:: 4/2009

Gesundheitssektor: Weichenstellungen für eine Wachstumsbranche

Die Zunahme der Gesundheitsausgaben war in Baden-Württemberg und in Deutschland in den letzten Jahren – zumindest im internationalen Vergleich – eher gering. Trotzdem bleibt die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen ein politischer Dauerbrenner. Gleichzeitig wird der Gesundheitssektor aber auch verstärkt als Zukunftsbranche mit erheblichem Wachstums- und Beschäftigungspotenzial gesehen. Wie passt das zusammen? Die meisten Gesundheitsökonomen sehen die Lösung in einer stärkeren Wettbewerbsorientierung des Gesundheitssektors. Im Folgenden wird das Konzept einer wettbewerbsorientierten Gesundheitsversorgung vorgestellt und es wird untersucht, ob die Gesundheitssysteme in Deutschland, der Schweiz und in den Niederlanden entsprechende Reformansätze erkennen lassen.

Vergleichsweise geringe Zunahme der Gesundheitsausgaben

Im Zeitraum von 2000 bis 2006 fiel die Zunahme der Gesundheitsausgaben in Baden-Württemberg und Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern der OECD eher gering aus. Wie in der Februarausgabe des Statistischen Monatshefts Baden-Württemberg dargestelltKnödler, Reinhard: »Gesundheitsausgaben in Baden-Württemberg und den Ländern der OECD«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 2/2009«, lag die Steigerungsrate der Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit von rund 26 % für Baden-Württemberg und Deutschland deutlich unter dem Durchschnittswert der OECD-Länder in Höhe von knapp 50 %1 Auch in Bezug auf die Wirtschaftsleistung, dem für das Niveau der Gesundheitsausgaben je Einwohner wichtigsten Einflussfaktor, war die Ausgabensteigerung von 2000 bis 2006 in Baden-Württemberg und Deutschland schwächer als in den meisten anderen vergleichbaren OECD-Ländern: Sie lag sowohl für Baden-Württemberg als auch für Deutschland um rund 30 % unter dem Wert, der in Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum bei einem westeuropäischen Industrieland zu erwarten gewesen wäre.

Das alles ist zweifellos ein Erfolg der gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Kostendämpfung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, auf die in Deutschland rund drei Viertel, in Baden-Württemberg knapp über 70 % der Gesundheitsausgaben entfallen. Seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist es ein zentrales Ziel der Gesundheitspolitik, durch Leistungskürzungen und Budgetierungen den Anstieg der von den gesetzlichen Krankenversicherungen zu tragenden Ausgaben zu drosseln. Seit den 90er-Jahren erfolgt dies auch verstärkt durch Eigenbeteiligung der Versicherten an den Kosten der Gesundheitsleistungen (siehe i-Punkt).

Zunehmend gilt der Gesundheitssektor jedoch auch als Zukunftsbranche, von der man sich mittel- und langfristig vor dem Hintergrund der demografischen Alterung hohe Wachstums- und Beschäftigungseffekte verspricht. Diese Erwartungen können sich aber nur dann erfüllen, wenn der steigende Bedarf an Gesundheitsleistungen durch eine entsprechende Ausstattung mit finanziellen Mitteln nachfragewirksam wird. Eine auf bloße Kostendämpfung fokussierte Gesundheitspolitik lässt sich damit nur schwer in Einklang bringen.

Zwei zentrale Herausforderungen

Das gesundheitspolitische Dilemma – die Gesundheitsversorgung als Kostenfaktor einerseits, der Gesundheitssektor als Zukunftsbranche andererseits – besteht in den meisten Industrieländern. In Deutschland und damit auch in Baden-Württemberg wird es allerdings noch dadurch verstärkt, dass die Finanzierung des Sozialversicherungssystems direkt an die Beschäftigung gekoppelt ist. Beitragsbemessungsgrundlage ist das sozialversicherungspflichtige Einkommen. Die Sozialversicherungsbeiträge wirken damit wie eine Steuer auf den Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit, was insbesondere bei steigenden Beitragssätzen das Wirtschaftswachstum und die Einkommensentwicklung bremsen kann und eine weitere Erhöhung der Beitragssätze notwendig macht. Die demografische Alterung wird diesen Teufelskreis noch verschärfen2. Eine grundlegende wirtschafts- und gesundheitspolitische Herausforderung besteht deshalb darin, die Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unabhängiger von der Beschäftigungsentwicklung zu machen3.

