:: 8/2009

Zensus 2011: Ein großes Anliegen des Finanzministeriums Baden-Württemberg

Vor nunmehr über 22 Jahren fand im früheren Bundesgebiet die letzte Volkszählung statt. Da die auf Basis ihrer Ergebnisse fortgeschriebenen Bevölkerungs- und Wohnungszahlen sowie die darauf aufbauenden Statistiken im Laufe der Jahre immer ungenauer wurden, ist eine neue Volks-, Gebäude- und Wohnungszählung (Zensus) dringend erforderlich, um verlässliche Bevölkerungszahlen und weitere Grunddaten für politische und wirtschaftliche Entscheidungen und Planungen zu erhalten. Dem Finanzministerium Baden-Württemberg – dies wird im Folgenden dargelegt – ist es ein großes Anliegen, nicht zuletzt wegen der politischen und fiskalischen Bedeutung von Einwohnerzahlen, dass der Zensus 2011, der anders als frühere Volkszählungen weitgehend registergestützt ist, qualitativ hohen Ansprüchen entspricht bzw. zu einer Erneuerung und Verbesserung der Datenlage führt, damit Fehlentscheidungen mit möglicherweise weitreichenden finanziellen Folgen vermieden werden können.

Historischer und rechtlicher Hintergrund

Am 16. Juli 2009 ist das Gesetz zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen (Zensusgesetz 2011) in Kraft getreten.1 Zusammen mit dem Zensusvorbereitungsgesetz 2011 wird damit die Vorbereitung und Durchführung des registergestützten Zensus 2011 in Deutschland geregelt. Gleichzeitig werden dadurch die Verpflichtungen aus der EU-Verordnung (EG) Nr. 763/2008 vom 9. Juli 2008 erfüllt, die Volks- und Wohnungszählungen im Jahre 2011 in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verbindlich vorschreibt.

Bei dieser EU-Verordnung mag die im Evangelium nach Lukas in Kapitel 2, Verse 1 bis 5 erwähnte Geschichte zur Geburt Jesu in den Sinn kommen, in der von einer »Schätzung« die Rede ist, die oft als »Volkszählung« interpretiert wird:

»Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und dem Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertraute Weibe, die war schwanger«.

Tatsächlich gab es im Römischen Reich seit dem 6. Jahrhundert vor Christi Geburt alle 5 Jahre Volkszählungen mit Erhebungen über die Einkünfte der römischen Bürger. Für diesen »Zensus« war der Censor, ein römischer Beamter, verantwortlich. Er legte die Höhe der Steuer fest, die jeder Bürger zu zahlen hatte und war insoweit eine sehr einflussreiche Persönlichkeit. Bei der im Lukas-Evangelium erwähnten »Schätzung« könnte es sich um den Provinzialzensus gehandelt haben, der im Jahre 6 oder 7 nach Christi Geburt unter Publius Sulpicius Quirinius in der Provinz Syria durchgeführt wurde und eine Schätzung für die Bewohner der Provinz beinhaltete, die das römische Bürgerrecht nicht besaßen. Insgesamt gesehen hatte also die bei Lukas erwähnte »Schätzung« wenig mit Statistik zu tun, vielmehr eher mit dem Aufbau einer Adressdatei, die der Weltmacht Rom ein effektives Eintreiben von Steuern ermöglichen sollte, mithin einer Registrierung der Bevölkerung zu Verwaltungszwecken.2

Gerade in dieser Hinsicht – aber natürlich auch in vielen anderen Punkten – unterscheidet sich der Zensus 2011 von der in der Bibel erwähnten Schätzung: Er dient in Deutschland allein statistischen Zwecken und wird gerade nicht zum Aufbau von Verwaltungsregistern oder deren Verbesserung genutzt. Tatsächlich ist die Verwendung von Informationen der amtlichen Statistik zur Verbesserung von Melderegisterdaten durch das sogenannte »Volkszählungsurteil« aus dem Jahre 1983 ausdrücklich ausgeschlossen.3 Auch wenn deshalb die deutsche Finanzverwaltung vom Zensus 2011 keinerlei Hinweise zur Verbesserung ihrer eigenen konkreten Verwaltungsdateien erhalten kann, hat das Finanzministerium Baden-Württemberg dennoch ein erhebliches Interesse an einer reibungslosen Durchführung und an qualitativ guten Ergebnissen des Zensus 2011.

Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren

Der Verabschiedung des Zensusgesetzes 2011 gingen intensive und umfangreiche Beratungen im Gesetzgebungsverfahren voraus. So hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 13. Februar 2009 insgesamt 47 Anträge zum Gesetzentwurf der Bundesregierung gestellt, die im Wesentlichen auf Verbesserungen bei der Erhebung, Durchführung und Ergebnisqualität des Zensus ausgerichtet waren.4 Fast alle dieser Anträge wurden von den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gemeinsam gestellt und seitens Baden-Württembergs vom Finanzministerium zusammen mit dem Statistischen Landesamt ausgearbeitet.

Darüber hinaus gab es weitere Aktivitäten:

  • Vor der Behandlung dieser Anträge im Bundestag hat sich Finanzminister Willi Stächele mit einem Schreiben an die baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten gewandt und für die qualitative Verbesserung des Zensus geworben;
  • vor der abschließenden Behandlung im Bundestag hat Frau Ministerialdirektorin Dr. Gisela Meister-Scheufelen in einer Arbeitsgruppe mit Staatssekretären der Bundesministerien des Innern und der Finanzen sowie Ministern bzw. Staatssekretären der Länder Sachsen, Berlin, Sachsen-Anhalt, Hessen und Baden-Württemberg einen Kompromiss zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Länder und Gemeinden erarbeitet;
  • außerdem fanden verschiedene Gespräche von Mitarbeitern des Statistischen Landesamts und des Finanzministeriums mit Vertretern der Bundesseite statt.

Am Ende haben sich Bundesregierung und Bundestag bereit erklärt, die Länder bei der Vorbereitung und Durchführung des Zensus 2011 finanziell zu unterstützen und Veränderungen im Gesetzestext in Bezug auf Erhebung, Durchführung und Methodik aufzunehmen. Das Zensusgesetz 2011 wurde am 24. April 2009 vom Bundestag beschlossen, am 15. Mai 2009 hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt.

Finanzministerium unterstützt Zensus

Woher rührt das besondere Engagement des Finanzministeriums Baden-Württemberg im Rahmen des Zensus 2011? Hierfür gibt es im Wesentlichen vier Gründe:

1. Dienstaufsicht durch das Finanzministerium

Während in den meisten anderen Ländern, wie auch im Bund, das Innenministerium Dienstaufsichtsbehörde für das statistische Amt ist, liegt diese Verantwortung in Baden-Württemberg traditionell beim Finanzministerium. Dies hängt damit zusammen, dass das Statistisch-Topographische Bureau des Königsreichs Württemberg 1821, nicht zuletzt wegen des besonderen Interesses des damaligen Finanzministers Ferdinand Heinrich August von Weckherlin an statistischen Daten, dem Finanzministerium zugeordnet wurde.

Das Finanzministerium ist also in Baden-Württemberg das für die amtliche Statistik zuständige Ressort und deshalb im Gesetzgebungsverfahren, das heißt für die Formulierung von Bundesratsanliegen und die Verhandlungen mit der Bundesseite, das hauptsächlich verantwortliche Ministerium.

2. Bedeutung der amtlichen Einwohnerzahl für finanzrelevante Gesetze

Darüber hinaus hat das Finanzministerium ein vitales Interesse an einer hohen Qualität der Zensusergebnisse. Zum einen stellt der Zensus, wie alle anderen amtlichen Statistiken, wichtige Basisdaten und Informationen zur Verfügung, hier für sozioökonomische Strukturanalysen, und bildet so die Grundlage einer qualifizierten Politikberatung. Zum anderen haben die Zensusergebnisse durch die Neufeststellung der amtlichen Einwohnerzahl zum Stichtag 9. Mai 2011, die überdies als Basis für die Fortschreibung der Bevölkerungszahlen in jeder Gemeinde bis zum nächsten Zensus dient, auch eine unmittelbare politische und letztlich fiskalische Relevanz: In Deutschland ist die amtliche Einwohnerzahl eine bedeutsame Größe für rund 50 Gesetze, darunter auch für den Länderfinanzausgleich und den kommunalen Finanzausgleich. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass im Rahmen des Länderfinanzausgleichs derzeit ein baden-württembergischer Einwohner etwa 2 000 Euro pro Jahr »wert« ist, im kommunalen Finanzausgleich Baden-Württembergs sind es im Durchschnitt rund 700 Euro pro Jahr.

