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Entwicklung der Wohnflächenversorgung in den Städten und Gemeinden Baden-Württembergs

Wie hat sich die Wohnfläche je Einwohner in den Kommunen Baden-Württembergs in den letzten 10 Jahren entwickelt? Welche Faktoren beeinflussten diese Entwicklung? Der wichtigste Einflussfaktor ist die Bevölkerungsentwicklung. Rückläufige Bevölkerungszahlen führen meist zu deutlich zunehmenden Wohnflächen je Einwohner, da die Wohnfläche auch in diesen Gemeinden wächst. Diese Entwicklung kann dazu führen, dass Leerstände entstehen, die sich aufgrund der Berechnungsmethodik auch auf den Indikator »Wohnfläche je Einwohner auswirken«, ohne dass sich die tatsächliche Wohnflächenversorgung der verbliebenen Bevölkerung ändert. Um diese und andere Wirkmechanismen aufzudecken, wird im Folgenden auf die Datengrundlage, Berechnung und Aussagekraft des Indikators »Wohnfläche je Einwohner« eingegangen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, damit die Verantwortlichen in Städten und Gemeinden kompetente und auf die Situation vor Ort zugeschnittene Entscheidungen treffen können.

Wohnflächen je Einwohner wachsen mit zunehmender Dynamik

Jedem Einwohner Baden-Württembergs stand im Jahr 2008 rein rechnerisch eine Wohnfläche von 42,4 m² zur Verfügung. Im letzten Jahrzehnt stieg die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf um insgesamt 2,9 m² an. In der ersten Hälfte des Betrachtungszeitraums – in den Jahren 1998 bis 2003 – erhöhte sie sich um 1,3 m², von 2003 bis 2008 um 1,6 m². Das Wachstum der Pro-Kopf-Wohnflächen nahm trotz abnehmender Bautätigkeit zu, da die Bevölkerungszahl in den zurückliegenden Jahren langsamer gewachsen ist als zu Anfang des Jahrzehnts. Die Bevölkerungszahl ist von 1998 bis 2003 noch um 2,6 % gestiegen, von 2003 bis 2008 nur noch um 0,5 %. In den gleichen Zeiträumen wuchs die zur Verfügung stehende Wohnfläche um 5,9 % bzw. 4,4 %.

Auf individueller Ebene wird die verfügbare Pro-Kopf-Wohnfläche hauptsächlich von der Zahl der Haushaltsmitglieder und dem verfügbaren Einkommen beeinflusst. Familien haben zwar durchschnittlich größere Wohnungen als Singles oder Paare, ihre Pro-Kopf-Wohnfläche ist jedoch deutlich geringer. So stehen Einpersonenhaushalten doppelt so viel Pro-Kopf-Wohnfläche zur Verfügung als Vierpersonenhaushalten1.

Erklärende Faktoren für das Wachstum der Wohnflächen je Einwohner

Es lassen sich drei Entwicklungen unterscheiden, die für die Zunahme der Wohnflächen pro Kopf verantwortlich sind:

  1. Die Neubauwohnungen wurden in der ersten Hälfte der letzten 10 Jahre deutlich größer. Die durchschnittliche Größe einer Neubauwohnung ist von 1998 bis 2003 von 97 m² auf 117 m² angewachsen und hat sich seither auf diesem Niveau stabilisiert. Die größten Wohnungen, mit durchschnittlich 136 m², wurden 2008 in Gemeinden mit weniger als 2 000 Einwohnern gebaut – über 98 % davon sind Ein- und Zweifamilienhäuser. Die kleinsten Wohnungen mit durchschnittlich 97 m² in den Städten mit 100 000 bis 250 000 Einwohnern. Der Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern beträgt dort nur 78 %.
  2. Die Pro-Kopf-Wohnflächen nehmen auch im Bestand zu, da die durchschnittliche Zahl der Bewohner je Wohnung rückläufig ist. Die Belegungsdichte, die die durchschnittliche Zahl der Personen in einer Wohnung widerspiegelt, lag 1950 noch bei 4,5 Personen je Wohnung. Sie hat sich bis 1998 auf 2,3 reduziert und ist mittlerweile auf nur noch 2,2 zurückgegangen2.
  3. Bei der dritten Entwicklung verändert sich die bewohnte Wohnfläche faktisch nicht, die errechneten Pro-Kopf-Wohnflächen steigen aber ebenfalls an. Das ist der Fall, wenn sich die Leerstände im Wohnungsbestand erhöhen, also die nicht bewohnten Wohnflächen zunehmen. Dies führt zu einer systematischen Überschätzung der (bewohnten) Pro-Kopf-Wohnflächen3. Die Bedeutung dieses Effektes ist regional sehr unterschiedlich. Da der amtlichen Statistik für die Kommunen keine aktuellen Informationen über die Leerstände vorliegen, kann der Einfluss nicht herausgerechnet werden. Ein Hinweis auf die zunehmende Bedeutung der Leerstände lässt sich aus der Mikrozensus Zusatzerhebung ableiten, die in 4-jährigem Rhythmus und letztmals 2006 durchgeführt wurde4. Demnach sind die Leerstände landesweit von 1998 bis 2006 von 6,5 % auf 7,0 % gestiegen5. Die regionalen Unterschiede dürften erheblich sein. Dazu liegen jedoch erst nach der Auswertung des Zensus 2011 genauere Ergebnisse vor6.

