Wohlstandsniveau, in denen die Gesundheitsausgaben überwiegend aus öffentlichen Kassen, also aus Steuermitteln oder aus Sozialversicherungsbeiträgen, finanziert werden, liegt die Gesundheitsausgabenquote bei einem Wert von rund 10 %. Zumindest in Ländern, in denen der Staat auf der Finanzierungsseite und/oder auf der Seite der Leistungserstellung in hohem Maße in der Gesundheitsversorgung aktiv ist, scheint unter den gegebenen Verhältnissen dieser Wert eine gewissen Schwelle darzustellen. Für Gesundheitsausgaben, die ein Zehntel der Wirtschaftleistung deutlich übersteigen, ist allem Anschein nach keine kollektive und damit politische Akzeptanz mehr gegeben. Sei es, dass in sozialversicherungsbasierten Gesundheitssystemen die Beitragslasten ein politisch akzeptiertes Maß übersteigen, oder dass in steuerfinanzierten Gesundheitssystemen ein nach politischer Einschätzung zu großer Teil des Steueraufkommens für die Gesundheitsversorgung aufgewendet werden muss (siehe i-Punkt).

Lediglich für zwei der wohlhabenden OECD-Länder, Luxemburg und die Vereinigten Staaten, scheint diese Einschätzung nicht zuzutreffen. Bei Luxemburg ist die Erklärung einfach: Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt so hoch, dass selbst bei den vergleichsweise hohen Pro-Kopf-Ausgaben die Gesundheitsausgabenquote mit 7,3 % sehr niedrig ist. Bei diesem Wohlstandsniveau dürfte der Spardruck im Gesundheitsbereich in Luxemburg nicht sehr ausgeprägt sein.

In den USA ist die Situation anders: Dort gehen sehr hohe Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit mit einer ausgesprochen hohen Gesundheitsausgabenquote von über 15 % einher. Bereits der sehr niedrige Anteil der öffentlichen Ausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben in Höhe von nur 46 % macht jedoch deutlich, dass sich die USA im Hinblick auf das Gesundheitssystem von den meisten anderen OECD-Ländern grundlegend unterscheiden8. In den Vereinigten Staaten ist sowohl die Finanzierung als auch die Leistungserstellung im Gesundheitssektor überwiegend privatwirtschaftlich organisiert. Vor allem Wettbewerbsdefizite haben in der Vergangenheit zu starken Preissteigerungen für Gesundheitsleistungen und damit zu einem kräftigen Anstieg der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben und der Gesundheitsausgabenquote geführt9. Gleichzeitig sind jedoch die Einflussmöglichkeiten der Politik auf die Ausgabenentwicklung in diesem sehr marktwirtschaftlich orientierten System der Gesundheitsversorgung sehr viel geringer als in steuerfinanzierten Systemen oder in Sozialversicherungssystemen.

Gesundheitsausgaben sind auch systemabhängig

Zwischen den überwiegend steuerfinanzierten und den sozialversicherungsbasierten Gesundheitssystemen besteht auch ein Unterschied hinsichtlich der Ausgabenkontrolle. Bei den steuerfinanzierten Systemen obliegt die Finanzierung der Gesundheitsausgaben in der Regel den Gebietskörperschaften. Die institutionelle Trennung zwischen Finanzierung und Leistungserstellung war zumindest in der Vergangenheit in vielen Ländern nur wenig ausgeprägt. Das hat dazu geführt, dass die Politik in diesen Gesundheitssystemen die Ausgabenentwicklung sehr viel besser kontrollieren konnte als in Sozialversicherungssystemen. In diesen erschwerte sowohl die größere Unabhängigkeit der mit der Finanzierung der Gesundheitsversorgung beauftragten Institutionen, beispielsweise der gesetzlichen Krankenversicherungen, als auch die institutionelle Trennung zwischen Finanzierung und Leistungserstellung die Ausgabenkontrolle durch die Politik.

Dieser Sachverhalt spiegelt sich in den Ländern der Referenzgruppe, die zur Einordnung von Höhe und Entwicklung der Gesundheitsausgaben in Baden-Württemberg herangezogen werden soll, wider (i-Punkt). Die Länder mit einem steuerbasierten Gesundheitssystem weisen dabei, gemessen an ihrem Pro-Kopf-Einkommen, sehr niedrige Gesundheitsausgaben auf. In Finnland und im Vereinigten Königreich liegen die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit um rund ein Zehntel unter dem Wert, der innerhalb der Referenzgruppe gemäß des Bruttoinlandsprodukts je Einwohner zu erwarten wäre. In Irland unterschreiten die tatsächlichen Gesundheitsausgaben den Erwartungswert, der durch die Regressionsgerade wiedergegeben wird, sogar um ein Fünftel.

