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Räumlicher Einkommensausgleich durch Pendler

Die am Arbeitsort erzielten Arbeitnehmereinkommen sind in allen deutschen Flächenländern räumlich stärker konzentriert als die am Wohnort gemessenen Primäreinkommen. Baden-Württemberg weist bei jeweils hohen Pro-Kopf-Einkommen für beide Einkommensarten eine verhältnismäßig gleichmäßige räumliche Verteilung auf. Der Vergleich auf Kreisebene zeigt, dass die Pendlerverflechtungen zwischen den Stadtkreisen und ihrem Umland wesentlich zum kleinräumigen Einkommensausgleich im Land beitragen.

Regionale Einkommensverteilung als Gegenstand der Politik

Das Ziel, Wohlstandsunterschiede zwischen den Teilen eines Gesamtraumes auf ein bestimmtes, politisch festgelegtes Maß zu beschränken, wird sowohl auf der Ebene der Europäischen Union als auch von Bund und Ländern verfolgt. Für Baden-Württemberg formuliert der Landesentwicklungsplan 2002 unter Verweis auf das Grundgesetz:

»… Eines der wichtigsten Ziele der Landesentwicklung ergibt sich dabei aus der in Artikel 72 des Grundgesetzes verankerten Forderung nach gleichwertigen Lebensverhältnissen. Angestrebt wird eine Entwicklung, die alle Landesteile angemessen am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt teilhaben lässt und hilft, großräumige Entwicklungsunterschiede abzubauen.«

Typische regionalpolitische Instrumente zur Verfolgung des Ausgleichsziels sind die Subventionierung von öffentlicher Infrastruktur und privatwirtschaftlicher Investitionen in ausgewiesenen Fördergebieten mit geringerer Wirtschaftskraft. Neben diesen Instrumenten bewirken aber auch die Einkommensbesteuerung und – in erheblichem Maße – das System der Sozialtransfers räumliche Umverteilungs- bzw. Ausgleichsprozesse1. Im Folgenden gilt das Augenmerk einem weiteren Ausgleichsmechanismus, der besonders auf kleinräumiger Ebene wirksam wird: Es soll gezeigt werden, welche Bedeutung das Pendeln der Berufstätigen zwischen Wohn- und Arbeitsort für die regionale Einkommensverteilung hat.

Messgrößen aus den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen …

Zur Untersuchung dieser Frage wird je ein Indikator für das Einkommen der Wohnbevölkerung der Kreise und das von Erwerbstätigen in den Kreisen erwirtschaftete Einkommen benötigt. Als Datenquelle dienen die Veröffentlichungen des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«2. Als Einkommensgrößen, die sich auf die Wohnbevölkerung beziehen, stehen hier das Primäreinkommen und das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte zur Verfügung. Als Einkommen am Arbeitsort kann das Arbeitnehmerentgelt verwendet werden.3

… für den »Wohlstand« am Wohnort

Das Primäreinkommen ist das Einkommen, das den privaten Haushalten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten zusteht. Dabei kann es sich um die Entlohnung für die Bereitstellung von Arbeitskraft oder Kapital oder um Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit handeln. Das Einkommen wird dem Wohnsitz des Empfängers zugerechnet. Der Ort, an dem die wirtschaftliche Aktivität stattgefunden hat, spielt keine Rolle. Das Primäreinkommen bildet daher einen Teilaspekt des materiellen Wohlstands in einem Kreis ab.

Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte ergibt sich dadurch, dass dem Primäreinkommen einerseits die monetären Sozialleistungen und sonstigen laufenden Transfers hinzugefügt werden; abgezogen werden dagegen andererseits Einkommen- und Vermögensteuern sowie Sozialbeiträge. Das verfügbare Einkommen ist damit das Einkommen, das den privaten Haushalten nach dem sozialen und fiskalischen Umverteilungsprozess letztendlich zufließt. Da dieser Umverteilungsprozess hier zugunsten der räumlichen Verteilungswirkungen des Pendelns ausgeblendet werden soll, wird für die weitere Untersuchung das Primäreinkommen herangezogen.

… und das Einkommen am Arbeitsort

Das Arbeitnehmerentgelt eines Kreises umfasst die Geld- und Sachleistungen, die den dort tätigen Arbeitnehmern zugeflossen sind. Es wird dem Arbeitsort zugerechnet. Aufgrund der unterschiedlichen Definition der Einkommensbegriffe Primäreinkommen und Arbeitnehmerentgelt ergeben sich die Mechanismen, die dafür sorgen, dass der regionale »Wohlstand« nicht nur von der regionalen »Wirtschaftskraft« abhängt und in der Regel räumlich gleichmäßiger verteilt ist: Das Arbeiten außerhalb des Wohnortkreises (Pendeln) und das Erzielen von Einkommen aus Vermögen, das hier jedoch nicht weiter behandelt werden soll.