Diese fiskalische Bedeutung erhält insoweit eine besondere Brisanz, als infolge der Zensusergebnisse mit einer erheblichen Verminderung der amtlichen Einwohnerzahl gerechnet werden muss. Nach Schätzungen der amtlichen Statistik aufgrund der Resultate des Zensustests 2001 und weiterer Informationen wird bundesweit mit einer Verringerung von mindestens 1,3 Mill. Einwohner gerechnet. Dies entspricht ungefähr der Einwohnerzahl der bayerischen Landeshauptstadt München bzw. mehr als der doppelten Einwohnerzahl der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart.

Baden-Württemberg dürfte von diesen Bevölkerungseinbußen aufgrund seiner besonders ausgeprägten Wanderungsverflechtung überdurchschnittlich stark betroffen sein, weil umfangreiche Bevölkerungszu- und -fortzüge eine wesentliche Ursache für Fehler in den Melderegistern und damit auch in der Bevölkerungsfortschreibung darstellen. Es war deshalb von Anfang an ein besonderes Anliegen des Finanzministeriums Baden-Württemberg, nicht zuletzt im Interesse aller Gemeinden des Landes qualitativ hochwertige Einwohnerzahlen zu ermitteln und ein einheitliches Vorgehen in allen Ländern zu gewährleisten.

3. Zensusergebnisse und Haushaltspolitik

Über die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl hinaus liefert der Zensus 2011 wichtige sozioökonomische Daten, die sich in folgende Bereiche untergliedern lassen:

  • Demografische und geografische Merkmale wie Geschlecht, Alter, Familienstand und Staatsangehörigkeit der Bevölkerung, ebenso Geburtsort, üblicher Aufenthaltsort und weitere geografische Merkmale zum Beispiel zur Erfassung des Migrationshintergrunds von zugewanderten Menschen.
  • Erwerbs- und bildungsstatistische Merkmale wie aktueller Erwerbsstatus (erwerbstätig, erwerbslos, Nicht-Erwerbsperson), ausgeübter Beruf, Stellung im Beruf, Wirtschaftszweig sowie Arbeitsort erwerbstätiger Menschen, außerdem höchster allgemeiner und beruflicher Bildungsabschluss und praktische Berufsausbildung.
  • Haushalts- und familienstatistische Merkmale wie Wohnbesitzverhältnisse bzw. Haushalts- und Familiendaten, also Haushaltsgröße, Haushaltstyp, Stellung in der Familie oder Familientyp.
  • Gebäude- und wohnungsstatistische Merkmale im Rahmen einer Gebäude- und Wohnungszählung wie Art des Gebäudes (zum Beispiel freistehendes Haus, Reihenhaus), Gebäudetyp, Heizungsart und Baujahr des Gebäudes, für Wohnungen die Wohnfläche und die Zahl der Räume, die sanitäre Ausstattung sowie die Nutzung der Wohnung als Eigentümer oder Mieter.

Viele dieser Daten sind von erheblicher Bedeutung für kommunal- und landesplanerische Zwecke, sie können eventuell sogar zu einer Neuausrichtung der Politik führen. Beispielsweise wurden bei der letzten Volkszählung 1987 für das damalige Bundesgebiet deutlich weniger Wohnungen festgestellt als durch die Wohnungsfortschreibung ermittelt. Dies hat Ende der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts unter anderem zum Auflegen weiterer Wohnbaufördermaßnahmen durch die Landesregierung geführt. Neue Strukturdaten können also durchaus Anlass zu einer Änderung der Politik geben und haben dann auch Auswirkungen auf den Landeshaushalt, also das Finanzministerium als Haushaltsministerium.

