:: 6/2009

Neuer Übernachtungsrekord im Tourismus 2008

Der heimische Tourismus schloss 2008 bis in den Sommer hinein angesichts einer noch kräftigen Konjunktur nahtlos an die Entwicklung des Jahres 2007 an, in dem die Übernachtungen mit einem Plus von 3,8 % den stärksten Zuwachs in diesem Jahrtausend verbucht hatten. Gegen Jahresende zeigten sich vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der einsetzenden Konjunkturschwäche zwar gewisse Abschwächungstendenzen, diese trafen die Branche aber bei Weitem nicht in dem Ausmaß wie insbesondere einige stark exportorientierte Industriezweige. Bezogen auf das gesamte Jahr fiel der Übernachtungszuwachs mit 2,9 % dadurch geringer aus als im vorhergehenden Jahr. Dies reichte jedoch aus, um das lange Zeit unerreichbar erschienende Spitzenniveau von 43,2 Mill. Übernachtungen aus den Jahren 1991 und 1992 mit 43,6 Mill. zu übertreffen. Da die Zuwachsraten im Land sowohl 2007 als auch 2008 die Bundesergebnisse übertrafen, konnte Baden-Württemberg seine zuvor eher geschwächte Position innerhalb Deutschlands wieder festigen.

Seit der Wiedervereinigung Vormarsch erst der Ostländer, dann der Stadtstaaten

Zur Einordnung der aktuellen Ergebnisse soll zunächst die längerfristige Entwicklung des Tourismus1 im Land und bundesweit kurz reflektiert werden, und zwar für die Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung bzw. seit Vorliegen einer bundeseinheitlichen Statistik. Die Übernachtungen insgesamt weisen in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts und im Übergang zum neuen Jahrtausend bei Deutschland und Baden-Württemberg ein ähnliches Verlaufsmuster auf. Allerdings öffnete sich dabei zunehmend eine Schere zulasten des Landes. So sank der Übernachtungsanteil Baden-Württembergs von knapp 14 % im Jahr 1992 auf 12 % im Jahr 2003. In diesem Jahr lagen die Übernachtungen um fast 8 % unter dem Ausgangswert aus dem Jahr 1992, während im Bundesdurchschnitt das Ursprungsniveau um gut 6 % übertroffen wurde. Der rückläufige Landesanteil beruhte insbesondere auf dem Vormarsch des Tourismus in den neuen Bundesländern, der nach der Wiedervereinigung und dem Ausbau der entsprechenden Infrastruktur zunehmend in Gang kam. So konnten die östlichen Flächenländer ihr Übernachtungsaufkommen von 1992 bis 2003 um 112 % steigern. Ihr Anteil am Bundesergebnis verdoppelte sich dadurch von unter 10 auf 19 %. Dies ging zulasten der alten Flächenländer, wobei Süddeutschland noch etwas stärker betroffen war als Norddeutschland. Die Stadtstaaten konnten sich dagegen behaupten. Ihr Übernachtungsanteil in Deutschland erhöhte sich sogar von 4 auf gut 5 %.

Das Jahr 2003 markierte in zweierlei Hinsicht einen Wendepunkt: Seither nahmen die Übernachtungen sowohl bundesweit als auch im Land nach einer zuvor rückläufigen Phase wieder zu. Zudem unterschied sich die Entwicklung zwischen den östlichen und westlichen Flächenländern nach 2003 nicht mehr wesentlich. Insofern scheint der Angleichungsprozess des Tourismus in den neuen Bundesländern auf das Niveau des früheren Bundesgebiets 2003 einen gewissen Abschluss gefunden zu haben. Dafür ist die Entwicklung danach wesentlich durch kräftige Zuwächse in den Stadtstaaten geprägt, die ihren Übernachtungsanteil inzwischen auf über 7 % steigerten. Der Übernachtungsanteil Baden-Württembergs ging dadurch allerdings dank der überdurchschnittlichen Zuwächse in den Jahren 2007 und 2008 insgesamt nicht weiter zurück, betrug also 2008 wieder 12 %. Mit rund 43,6 Mill. Übernachtungen war Baden-Württemberg im Jahr 2008 für Gäste aus dem In- und Ausland so attraktiv wie nie zuvor.

