:: 7/2009

Wir leben länger! Aber auch länger gesund?

Aspekte zur Lebenserwartung und Gesundheit älterer Menschen

In den meisten Staaten werden die Menschen älter und älter. Ob diese Extra-Jahre gesund und selbstständig gelebt werden oder krank und unselbstständig, ist wichtig für Politik, Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem und für jeden Einzelnen. Die vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass in den meisten westlichen Industriestaaten die Menschen nicht nur länger, sondern auch länger gesund leben. Allerdings unterscheiden sich die Staaten in dieser Entwicklung zum Teil erheblich. Strittig ist die künftige Entwicklung. Es gibt Stimmen, und sie stellen die Mehrheit, die verlauten, dass künftig besonders die älteren Menschen länger und auch länger gesund leben. Andere zweifeln daran und begründen dies etwa mit dem Ernährungs- und Bewegungsverhalten bei den heutigen jüngeren Generationen.

Wir leben länger …

In fast allen Staaten dieser Welt werden die Menschen immer älter. Besonders für die Industriestaaten Europas und Nordamerikas sowie Japan ist diese Entwicklung nicht ungewöhnlich. Seit über 160 Jahren steigt in Europa die Lebenserwartung, besonders stark nahm sie im 20. Jahrhundert zu. In einigen Staaten, wie etwa Schweden, soll seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Lebenserwartung in jedem Jahr um 3 Monate oder alle 20 Jahre um 5 Jahre gestiegen sein.1

Die Lebenserwartung nahm bis Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem durch den Rückgang der Säuglingssterblichkeit zu. Diese ist in den meisten entwickelten Industriestaaten mittlerweile so niedrig, dass sie nur noch wenig abnehmen kann. Gleichzeitig hat die sogenannte fernere Lebenserwartung (vgl. i-Punkt) etwa ab dem Alter von 60 Jahren zugenommen. Das bedeutet auch, dass immer mehr Menschen 80 Jahre und älter werden. In ausgewählten Industriestaaten vornehmlich aus der OECD lebten 65-jährige Männer 1960 im Schnitt noch 11 bis 14 Jahre; fast 5 Jahrzehnte später sind es überwiegend 16 bis 17 Jahre. Mit anderen Worten: 1960 durfte ein 65-jähriger Mann davon ausgehen, dass er durchschnittlich wenigstens 76 bis höchstens 79 Jahre alt wird; gut 40 Jahre später sind es 81 bis 82 Jahre. Auch die Lebenserwartung der gleichaltrigen Frauen ist gestiegen. Sie war 1960 bereits höher als die der Männer und lag überwiegend bei 14 bis 16 Jahren. Heute beträgt sie 20 bis 23 Jahre.

Auch die betrachteten OECD-Staaten unterscheiden sich in der Lebenserwartung älterer Menschen, und zwar was die Dauer der verbleibenden Lebenserwartung betrifft als auch deren Entwicklung in den letzten Jahrzehnten. Es gab 2006 Staaten mit vergleichsweise hoher (zum Beispiel Frankreich, Schweiz, Japan) und mit eher geringer Lebenserwartung (Türkei, osteuropäische Staaten). Daneben gibt es Staaten, die vor 4 oder 5 Jahrzehnten noch eine überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung aufwiesen wie Dänemark, Norwegen, Niederlande und heute im Mittelfeld der OECD-Staaten liegen. Das heißt, dass in diesen Ländern die Lebenserwartung älterer Männer und Frauen weniger stark gestiegen ist als in den hinsichtlich der Lebenserwartung heute führenden Staaten. In Westeuropa ist die Lebenserwartung in der Regel höher als in Osteuropa. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts verkleinerte sich zwar der Abstand, aber seit etwa 10 Jahren vergrößert er sich wieder.2 Die Gründe für diese Unterschiede zwischen den Staaten sind sehr vielfältig, und es sind oft dieselben, welche die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Staates mit bedingen. Wichtige Schlagworte dabei sind: Hygiene, Ernährung, Bildung, Arbeitsbedingungen, Einkommen, soziale Sicherung und hier besonders der Zugang zum Gesundheitssystem.

