:: 2/2009

Von der Erziehungsberatung bis zur Heimerziehung

Erzieherische Hilfen in Baden-Württemberg 2007

Die bisherige Erhebung »Hilfe zur Erziehung« wird seit Januar 2007 erweitert und modifiziert unter dem Titel »Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen, Hilfe für junge Volljährige« fortgeführt. Die erzieherischen Hilfen untergliedern sich in Hilfen innerhalb der Familie (ambulante Erziehungshilfen), in teilstationäre Erziehungshilfen und in Hilfen außerhalb des Elternhauses (stationäre Erziehungshilfen). Die ambulanten erzieherischen Hilfen – und hier insbesondere die Erziehungsberatungen – werden stark in Anspruch genommen. Sie stellen einen zentralen Bestandteil der öffentlichen Jugendhilfe dar. Entsprechend dem Präventionsgedanken werden die Erziehungsmaßnahmen bevorzugt, die jungen Menschen unter Verbleib in ihrer gewohnten familiären Umgebung helfen.

Wenn Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und ihre Familien in Problem- und Krisensituationen geraten, dann räumt das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) den Sorgeberechtigten einen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung ein. Die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe richten sich an »junge Menschen«, das heißt Personen, die noch nicht 27 Jahre alt sind. In Krisensituationen (zum Beispiel bei Erziehungsschwierigkeiten, Trennung oder Scheidung der Eltern, Gewalt unter Jugendlichen, Drogenkonsum) bietet die Kinder- und Jugendhilfe mittlerweile eine ganze Reihe von Unterstützungen in ambulanter, teilstationärer und stationärer Form an, die im Jahr 2007 insgesamt 103 500 Kindern und Jugendlichen unter 27 Jahren zugute kamen. Bezogen auf die Bevölkerung unter 27 Jahren (3 132 021) nehmen 3,3 % der jungen Menschen in Baden-Württemberg erzieherische Hilfen in Anspruch.

Die Gründe für den Bedarf an erzieherischen Unterstützungsmaßnahmen sind vielschichtig: Entwicklungsauffälligkeiten, Belastungen des jungen Menschen durch familiäre Konflikte, eingeschränkte Erziehungskompetenz der Eltern oder des Sorgeberechtigten und unzureichende Betreuung oder Versorgung des jungen Menschen in der Familie waren die Hauptgründe.

Hilfen in ambulanter und teilstationärer Form sollen Notlagen verhindern

Im Jahr 2007 wurde mehr als 88 000 Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen unter 27 Jahren ambulant oder teilstationär, das heißt unter Verbleib in der Familie geholfen. Der Prä­ventionsgedanke steht hier im Vordergrund. In den 90er-Jahren erhielten diese Hilfsangebote ein immer stärkeres Gewicht, verfolgen sie doch das Ziel, auftretende Entwicklungsprobleme junger Menschen so weit wie möglich im Familienverbund zu bewältigen, um eine Unterbringung außerhalb der Familie zu vermeiden.

Die Erziehungs-, Familien- und Jugendberatungsstellen öffentlicher und freier Träger stellen dabei oftmals eine erste Anlaufstelle dar. Dort soll Heranwachsenden bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme die notwendige Unterstützung gewährt werden. Im Jahr 2007 haben 52 185 junge Menschen die Hilfe psychologischer Beratungsstellen allein, mit ihren Eltern oder mit ihrer Familie in Anspruch genommen. Die Erziehungsberatung ist damit die zahlenmäßig bedeutendste Hilfeart im Gesamtspektrum der erzieherischen Hilfen. 90 % der Erziehungsberatungen richteten sich an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren; 56 % an Jungen und junge Männer. Ein Viertel dieser jungen Menschen hatte mindestens einen Elternteil ausländischer Herkunft. Der häufigste Anlass für die Beratungsgespräche sind Beziehungsprobleme innerhalb oder außerhalb der Familie, aber auch Schul- oder Ausbildungsprobleme, Entwicklungsauffälligkeiten oder Probleme aufgrund von Trennung oder Scheidung der Eltern.