Zunehmender Einfluss der Auslandsgäste

Bei einer Differenzierung nach der Gästeherkunft war die Entwicklung bei den Inlandsgästen bis in das neue Jahrtausend hinein sowohl auf Landes- wie auch auf Bundesebene nahezu deckungsgleich mit der Gesamtentwicklung. Dies erklärt sich dadurch, dass in den 90er-Jahren sowohl bundesweit als auch im Land die Gäste ganz überwiegend aus dem Inland kamen und nur etwa jede 8. Übernachtung auf das Konto eines ausländischen Gastes ging. Zwar entwickelten sich die Übernachtungen der Auslandsgäste in diesem Zeitraum abweichend von denen der nationalen Kunden. Diese Unterschiede waren aber nicht so gravierend, dass sie die Gesamtentwicklung nachhaltig hätten prägen können.

Dies hat sich allerdings nach 2001 deutlich verändert, denn seither verzeichneten die Übernachtungen der internationalen Gäste kräftige Zuwächse. Dadurch stieg ihr Übernachtungsanteil bundesweit auf 15 % und in Baden-Württemberg sogar auf knapp 18 %. Das Gesamtergebnis entwickelte sich also durch den gestiegenen Einfluss der Auslandsgäste günstiger als die Übernachtungen der Inlandsgäste.

Nachfolgend soll innerhalb Baden-Württembergs neben den aktuellen Veränderungen 2008 gegenüber dem Vorjahr die mittelfristige Entwicklung seit dem Wendepunkt im Jahr 2003 betrachtet werden. Auf Landesebene ergeben sich für die wesentlichen Eckzahlen folgende Ergebnisse:

Veränderung 2008 gegenüber 2003 und 2007 in %
20032007
Ankünfte insgesamt18,93,1
Davon
Inlandsgäste16,23,4
Auslandsgäste30,71,6
Übernachtungen insgesamt 9,32,9
Davon
Inlandsgäste 5,42,7
Auslandsgäste32,13,4

Da der seit Längerem zu beobachtende Trend zu kürzeren Aufenthalten insgesamt und bei den Inlandsgästen weiter anhielt, stiegen die Gästezahlen jeweils stärker als die für die Branche wichtigeren Übernachtungen. Insgesamt verringerte sich die durchschnittliche Verweildauer in der Zeitspanne von 2003 bis 2008 von 2,9 Tagen bzw. Nächten auf 2,6. Dies traf für die Auslandsgäste jedoch nicht zu. Sie verbringen durchschnittlich zwar nur 2,3 Nächte in einer Unterkunft, dieser Wert blieb im genannten Zeitraum jedoch konstant.

Weniger Übernachtungen in Vorsorge- und Reha-Kliniken, Hotellerie legt zu

Die verschiedenen Betriebsarten in der Tourismusbranche – vom klassischen Hotel oder Gasthof über die Campingplätze bis hin zu den Vorsorge- und Reha-Einrichtungen – weisen deutlich unterschiedliche Entwicklungen ihrer Übernachtungszahlen auf. Zudem korrespondiert die mittelfristige Entwicklung nur bedingt mit der aktuellen Veränderung im Jahr 2008. Besonders auffällig sind dabei die Vorsorge- und Reha-Kliniken, für deren Entwicklung teilweise andere Einflussfaktoren eine Rolle spielen als in den anderen Tourismusbereichen. Zu nennen sind hier insbesondere die Vorgaben der Gesundheitspolitik sowie die Genehmigungspraxis der Kostenträger. Zudem nimmt bei unsicheren Arbeitsplätzen in der Regel die Neigung ab, eine Kur zu beantragen.2 Die stationären Kureinrichtungen waren in den Jahren 2002 bis 2006 durchgehend von massiveren Rückgängen betroffen. Nach einer Trendwende im Spätjahr 2006 schnitten sie 2007 überdurchschnittlich gut ab und setzten auch 2008 ihren Aufschwung mit allerdings vermindertem Tempo fort. Dies reichte aber bei Weitem nicht aus, um die vorherigen Verluste voll zu kompensieren. Per saldo ergab sich dadurch für die Zeitspanne von 2003 bis 2008 ein Übernachtungsrückgang von über 9 %.