In Deutschland steigt die Lebenserwartung älterer Menschen seit über 100 Jahren an. Gleiches gilt für Baden-Württemberg. Dabei hat sich mit jedem höheren Alter das Leben relativ stärker verlängert. Mit Blick auf die fernere Lebenserwartung verbleiben heute gegenüber früher einem 80-Jährigen relativ mehr Zeit als einem 70-Jährigen und diesem mehr als einem 60-Jährigen: Jede zweite 60-jährige Frau zu Beginn des 21. Jahrhunderts dürfte mindestens 85 Jahre alt werden. Sie würde gut 11 Jahre länger als eine Gleichaltrige zu Beginn des 20. Jahrhunderts leben; die Lebenserwartung ist in diesem Alter um 85 % gestiegen. Bei einem gleichaltrigen Mann beträgt die mittlere Lebenserwartung 81 Jahre und damit fast 9 Jahre mehr als vor 100 Jahren. Das bedeutet in diesem Alter eine um 65 % verlängerte Lebenserwartung. Die Lebenserwartung der 80-Jährigen hat sich sogar verdoppelt: Frauen verbuchen ein Plus von 112 % und Männer von 96 %.

Es war keineswegs selbstverständlich, dass Frauen eine längere Lebenserwartung haben als Männer. Über Jahrhunderte hatten sie ein kürzeres Leben. Erst nachdem Hygiene und Medizin die gesundheitlichen Risiken der Frauen während ihrer Schwangerschaft und nach der Geburt verringerten, nahm im 19. Jahrhundert die Lebenserwartung der Frauen zu und übertraf die der Männer. Im 20. Jahrhundert nahm die Lebenserwartung der Frauen fast durchgehend stärker zu als die der Männer. Mit anderen Worten: Der Abstand zwischen der Lebenserwartung der Frauen und der der Männer wurde immer größer. Seit etwa 10 Jahren steigt die Lebenserwartung der Männer stärker als die der Frauen, sodass der Abstand zwischen Frauen und Männern kleiner geworden ist.

… leben wir auch länger gesund?

»70 is the new 50«.3 Diese Aussage vor dem House of Lords, dem Oberhaus des Britischen Parlaments, will überspitzen. Sie übertreibt den Eindruck, den wir im Alltag von den heutigen Kohorten älterer Menschen haben, dass diese anders sind als ihre Vorgänger. Es scheint, dass mit der gestiegenen Lebenserwartung auch ein Gewinn an aktiven und gesunden Jahren einhergegangen ist. So ist der heute 65-Jährige durchschnittlich gesünder als noch vor 30 Jahren. Er dürfte in einem vergleichbaren Gesundheitszustand sein wie ein 58-Jähriger vor 3 Jahrzehnten.

Mit anderen Worten: Innerhalb von 3 Jahrzehnten hätten die 65-Jährigen 7 gesunde Lebensjahre dazugewonnen. Die heute 70-Jährigen wären im Durchschnitt 5 Jahre gesünder als die 70-Jährigen vor 3 Jahrzehnten.4 Träfe dies beispielsweise auf die 70-jährigen Männer in Baden-Württemberg zu, hieße dies, dass die Kohorte um 2000 nicht nur 4 bis 5 Jahre länger leben dürfte als ihre gleichaltrigen Vorgänger Anfang der 70er-Jahre, sondern auch 5 Jahre länger gesünder. Die gesunde Lebenserwartung wäre im selben Maße gestiegen wie die gesamte Lebenserwartung, vielleicht sogar etwas stärker. Diese Entwicklung spricht eher für die Kompressionsthese in der gerontologischen Forschung, nach der zumindest die Dauer der kranken Lebenszeit vor dem Tod abnimmt (vgl. i-Punkt). Jüngere Studien zur gesunden Lebenserwartung in Deutschland bestätigen überwiegend die Entwicklung der Kompression von Morbidität und Verringerung des altersspezifischen Auftretens gesundheitlicher Einschränkungen.5 Doch so eindeutig wie die Entwicklung in Deutschland scheint, ist sie in anderen Industriestaaten nicht. Die Länder unterscheiden sich zum Teil erheblich. Zwei Beispiele:

Die OECD veröffentlichte 2005 Ergebnisse, nach denen in allen beobachteten 11 Staaten die fernere Lebenserwartung der 65-Jährigen gestiegen ist.6

  • In Australien ist jedoch gleichzeitig die behinderungsfreie Lebenserwartung gesunken. Die Menschen leben zwar dort länger als noch zu Beginn der 80er-Jahre, aber nicht länger gesund. Im Gegenteil: Die nicht behinderungsfreie Zeit ist sogar stärker gestiegen als die fernere Lebenserwartung. In diesem Staat ist also eine absolute Expansion der Morbidität zu beobachten. In den anderen untersuchten Staaten ist neben der ferneren Lebenserwartung auch die behinderungsfreie Lebenserwartung gestiegen. In diesen Staaten lebten die Menschen in den 90er-Jahren nicht nur länger, sondern auch länger gesünder als noch in den 70er- oder 80er-Jahren.
  • Gleichwohl ist nur in Dänemark, Deutschland und den Niederlanden die behinderungsfreie Lebenserwartung bei Männern und Frauen stärker gestiegen als die fernere Lebenserwartung. In diesen Staaten gab es eine absolute Kompression der Morbidität. Diese Entwicklung traf auch auf die Frauen in der Schweiz und Frankreich zu und auf die Männer in Finnland.
  • Gleich stark gestiegen sind die fernere Lebenserwartung und die behinderungsfreie Lebenserwartung bei den Frauen in Kanada und bei den Männern in Japan. In diesen Fällen beschreibt eine relative Kompression die Entwicklung.
  • In allen anderen Fällen, etwa in den Vereinigten Staaten oder bei den Frauen in Finnland, ist die fernere Lebenserwartung stärker gestiegen als die behinderungsfreie Lebenserwartung. Neben der behinderungsfreien Lebenserwartung nahm folglich auch die nicht behinderungsfreie Lebenserwartung zu. Mit anderen Worten: Die Menschen leben länger; gleichzeitig leben sie länger gesund und länger nicht gesund. Ungeachtet dessen, ob die behinderungsfreie Lebenserwartung stärker (zum Beispiel Frauen in Finnland und Japan), gleich stark (Männer im Vereinigten Königreich) oder weniger stark (zum Beispiel Frauen und Männer in den USA) gestiegen ist als die nicht behinderungsfreie Lebenszeit, dürfte eine relative Expansion der Morbidität die Entwicklung bestimmen.7

Eine weitere Studie der OECD bestätigt, dass sich – ähnlich wie die Lebenserwartung – auch die Gesundheit im Alter, vor allem in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts, in Europa, Nordamerika, Japan und Australien alles andere als einheitlich entwickelt hat.8 Nur in 5 der 12 beobachteten Staaten ging der Anteil 65-Jähriger und Älterer mit »schwerer Behinderung« stetig zurück: Dänemark, Finnland, Italien, Niederlande und USA. Die Entwicklung in den USA zwischen 1992 und 2003 belegt nach Cai und Lubiz sowohl die Theorie der Kompression der Morbidität als auch die Theorie des Dynamischen Gleichgewichts.9 In den anderen Staaten blieb der Anteil der Zeit mit schwerer Behinderung im Alter weitgehend unverändert: Australien, Kanada. Oder er stieg in den 90er-Jahren sogar an: Belgien, Japan, Schweden. Die Autoren vermuten allerdings, dass der Anstieg besonders bei den chronischen Erkrankungen nur zum Teil durch Veränderungen der Gesundheit bei älteren Personen bedingt ist. Zum Teil dürfte der Anstieg auch darauf zurückzuführen sein, dass die medizinischen Kenntnisse im Laufe der Zeit zugenommen haben und dass ältere Menschen immer häufiger Leistungen des Gesundheitssystems beanspruchen. Für die verbleibenden Staaten Frankreich und Vereinigtes Königreich konnten wegen methodischer Probleme keine zuverlässigen Aussagen getroffen werden.10

Das Leben in der Zukunft: Länger oder kürzer?