Der Hoover-Index wird herangezogen, um zu messen, wie stark die räumliche Verteilung der verschiedenen Einkommensarten von der Gleichverteilung abweicht. Der Wert des Hoover-Index4 zeigt an, wie viel Prozent des Einkommens unter den Kreisen eines Landes umverteilt werden müssten, damit das Durchschnittseinkommen in allen Kreisen gleich hoch ist5.

Vergleich der Flächenländer zeigt, …

Zur besseren Einordnung der Verhältnisse in Baden-Württemberg vorab ein kurzer Ländervergleich. Das Primäreinkommen ist in allen Flächenländern größer als das Arbeitnehmerentgelt. Ursache hierfür ist in erster Linie der weiter gefasste Einkommensbegriff. Das Arbeitnehmerentgelt erreicht im Durchschnitt 66 % der Höhe des Primäreinkommens. Je nach Flächenland sind geringe Abweichungen zu verzeichnen. So reicht die Relation zwischen Arbeitnehmereinkommen und Primäreinkommen von 58 % in Schleswig-Holstein bis zu 74 % in Sachsen. Die Berufspendlersalden sind auf Landesebene allerdings zu niedrig, um dieses Größenverhältnis entscheidend zu beeinflussen. 6 Als deutlichen Hinweis hierauf mag der Pendlersaldo der beiden Länder dienen. Die Bilanz der ein- und auspendelnden Erwerbstätigen laut Erwerbstätigenrechnung fällt mit – 29 bzw. – 12 Auspendlern je 1 000 Einwohner sowohl für Schleswig-Holstein als auch für Sachsen leicht negativ aus.

… Primäreinkommen sind gleichmäßiger verteilt als Arbeitnehmerentgelt

Gleichzeitig ist das Primäreinkommen innerhalb der Flächenländer räumlich wesentlich gleichmäßiger verteilt als das Arbeitnehmerentgelt. Laut Hoover-Index müssten nur zwischen 2,3 % (Sachsen) und 6,3 % (Bayern) des Primäreinkommens, aber 8,5 % (Sachsen-Anhalt) bis 20,8 % (Bayern) des Arbeitnehmerentgelts zwischen den Kreisen des jeweiligen Bundeslandes umverteilt werden, um eine Gleichverteilung zu erreichen.

Zwischen der Höhe des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens eines Flächenlandes und seiner regionalen Konzentration besteht indes kein Zusammenhang. Der Höhe des Einkommens nach liegt Baden-Württemberg im Vergleich der Flächenländer 2007 sowohl beim Arbeitnehmereinkommen als auch beim Primäreinkommen je Einwohner mit Hessen und Bayern in der Spitzengruppe. Die regionale Konzentration liegt in Baden-Württemberg bei beiden Einkommensarten jedoch deutlich niedriger. Schaubild 1 zeigt Baden-Württemberg nach Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt mit dem viertniedrigsten Hoover-Index des Primäreinkommens, während Bayern und Hessen zur Spitzengruppe gehören. In Bezug auf die räumliche Verteilung des Arbeitnehmereinkommens am Arbeitsort liegt Baden-Württemberg mit einem Hoover-Koeffizienten von 11,8 % im Mittelfeld. Bayern (20,8 %) und Hessen (18 %) bilden mit Rheinland-Pfalz (18,6 %) wiederum die Spitzengruppe.

Regionale Einkommensunterschiede in Baden-Württemberg relativ gering

Damit zeigt sich Baden-Württemberg im Ländervergleich als Wirtschaftsraum, in dem gut bezahlte Erwerbsmöglichkeiten relativ gleichmäßig auf die Teilräume verteilt sind. Die Primäreinkommen der Wohnbevölkerung sind ebenfalls hoch und unter den Kreisen des Landes sehr gleichmäßig verteilt. Die Werte des Hoover-Index von 11,8 % für die Verteilung des Arbeitnehmerentgelts und von 3,3 % für die Verteilung des Primäreinkommens deuten auf das Wirken eines Ausgleichsmechanismus zwischen den Kreisen des Landes hin. Die eingangs aufgestellte These, dass das Pendeln über Kreisgrenzen hinweg dabei eine Rolle spielt, wird im Folgenden näher beleuchtet.

Vergleich der Stadt- und Landkreise …

Umfassende Daten zur Pendelwanderung bietet die Berufspendlerrechnung Baden-Württemberg. Sie weist unter anderem erwerbstätige Tagespendler über Kreisgrenzen nach7. Die Tabelle zeigt für die Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg das Arbeitnehmerentgelt nach dem Arbeitsortkonzept und das Primäreinkommen nach dem Wohnortkonzept sowie den Saldo der Ein- und Auspendler (Pendlersaldo) über die Kreisgrenze als Sortierkriterium. Im Land und in den Landkreisen ist das Arbeitnehmereinkommen deutlich niedriger als das Primäreinkommen, da Letzteres zusätzlich Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit und aus Vermögen enthält. Das Arbeitnehmereinkommen erreicht im Landesdurchschnitt rund 68 % der Höhe des Primäreinkommens.