Diese ersten beiden Entwicklungen – größere Neubauwohnungen und geringere Belegungsdichte – führten dazu, dass die Wohnsituation für die Bevölkerung im Durchschnitt großzügiger wurde.

Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass der Indikator Wohnfläche je Einwohner ein rein quantitatives Maß ist, das nichts über die Qualität der Wohnung aussagt oder darüber, ob es sich überhaupt um eine bewohnbare Wohnung handelt. Auch wird kein Bezug zu den Wohnwünschen der Wohnungsinhaber hergestellt. Die Daten sagen nichts darüber aus, ob die Bewohner mit der Größe der ihnen zur Verfügung stehenden Wohnung zufrieden sind oder ob sie ihnen zu klein oder gar zu groß ist. So wohnen zum Beispiel ältere Paare oder Singles in großen Wohnungen oder Eigenheimen, die für den Bedarf der Familie konzipiert waren, nach dem Auszug der Kinder nur noch zu zweit oder nach Trennung und Tod des Partners sogar alleine. Alle diese Faktoren machen es notwendig, weitere Indikatoren heranzuziehen, will man die Wohnsituation in einer Gemeinde angemessen beurteilen.

Die Wohnfläche je Einwohner ist in kleinen Gemeinden am größten

Die Wohnflächen je Einwohner sind in den Gemeinden Baden-Württembergs sehr verschieden. Grundsätzlich gilt, dass die Pro-Kopf-Wohnfläche in kleinen Gemeinden höher ist als in großen. In Gemeinden mit weniger als 2 000 Einwohnern liegt sie mit 46,5 m² mehr als 4 m² über dem Landesdurchschnitt, in Gemeinden ab 50 000 Einwohnern ist sie unterdurchschnittlich. In den Großstädten mit 250 000 und mehr Einwohnern beträgt sie lediglich 38,3 m² pro Kopf. Ebenfalls zeigt sich: Je dichter ein Gebiet besiedelt ist, desto geringer sind die Wohnflächen je Einwohner. Auch hohe Baulandpreise wirken sich im Durchschnitt negativ auf die Pro-Kopf-Wohnfläche aus. Keiner dieser Zusammenhänge ist jedoch besonders eng7.

Im Schaubild ist in den Flächen die Bevölkerungsdichte in den Gemeinden Baden-Württembergs visualisiert. Je dunkler die Flächen, desto mehr Menschen leben auf einem km². Die Größe der Punkte hingegen gibt über die verfügbaren Pro-Kopf-Wohnflächen in den Gemeinden Auskunft. Je größer der Punkt, desto mehr Wohnfläche steht rein rechnerisch je Einwohner zur Verfügung. Die Analyse der Karte zeigt, dass die Wohnflächen in Ballungsräumen (dunkelblau, steht für 400 und mehr Einwohner pro km²) fast durchweg unter 42 m² pro Person liegen. Am Rande der Ballungsgebiete gibt es meist einen Gürtel mit Gemeinden, die eine mittlere Bevölkerungsdichte und überdurchschnittliche Pro-Kopf-Wohnflächen aufweisen. In der Region Rhein-Neckar reichen die Gemeinden mit mittleren und gehobenen Wohnflächen direkt an die Stadtkreise Mannheim und Heidelberg heran, wohingegen sich um den Stadtkreis Stuttgart noch ein Gürtel weiterer Gemeinden mit hoher Bevölkerungsdichte und kleinen Wohnflächen zieht. Große Wohnflächen finden sich auch in den dicht besiedelten Gemeinden am Bodenseeufer im Bodenseekreis – hier vermutlich auch aufgrund hoher Anteile an Zweitwohnsitzen und Ferienwohnungen – und in vielen ländlichen Gebieten.

