:: 2/2009

Mütter ohne Trauschein

»Was vom Mann noch übrig ist« titelte DER SPIEGEL jüngst und konstatiert einen zunehmenden Rollenwechsel der Geschlechter, »egal ob die Männer sich nun als sanfte Softies oder als aggressive Angstbeißer auf die Gleichberechtigung einstellten«, der Mann spielt immer weniger die Rolle als Haupternährer, da die Frauen für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder selbst aufkommen können. Folgerichtig wäre dann, dass Frauen sich auch ohne verheiratet zu sein für Kinder entscheiden. Diese Tendenz ist unstreitig feststellbar. So wird derzeit in Baden-Württemberg jedes 5. Kind von einer Mutter geboren, die bei der »Geburt ihres Kindes einen anderen Familienstand als verheiratet« hatte. Für die einen ein Zeichen fortschreitenden Werteverfalls, für die anderen ein Zeichen zunehmender Emanzipation. Tatsache ist aber auch, dass sich Baden-Württemberg im Vergleich zu den EU-Ländern eher konservativ darstellt. Das gilt sowohl für das Niveau der Nichtehelichenquote als auch für deren Entwicklung. In Europa verdoppelten sich die Nichtehelichenquoten in den letzten Jahren, in einigen Ländern auf über 60 %. Dass im selben Zeitraum ein epochaler Wertewandel ablief, ist nicht feststellbar.

Es ist erst wenige Jahrzehnte zurück, als unverheiratete Frauen, die sich ihren Kinderwunsch erfüllten oder ungewollt Kinder bekamen, einen schweren Stand in der Gesellschaft hatten. Waren die Mütter jung und ledig, hielt man sie für Flittchen oder Dummchen, war der Ehemann verstorben für lustige oder listige Witwen und war die Frau geschieden1, dann kam zu einem Makel ein zweiter. Nichteheliche waren »Kinder der Liebe« oder »Kinder der Sünde«, »Bälger« oder »Bankerte«. Seit Ende des 19. Jahrhunderts bedürfen Uneheliche einer »Amtspflegschaft« und in amtlichen Dokumenten liest man »Vater unbekannt«, auch wenn der Vater bekannt war.

Das war nicht immer so. Feudalherren zeugten viele ihrer Kinder mit Nebenfrauen, Maitressen oder Bediensteten. Erkannten sie ihre Söhne als die ihren an, wurden sie Bastarde2 genannt, die dann in manchen Gegenden in ihrem Wappen einen schmalen schrägen Streifen als Zeichen der nicht ehelichen Herkunft trugen. Fahrende Gaukler, Kesselflicker, entlassene Knechte oder Mägde, abgedankte Landsknechte, entlaufene Mönche und Nonnen zogen mit ihren unehelichen »Kegeln« durch die Lande. So wurde bis zur Einführung der Zivilehe in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert (Baden 1869, Württemberg 1855) im Südwesten eins von sechs Kindern »unehelich geboren«. Bis in die Mitte der 60er-Jahre fiel der Anteil der von nicht verheiraten Frauen geborenen Kinder (Nichtehelichenquote) auf unter 5 %, um heute in Baden-Württemberg auf 20 % wieder anzusteigen.

Seit einigen Jahren wird gerne von der pluralen Gesellschaft gesprochen, in der sich die Formen des Zusammenlebens ausdifferenzieren, wobei »es keine Standardbiografie mehr gibt, die das Leben des einzelnen Mannes oder der einzelnen Frau bestimmt. Was vor 40 Jahren noch als Stationen des Lebens für die meisten selbstverständlich war – Schule, Ausbildung (oft nur für den Mann), Heirat, Geburt von Kindern, Großelternschaft, Ehen nicht auf Zeit, sondern bis zur Verwitwung – ist heute durch eine breite Palette an wählbaren Lebensformen abgelöst worden: Alleinlebende, nicht eheliche Partnerschaften, Alleinerziehende, Patchworkfamilien (Zusammenleben geschiedener Partner mit Kindern aus ersten Ehen, die nicht notwendigerweise im eigenen Haushalt leben), Wiederverheiratete oder Paare mit getrennten Haushalten3