Bis in die 90er-Jahre hinein hat man versucht, die Belastung des Produktionsfaktors Arbeit, wenn schon nicht zu senken, so doch konstant zu halten. Ziel war die »Beitragsstabilität«, mit der ausgabendämpfende Maßnahmen gerechtfertigt wurden. Dabei ist aus ökonomischer Sicht der Anstieg der Gesundheitsausgaben per se nichts Negatives, wenn die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigt. Die Leistungserstellung muss aber, genauso wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen auch, mit der größtmöglichen Effizienz erfolgen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Kosten einer Gesundheitsleistung ihren Nutzen zumindest nicht allzu deutlich übersteigen sollten. Eine weitere gesundheitspolitische Herausforderung besteht damit in der Sicherstellung einer effizienten Leistungserstellung im Gesundheitssektor und zwar sowohl bei der Erstellung der Gesundheitsleistungen als auch im Bereich der Versicherungsleistungen.

Modell eines wettbewerbsorientierten Gesundheitssektors

Wie lässt sich aber nun ein effiziente(re)s Gesundheitssystem erreichen? Die zentrale Steuerung des Ressourceneinsatzes führt in komplexen Systemen wie dem Gesundheitssektor, in denen eine Vielzahl von Individuen unter den verschiedensten Bedingungen agiert, häufig zu Ineffizienzen. Gerade im Gesundheitssektor lässt sich international vielfach beobachten, dass direkte Eingriffe zur Effizienzsteigerung via Ausgabendämpfung, wie beispielsweise Budgetierungen, langfristig zu Unterversorgung führen und damit ineffizient sind. Es bleibt also nur die Möglichkeit, die Effizienz der Leistungserbringung durch geeignete Rahmenbedingungen zum ureigensten Ziel jedes einzelnen Akteurs im Gesundheitssektor zu machen und einen funktionierenden Wettbewerb auf einem Markt für Versicherungsleistungen und den Märkten für Gesundheitsleistungen zu implementieren.

In der gesundheitsökonomischen Diskussion werden deshalb schon seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Einsatzmöglichkeiten und Grenzen des Wettbewerbs im Gesundheitssektor erörtert. Erst in den 90er-Jahren wurde aber in Deutschland versucht, durch die begrenzte Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherungen einen Wettbewerb zwischen den Versicherern zu installieren. Der Erfolg blieb allerdings hinter dem damaligen Ziel der Beitragssatzstabilität zurück. Zuletzt hat im Jahr 2006 der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ein umfassendes Konzept vorgeschlagen, das nicht nur den Versicherungsmarkt im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch den Bereich der Leistungserstellung auf eine stärker wettbewerbsorientierte Grundlage stellen soll4. Eine tragende Rolle spielen in diesem Modell des doppelten Wettbewerbs die Versicherer. Sie konkurrieren um die Versicherten und können ihre Wettbewerbsposition durch ein günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis ihres Angebots verbessern. Dadurch entsteht für die Versicherer ein Anreiz, die Effizienz der eigenen Leistungserstellung zu erhöhen und auf den Leistungsmärkten solche Gesundheitsleistungen nachzufragen, die den Bedarf der Versicherten zu einem möglichst günstigen Preis befriedigen. Die Anbieter von Gesundheitsleistungen konkurrieren auf den Leistungsmärkten wiederum um Verträge mit den Versicherern über die Vergütung und die Qualität der angebotenen Gesundheitsleistungen. Dadurch entsteht auch für die Anbieter von Gesundheitsleistungen ein Anreiz zur effizienten Leistungserstellung.