In den Ländern mit Sozialversicherungssystemen ist das Niveau der Gesundheitsausgaben deutlich höher. Die deutschen Gesundheitsausgaben pro Kopf liegen um 14 % über dem Schätzwert, der innerhalb der Referenzgruppe aufgrund des Einkommensniveaus zu erwarten wäre. Die Gesundheitsausgaben in Frankreich und der Schweiz überschreiten den Erwartungswert sogar um ein Fünftel. Baden-Württemberg schneidet unter den Ländern mit einem Sozialversicherungssystem dagegen ausgesprochen gut ab: Die baden-württembergischen Gesundheitsausgaben pro Kopf liegen lediglich um 3 % über dem Erwartungswert. Nur die Niederlande weisen unter den Sozialversicherungsländern in Verhältnis zu ihrem Pro-Kopf-Einkommen ein noch niedrigeres Ausgabenniveau auf10. Könnten die Niederlande damit als Vorbild für eine weitere Verbesserung des deutschen Gesundheitssystems dienen? Stärker als Deutschland setzten die Niederlande auf den Wettbewerb zur Steigerung der Effizienz in der Gesundheitsversorgung. In diesem Zusammenhang kam es zu einer deutlichen Verlagerung der Finanzierung von öffentlichen zu privaten Institutionen. 2002, dem letzten Jahr, für das eine Angabe vorliegt, betrug der Anteil der öffentlichen Ausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben in den Niederlanden lediglich 63 %. Das waren rund 10 Prozentpunkte weniger als noch Anfang der 90er-Jahre.

Trotz unterdurchschnittlicher Zunahme der Gesundheitsausgaben seit 2000 …

Noch früher als in den Niederlanden wurden in der Schweiz Wettbewerbsmechanismen im Gesundheitssystem implementiert. Mit 60 % ist der Ausgabenanteil der öffentlichen Hand zwar ähnlich gering wie in den Niederlanden, das Ausgabenniveau ist jedoch ausgesprochen hoch. Das ist aus ökonomischer Perspektive nur dann unproblematisch, wenn den Ausgaben eine effiziente Leistungserbringung gegenübersteht. Auch der Anstieg der Gesundheitsausgaben war in der Schweiz nicht schwächer als in anderen Ländern der OECD. Zwar liegt die Schweiz mit einem Plus der Gesundheitsausgaben je Einwohner im Zeitraum von 2000 bis 2006 von 32 % deutlich unter der durchschnittlichen11 Zunahme in der Referenzgruppe in Höhe von 47 %. Gemessen an der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf verlief die Entwicklung der Gesundheitsausgaben in der Schweiz jedoch nicht langsamer als in der Referenzgruppe zu erwarten war. In den Niederlanden überstieg die Veränderungsrate der Pro-Kopf-Ausgaben den Erwartungswert aufgrund der Zunahme der Wirtschaftsleistung sogar um knapp ein Zehntel. In Deutschland und damit auch in Baden-Württemberg sowie in Österreich lag dagegen die Zunahme der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben zwischen 2000 und 2006 um rund ein Drittel, in Baden-Württemberg immerhin um fast 30 % unter dem Wert, der aufgrund der Zunahme der Wirtschaftsleistung zu erwarten gewesen wäre. Das spricht zumindest für den Erfolg der Kostendämpfungspolitik in Deutschland – damit auch in Baden-Württemberg – sowie in Österreich.

… vergleichsweise hohe Patientenzufriedenheit in Deutschland

In den Ländern mit überwiegend steuerfinanziertem Gesundheitssystem haben die Gesundheitsausgaben gemessen an der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf im Zeitraum von 2000 bis 2006 genauso stark zugenommen wie in den Ländern mit einem Sozialversicherungssystem. Ein Teil dieser Ausgabensteigerung ist auf das Ziel zurückzuführen, Defizite der Gesundheitsversorgung zu beheben, die vor allem in den 80er- und 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch die chronische Unterfinanzierung des Gesundheitssystems entstanden sind. Die Rationierung der Gesundheitsleistungen hat sich beispielsweise im Vereinigten Königreich, aber auch in skandinavischen Ländern in beträchtlichen Wartezeiten bei stationären oder fachärztlichen Behandlungen niedergeschlagen. Dies macht deutlich, dass jeder Vergleich von Gesundheitssystemen unvollständig ist, der nur auf Input-Größen wie etwa Gesundheitsausgaben basiert.

Ergebnis- und erfolgsbezogene Indikatoren müssen ebenfalls berücksichtigt werden, wenn ein Vergleich der Gesundheitssysteme angestellt werden soll. Die Auswahl geeigneter Messgrößen ist allerdings schwierig. Häufig wird die Lebenserwartung bei Geburt als Maß für den Erfolg der Gesundheitsversorgung herangezogen. Gemäß den von der OECD ausgewiesenen, standardisierten Werten liegt Deutschland im Hinblick auf die Lebenserwartung bei Geburt unter den 20 Ländern der Referenzgruppe auf dem 7. Platz. Allerdings wird die Lebenserwartung nicht nur durch die Gesundheitsversorgung, sondern auch durch viele andere Faktoren, wie beispielsweise die Lebensgewohnheiten, beeinflusst. Ein größerer Einfluss der Gesundheitsversorgung ist dagegen auf die Sterblichkeit an einzelnen Krankheiten zu vermuten. Bei den von der OECD veröffentlichten Kennzahlen zur Mortalität bei Herzinfarkt und bei Krebserkrankungen nimmt Deutschland den 7. und 8. Rang innerhalb der Vergleichsgruppe ein.