Die Formen des Zusammenlebens waren auch früher vielschichtiger, als es die amtliche Statistik nachweisen konnte. Es gab Konkubinate, wilde Ehen, Pendel- oder Wochenendehen, wenn der Mann seine Frau oder Familie nur am Wochen- oder Monatsende »besuchte«. In Onkelehen lebten Witwen mit ihren Kindern und einem (fremden) Mann, um die Witwenrente nicht zu verlieren. In »Bratkartoffelverhältnissen« spielten andere Versorgungsaspekte eine Rolle. Witwer verheirateten sich wieder, wenn deren Frauen »im Kindbett verstarben«. Schrägstriche wie »Müller/Plotnikow« an der Klingel dokumentierten Untermieterverhältnisse oder Konkubinate. Arthur Schnitzler brachte 1900 in seinem Skandalstück »Reigen« die kaschierten oder offen zur Schau getragenen und alle Schichten umfassenden und damals als unmoralisch kritisierten Beziehungsgeflechte auf die Bühne.

Eines war in der bürgerlichen Welt wilhelminischer Prägung besonders verpönt, der »Fehltritt mit Folgen«. Insofern bilden die statistischen Nichtehelichenquoten eher den Weg zur Pluralität ab, als es Bühnenstücke oder soziologische Kleingruppenuntersuchungen können. Erklärungen für diese Entwicklungen kann dieser Indikator allerdings nicht bieten. In Europa streuen derzeit und bei sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen die Nichtehelichenquoten zwischen 3 und 66 %. Eindeutige widerspruchsfreie und allgemeingültige Bestimmungsfaktoren, wie die konfessionelle Prägung eines Landes, dessen wirtschaftliche Situation, das formale Bildungsniveau der Frauen, die staatlichen und kommunalen Aufwendungen für die soziale Sicherung lassen sich bei genauerem Hinsehen kaum ausmachen.

Nichtehelichenquote in Baden-Württemberg von 5 auf 20 % gestiegen

Seit 1950 kamen in Baden-Württemberg 6,6 Mill. Kinder zur Welt darunter knapp 0,6 Mill. von nicht verheirateten Müttern. Dass in der Nachkriegszeit auffallend viele Kinder von unverheirateten Frauen geboren wurden, hatte folgenden Grund: Es fehlte an heiratsfähigen Männern, denn viele waren im Krieg gefallen oder noch in Kriegsgefangenschaft. In Friedenszeiten und bei geringer Außenwanderung kommen etwa 106 Männer auf 100 Frauen. Bei den besonders von Krieg betroffenen Jahrgängen 1911 bis 1924, das heißt den 29- bis 42-Jährigen des Jahres 1953, waren es in Baden-Württemberg gerade noch 74 auf 100 Frauen.

In der Folgezeit sank die Nichtehelichenquote dann stetig, bis sie um 1968 ihren Tiefpunkt erreichte. Damals wurde von Kommunarden zwar die freie Liebe und das ungebundene Zusammenleben propagiert. Tatsächlich wurde aber nie so viel wie anfangs der 60er-Jahre geheiratet und nie so jung wie um 1976, ledige Männer durchschnittlich im Alter von 26 Jahren und ledige Frauen im Alter von 23 Jahren. Feministinnen skandierten »Mein Bauch gehört mir« und kämpften gegen den § 218, nach dem Abtreibung mit hohen Strafen geahndet werden konnte; Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung waren die Leitworte. Es waren aber nicht die 68er, sondern deren Kinder die zunehmend neue Formen des Zusammenlebens praktizieren und auf das Plazet des Standesbeamten oder den Segen der Kirche verzichten. Auch in Baden-Württemberg wird die Ehe zunehmend nicht mehr als unabdingbare moralische, sittliche oder sakramentale Voraussetzung für die Realisierung von Kinderwünschen gesehen.