Demgegenüber entwickelten sich die Übernachtungen im klassischen Beherbergungsbereich der Hotellerie (Hotels, Hotels garnis, Gasthöfe und Pensionen) deutlich überdurchschnittlich. Allerdings war die Entwicklung innerhalb dieses Bereichs beileibe nicht homogen. So mussten sich die Pensionen, die als einzige Betriebsart 2008 einen Übernachtungsrückgang zum Vorjahr verbuchten, mit einem bescheidenen Zuwachs gegenüber 2003 begnügen. Auch die traditionell eher in den ländlichen Bereichen angesiedelten Gasthöfe legten sowohl im Jahr 2008 selbst als auch mittelfristig deutlich unterdurchschnittlich zu. Mit einem Übernachtungszuwachs um 19 % gegenüber 2003 ragten dagegen die Hotels deutlich aus der Hotellerie heraus, obwohl sie im Vergleich 2008 zu 2007 von den überwiegend in Städten anzutreffenden Hotels garnis übertroffen wurden.

Auch die Parahotellerie, zu der alle bisher nicht genannten Betriebsarten gerechnet werden, verbuchte insgesamt 2008 sowohl gegenüber 2007 als auch gegenüber 2003 leicht überdurchschnittliche Übernachtungszuwächse. Allerdings ist auch hier das Bild sehr heterogen. Auf der einen Seite stand ein kräftiger Übernachtungszuwachs um 28 % gegenüber 2003 bei den Erholungs-, Ferien- und Schulungsheimen einschließlich der Boardinghouses. Auf der anderen Seite fielen die Zugewinne der Jugendherbergen und Hütten sowie der Ferienhäuser, -wohnungen und -zentren gegenüber 2003 sehr bescheiden aus. Sie gingen zudem überwiegend auf das aktuelle Jahr 2008 zurück. In der Spanne von 2003 bis 2007 war das Übernachtungsniveau also nahezu unverändert geblieben. Die Campingplätze hatten in diesem Zeitraum sogar Übernachtungen eingebüßt, was aber durch einen kräftigen Zuwachs 2008 mehr als kompensiert wurde. Da das Camping stark von Witterungseinflüssen geprägt ist, weist es allerdings stets größere Schwankungen im Zeitverlauf auf. Insbesondere beim Vergleich mit 2003 ist hier auch ein »Basiseffekt« zu berücksichtigen, da die Campingplätze aufgrund des »Jahrhundertsommers« damals ein besonders gutes Ergebnis erzielt hatten.

Bundesweiter Trend zum Städtetourismus auch im Land erkennbar

In der Gliederung der Gemeinden danach, ob sie ein touristisches Prädikat besitzen oder nicht, zeigt sich in der mittelfristigen Betrachtung eine sogar noch deutlichere Polarisierung als bei den Betriebsarten: Mit einem Anstieg der Übernachtungen gegenüber 2003 um ein Fünftel waren die Gemeinden ohne touristisches Prädikat die eindeutigen Gewinner der letzten Jahre. Hierzu zählen neben kleineren Gemeinden ohne touristische Prägung und den meisten mittleren Städten insbesondere alle 9 Großstädte des Landes mit mehr als 100 000 Einwohnern. Da diese sich innerhalb der nicht prädikatisierten Gemeinden nochmals günstiger entwickelten, findet der bundesweite Trend zum Städtetourismus auch innerhalb Baden-Württembergs seinen Niederschlag.