Selbst in diesem stark vereinfachten Modell lässt sich aber nicht alles über den Wettbewerb regeln. Die Bürger könnten darauf spekulieren, dass der Staat die Notfallversorgung finanziert. Dadurch entsteht für sie ein Anreiz, auf einen Versicherungsschutz zu verzichten. Der Staat kann dem zwar mit einer Versicherungspflicht begegnen, allerdings muss er dann auch dafür sorgen, dass niemand vom Erwerb des Versicherungsschutzes ausgeschlossen wird – auch nicht durch überhöhte Versicherungsprämien –und die Versorgung mit Gesundheitsleistungen gewährleistet ist.

Im Modell des doppelten Wettbewerbs macht das Modifikationen notwendig: Zum einen sollte der Versorgungsauftrag auf die Versicherer übergehen, da diese die Kosten der Gesundheitsversorgung tragen. Die Verfügbarkeit des Versicherungsschutzes kann zum anderen durch Kontrahierungszwang für die Versicherer und risikounabhängige Versicherungsprämien sichergestellt werden. Beide Einschränkungen schaffen allerdings für die Versicherer einen Anreiz zur Risikoselektion: Sie werden sich zunächst darauf konzentrieren, Versicherte mit niedrigem Krankheits- und damit Ausgabenrisiko zu gewinnen, statt effiziente Leistungen für alle Versicherten auf den Leistungsmärkten nachzufragen. Der Anreiz zur Risikoselektion muss deshalb durch Ausgleichszahlungen reduziert werden. Für die Versicherten besteht wiederum durch die eingeschränkte Risikoäquivalenz der Prämien ein Anreiz zu überhöhtem Leistungskonsum. Allerdings kann dieser Anreiz durch die direkte Beteiligung des Versicherten an den Kosten der in Anspruch genommenen Gesundheitsleistungen, beispielsweise durch Selbstbehalte oder Zuzahlungen, vermindert werden.

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Beschränkung der »Konsumentensouveränität« der Versicherten im Hinblick auf die Leistungsart oder den Leistungsanbieter. Ein Beispiel für diese sogenannten »managed-care-Modelle« ist die hausarztzentrierte Versorgung, bei der fachärztliche Versorgung beispielsweise eine Überweisung durch den Hausarzt voraussetzt.

Wettbewerbmechanismen im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung

Bereits 2007 ist das »Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung« (GKV-WstG) in Kraft getreten. Zentraler Bestandteil der Reform ist der Gesundheitsfonds, der Anfang 2009 eingerichtet wurde. In Bezug auf den Wettbewerb zwischen den Versicherern sind vor allem drei Elemente der Reform von Bedeutung:

  • Statt eines kassenindividuellen Beitragssatzes wird ein einheitlicher Beitrag erhoben.
  • Bei etwaigen Überschüssen können die Kassen Ausschüttungen an ihre Versicherten vornehmen, bei Defiziten muss ein Zusatzbeitrag von den Versicherten erhoben werden.
  • Beim Risikostrukturausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen wird die Morbidität (Krankheitshäufigkeiten, Krankheitsstrukturen) der Versicherten berücksichtigt.

Durch die Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches dürfte der Anreiz zur Risikoselektion erheblich vermindert worden sein5. Damit ist eine wichtige Voraussetzung für einen stärkeren effizienzsteigernden Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt erfüllt, denn Unterschiede bei den Versicherungsprämien geben dann Effizienzunterschiede wieder und beruhen nicht mehr auf Unterschieden in der Versichertenstruktur. Gerade dieser Effekt wird in der Realität jedoch durch die Einführung eines einheitlichen Beitragssatzes konterkariert. Zwar sollen nach dem Willen des Gesetzgebers durch den Zusatzbeitrag Effizienzdefizite deutlich werden. Dem steht jedoch wiederum eine Überforderungsklausel entgegen, die vorsieht, dass die Gesamtsumme der Zusatzbeiträge pro Jahr nicht mehr als 1 % des beitragspflichtigen Einkommens eines Versicherten ausmachen darf. Der Anreiz, zu einem effizienteren Versicherer zu wechseln, dürfte damit gering bleiben6.