Trotz der steigenden Nichtehelichenquote belegen die vorliegenden Daten aber nicht hinreichend, dass sich in Baden-Württemberg ein umwälzender familiärer Wertewandel vollzogen hat. Denn von den 2,9 Mill. Kindern des Jahres 2005 lebten fast 2,4 Mill. bei verheirateten Eltern und »nur« 0,1 Mill. bei Eltern, die eine Lebensgemeinschaft ohne Trauschein vorziehen4; die verbleibenden 0,45 Mill. bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern. In den Vordergrund rückt ein Laisser-faire-Denken und eine Form von Toleranz, welche hierzulande die gesellschaftliche Ächtung lediger Mütter – außer in traditionell-islamisch geprägten Schichten – eher selten erscheinen lässt.

Ähnliche Entwicklung der Nichtehelichenquoten bei deutschen und ausländischen Müttern in Baden-Württemberg

Seit 1950 wurden in Baden-Württemberg etwa 0,7 Mill. Kinder mit einer ausländischen Nationalität geboren, die meisten zu Beginn der 70er-Jahre. Die starken Einbrüche der Geburtenzahlen bis Mitte der 80er-Jahre hatten demografische und arbeitsmarktpolitische Gründe. Einerseits sank die Geburtenrate der Ausländerinnen, andererseits wurde 1973 die Anwerbung von Arbeitnehmern aus Nicht-EG-Staaten untersagt und 1974 eine erstmalige Beschäftigungsaufnahme von in der BRD lebenden Ausländern grundsätzlich nicht erlaubt, was zu starken Rückwanderungen führte. Der Einbruch seit 2000 ist auf das neue Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) zurückzuführen. Dadurch wird ein im Inland geborenes Kind ausländischer Eltern Deutscher oder Deutsche, wenn ein Elternteil zu diesem Zeitpunkt seit 8 Jahren seinen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt (§ 4 Abs. 3 StAG).

Der Rückgang der Nichtehelichenquote und das Verharren auf einem niedrigen Niveau von unter 5 % bis 1981 ist auf den verstärkten Zuzug muslimischer, insbesondere türkischer Bevölkerung zurückzuführen. In den letzten Jahrzehnten verlief die Entwicklung bei Deutschen und Ausländern hierzulande zwar sehr ähnlich, aber je nach Nationalität mit unterschiedlicher Intensität.

Unter den Müttern deutscher Nationalität hat sich die Nichtehelichenquote seit 1980 von 7 auf 28 vervierfacht, bei den Italienerinnen stieg sie auf mehr als das 6-fache von 4 auf 27, bei den Türkinnen verdoppelte sich der Wert dagegen – ausgehend von einem niedrigen Niveau – nur knapp und zwar von annähernd 3 auf annähernd 5.

Nichtehelichenquoten in Ostdeutschland fast 3-mal so hoch wie in Westdeutschland

Ein Blick über die Landesgrenzen offenbart in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Einstellungen und Entwicklungen zur »Ehelichkeit von Kindern«. Im Jahr 2006 wurden in Ostdeutschland (ohne Berlin) 60 von 100 und in Westdeutschland 23 von 100 Kindern von nicht verheirateten Müttern geboren. Die höchste Nichtehelichenquote hatte Mecklenburg-Vorpommern mit 63, die niedrigste Baden-Württemberg mit 20. Bis Mitte der 60er-Jahre verlief die Entwicklung der Nichtehelichenquoten in Ost und West in etwa parallel. Die ursprünglich überwiegend protestantischen Länder im Osten Deutschlands hatten geringfügig höhere Quoten als die BRD. Mit der massiven Einflussnahme auf die Kirchen und der staatlichen Lenkung der Kleinkindererziehung verlor die Ehe in der DDR an Stellenwert. Die staatliche Familienförderung bezog sich auf das Vorhandensein von Kindern, weniger eines Trauscheins. Eheähnliche Lebensgemeinschaften wurden für junge Menschen fast zur Norm. Letztlich führte dies dazu, dass in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) 2 von 3 Kindern von Müttern geboren werden, die nicht verheiratet sind.