Zwar übertrafen auch die Gemeinden mit einem Prädikat in ihrer Gesamtheit dank eines Zuwachses 2008 ihr Übernachtungsergebnis von 2003 leicht. Dies ist allerdings vor allem einer relativ günstigen Entwicklung in den am niedrigsten prädikatisierten Erholungsorten zu verdanken. Unter den Kategorien mit höherem Prädikat konnten sich allein die Kneippkurorte günstiger entwickeln, während insbesondere die Luftkurorte und die Heilklimatischen Kurorte ihr Übernachtungsergebnis aus dem Jahr 2003 deutlicher verfehlten. Dies hängt einerseits eng mit der Entwicklung des Kurwesens zusammen, das bevorzugt in den (höher) prädikatisierten Gemeinden beheimatet ist und dort teilweise eine stark prägende Rolle spielt. Andererseits dürfte darin aber auch ein genereller Wandel des heimischen Tourismus zum Ausdruck kommen, bei dem die »klassischen« Urlaubs- und Erholungsreisen zugunsten etwa der Geschäfts-, Städte- oder Eventreisen tendenziell an Gewicht einbüßen.

Diese Tendenz lässt sich zumindest ansatzweise auch anhand der Entwicklung der Reisegebiete des Landes nachvollziehen. Seit 2003 verbuchten mit dem Mittleren Neckar, dem Bereich Neckar-Hohenlohe-Schwäbischer Wald, dem Weinland zwischen Rhein und Neckar und der Schwäbischen Alb durchweg Reisegebiete die stärksten Übernachtungszuwächse, die nicht zu den klassischen Reisezielen gehören. Gemessen an der Übernachtungsdichte, also den Übernachtungen je 1 000 Einwohner, sind dies nämlich zugleich die vier Reisegebiete mit den niedrigsten Werten.

Demgegenüber blieben die beiden überregional bekanntesten Reiseziele des Landes, nämlich der Schwarzwald und der Bodensee, trotz einer deutlich positiven Entwicklung im Jahr 2008 mittelfristig hinter der Landesentwicklung zurück. Für die drei Teilbereiche des Schwarzwalds zeichnet sich allerdings ein differenziertes Bild ab: Während vor allem der nördliche und – mit Einschränkungen – der südliche Teil mittelfristig unterdurchschnittlich abschnitten, ragt der mittlere Teil deutlich positiv heraus. Dies verdankt er nicht zuletzt dem Aufschwung in und um den Freizeitpark in Rust, einer Einrichtung also, die eher den neueren Tourismustrends entspricht. Neben den bereits genannten Gebieten konnten mit dem baden-württembergischen Teil des Taubertals und dem Württembergischen Allgäu-Oberschwaben auch zwei Reisegebiete nicht mit der Landesentwicklung Schritt halten, die traditionell durch das Kurwesen geprägt sind.

1 Die Angaben beziehen sich im gesamten Aufsatz auf Beherbergungsbetriebe (einschließlich Reiseverkehrscamping) mit mehr als 8 Schlafgelegenheiten. Nicht berücksichtigt sind damit Kleinbetriebe sowie Tagesgäste.

2 Eine gewisse Rolle kann auch die spezielle Abgrenzung der Tourismusstatistik spielen: Hier werden nur solche Einrichtungen berücksichtigt, deren Patienten hinreichend mobil sind, um die örtliche Infrastruktur in Anspruch nehmen zu können. Diese Voraussetzung ist bei einigen Rehabilitationseinrichtungen in letzter Zeit entfallen, die insbesondere Patienten in unmittelbarem Anschluss an Operationen aus Akut-Kliniken übernehmen.