Welche Perspektiven zeichnen sich heute ab? Steigt die Lebenserwartung weiter oder sinkt sie? Was eintritt, hängt wesentlich davon ab, wie gesund wir in das höhere Alter kommen. Weitgehend sind sich die Demografen einig, dass die Lebenserwartung Neugeborener in den meisten Staaten von Afrika bis Europa zunehmen wird. Für einzelne Staaten liegen außerdem Vorausberechnungen zur ferneren Lebenserwartung vor, zum Beispiel für Deutschland, Italien, Österreich, Schweden und Japan. Nach diesen Berechnungen dürfte auch die fernere Lebenserwartung weiter steigen. In Deutschland wie auch im Südwesten dürften 2050 65-Jährige durchschnittlich 4 Jahre länger leben als 2009. 65-jährige Frauen hätten statt heute 22 Jahre dann 26 Jahre zu erwarten, gleichaltrige Männer statt heute 18 Jahre in 4 Jahrzehnten 22 Jahre. Immer mehr Frauen und Männer wären 80 Jahre und älter. Ihre Zahl dürfte sich bis 2050 in Deutschland fast verdreifachen, in Baden-Württemberg fast vervierfachen. Auch Italien11 rechnet mit einem Anstieg von 4 Jahren, Österreich12 sogar von 5 Jahren, Schweden13 von 2 Jahren (Frauen) und 3 Jahren (Männer). Japan, mit der derzeit längsten Lebenserwartung älterer Menschen, erwartet bei Frauen 3 Jahre mehr und bei Männern 1 Jahr mehr.14

Für Deutschland wird in Modellrechnungen zu künftigen Krankenhausbehandlungen und Pflegebedürftigen neben einer steigenden Lebenserwartung auch ein längeres gesünderes Leben der älteren Menschen mit eingeschlossen. So berücksichtigt eines der von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder veröffentlichten Szenarien, dass im gleichen zeitlichen Ausmaße wie die Lebenserwartung steigt, sich auch die altersspezifischen Gesundheitsrisiken ins höhere Alter verschieben: Nimmt die Lebenserwartung beispielsweise einer 80-jährigen Frau bis 2020 um ein Jahr zu, verschiebt sich das altersspezifische Risiko für Pflegebedürftigkeit um ein Jahr. Eine 80-Jährige hätte 2020 demnach das Pflegerisiko einer momentan 79-Jährigen.

Diese eher optimistische Einschätzung über das künftige Leben älterer Menschen begründen Forscher damit, dass die weltweit gemessene jeweils höchste Lebenserwartung der Frauen seit Mitte des 19. Jahrhunderts so gut wie konstant gewachsen sei. Außerdem seien die vorhergesagten Obergrenzen der Lebenserwartung stets kurz nach der Verkündung durchbrochen worden.15 In der Tat: Es gab noch nie so viele Hundertjährige wie heute.16

Also erwartet uns ein längeres und gesünderes Leben? Offen scheint nur noch: Wie schnell steigt die Lebenserwartung? Gibt es nach oben hin eine Grenze? Wenn ja, welches Alter kann der Mensch bestenfalls erreichen? Bislang geht die Forschung von einer maximalen Lebenserwartung von etwa 120 Jahren aus17, wenngleich die Medien immer wieder über Geburtstage von noch älteren Menschen berichten.18 Seit Menschengedenken träumen wir vom ewigen Leben oder wenigstens davon, dem Tod so lang wie möglich aus dem Wege zu gehen. Die einen: Molekularbiologen, Genetiker und Biogerontologen forschen deshalb nach Wegen, vor allem die maximale Lebensspanne zu erweitern, das Altern des Menschen zu verlangsamen oder gar aufzuhalten. Andere Forscher gehen davon aus, dass zwar die maximale Lebensspanne begrenzt sein mag, aber die Lebenserwartung der Menschen dennoch steigen dürfte. Immer mehr Menschen dürften sich der absoluten Lebensspanne annähern durch bessere Prävention und Behandlung von Krankheiten, durch Bildung und Ernährung.