Dennoch ist in Deutschland »die Entscheidung Kinder zu haben und damit eine Familie zu gründen oder die Zahl der Familienmitglieder zu vergrößern nach wie vor eng mit der Ehe verknüpft. So wurden zwei Drittel der Kinder (471 000), die 2006 lebend geboren wurden, innerhalb einer Ehe geboren. Wenn das verbleibende Drittel der Geburten (202 000) auch auf Eltern entfällt, die nicht miteinander verheiratet waren, so zeigt die Statistik, dass ein beträchtlicher Teil dieser Eltern später noch heiratet. So brachten unter den 374 000 frisch verheirateten Paaren des Jahres 2006 insgesamt 70 000 Paare zusammen 85 000 gemeinsame voreheliche Kinder mit in die Ehe«5.

Einen wesentlichen Einfluss auf die Verhaltensweisen übt »die Vereinbarkeit von Beruf und Familie« aus. Wollen oder müssen Frauen mit Kindern sich um ihre Auskommen selbst kümmern, dann müssen deren Kinder betreut werden. Früher übernahmen das oft Großmütter. Heute leben die Generationen räumlich nicht mehr so eng beieinander, sodass die familiäre Unterstützung durch eine institutionelle ersetzt wird. Dabei gibt es zwischen Ost- und Westdeutschland erhebliche Unterschiede insbesondere bei der ganztätigen Betreuung. 2007 wurden in den neuen Ländern 27 % der unter 3-Jährigen und 60 % der 3- bis unter 6-Jährigen ganztägig in Kindertageseinrichtungen betreut, in den alten Ländern waren es 3 bzw. 17 % und in Baden-Württemberg nur 3 bzw. 8 %.

Sozialistische Staaten sahen in der institutionalisierten Kleinkinderbetreuung mehrere Vorteile. Zum einen die Möglichkeit mit der gesellschaftspolitischen Bildungsarbeit und Wertevermittlung bereits bei Kleinkindern zu beginnen und zum anderen die Erwerbsquoten von Männern und Frauen anzugleichen. Die Strategie der DDR war erfolgreich, denn 1950 waren in der DDR von 100 »Berufstätigen« 40 Frauen, 1977 wurde das 50:50-Verhältnis erreicht6. In der BRD verlief die Entwicklung umgekehrt. 1950 waren dort von 100 »Erwerbstätigen« 53 Frauen und 1977 nur noch 377. Bis 2005 haben sich die Verhältnisse weitgehend angeglichen, denn in den neuen Bundesländern (mit Berlin) waren von 100 Erwerbstätigen 47 Frauen und in den alten Bundesländern 45 (vgl. wegen definitorischer Probleme den i-Punkt).

Im Westen und speziell in Baden-Württemberg wurde und wird ein eher traditionelles Familienbild »praktiziert«. Vor einer Generation wusste die Produktwerbung, »was Frauen wünschten«: »Reine« Wäsche und »blitzblanke« Wohnungen und Küchengeräte, die es »den Frauen leichter machten«. Das Bild der »Werbefrau« war adrett, kinderlieb und auf den Ernährer – und das monatlichen Wirtschaftsgeld – wartend. Unternehmerinnen, Politikerinnen oder gar Professorinnen waren Seltenheiten. Zwischenzeitlich ist die Werbefrau entweder eine attraktive Mitsechzigerin oder eine selbstständige Businessfrau. Ein eher sachliches Abbild bieten die Daten zu den Schulabschlüssen. Danach erreichen heute mehr junge Frauen die Hochschulreife als junge Männer – auch in Baden-Württemberg. Zugleich zeigt sich, dass sich mit zunehmender Erwerbsbeteiligung und intensiverer Teilnahme am öffentlichen Leben immer mehr unverheiratete Frauen für Kinder entscheiden.