Erziehungsbeistände, Betreuungshelfer, soziale Gruppenarbeit

Die Betreuung einzelner junger Menschen in Problem- und Konfliktsituationen wird in Form von Unterstützung durch Erziehungsbeistände bzw. Betreuungshelfer oder in sozialer Gruppenarbeit durchgeführt. Ein Erziehungsbeistand bzw. Betreuungshelfer soll den jungen Menschen bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen (zum Beispiel Schul- oder Integrationsproblemen) helfen, ohne sie aus ihrem sozialen Umfeld herauszulösen. Ziel ist es, die Verselbstständigung der Heranwachsenden unter Beibehaltung des Bezugs zur Familie zu fördern. Im Gegensatz zum Erziehungsbeistand werden Betreuungshelfer in der Regel aufgrund richterlicher Weisung tätig. Der Betreuungshelfer unterscheidet sich zugleich von der vom Familienrecht her intendierten freiwilligen Familienhilfe der Erziehungsbeistandschaft.

Hilfe und Unterstützung durch einen Erziehungsbeistand erhielten 3 540 junge Menschen im Jahr 2007. Für 1 156 junge Menschen wurden Betreuungshelfer tätig. Fast 70 % waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren; bei nahezu zwei Dritteln handelte es sich um Jungen oder junge Männer.

Durch soziale Gruppenarbeit wurde 4 356 jungen Menschen geholfen. Sie erhielten in Übungs- oder Erfahrungskursen Hilfestellungen, um Entwicklungsauffälligkeiten und Verhaltensprobleme durch soziales Lernen in der Gruppe zu überwinden. Fast die Hälfte der Teilnehmer waren Kinder und Jugendliche von 6 bis unter 12 Jahren.

Familienhilfe oder Tagesgruppe

Eine Sonderstellung unter den ambulanten Hilfearten nimmt die sozialpädagogische Familienhilfe ein. Hier ist die ganze Familie Adressat der Hilfe, wobei eine Unterstützung im gesamten Familienalltag angeboten wird. Sie stellt zugleich die intensivste Form der ambulanten Erziehungshilfen dar. Im Jahr 2007 suchten Fachkräfte 9 536 Familien in ihrer häuslichen Umgebung auf, um die künftigen Entwicklungsmöglichkeiten der minderjährigen Kinder zu verbessern. Durch intensive Betreuung und Begleitung unterstützten sie diese Familien mit insgesamt 21 062 Kindern in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, bei der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen. Dabei kommt dem Prinzip der »Hilfe zur Selbsthilfe« und der Bereitschaft zur Mitarbeit aller Familienmitglieder besondere Bedeutung zu. Durch die Hilfegewährung wird angestrebt, die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen außerhalb des Elternhauses zu vermeiden, indem die Familie (wieder) in die Lage versetzt wird, auftretende Probleme selbstständig zu meistern. Voraussetzung für das Gelingen ist die Bereitschaft der Familie zur konstruktiven Mitarbeit. In 67 % der Familien lebten 1 oder 2 Kinder. Zum größten Teil handelte es sich um Familien von Alleinerziehenden (52 %).

Soziales Lernen, schulische Förderung und Elternarbeit stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Tagesgruppen. Diese Hilfeart wurde Anfang der 80er-Jahre als Alternative zur Heimerziehung entwickelt. Als teilstationäres Hilfeangebot soll auf diesem Wege in Zusammenarbeit von Familie, Schule und Tagesgruppe eine Fremdunterbringung vermieden werden. Hierbei sind die Kinder und Jugendlichen abends, am Wochenende und in den Ferien zu Hause. 2 932 Jungen und 873 Mädchen unter 18 Jahren befanden sich 2007 in einer Tagesgruppenerziehung. In vorrangig ambulanter oder teilstationärer Form wurden 2 061 flexible Hilfen nach § 27 Abs. 2 SGB VIII durchgeführt. Sie richteten sich an 1 091 junge Menschen oder erreichten als familienorientierte Maßnahme 1 750 Kinder.

Erziehung außerhalb des Elternhauses: Hilfen in stationärer Form

Lassen sich Entwicklungs- oder Beziehungsprobleme nicht durch ambulante oder teilstationäre Hilfeformen wie Erziehungsberatungen, sozialpädagogische Familienhilfen oder Tagesgruppenbetreuungen bewältigen, bietet die Kinder- und Jugendhilfe stationäre Hilfeformen an. Im Jahr 2007 wurden von mehr als 15 500 jungen Menschen unter 27 Jahren Unterbringungsformen außerhalb des Elternhauses in Anspruch genommen, da durch familiäre Konflikte die räumliche Trennung von überlasteten Eltern und Kindern in schwierigen Entwicklungsphasen notwendig wurde. Diese Hilfeformen sind häufig mit einschneidenden Veränderungen im Leben der jungen Menschen verbunden.