Auch auf den Leistungsmärkten kann der durch den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich bewirkte Anreiz für die Versicherer, effiziente Versorgungsangebote nachzufragen, nur eingeschränkt wirksam werden. Der Grund: Einzelverträge zwischen Versicherern und einzelnen Leistungsanbietern bzw. Gruppen von Leistungsanbietern sind nach wie vor nur in einem engen Rahmen zulässig, sodass ein Wettbewerb zwischen einzelnen Leistungsanbietern nur sehr eingeschränkt entstehen kann7. In der Regel erfolgt die Verhandlung über Preis und Qualität der Leistungen nach wie vor auf regionaler Ebene durch die Dachorganisationen der Versicherer und der Leistungserbringer. Der wettbewerbshemmende Korporatismus im Gesundheitssektor besteht damit im Kern weiter und auch die ausgeprägte sektorale Teilung der Gesundheitsversorgung in stationäre Versorgung, ambulante Versorgung und Arzneimittelversorgung bleibt im Wesentlichen bestehen. Diese Segmentierung dürfte nicht nur zu Effizienzverlusten an den Verbindungsstellen dieser Bereiche führen. Sie verhindert auch, dass sich durch Wettbewerb bereichsübergreifende Produktionsstrukturen für Gesundheitsleistungen herausbilden.

Die Schweiz setzt auf hohe Kostenbeteiligung

Die Schweiz galt lange Zeit als das Land mit dem am stärksten marktwirtschaftlich geprägten Gesundheitssystem in Westeuropa. Diese Einschätzung basiert auf dem mit rund 60 % relativ geringen Anteil der öffentlichen Ausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben und der Tatsache, dass es sich in der Schweiz nicht nur bei den Leistungsanbietern im Bereich der ambulanten Gesundheitsversorgung, sondern auch bei den Versicherern ganz überwiegend um private Unternehmen handelt. Zudem wurde 1996 der Versicherungsmarkt durch die Einführung der freien Versicherungswahl geöffnet. Zentraler Wettbewerbsparameter ist die Versicherungsprämie. Sie wird für die obligatorische Basisversicherung in Form einer risikounabhängigen Kopfpauschale von den Versicherern selbstständig festgelegt. Die Grundversicherung umfasst ein vergleichsweise umfangreiches Leistungsangebot der Akutversorgung. Trotzdem besitzen rund 40 % der Bevölkerung eine Zusatzversicherung beispielsweise für die zahnärztliche Versorgung.

Im Jahr 2008 betrug die durchschnittliche monatliche Prämie für die Basisversicherung (einschließlich Unfallversicherung)8

für Erwachsene314,61 SFr (198,24 Euro)
für junge Erwachsene (19 bis unter 26 Jahre)248,01 SFr (156,28 Euro)
für Kinder und Jugendliche75,26 SFr (47,42 Euro)

Diese Kopfpauschale wird ausschließlich von den Versicherten aufgebracht. Sie umfasst für Erwachsene den obligatorischen Selbstbehalt (»ordentliche Franchise«) in Höhe von 300 SFr (189,04 Euro) sowie für alle Versicherten eine Zuzahlung bei den meisten Leistungen in Höhe von 10 %. Die Zuzahlung darf sich bei Erwachsenen auf maximal 700 SFr (441,08 Euro) pro Jahr summieren, bei Kindern und Jugendlichen auf 350 SFr (220,54 Euro)9. Die Kopfpauschalen unterscheiden sich zwischen den Kantonen, zum Teil sogar innerhalb der Kantone. Dadurch soll den regional sehr unterschiedlichen Kosten der Gesundheitsversorgung Rechnung getragen werden.

In der Schweiz bestehen, zusätzlich zu der obligatorischen Kostenbeteiligung, die sich aus dem obligatorischen Selbstbehalt und der Zuzahlung zusammensetzt und eine jährliche Höhe von maximal 1 000 SFr (630,12 Euro) für Erwachsene und 350 SFr (220,54 Euro) für Kinder und Jugendliche erreichen kann, noch umfangreiche Wahlmöglichkeiten für eine höhere Kostenbeteiligung. Erwachsene können einen Selbstbehalt von bis zu 2 500 SFr (1 575,30 Euro) wählen, bei Kindern und Jungendlichen darf der Selbstbehalt höchstens 600 SFr (378,07 Euro) betragen. Die mit den Selbstbehalten verbundenen Einsparungen geben die Versicherer als Abschläge bei den Kopfpauschalen an die Versicherten weiter. Rund 55 % der Versicherten haben einen Selbstbehalt gewählt, der über der »ordentlichen Franchise«, also dem obligatorischen Selbstbehalt, liegt. Auch die Teilnahme an Managed-Care-Programmen wird mit Prämienrabatten belohnt. Allerdings sind nur 12 % der Versicherten in derartigen Versorgungsmodellen eingeschrieben10. Es handelt sich dabei überwiegend um Modelle der hausarztzentrierten Versorgung.