Bevor deshalb ein Werteverfall insbesondere bei jungen Menschen beklagt wird, müssten zunächst Wertinhalte und Wertgrößen für die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens und die Lebensgestaltung definiert werden. Dazu die Shell-Jugendstudie von 2006: »Das Wertesystem der Jugendlichen (in Deutschland) weist insgesamt eine positive und stabile Ausrichtung auf. Weiter im Trend liegen bei beiden Geschlechtern soziale Nahorientierungen wie Freundschaft und Familie, begleitet von einem erhöhten Streben nach persönlicher Unabhängigkeit8

Nichtehelichenquoten in Europa zwischen 3 und 66 %

Im internationalen Vergleich der Nichtehelichenquoten zeigen sich Deutschland und noch mehr Baden-Württemberg allerdings als eher konservativ. In Deutschland wird etwa jedes 3. Kind von einer Mutter geboren, die nicht verheiratet ist. Um 1995 war es jedes 6. Die Tendenz Kinder ohne Trauschein zur Welt zu bringen, nimmt in Europa stark zu und das selbst in Ländern, die bereits in den 90er-Jahren hohe Quoten hatten.

Ein Blick auf die einzelnen Länder9 offenbart, dass es keine eindeutigen und schon gar keine monokausalen Gründe für hohe oder niedrige Nichtehelichenquoten und deren Entwicklung gibt.

Unter den EU-Ländern hat Estland die höchste Quote (58 %), das katholische Nachbarland Litauen nur 30 %, mit stark steigender Tendenz. Im ebenfalls katholischen Italien fällt die Quote nur halb so hoch aus, sie hat sich allerdings seit 1995 auf 17 % mehr als verdoppelt. Und auf dem streng katholischen Malta wurde 2006 jedes 4. Kind von einer unverheirateten Mutter geboren, 1995 war es jedes 50. Kind. In den griechisch-orthodoxen Ländern Griechenland und Zypern liegen die Quoten kaum höher als in der Türkei (um 5 %), im orthodoxen Rumänen dagegen bei 29 % und im orthodoxen Bulgarien sogar bei 51 %. Letztlich heißt dies, dass die konfessionelle Orientierung eines Landes keinen eindeutigen Einfluss auf die Höhe der Nichtehelichenquoten hat und/oder von anderen Faktoren überlagert wird.

Auch die ökonomische Situation bietet als alleinige Einflussgröße keinen hinreichenden Erklärungsansatz, denn eines der wohlhabendsten Länder wie Schweden – und eines der ärmsten – wie Bulgarien – führen die Rangliste in der EU an. Das reiche Baden-Württemberg und das noch arme Polen haben dagegen ver-gleichweise niedrige Quoten. Dass hohe Ausgaben für die soziale Absicherung es Frauen erleichtern, sich in einem nicht ehelichen Verhältnis für Kinder zu entscheiden, lässt sich für die EU-15 statistisch belegen; Länder mit hohen Ausgaben für den Sozialschutz weisen hohe Nichtehelichenquoten auf. Ferner scheinen sich viele Frauen bei einer dichten institutionalisierten Kinderbetreuung auch ohne Trauschein für Kinder zu entscheiden. Europaweit liegen zwar noch keine vergleichbaren Daten vor, die Zusammenhänge (Nichteheliche und Kinderbetreuung) wurden oben ansatzweise für die neuen und die alten Bundesländer aufgezeigt.

Einen starken Einfluss scheint die Arbeitswelt und die dortige Rollenverteilung auf Männer und Frauen auszuüben. Je näher die Erwerbsquoten der Frauen an jene der Männer heranrücken, desto mehr verlieren Männer ihren Stellenwert als »Ernährer«. Der Rollentausch »Mann am Herd und Frau auf Arbeit« ist allerdings mehr Fiktion als Wirklichkeit, denn »ökonomisch inaktive« und nicht Arbeit suchende Hausmänner sind eher selten. Europaweit lässt sich der Zusammenhang zwischen der Nichtehelichenquote und der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen wie folgt feststellen: Je weniger die Erwerbsbeteiligung beider auseinander liegt, desto höher fällt der Anteil der nicht ehelich Geborenen aus. Umso überraschender ist, dass die Stellung der Frauen in der Berufswelt kaum einen Einfluss auf die Nichtehelichenquoten hat. Mit zunehmenden Karriereerfolgen der Frauen steigen die Quoten zwar auch, was sich nach den vorliegenden Daten – statistisch gesehen – aber nicht bedingt.

Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie veröffentlichte Eurostat die Gründe für die Nichterwerbstätigkeit von Frauen. Danach lagen die »Nichterwerbsquoten der Frauen (im Alter von 25 bis 54 Jahren) […] 2006 in der EU-27 bei 23,6 % gegenüber 8,1 % bei Männern. Dieses Alter ist das Haupterwerbsalter und zugleich die Zeit, in der die Menschen Familien gründen und Kinder großziehen. Somit sind familiäre Verpflichtungen der für sich betrachtete wichtigste Grund, weshalb Frauen im Haupterwerbsalter nicht erwerbsaktiv sind. Von den Frauen im Haupterwerbsalter […] gaben […] knapp die Hälfte aller nicht erwerbsaktiven Frauen an, sie seien aufgrund familiärer Verpflichtungen ökonomisch inaktiv10.« Setzt man diesen Befund statistisch in Beziehung zur Nichtehelichenquote in den Ländern, so ergibt sich, dass mit zunehmender familienbedingter Abstinenz vom Arbeitsmarkt der Anteil der nicht ehelich geborenen Kinder sinkt. Auch hier lässt sich feststellen, dass in den eher traditionell orientierten mediterranen Ländern, die Bindung an und wohl auch die Kontrolle durch die Familie die ausschlaggebenden Faktoren für die Ehelichkeit der Kinder sind.

Auf den ersten Blick wären die Nichtehelichenquoten ein klarer Indikator für die Selbstständigkeit und Selbstverantwortung und damit letztlich für das erreichte Emanzipationsniveau der Frauen. Das muss aber bezweifelt werden, denn dann wären die Frauen auf Zypern oder in Baden-Württemberg deutlich weniger emanzipiert als jene in Bulgarien oder in Mecklenburg-Vorpommern. Vielmehr scheint sich das familiäre Zusammenleben in Europa langsam aber stetig von den normativen oder traditionellen Einflüssen hinweg zu entwickeln und damit recht vielfältige Formen anzunehmen, von der blutsverwandten Großfamilie über die nachbarschaftlich orientierte Kleinfamilie zum sozial vernetzten, multilokalen Freundeskreis.

1 1952 wurden in der damaligen BRD von den 50 566 nach dem Ehegesetz der Alliierten Kontrollbehörde geschiedenen Ehen in 48 von 100 Urteilen den Männern, aber nur in 13 den Frauen Schuldlosigkeit zuerkannt, in 39 Fällen wurde beiden oder keinem der Partner eine Schuld angelastet. In der öffentlichen Meinung gab es aber überwiegend geschiedene Frauen. Der Grund lag in den unterschiedlichen Wiederverheiratungsquoten. Unter den 455 410 im Jahr 1952 geschlossenen Ehen waren in 47 246 Fällen der Mann aber in nur 13 096 Fällen die Frau geschieden. Zwei Jahre zuvor, bei der Volkszählung, waren in der BRD von den 0,60 Mill. Geschiedenen 36 % Männer und 64 % Frauen.

2 Die Etymologie ist umstritten: wahrscheinlich aus dem germanischen »banstu« (etwa: Heirat mit einer zweiten niederen Frau) entstanden. Seite »Bastard«, (22. Januar 2009).

3 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: Der demografische Wandel in Baden-Württemberg, Statistische Analysen, 2/2007.

4 Das muss nicht bedeuten, dass diese Kinder mit ihrem leiblichen Vater und ihrer leiblichen Mutter zusammenleben. Wie viele Kinder in Baden-Württemberg einen Stiefvater oder eine Stiefmutter haben, lässt sich mit amtlichen Daten allerdings nicht nachweisen.

5 Vgl.: Statistisches Bundesamt, Familienland Deutschland, Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 22. Juli 2008 in Berlin.

6 Vgl.: Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1990, S. 17.

7 Vgl.: Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland, 1955, S. 113 und 1977, S. 92.

8 Albert, Matthias/Hurrelmann, Klaus/TNS Infratest Sozialforschung: Jugend 2006 –15. Shell-Jugendstudie. Hauptergebnisse.

9 Datenquelle:Eurostat.

10 Eurostat Pressemitteilung 169/2007.