Doch es gibt auch Forscher, die Wasser in diesen herrlichen Wein gießen. Die Welt ist in einem gewissen Sinne zweigeteilt: Auf der einen Seite haben rund 400 Mill. Kinder weder sauberes Trinkwasser noch ausreichende Nahrung. Auf der anderen Seite ist die rasant steigende Zahl übergewichtiger Kinder eines der gravierenden Probleme der öffentlichen Gesundheit nicht nur in Europa, sondern weltweit. Adipositas in der Kindheit ist ein Risikofaktor für Adipositas im Erwachsenenalter. Mit Adipositas erhöht sich signifikant das Risiko vieler chronischer Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes und bestimmter Krebsarten. Übergewicht und erst recht Adipositas erhöhen das Sterblichkeitsrisiko zum Teil drastisch und verkürzen das Leben. Der Alternsforscher Jay Olshansky behauptet, dass die jetzige Generation der Kinder und Jugendlichen die erste sei, die nicht so alt werde wie ihre Eltern.19 In den derzeitigen Berechnungen zur künftigen Lebenserwartung fließen die niedrigen Sterblichkeitsraten der Jungen sowie der Älteren ein. Olshansky kritisiert diese Berechnungen. Sie stützten sich auf eine Vergangenheit, in der Fettleibigkeit noch eher selten war. Diese Berechnungen würden nicht den Gesundheitszustand der Menschen berücksichtigen, die jetzt leben.

Nach Olshansky würde sich schon heute in den USA die durchschnittliche Lebenserwartung aufgrund der Folgen der Fettsucht um 4 bis 9 Monate verkürzen. Nicht viel? Tatsächlich ist der demografische Effekt der Fettleibigkeit im Durchschnitt der US-Bevölkerung damit schon größer als der sämtlicher Unfalltoter, Suizide und Morde zusammen. Und noch in der 1. Hälfte dieses Jahrhunderts könnte es in den USA dazu kommen, dass die Lebenserwartung stagniert oder sogar sinkt. Wenn immer mehr Kinder immer dicker und immer früher dicker werden, wenn Kinder bereits an Altersdiabetes leiden, dann tragen sie nicht nur früher und länger die Last der Fettleibigkeit und ihrer Risiken, sondern leben eher und damit länger mit den ausgebrochenen Krankheiten. Sie schleppen ihr erhöhtes Sterberisiko in jungen Jahren in das mittlere und höhere Alter. Olshansky kalkuliert, dass dadurch allein die Fettleibigkeit die Lebenserwartung bis zu 5 Jahren verkürzen dürfte.

Für Olshansky ist künftig eine mögliche stagnierende oder gar kürzere Lebenserwartung keine Übertreibung. Seine Aussagen zur Entwicklung der künftigen Lebenserwartung in den USA beruhen eher auf konservativen Berechnungen, die andere Faktoren außer Adipositas unberücksichtigt ließen: Zum einen wachse in den USA seit 20 Jahren die Lebenserwartung der 65-jährigen und älteren Frauen kaum noch. Die Hoffnungen auf den medizinischen Fortschritt trügen. Bislang könne er bei der Behandlung von vielen Krebsarten und Herzleiden nur geringfügig die Lebenserwartung verlängern. Im Übrigen sei auch die medizinische Behandlung von Adipositas bisher alles andere als erfolgreich. Des Weiteren kämen zu der Fettsucht unwägbare Risiken für die Bevölkerung wie die eher steigenden Gefahren von Seuchen oder Krankheiten wie Aids, aber auch andere Probleme wie die Resistenz gegenüber Antibiotika, Umweltverschmutzung, Rauchen und Stress. Die Hoffnung auf eine höhere Lebenserwartung könnte sich nach Olshanskys Auffassung rasch als Illusion entpuppen, trotz anderer positiver Einflüsse auf die Lebenserwartung, wie höhere Bildung bei jüngeren Kohorten und gesündere Verhaltensweisen in anderen Milieus bzw. Schichten der Bevölkerung. Trotzdem schließt auch Olshansky keine längere Lebenserwartung aus: Investitionen seitens des Staates und der Unternehmen in ein gesünderes Leben des Einzelnen lohnten sich. Bereits geringfügige Verbesserungen würden eine hohe Dividende für die Gesellschaft abwerfen.20

1 Siehe Oeppen, Jim/Vaupel, James W.: Broken limits to life expectancy, in: Science, Volume 296, May 10, 2002, S. 1029 ff, (Zitierweise: Oeppen/Vaupel: Broken limits to life expectancy, 2002).