Mit dem differenzierten System der Kostenbeteiligung besteht ein starker Anreiz zur Vermeidung eines überhöhten Konsums von Gesundheitsleistungen. Trotzdem dürfte es gerade auf den Leistungsmärkten zu erheblichen Effizienzverlusten aufgrund geringer Wettbewerbsintensität kommen. Da der Risikostrukturausgleich in der Schweiz keine Morbiditätsaspekte berücksichtigt und zudem nur innerhalb eines Kantons vorgenommen wird, besteht für die Versicherer nur ein geringer Anreiz, bei den Leistungserbringern effiziente Leistungen nachzufragen. Ohnehin sind auch in der Schweiz die Verhandlungen um Preis und Qualität für ambulante Gesundheitsleistungen stark korporatistisch geprägt11. Die Modalitäten der stationä­ren Versorgung handeln zwar die einzelnen Versicherer mit den Krankenhäusern aus, allerdings nur innerhalb eines Kantons. Zusätzlich zu der sektoralen Segmentierung kommt in der Schweiz eine sehr starke regionale Segmentierung der Versorgung, die zu einer starken Zersplitterung der Märkte führt und damit den Wettbewerb und die effiziente Ressourcenverwendung behindert.

Die Niederlande: Abbau von Korporatismus und Segmentierung im Gesundheitssektor

In den Niederlanden trat im Jahr 2006 eine Gesundheitsreform in Kraft, die den Bereich der Grundversicherung für die Leistungen der Akutversorgung tief greifend veränderte. Diese sogenannte »zweite Säule« des niederländischen Gesundheitssystems neben der Pflegeversicherung und den privaten Zusatzversicherungen – war vorher ähnlich wie in Deutschland strukturiert: Das Gros der Versicherten war Mitglied in einer Sozialversicherung, eine Minderheit war bei privaten Anbietern versichert. Mit der Reform wurden alle Versicherer in privatrechtliche Unternehmen umgewandelt.

Wie in der Schweiz besteht für die Basisversicherung eine Versicherungspflicht und für die Versicherer Kontrahierungszwang, das heißt sie dürfen keinem Antragsteller den Vertragsabschluss verwehren. Die Grundversicherung wird zu gleichen Teilen aus einer einkommensunabhängigen Kopfpauschale und einem einkommensabhängigen Beitrag finanziert. Die risikoneutrale Kopfpauschale wird von den Versicherungsunternehmen selbstständig festgelegt, altersbezogene oder regionale Differenzierungsmöglichkeiten bestehen nicht. Durchschnittlich musste jeder erwachsene Versicherte im Jahr 2006 rund 1 060 Euro als Kopfpauschale direkt an den Versicherer zahlen12. Durch den Abschluss von Gruppenverträgen, beispielsweise über den Arbeitgeber, Gewerkschaften oder Vereine, kann die Kopfpauschale um bis zu 10 % gesenkt werden, 57 % aller Versicherten sind gruppenversichert.

Bemessungsgrundlage für den einkommensabhängigen Beitragsteil ist das Gesamteinkommen des Versicherten. Auch Kinder und Jugendliche müssen, wenn sie eigenes Einkommen erzielen, diese Beiträge aufbringen. Je nach Einkommensart beträgt der Beitragssatz 4,4 % oder 6,5 % des Einkommens bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze von 30 015 Euro. Die Beitragssätze werden vom niederländischen Gesundheitsministerium festgesetzt. Bei Einkommen aus unselbstständiger Arbeit finanziert der Arbeitgeber den Beitrag. Der Arbeitnehmer muss diese Leistungen allerdings versteuern. Die einkommensabhängigen Beiträge sowie die Steuermittel, aus denen die Kopfpauschalen für Kinder und Jugendliche finanziert werden, fließen an einen zentralen Fonds, den »Versicherungsfonds«.