4. Finanzierung des Projekts

Schließlich ist das Finanzministerium Baden-Württemberg – wie auch die Finanzressorts des Bundes und der anderen Länder – gefordert, wenn es um die Bereitstellung von finanziellen Mitteln zur Vorbereitung und Durchführung des Zensus geht. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Zensus 2011 nicht mehr als klassische Volkszählung wie noch in den Jahren 1950, 1961, 1970 und 1987 – für das frühere Bundesgebiet – mit der Befragung jedes einzelnen Privathaushalts ausgestaltet ist, vielmehr registergestützt und dadurch mit einem relativ geringeren Aufwand verbunden ist.

Der registergestützte Zensus nutzt in weiten Teilen bereits vorhandene statistische Quellen, so durch Auswertung der kommunalen Melderegister sowie von Daten der Bundesagentur für Arbeit bzw. Dateien zum Personalbestand der öffentlichen Hand. Außerdem werden etwa 10 % der privaten Haushalte über eine Stichprobe befragt; mit den entsprechenden Ergebnissen sollen die Qualität der aus Registern gewonnenen Daten gesichert und ergänzende, nicht in Registern vorliegende Merkmale wie etwa zum Bildungsabschluss erhoben werden. Zusätzlich werden alle Gebäude- und Wohnungseigentümer im Rahmen einer Gebäude- und Wohnungszählung postalisch befragt. Die Zusammenführung der einzelnen Personen zu Haushalten wird schließlich durch ein maschinelles Verfahren im Rahmen einer Haushaltegenerierung ermittelt. Das Zusammenwirken der einzelnen Elemente geht in generalisierender Form aus der Übersicht hervor.

Dieser Paradigmenwechsel im methodischen Vorgehen bedeutet, dass über den registergestützten Zensus insgesamt voraussichtlich nur jeder 3. Bürger befragt wird und eine medienbruchfreie Datenübermittlung von den Auskunftsgebenden zu den statistischen Ämtern in großem Umfang genutzt werden kann. Während also bei einer traditionellen Volkszählung Daten von über 82 Mill. Bürgern durch Interview oder Zählung vor Ort erhoben werden müssten, erstreckt sich die Befragung des registergestützten Zensus 2011 lediglich auf gut 27 Mill. Bürger. Der finanzielle Aufwand ist nach aktuellen Schätzungen mit gut 750 Mill. Euro deutlich niedriger, als er im Rahmen einer traditionellen Volkszählung gewesen wäre.

Rund neun Zehntel der gesamten Kosten des Zensus 2011 werden auf die Länder und Kommunen entfallen, in Baden-Württemberg also gut 80 Mill. Euro. Der Staatshaushalt wird damit in den Jahren 2007 bis 2014 in einer entsprechenden Größenordnung belastet, zumal das Land nach dem Konnexitätsprinzip auch die Kosten der Kommunen übernehmen wird. Für das Finanzministerium als Haushaltsministerium ist es deshalb erfreulich, dass sich der Bund – wie bei früheren Volkszählungen – auf freiwilliger Basis an den Kosten der Länder mit insgesamt 250 Mill. Euro beteiligen wird.

Ausblick

Mit dem Zensusgesetz und dem Zensusvorbereitungsgesetz auf Bundesebene sowie den noch zu erarbeitenden landesrechtlichen Regelungen zur Umsetzung im Land sind die Voraussetzungen für die konkreten Arbeiten am Zensus 2011 geschaffen. Das Finanzministerium wird weiter in enger Zusammenarbeit mit dem Statistischen Landesamt sowie den Dienstaufsichtsbehörden des Bundes und der anderen Länder für eine qualitativ gute Durchführung des Zensus Sorge tragen.

1 BGBl. I 2009, Nr. 40, S. 1781 – 1792.

2 Vgl. auch Wiegert, Rolf: Der Zensus – Zu Tradition und Moderne, in: Statistik und Informationsmanagement, Heft 10/1999, S. 24.

3 BVerfGE 65,1 vom 15. Dezember 1983.

4 Drucksache 3/09 (Beschluss).