… zeigt Zusammenhang zwischen Pendlersaldo und Einkommensverteilung

Das Arbeitnehmerentgelt je Einwohner ist in der Tendenz umso höher, je höher der Pendlersaldo ist. Für das Primäreinkommen gilt dieser Zusammenhang nicht. Es zeichnen sich grob 3 Gruppen von Kreisen ab, die nach Höhe des Pendlersaldos und Größenverhältnis zwischen Arbeitnehmereinkommen und Primäreinkommen typische Konstellationen aufweisen:

Gruppe 1 besteht aus den 9 Stadtkreisen des Landes sowie dem Landkreis Böblingen. Alle Stadtkreise weisen, bezogen auf 1 000 Einwohner, einen 3-stelligen Einpendlerüberschuss auf. Das Größenverhältnis Arbeitnehmerentgelt zu Primäreinkommen liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt. In Ulm, Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim ist das im Stadtkreis erwirtschaftete Arbeitnehmereinkommen sogar höher als das Primäreinkommen der Bevölkerung im Kreis. Dies ist zu einem großen Teil auf die hohen Einpendlerüberschüsse zurückzuführen. Ein großer Teil der in den Stadtkreisen erwirtschafteten Arbeitnehmereinkommen fließt in die Wohnortkreise der Einpendler ab. Der Landkreis Böblingen zeigt mit seinem Arbeitsmarktzentrum Böblingen/Sindelfingen ein ähnliches Bild wie die Stadtkreise – aufgrund seiner weiteren räumlichen Abgrenzung allerdings bei geringerem Pendlersaldo.

Gruppe 2 besteht aus einer Reihe von Landkreisen mit leicht positivem bis leicht negativem Pendlersaldo. Das Größenverhältnis zwischen Arbeitnehmereinkommen und Primäreinkommen schwankt entsprechend um den Landeswert von 68 %. Es gibt per saldo keine erheblichen Zu- oder Abflüsse von Arbeitnehmereinkommen8.

Die dritte Gruppe bilden Kreise mit deutlich negativem Pendlersaldo und einem überwiegend unter dem Landesdurchschnitt liegenden Größenverhältnis von Arbeitnehmereinkommen und Primäreinkommen. Hierzu gehören vor allem die Umlandkreise der Stadtkreise sowie einige eher ländliche Kreise. Zwischen den meisten Kreisen der Gruppen 1 und 3 besteht eine enge funktionsräumliche Verflechtung, die durch die Merkmale der Tabelle widergespiegelt wird: Bewohner des Umlands pendeln zur Arbeit in die großen Arbeitsmarktzentren. Im Gegenzug fließt Einkommen aus den Stadtkreisen ins Umland.

Der regionale Einkommensausgleich durch Berufspendler über Kreisgrenzen stellt sich damit in Baden-Württemberg zu einem großen Teil als monetärer Ausdruck der Stadt-Umlandverflechtung dar. Nur 4 der 18 Landkreise aus der dritten Gruppe (Göppingen, Neckar-Odenwald-Kreis, Zollern-Alb-Kreis, Sigmaringen) grenzen nicht direkt an Kreise der Gruppe 1 an.

1 Vgl. zum Beispiel Brenke, Karl: Zunehmende regionale Einkommensunterschiede in Deutschland, aber starke Ausgleichswirkungen durch Pendlereinkommen und Sozialtransfers. DIW Wochen-bericht 11/2006 und Seitz, Reiner: »Was am Ende übrig bleibt – einige regionale Aspekte beim Übergang von der Wirtschaftsleistung zum Verfügbaren Einkommen«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 12/2005«.

2 Siehe www.vgrdl.de

3 Inhaltlich vollständig vergleichbare Einkommensgrößen am Wohn- und Arbeitsort auf Kreisebene werden vom Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« nicht veröffentlicht.

4 Die vollständige Formel des Hoover-Index lautet
mit i: Anzahl der Kreise,
E: Einkommen,
A: Einwohner

vollständige Formel des Hoover-Index

5 Mit Gleichverteilung ist hier das gleiche durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in jedem Kreis gemeint. Über die Einkommensverteilung innerhalb des Kreises – sei es personal oder räumlich – ist damit nichts gesagt.

6 Bei den Stadtstaaten ergibt sich ein anderes Bild.

7 In der Berufspendlerrechnung werden Erwerbstätige mit Wohn- oder Arbeitsort in Baden-Württemberg nachgewiesen, die in ihrer Wohngemeinde selbst oder in Tagespendelentfernung zum Wohnort tätig sind. Nicht erfasst sind Erwerbstätige, die nicht am Sitz des Unternehmens arbeiten (zum Beispiel Vertreter) sowie Erwerbstätige mit Arbeitsort im Ausland.

8 5 Landkreise dieser Gruppe passen nicht ganz ins Bild. Im Falle der 3 Landkreise Lörrach, Konstanz und Waldshut dürfte dies an den von der Berufspendlerrechnung nicht erfassten Auspendlern in die Schweiz liegen. Im Falle des Hohenlohekreises und Landkreises Heidenheim liegt der Grund möglicherweise in Erwerbsverhältnissen, die durch Berufspendlerrechnung nicht erfasst sind (Vgl. Fußnote 7).