Die Mittel des Versicherungsfonds werden für den Risikostrukturausgleich aufgewendet. Die Höhe des Zahlbetrags je Versicherten hängt von den Faktoren Alter, Einkommen, pharmazeutische Kostengruppe und Diagnosegruppe ab. Es wird also ein morbiditätsbezogener Risikostrukturausgleich vorgenommen. Dadurch besteht für die Versicherer ein Anreiz, statt Risikoselektion auf den Versicherungsmärkten zu betreiben, auf den Leistungsmärkten effiziente Versorgungsangebote nachzufragen. Eine wichtige Voraussetzung für den effizienzorientierten Wettbewerb auf den Leistungsmärkten ist damit gegeben. Mindestens genauso wichtig ist allerdings das Recht von Versicherern und Leistungsanbietern Einzelverträge abzuschließen. Korporatistische Strukturen bei der Verhandlung über Preis und Qualität der Versorgungsleistungen sollen nach und nach ganz verschwinden. Durch den Abbau sektoraler Barrieren, indem es beispielsweise Krankenhäusern generell erlaubt ist ambulante fachärztliche Leistungen zu erbringen, wird darüber hinaus dem Aufbau effizienter Vorsorgungsstrukturen Rechnung getragen. Dem dient auch die Übertragung des Versorgungsauftrags auf die einzelnen Versicherer.

Auch in den Niederlanden soll der Anreiz zur Überkonsumption medizinischer Leistungen durch die Patienten durch einen obligatorischen Selbstbehalt, der sich seit 2008 auf 150 Euro beläuft, vermindert werden. Bei Leistungen der allgemeinärztlichen Versorgung kommt der Selbstbehalt allerdings nicht zur Anwendung. Darüber hinaus besteht für die Versicherten die Möglichkeit, einen erhöhten Selbstbehalt von bis zu 500 Euro zu wählen, was zu einem Rabatt auf die Kopfpauschale führt. Als weitere Maßnahme zur Verminderung von Über- oder Fehlversorgung nimmt jeder Hausarzt eine Gatekeeper-Funktion für seine Patienten wahr: Fachärztliche Versorgung erfordert nicht nur die Überweisung des Hausarztes, sondern dieser koordiniert auch die gesamte Behandlung. Von der Versicherung erhält er dafür zusätzlich zur Vergütung seiner eigenen Leistungen eine Kopfpauschale für jeden Patienten.

Das niederländische Gesundheitssystem als Vorbild?

Die aktuellsten, international vergleichbaren Daten zu den Gesundheitsausgaben in den Niederlanden liegen für das Jahr 2006 vor. Damals beliefen sich die Gesundheitsausgaben pro Kopf auf 3 391 US-Dollar in Kaufkraftparitäten und waren damit etwa genauso hoch wie in Baden-Württemberg oder in Deutschland. Die Wirkung der Reform des niederländischen Gesundheitswesens, die im gleichen Jahr in Kraft getreten ist, dürfte sich in diesem Wert allerdings noch nicht in vollem Umfang niedergeschlagen haben. Ohnehin sind Größen wie die Gesundheitsausgaben je Einwohner problematisch, wenn es um den Vergleich der Effizienz in der Gesundheitsversorgung geht. In der Vergangenheit hatten häufig diejenigen Länder, in denen die Gesundheitsversorgung der rigidesten staatlichen Steuerung unterworfen wurde, zwar ein niedriges Ausgabenniveau, häufig mussten sie aber auch eine Verschlechterung der Versorgungslage in Kauf neben, was mit hohen – wo nicht monetären so doch sozialen – Folgekosten verbunden war.