In den letzten Jahren gewinnen zudem Messzahlen zur Patientenzufriedenheit (»responsiveness«) an Bedeutung. Der seit 2004 mit Unterstützung der Europäischen Kommission erstellte European-Health-Consumer-Index soll diesen Sachverhalt abbilden12. Die Indexwerte für das Jahr 2008 basieren größtenteils auf Daten aus dem Jahr 2006. Unter den Ländern der Referenzgruppe, für die Werte vorliegen, belegt Deutschland den 6. Rang. Während bei der Lebenserwartung bei Geburt und den beiden Mortalitätsindikatoren unter den 10 bestplazierten Ländern der Referenzgruppe jeweils genauso viele Länder mit steuerfinanziertem Gesundheitssystem und mit Sozialversicherungssystem vertreten sind, befinden sich beim European-Health-Consumer-Index lediglich 3 Länder mit steuerfinanziertem Gesundheitssystem unter den 10 bestplazierten Ländern. Die vergleichsweise hohe Patientenzufriedenheit in Deutschland und damit auch in Baden-Württemberg, die trotz einer im internationalen Zusammenhang eher unterdurchschnittlichen Erhöhung der Ausgaben in den letzten Jahren erreicht wurde, stellt zweifellos ein Pluspunkt des gegenwärtigen Gesundheitssystems in Deutschland und Baden-Württemberg dar.

1 Dazu werden Daten zu den Gesundheitsausgaben verwendet, die das Statistische Landesamt Baden-Württemberg im Oktober 2008 im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg vorgelegt hat. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, 2008, Gesundheitsökonomische Indikatoren für Baden-Württemberg.

2 Bei den Gesundheitsausgaben nach dem Konzept der OECD werden nur Ausgaben für den sogenannten »letzten Verbrauch« erfasst. Ausgaben für Vorleistungen, die in anderen Gesundheitsgütern und -dienstleistungen eingesetzt werden, zählen nach diesem Konzept nicht zu den Gesundheitsausgaben.

3 Die Investitionsausgaben werden den Ausgaben des »erweiterten Leistungsbereichs« zugerechnet, der darüber hinaus noch Ausgaben für Ausbildung und Forschung im Gesundheitsbereich (ohne Forschungsausgaben der pharmazeutischen Industrie) sowie Einkommensleistungen und Ausgaben zum Ausgleich krankheitsbedingter Folgen umfasst. 2006 beliefen sich die Ausgaben des erweiterten Leistungsbereichs ohne Investitionsausgaben in Deutschland auf rund 79 Mrd. Euro.

4 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

5 Keine Angaben für 2006 liegen für Australien, Japan, die Slowakische Republik und die Türkei vor.

6 Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf stimmt näherungsweise mit dem Bruttonationaleinkommen pro Kopf überein.

7 Dieses Ergebnis setzt voraus, dass die Gesundheitsausgaben pro Kopf stärker steigen als das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner. Die Gesundheitsversorgung hätte damit in Ländern mit geringerem Wohlstand die Eigenschaft eines »superioren Gutes«.

8 Was auch in den großen Unterschieden der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in Bezug auf Menge und Qualität zum Ausdruck kommt. Vgl. Tanner, Michael (2008), The Grass Is Not Always Greener – A Look at National Health Care Systems Around the World, Cato Institute, Policy Analysis Nr. 613, S. 3.

9 Die von der OECD veröffentlichten Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben für die USA überzeichnen den realen Konsum an Gesundheitsleistungen. Für das Jahr 1996 lässt sich zeigen, dass das Volumen des Konsums von Gesundheitsleistungen in den Vereinigten Staaten nur um 8 % über dem Konsum in Deutschland lag, obwohl die kaufkraftbereinigten Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit um 70 % höher waren als in Deutschland. Vgl. Huber, Manfred, 1999, Health Expenditure Trends in OECD Countries, 1970-1997, Health Care Financing Review, Nummer 2, S. 105.

10 Südkorea ist unter den Ländern mit Sozialversicherungssystemen aufgrund des niedrigen Wohlstandsniveaus ein Sonderfall.

11 Ungewichteter Durchschnittswert.

12 Beim European-Health-Consumer-Index handelt es sich um einen zusammengesetzten Index. Der Index deckt die Dimensionen Patientenrechte und -information, e-Health, Wartezeiten, Behandlungserfolg, Umfang und Verfügbarkeit des Leistungsangebots sowie Arzneimittelversorgung ab. Vgl. Björnberg, Arne/Uhlir, Marek, 2008, Euro Health Consumer Index 2008.