:: 9/2009

Vorausberechnung der Pflegebedürftigen und des Pflegepersonals in Baden-Württemberg

Die Zahl der Pflegebedürftigen könnte allein aus demografischen Gründen von heute 237 000 um 121 000 zunehmen und im Jahr 2031 auf fast 358 000 steigen. Dies wäre ein Anstieg von 51 %, der sich unter der Voraussetzung ergibt, dass sich die Pflegerisiken in den einzelnen Altersgruppen künftig nicht wesentlich verändern. Ausgehend von der Zahl der hochgerechneten Pflegebedürftigen, die von ambulanten und stationären Einrichtungen versorgt werden, kann auch auf den wahrscheinlichen zukünftigen Bedarf an Pflegekräften geschlossen werden. Um den vorausberechneten Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen zu bewältigen, würden ca. 60 000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden.

Das Statistische Landesamt hat die Zahl der Pflegebedürftigen nach der Pflegeart sowie die Anzahl des notwendigen Pflegepersonals bis 2031 nach den Ergebnissen der Pflegestatistik von 2007 vorausberechnet. Neben der herkömmlichen Art der Berechnung nach aktuellen Pflegerisiken (Status quo) wurde eine Alternativrechnung unter Berücksichtigung der aus den bisherigen Erhebungen festgestellten Trends vorgenommen.

Zahl der 60-Jährigen und Älteren wird voraussichtlich um 45 % ansteigen

Grundlage der Vorausberechnungen ist die demografische Entwicklung, wonach die Zahl der 60-Jährigen und Älteren bis 2031 in Baden-Württemberg um 1,1 Mill. zunehmen und auf 3,7 Mill. Menschen steigen könnte. Dies wäre eine Steigerung von 45 %. Die Zahl der 90-Jährigen und Älteren könnte danach sogar um rund 119 000 auf 190 000 Menschen, das heißt um 168 % ansteigen.

Aufgrund der gleichbleibend niedrigen Geburtenrate und der inzwischen deutlich geringeren Zuwanderungen geht das Statistische Landesamt bei seiner derzeit aktuellen Bevölkerungsvorausrechnung davon aus, dass die Bevölkerung in Baden-Württemberg bereits ab 2012 leicht abnehmen könnte. Während die Zahl der Kinder und Jugendlichen stark zurückgeht und auch mit einem Rückgang der Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter zu rechnen ist, steigt die Zahl der älteren Menschen dagegen stark an. Die Bevölkerungsvorausrechnung zeigt, dass bei den Männern der Anteil der über 60-Jährigen stärker zunimmt als bei den Frauen, da die Kriegsverluste bei den Männern fast vollständig überwunden sind. Der Anteil der Männer im Alter von 60 Jahren und älter, gemessen an der gesamten männlichen Bevölkerung, könnte bis 2031 von jetzt 21 % auf 34 % zunehmen, während der entsprechende Anteil bei den Frauen von etwa 26 % auf 37 % steigen dürfte.

Ergebnisse der Status-quo-Modellrechnung

Wenn sich das Pflegerisiko für die einzelnen Altersgruppen künftig nicht wesentlich verändern sollte, könnte die Zahl der Pflegebedürftigen allein aus demografischen Gründen von heute 237 000 um 121 000 zunehmen und im Jahr 2031 auf fast 358 000 steigen. Dies wäre ein Anstieg von 51 %. Dabei würde die Zahl der pflegebedürftigen Frauen bis 2031 um 44 % steigen, die der männlichen Pflegebedürftigen sogar um 65 %. Der höhere prozentuale Zuwachs bei den männlichen Pflegebedürftigen erklärt sich daraus, dass bei der männlichen Bevölkerung die Altersjahrgänge der über 75-Jährigen mit hohem Pflegerisiko aufgrund der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs schwächer besetzt sind. In der Zukunft spielt dies aber keine Rolle mehr.

Pflegerisiko: Ab- oder Zunahme? Die Trendvariante

Aus den vorliegenden Ergebnissen der vergangenen 5 Erhebungen der Pflegestatistik seit 1999 können zwar noch keine längerfristigen Entwicklungen abgeleitet werden. In der Tendenz wird jedoch bei der Analyse der Pflegewahrscheinlichkeiten durchaus erkennbar, dass sie bis 2007 insgesamt leicht gesunken sind.

Ein wesentlicher Aspekt, der die Zahl der Pflegebedürftigen künftig beeinflussen kann, ist der Anstieg der Lebenserwartung. Steigt die Lebenserwartung noch weiter, könnte dies unterschiedliche Folgen für das Pflegerisiko haben. Entweder erhöht sich das Pflegerisiko, weil die Menschen zwar Lebensjahre hinzugewinnen, sich aber nur die Krankheits- und Pflegezeiten verlängern. Oder die längere Lebensspanne könnte dazu führen, dass sich die Krankheits- und Pflegejahre hinausschieben und die Menschen mit der Verlängerung der Lebenszeit relativ gesunde Jahre hinzugewinnen. Die Ergebnisse der bisher vorliegenden Erhebungen der Pflegestatistik sprechen viel mehr für die zweite These. Wie sich der Anteil der gesunden Jahre an der hinzugewonnenen Lebenszeit insgesamt entwickeln wird, kann aus der Pflegestatistik nicht abgeschätzt werden.