Heterogene Entwicklungen in den ländlichen Gemeinden im Land

Besonders heterogen, bezogen auf die Pro-Kopf-Wohnflächen, sind die Gemeinden mit ganz geringer Bevölkerungsdichte (unter 100 Einwohner pro km²). Ein Typ dieser Gemeinden ist gekennzeichnet durch eine positive Bevölkerungsentwicklung und geringe Pro-Kopf-Wohnflächen. Ein typischer Vertreter dieses Entwicklungstyps ist die Gemeinde Wörnersberg im Schwarzwald im Landkreis Freudenstadt gelegen. Durch die Zunahme der Bevölkerungszahl hat hier die Wohnfläche je Einwohner von 2003 bis 2008 sogar um 1,5 m² auf 36,5 m² abgenommen. Dies ist jedoch ein Ausnahmefall. In der Regel steigt die Wohnfläche auch in Gemeinden mit geringer Wohnfläche pro Kopf und positiver Bevölkerungsentwicklung leicht an. Durch die niedrigen Ausgangswerte und unterdurchschnittliche Zuwachsraten, bleibt die Pro-Kopf-Wohnfläche jedoch niedrig.

Ein weiterer Typ ländlicher Gemeinden zeichnet sich durch große Pro-Kopf-Wohnflächen aus. Diese kamen in den meisten Fällen auch durch rückläufige Einwohnerzahlen zustande. Die größte Pro-Kopf-Wohnfläche dieses Gemeindetyps – und aller Gemeinden überhaupt – zeichnet die Gemeinde Emeringen im Alb-Donau-Kreis aus (knapp 70 m² pro Person) 8. Während dort die Einwohnerzahl in den letzten 10 Jahren um knapp ein Fünftel zurückgegangen ist, ist die Wohnfläche um knapp 16 % gestiegen. Dadurch hat sich die Wohnfläche je Einwohner um knapp 20 % erhöht. Der Bevölkerungsrückgang ist sowohl durch eine größere Ab- als Zuwanderung, also einen negativen Wanderungssaldo als auch durch mehr Todesfälle als Geburten – in der Fachsprache der Statistik als negativer Geburtensaldo bezeichnet – bedingt. Wie in vielen ländlichen Gemeinden üblich, erfolgt die Abwanderung vorwiegend in der Altersgruppe der 18-bis 25-Jährigen. In den darüberliegenden Altersgruppen – bis zum Alter von 65 Jahren – überwiegt die Zuwanderung. Häufig erfolgt Zuwanderung in kleinen Gemeinden in ein neu gebautes Einfamilienhaus. So dürfte es auch in Emeringen sein, mit einem Einfamilienhausanteil von über 80 %9.

Da die Zahl der Haushalte im Land zunimmt, was im Gegenzug bedeutet, dass weniger Personen gemeinsam in einer Wohnung wohnen, führen rückläufige Bevölkerungszahlen nicht zwangsläufig zu leer stehenden Wohnungen. Ist die Diskrepanz zwischen der Bevölkerungs- und Wohnungsentwicklung jedoch sehr deutlich, sind Leerstände wahrscheinlich. Dies erfordert eine genaue Betrachtung der Situation vor Ort.