2 Jagger, Carol/Gillies, Clare/Moscone, Francesco/Cambois, Emmanuelle/Oyen, Herman Van/Nusselder, Wilma/Robine, Jean-Marie: Inequalities in healthy life years in the 25 countries of the European Union in 2005: a cross-national meta-regression analysis, in: The Lancet, November 17, 2008 DOI:10.1016/S0140-6736(08)61594-9, www.thelancet.com.

3 House of Lords: Ageing: Scientific aspects, Volume I: Report, London, 2005, S. 28.

4 Kruse, Andreas/Knappe, Eckhard/Schulz-Nieswandt, Frank/Schwartz, Friedrich-Wilhelm/Wilbers, Joachim: Kostenentwicklung im Gesundheitswesen: Verursachen ältere Menschen höhere Gesundheitskosten?, Heidelberg, 2003, S. 25f. und Kruse, Andreas: Ein neues Verständnis von Alter entwickeln, in: BWGZ, Nr. 23, 2007: 918ff.

5 Siehe Zusammenfassung bei Kroll, Lars E./Lampert, Thomas/Lange, Carmen/Ziese, Thomas: Entwicklung und Einflussgrößen der gesunden Lebenserwartung, WZB Discussion papers SP I 2008-306, 2008, S. 48ff. (Zitierweise: Kroll et al.: Entwicklung und Einflussgrößen der gesunden Lebenserwartung, 2008).

6 Martins, Joaquim Oliveira/Gonand, Frédéric/Antolin, Pablo/Maisonneuve, Christine de la/ Yoo, Kwang-Yeol: The impact of ageing on demand, factor markets and growth, OECD Economics working papers No. 420, 2005, S. 33.

7 Für die USA hat sich seit Mitte der 90er-Jahre die Entwicklung wohl umgekehrt. Sie deutet auf eine absolute Kompression der gesundheitlich eingeschränkten Lebenszeit hin; Kroll et al.: Entwicklung und Einflussgrößen der gesunden Lebenserwartung, 2008, S. 46.

8 Lafortune, Gaétan/Balestat, Gaëlle: Trends in severe disability among elderly people: assessing the evidence in 12 OECD countries and the future implications. Report number 26. Paris: Organisation for Economic Cooperation and Development, 2007, S. 48.

9 Cai, Liming/Lubitz, James: Was there compression of disability for older Americans from 1992 to 2003?, in: Demography, Volume 44, Number 3, 2007, 479–495.

10 Zu den methodischen Problemen siehe in diesem Heft den Beitrag von Eggen, Bernd/Knotz, Carlo: Methodische Anmerkungen zur Lebenserwartung und Gesundheit älterer Menschen.

11 Nationales Institut für Statistik Italien

12 Statistik Austria

13 Statistics Sweden: The future population of Sweden 2006–2050, Stockholm 2008, S 68ff.

14 National Institute of Population and Social Security Research: Population Statistics of Japan 2006 bzw. 2008, Tokyo 2006 bzw. 2008.

15 Oeppen/Vaupel: Broken limits to life expectancy, 2002.

16 Maier, Heiner/Scholz, Rembrandt: Immer mehr Menschen können 105. Geburtstag feiern, in: Demografische Forschung Aus Erster Hand, Jahrgang 1/Nr. 1, 2004, S. 4, www.demografische-forschung.org.

17 Partridge, Brad/Hall, Wayne: The search for Methuselah, in: European Molecular Biology Organization, Vol 8/No 10, 2007, S. 888ff.

18 »Frau feiert 129. Geburtstag«, www.spiegel.de, 2. März 2009.

19 Olshansky, Jay S./Passaro, Douglas, J./Hershow, Ronald C. et al.: A Potential Decline in Life Expectancy in the United States in the 21st Century, in: The New England Journal of Medicine, 352, 2005, S. 1138 ff.

20 Olshansky, Jay S./Perry, Daniel/Miller, Richard A./Butler, Robert N.: In pursuit of the longevity dividend, in: The Scientist, March 2006, S. 28 ff.