Wenn man in einer alternativen Modellrechnung den sinkenden Trend der Pflegehäufigkeiten zwischen 1999 und 2007 in die Zukunft fortschreibt, so fällt der Zuwachs der Zahl der Pflegebedürftigen etwas geringer aus. Bis 2031 würde diese Zahl auf rund 315 000 Personen ansteigen. Die tatsächliche Entwicklung kann mithilfe der beiden verwendeten Methoden nicht punktgenau bestimmt werden. Die in Schaubild 1 dargestellten alternativen Verläufe sollten deshalb nicht absolut sondern als Ober- und Untergrenzen einer wahrscheinlichen Entwicklung interpretiert werden. Es steht außer Zweifel, dass der medizinische Fortschritt und gesellschaftliche Veränderungen auf die Pflegewahrscheinlichkeiten und die benötigte Pflegeart Einflüsse haben werden, deren Ausmaße nicht vorausberechnet werden können. Demzufolge lässt sich auch die Zahl der Pflegebedürftigen für ein bestimmtes Jahr in der Zukunft nicht genau »vorhersagen«. Die Berechnungen sind jedoch dazu geeignet einen Korridor aufzuzeigen, in dem sich die Zahl der Pflegebedürftigen mit großer Wahrscheinlichkeit bewegen wird.

An dieser Stelle ist auch zu bedenken, dass Baden-Württemberg mit 2,2 % bundesweit die niedrigste Pflegequote (bezogen auf die Bevölkerung) aufweist. Der Bundesdurchschnitt beträgt 2,7 %; in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern liegt die Pflegequote mit 3,4 % deutlich über diesem Wert.

Professionelle Pflege wohl auch in der Zukunft gefragt

Der Trend hin zur professionellen Pflege in Pflegeheimen und zur Pflege durch ambulante Pflegedienste wird sich wohl auch in die Zukunft hinein fortsetzen. Die Zahl der Pflegegeldempfänger könnte nach der Status-quo-Modellrechnung auf 147 000, das heißt um knapp 38 % steigen, die Zahl der ambulant Gepflegten auf 75 000 und damit um gut 61 % und die der stationär Gepflegten auf 136 000 und damit um fast 62 %. Es fällt auf, dass die Anzahl der von Angehörigen Gepflegten (Pflegegeldempfänger) vergleichsweise schwächer zunimmt als die Zahl der ambulant und stationär Gepflegten. Dies erklärt sich daraus, dass sich die Familienstrukturen weiter verändern werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Pflege durch Familienangehörige immer weniger gewährleistet werden kann. Die Zahl der für die häusliche Pflege infrage kommenden Kinder (zumeist Töchter und Schwiegertöchter) nimmt aus den geburtenstarken Jahrgängen heraus zwar zu; aber eben weniger stark als die Zahl der Pflegebedürftigen. Hinzu kommt, dass auch die Frauenerwerbstätigkeit ansteigt und die Anforderungen an die Erwerbstätigen, beruflich mobil zu sein, weiter wachsen. Die steigende berufliche Mobilität führt dazu, dass der Wohnort der pflegebedürftigen Eltern und der Lebensmittelpunkt der Kinder räumlich auseinanderfallen, wodurch das private Pflegepotenzial abnimmt.

Folgen für den Bedarf an Pflegepersonal

Ausgehend von der Zahl der hochgerechneten Pflegebedürftigen, die von ambulanten und stationären Einrichtungen versorgt werden, kann auch auf den wahrscheinlichen zukünftigen Bedarf an Pflegekräften geschlossen werden. Je nach der verwendeten Alternative liegt der zusätzliche Bedarf an Pflegekräften zwischen 60 000 und 89 000 Personen. Die Modellrechnung zur Berechnung der Zahl der Pflegepersonen stützt sich zum einen auf die beiden vorgestellten Modelle zur Berechnung der Zahl der Pflegebedürftigen und zum anderen darauf, dass sich das Verhältnis von Pflegebedürftigen zu Pflegepersonen bis 2031 nicht wesentlich ändert. Dann würde sich bis 2031 der Bedarf an Pflegekräften und sonstigem Pflegepersonal um 62 % bzw. 91 % erhöhen und läge dann bei 158 000 bis 187 000 Personen.

Problematisch an dieser Berechnung ist allerdings die Entwicklung der Zahl der Pflegegeldempfänger, also der Menschen, die zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt werden. Bedingt durch die sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen ist damit zu rechnen, dass das häusliche Pflegepotenzial weiter abnimmt. Dadurch wird die professionelle Pflege stärker zunehmen und damit auch der hierfür notwendige Personalbedarf. Ob der festgestellte Trend von der Pflege zu Hause hin zur professionellen Pflege in der stationären Einrichtung tatsächlich in der festgestellten Geschwindigkeit weitergehen wird oder sich eher wieder abschwächt, kann kaum vorausberechnet werden.