Nach wie vor bestehen aber im deutschen und im schweizerischen Gesundheitssystem Effizienzreserven in erheblichem Umfang, sodass auch von einer wettbewerbsinduzierten Effizienzsteigerung ein dämpfender Effekt auf die Ausgaben zu erwarten wäre13. Bei der erforderlichen Umgestaltung der Gesundheitssysteme können die Niederlande durchaus Vorbild sein, denn dort ist es gelungen, ein halbwegs konsistentes Gesamtkonzept einer wettbewerbsorientierten Gesundheitsversorgung zu implementieren14. Zwar wurde in Deutschland und der Schweiz der Versicherungsmarkt geöffnet, die Wettbewerbsmechanismen geben aber entweder keine Anreize zur Effizienzsteigerung oder diese Anreize werden auf den Leistungsmärkten nicht wirksam. Gerade die Beseitigung von Effizienzverlusten bei der Erbringung von Versorgungsleistungen bleibt aber eine zentrale Herausforderung, wenn sich der Gesundheitssektor zu einer Zukunftsbranche entwickeln soll.

1 Ungewichteter Durchschnittswert.

2 Vgl. Bräuninger, Dieter: Gesundheitspolitik – Ohne Marktorientierung kein nachhaltiger Reformerfolg, DB Research, Aktuelle Themen 348, 2006, PDF-Dokument, S. 6.

3 Allerdings muss dabei eingeräumt werden, dass diese Entkoppelung gesundheitsökonomisch lediglich dem Ziel einer soliden Finanzierung der Gesundheitsversorgung dient. Sie ist damit eher gesamtwirtschaftlich motiviert und hat den Zweck, das Wirtschaftswachstum zu fördern.

4 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Mehr Wettbewerb im System der Gesetzlichen Krankenversicherung, 2006, PDF-Dokument, S. 7 ff.

5 Vgl. Greß, Stefan/Wasem, Jürgen: Auswirkungen des Gesundheitsfonds und Optionen zur Weiterentwicklung, Policy Paper für die Hans-Böckler-Stiftung, 2008, PDF-Dokument, S. 5 ff.

6 Da eine Prüfung erst dann erfolgt, wenn der monatliche Zusatzbeitrag 8 Euro übersteigt, kann für einkommensschwache Versicherte sogar ein Anreiz entstehen, zu Versicherern mit hohen Zusatzbeiträgen – also geringer Effizienz – zu wechseln.

7 Ausnahmen sind vor allem die Modelle der hausarztzentrierten Versorgung, Netzwerke von Leistungsanbietern im Rahmen der »besonderen ambulanten Versorgung« und Modelle der integrierten, also sektorübergreifenden Versorgung.

8 Vgl. Bundesamt für Gesundheit BAG (Schweiz): Prämienübersicht 2009, 2008, PDF-Dokument, S. 816.

9 Gerade bei einkommensschwachen oder kinderreichen Familien führt das System der Kopfpauschalen zu einer hohen Belastung. Rund 40 % der Haushalte erhalten staatliche Zuschüsse zu den Versicherungskosten.

10 Vgl. Leu, Robert/Rutter, Frans/Brouwer, Werner/Matter, Pius/Rütschi, Christian: The Swiss and Dutch Health Insurance Systems: Universal Coverage and Regulated Competitive Insurance Markets, Commonwealth Fund, Veröffentlichung Nr. 1220, 2009, PDF-Dokument, S. 2.

11 Vgl. Reinhardt, Uwe: The Swiss Health System, JAMA (The Journal of the American Medical Association), Band 292, Nr. 10, 2004, PDF-Dokument, S. 1229 ff.

12 Vgl. Greß, Stefan/Manouguian, Maral/Wasem, Jürgen: Health Insurance Reform in the Netherlands, CES ifo DICE Report 1/2007, 2007, PDF-Dokument, S. 64.

13 Vgl. Augurzky, Boris/Tauchmann, Harald/Werblow, Andreas/ Felder, Stefan: Effizienzreserven im Gesundheitswesen, RWI Materialien Heft 49, 2009, PDF-Dokument, S. 51.

14 Wenn auch abzuwarten bleibt, inwieweit sich die Reform des niederländischen Gesundheitswesens in der weiteren Entwicklung der Gesundheitsausgaben niederschlägt.