:: 6/2010

Mädchen und Jungen im Spiegel der Schulstatistik

Geschlechtsspezifische Bedürfnisse und Interessen im Unterricht, Chancengleichheit von Jungen und Mädchen, die Tendenz der Mädchen und jungen Frauen zu besserem Schulerfolg als ihre männlichen Klassenkameraden: Diese Aspekte werden immer häufiger im Rahmen einer geschlechtergerechten Bildungspolitik öffentlich diskutiert, die nicht nur das biologische Geschlecht (»sex«), sondern auch das soziale und kulturelle Geschlecht (»gender«) in ihre Entscheidungen einbezieht. Der vorliegende Beitrag vergleicht Mädchen und Jungen an den allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg anhand der Ergebnisse der Amtlichen Schulstatistik. Ziel ist nicht eine Bewertung von Schule, Unterricht oder Bildungspolitik, sondern eine geschlechtsspezifische Aufbereitung der vorhandenen Daten. Mädchen werden früher eingeschult und weniger oft zurückgestellt als Jungen. Sie erreichen das Klassenziel häufiger als Jungen und stellen die Mehrheit an den Gymnasien. An den Sonderschulen sind dagegen die Jungen überrepräsentiert. Schließlich erzielen die Mädchen im Durchschnitt (formell) höhere Abschlüsse als Jungen.

Schulerfolg von Mädchen und Jungen – ein häufig diskutiertes Thema

Meldungen wie »Mädchen haben in der Schule die Nase vorn«, »Krise der Jungen« oder »Benachteiligte Jungen« kann man immer häufiger in der Presse und anderen Veröffentlichungen lesen.1 Während in früheren Jahrzehnten der Blick vor allem auf die Benachteiligung von Mädchen und jungen Frauen gerichtet war (»die katholische Arbeitertochter vom Land«2), steht insbesondere bedingt durch die Ergebnisse der PISA-Studie seit etwa 10 Jahren die Bildungs- und Lebenssituation der Jungen vermehrt im Fokus. Gefordert wird zum Beispiel eine geschlechtergerechte Bildungspolitik, die nicht nur das biologische Geschlecht (»sex«), sondern auch die soziale, strukturelle und kulturelle Geschlechterrolle (»gender«) in ihre Entscheidungen einbezieht. Zahlreiche Studien und Stellungnahmen sind seither zur Thematik erschienen und haben bereits ihren Niederschlag in der Politik gefunden. So heißt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, man wolle eine »eigenständige Jungen- und Männerpolitik entwickeln«.3

Ziel des vorliegenden Beitrags ist nicht die Bewertung von Schule, Unterricht oder Bildungspolitik, sondern eine geschlechtsspezifische Aufbereitung der in der Amtlichen Schulstatistik vorhandenen Daten.

Mädchen werden häufiger früh eingeschult und seltener zurückgestellt

Bereits bei der Einschulung an den Grundschulen zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede. Erstmals schulpflichtige Kinder werden in der Regel eingeschult, manche aber auch von der Einschulung zurückgestellt. Seit Jahren liegt hier der Anteil der zurückgestellten Mädchen deutlich unter dem Anteil der zurückgestellten Jungen. In den Jahren 1990 bis 2008 schwankte die Differenz beider Anteile zwischen 3 und 5 Prozentpunkten. Im Herbst 2008 waren von den gut 48 400 erstmals schulpflichtigen Jungen 13 % zurückgestellt worden, von den knapp 45 300 Mädchen dagegen nur 8 %.

Die Gruppe der Schulanfänger setzt sich zusammen aus früh, normal und spät eingeschulten Kindern.4 Dabei gelten die Mädchen wohl eher als »schulreif«: Sie wurden über Jahre hinweg häufiger früh und seltener spät eingeschult als Jungen. Im Herbst 2008 wurden von den Mädchen 4,7 %, von den Jungen aber nur 2,8 % früh eingeschult. Dagegen wurden 11,6 % der Jungen, aber nur 7,3 % der Mädchen spät eingeschult, nachdem sie im Vorjahr zurückgestellt worden waren.

An den privaten Realschulen sind gut zwei Drittel der Schüler weiblich

An den Grundschulen des Landes sind Mädchen und Jungen noch relativ gleichmäßig vertreten. Seit dem Schuljahr 2000/01 sind dort 49 % Mädchen und 51 % Jungen. Die Anteile sind identisch mit dem Durchschnitt der entsprechenden Wohnbevölkerung. An den Hauptschulen waren im Schuljahr 2008/09 knapp 45 % der Schülerschaft weiblich und gut 55 % männlich. Damit sind die Jungen an den Hauptschulen im Vergleich zur gleichaltrigen Bevölkerung (rund 51 %) leicht überrepräsentiert. Der Anteil der Jungen an den Hauptschulen bewegte sich seit 2000/01 relativ stabil zwischen 55 und 56 %.

An den 478 öffentlichen und privaten Realschulen des Landes hatten die Mädchen im Schuljahr 2008/09 einen Anteil von knapp 50 %, welcher nur wenig höher war als ihr Anteil an der entsprechenden Bevölkerung mit knapp 49 %. Während der Mädchenanteil an den 427 öffentlichen Realschulen fast 49 % betrug, lag er an den 51 privaten Realschulen mit gut 67 % deutlich höher. Dieser hohe Prozentsatz dürfte auf die Mädchen-Realschulen in kirchlicher Trägerschaft zurückgehen; langfristig ist aber ein abnehmender Trend des Mädchenanteils an privaten Realschulen festzustellen. So waren 1980/81 noch fast 9 von 10 Schülern an privaten Realschulen weiblich, 1995/96 immerhin noch drei Viertel.