Nur wenige Kilometer von Emeringen entfernt, ebenfalls im Alb-Donau-Kreis, liegt Untermachtal. Untermarchtal ist die Gemeinde mit der kleinsten Wohnfläche je Einwohner in Baden-Württemberg. Für die niedrige Pro-Kopf-Wohnfläche in Untermarchtal (31,4 m²) ist das Kloster Untermarchtal ursächlich10. Auch hier findet sich die typische Abwanderung zwischen 18 und 25 Jahren, die aber in diesem Fall durch eine sehr hohe Zuwanderung der 75-Jährigen und Älteren überkompensiert wird. Die Zuwanderung in dieser Altersgruppe erfolgt überwiegend in ein dem Kloster angeschlossenes Altersheim mit entsprechend kleinen Wohneinheiten. Die geringe Pro-Kopf-Wohnfläche wird hier vermutlich nicht als Mangel, sondern als bedarfsgerecht erlebt. Dies macht deutlich, dass der Indikator »Pro-Kopf-Wohnfläche« differenziert betrachtet werden muss und stark von den Besonderheiten vor Ort geprägt wird. Die verfügbaren Pro-Kopf-Wohnflächen liefern nur in Verbindung mit einer Kenntnis der Situation vor Ort aufschlussreiche Hinweise über die Wohnsituation der Bevölkerung. Sie sind aber, wie an den Beispielen gezeigt wurde, nicht immer geeignet, um daraus unmittelbar Aussagen über den Wohnungsbedarf abzuleiten.

Detailliertere Aussagen zum voraussichtlichen Wohnungsbedarf in den Kommunen werden voraussichtlich Ende des Jahres vorliegen. Die Berechnungen des Wohnungsbedarfs werden auf der aktualisierten regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung aufbauen, die derzeit im Statistischen Landesamt erarbeitet und im 1. Quartal 2010 vorliegen wird.

1 Diese Aussage ist nicht durch die Baustatistik, sondern durch eine Zusatzerhebung des Mikrozensus 2006 zur »Wohnsituation der Bevölkerung« belegbar. Die Werte aus diesen beiden Datenquellen sind nicht direkt miteinander vergleichbar, da sie auf unterschiedlichen Datenquellen basieren. Vgl. Schmidt, Sabine: »Wohnsituation in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2008«. Zur Datengrundlage und Vergleichbarkeit siehe auch i-Punkt.

2 Eine durchgehende Zeitreihe findet sich unter den Indikatoren im Internetangebot des Statistischen Landesamtes

3 Die Pro-Kopf-Wohnfläche wird errechnet, indem die Gesamtwohnfläche in Wohn- und Nichtwohngebäuden, die entsprechend der Fortschreibung des Gebäude- und Wohnungsbestandes in einer Kommune bestehen, durch die Zahl der gemeldeten Einwohner aus der Bevölkerungsfortschreibung geteilt wird (vgl. auch i-Punkt).

4 Vgl. i-Punkt Absatz 2.

5 Für einen funktionierenden Wohnungsmarkt ist ein gewisses Maß an Leerstand erforderlich, die sogenannte Fluktuationsreserve. Ihre Mindestgröße ist umstritten. Sie wird von einem bis zu 6 % angenommen (vgl. Schmidt, Heike: »Jedem Haushalt eine Wohnung!«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 12/2006«.

6 Der Zensus beinhaltet eine Bestandsaufnahme sämtlicher Gebäude in Deutschland. Er dient unter anderem zur Korrektur der Bau- und Bevölkerungsstatistik. Nähere Informationen finden Sie unter www.zensus2011.de.

7 Die Bevölkerungsdichte ist der wichtigste Erklärungsfaktor (Pearsons Korrelationskoeffizient = – 0,35). Der Korrelationskoeffizient für die Einwohnerzahl beträgt – 0,25, für die Baulandpreise – 0,23.

8 Nach Auskunft der Gemeinde erklärt sich der hohe Wert vermutlich auch daraus, dass in der Fortschreibung des Wohnungs- und Gebäudebestands Räume mit verminderter Wohnqualität (Kammern etc.) enthalten sind, die nicht mehr als Wohnraum genutzt werden. Außerdem gibt es Leerstände, die nach Einschätzung des Bürgermeisters allerdings nicht über denen vergleichbarer Gemeinden liegen.

9 Die hier präsentierten Zusatzinformationen sind dem Demografie-Spiegel entnommen, der für alle Gemeinden Baden-Württembergs demografische Informationen und angrenzende Themenfelder verständlich und übersichtlich darstellt.

10 Nach Auskunft der Gemeinde wohnen über 1/3 der Einwohner im Kloster. Dabei handelt es sich um Schwestern und um Bewohner eines an das Kloster angeschlossenen Altersheimes.