Neben der Heimerziehung ist die Vollzeitpflege eine der stationären Hilfearten mit langer Tradition. Dabei ist der junge Mensch in einer anderen Familie (bei Großeltern, Verwandten oder in einer fremden Familie) untergebracht. Diese Maßnahme kann zeitlich befristet oder auf Dauer angelegt sein. Im Jahr 2007 befanden sich 7 596 Kinder und Jugendliche in einer Vollzeitpflegestelle. Drei Viertel lebten bei einer fremden Familie, ein Viertel bei Verwandten. 92 % waren unter 18 Jahre alt und 52 % waren männlichen Geschlechts.

Die Heimerziehung als eine der ältesten und wohl auch bekanntesten Formen der erzieherischen Hilfen hat einen erheblichen Wandel durchlaufen. Heimerziehung bietet heute jungen Menschen, deren Eltern aus unterschiedlichen Gründen mit der Erziehung überfordert sind, zeitlich begrenzt einen neuen Lebensort, wo ihnen pädagogische und andere Hilfe gewährt wird. Die moderne Heimerziehung umfasst drei Formen der Unterbringung: in einer Mehrgruppen- oder Eingruppeneinrichtung oder in einer eigenen Wohnung. In Heimerziehung oder in einer anderen betreuten Wohnform lebten 7 495 junge Menschen.

Davon waren

  • 15 % unter 12 Jahre alt,
  • 62 % 12 bis 17 Jahre alt,
  • 23 % 18 Jahre und älter.

56 % waren Jungen und junge Männer. 65 % lebten in einer Mehrgruppen-, 27 % in einer Eingruppeneinrichtung und lediglich 8 % in einer eigenen Wohnung.

Jungen Menschen, die durch vorgenannte Hilfeangebote nur schwer erreicht werden konnten, wurde durch eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung geholfen. Häufig handelt es sich bei dieser Maßnahme um den letzten Versuch, den Jugendlichen aus seiner gefährdeten Umgebung zu lösen und wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Sie ist eine Alternative zu freiheitsentziehenden Maßnahmen oder der Unterbringung in einer Psychiatrie. In Baden-Württemberg befanden sich 822 junge Menschen ab 10 Jahren in einer intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung. Hauptsächlich handelte es sich um unter 18-Jährige (88 %). Rund 63 % dieser jungen Menschen waren männlichen Geschlechts; In vorrangig stationä­rer Form wurden 419 flexible Hilfen nach § 27 Abs. 2 SGB VIII (zum Beispiel in Form von Kurzzeitpflege) durchgeführt.

Neu erhoben: Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder nach § 35a SGB XIII

Junge Menschen, die seelisch behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, haben einen eigenständigen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB XIII. Seelisch behindert bedeutet, dass die seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht. Hierzu muss eine ärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme eingeholt werden. Die Eingliederungshilfe wurde im Jahr 2007 erstmals erhoben und ist nicht bei den Hilfen zur Erziehung einzuordnen. Anders als bei den erzieherischen Hilfen hat hier das Kind oder der Jugendliche einen eigenständigen Anspruch, nicht der Personensorgeberechtigte. Eingliederungshilfen setzen neben einer (drohenden) seelischen Behinderung zusätzlich voraus, dass ein soziales Integrationsrisiko prognostiziert wird, das die Entwicklung des jungen Menschen, seine Eingliederung in die Gesellschaft und sein Heranwachsen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit nicht unerheblich beeinträchtigen wird.

Nach dem Bedarf im Einzelfall wird die Eingliederungshilfe in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen für Kinder, durch geeignete Pflegepersonen und in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie in sonstigen Wohnformen geleistet.

Im Jahr 2007 erhielten 4 997 junge Menschen mit seelischer Behinderung eine Eingliederungshilfe. Davon befanden sich 70 % im schulpflichtigen Alter von 6 bis 15 Jahren, fast 10 % waren 18 Jahre und älter; 71 % waren männlich. Bei 54 % der jungen Menschen lebten die Eltern zusammen, bei 32 % lebte ein Elternteil allein. Mindestens einen Elternteil ausländischer Herkunft hatten 20 % der genannten Hilfeempfänger. 9 von 10 Maßnahmen wurden von freien Trägern der Jugendhilfe durchgeführt. 84 % wurden in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie in sonstigen Wohnformen geleistet, 10 % in Kindertageseinrichtungen. Nur 6 % der Hilfen wurden ambulant oder durch geeignete Pflegepersonen durchgeführt. Im Jahr 2007 wurden nach einer Dauer von durchschnittlich 23 Monaten 1 356 Eingliederungshilfen nach § 35a SGB XIII beendet.