An den Gymnasien sind die Mädchen stärker vertreten, an den Sonderschulen die Jungen

An den 444 öffentlichen und privaten Gymnasien in Baden-Württemberg waren im Schuljahr 2008/09 gut 52 % der Schüler weiblich. Damit waren die Mädchen dort spürbar stärker vertreten als es ihrem Anteil an der gleichaltrigen Bevölkerung entsprach (knapp 49 %). Von 1995/96 bis 2007/08 lag der Mädchenanteil an den öffentlichen und privaten Gymnasien unverändert bei rund 53 %. Ähnlich wie an den Realschulen fiel der Mädchenanteil an den 67 privaten Gymnasien im Schuljahr 2008/09 mit 60 % deutlich höher aus als an den 377 öffentlichen mit knapp 52 %. Seit dem Schuljahr 2000/01 sind die Anteile der Mädchen an den Gymnasien recht stabil geblieben. Sie lagen an den öffentlichen Gymnasien zwischen 52 und 53 %, an den privaten zwischen 60 und 61 %.

Im Gegensatz zu den Gymnasien sind an den Sonderschulen die Jungen überrepräsentiert. So waren im Schuljahr 2008/09 knapp 64 % aller Schüler an Sonderschulen männlich und nur gut 36 % weiblich. An allen 9 Sonderschultypen waren Mädchen weniger stark vertreten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde. Allerdings gab es zwischen den verschiedenen Sonderschultypen große Schwankungen. So lag der Jungenanteil im Schuljahr 2008/09 an den Förderschulen (welche von über 40 % aller Schüler an Sonderschulen besucht werden) bei knapp 59 % der Schüler, der Anteil der Mädchen bei gut 41 %. Die höchsten Anteile weiblicher Schüler fanden sich 2008/09 wie im Schuljahr zuvor an den Schulen für Blinde bzw. an den Schulen für Kranke in längerer Krankenhausbehandlung (46 bzw. 45 %). An den Schulen für Geistigbehinderte und für Körperbehinderte waren je 4 von 10 Schülern weiblich. Weit geringer waren die Mädchen mit gut 29 % an den Schulen für Sprachbehinderte vertreten. Am auffälligsten war der Unterschied in der Präsenz von Mädchen und Jungen aber bei den Schulen für Erziehungshilfe. Im Schuljahr 2008/09 waren hier – genau wie im Vorjahr – 84 % der Schüler männlich und nur 16 % weiblich. Die Geschlechterverteilung zwischen den einzelnen Sonderschultypen lag auch in den Vorjahren auf ähnlichem Niveau.5

Jungen verfehlen das Klassenziel häufiger als Mädchen

Die Quoten der Schüler, die das Klassenziel zum Ende eines Schuljahres nicht erreichen (»Nicht-versetzte«), können als Hinweis auf den Erfolg der Schüler genommen werden. Zur Gruppe der Nichtversetzten zählen neben den Wiederholern (ohne freiwillige Wiederholer) auch die auf Probe Versetzten sowie Schüler, die auf eine Wiederholung der Klasse verzichten und die jeweilige Schule verlassen. Während Mädchen an den Grundschulen beim Erreichen des Klassenziels 2008 nur leicht besser abschnitten als Jungen (Nichtversetztenquoten 0,7 zu 0,8 %), war der Unterschied an den Hauptschulen etwas größer (Nichtversetztenquoten 1,3 zu 1,9 %). An den Gymnasien verfehlten 1,8 % der Mädchen und 3,2 % der Jungen das Klassenziel. Am größten war der Abstand aber (wie im Vorjahr auch) an den Realschulen. Hier erreichten 2,7 % der Mädchen und 4,4 % der Jungen das Klassenziel nicht. Im Jahr zuvor (2007) lagen die Nichtversetztenquoten der Mädchen bzw. Jungen ähnlich hoch.

Mädchen erzielen im Schnitt höherwertige Abschlüsse als Jungen

Noten als das »klassische« Maß für Erfolg in der Schule werden in der Schulstatistik der allgemeinbildenden Schulen nur in Form der Abiturdurchschnittsnoten an Gymnasien und Schulen besonderer Art erhoben, allerdings nicht differenziert nach Geschlecht. Als weiterer Hinweis für den Erfolg von Mädchen und Jungen bleiben daher nur noch die jeweils erreichten Abschlüsse. Mädchen erzielten im Durchschnitt (formell) höherwertige Abschlüsse als Jungen. So sind 2008 knapp 29 % der weiblichen Schulabgänger mit der allgemeinen Hochschulreife bzw. der Fachhochschulreife abgegangen im Gegensatz zu 22 % der männlichen. Beim mittleren Abschluss waren die Mädchen ebenfalls stärker vertreten als die Jungen, wenngleich der Vorsprung hier geringer ausfiel als bei der Hochschulreife. Einen Hauptschulabschluss erwarben dagegen 33 % der männlichen Abgänger, aber nur 27 % der weiblichen. Ohne Hauptschulabschluss verließen knapp 7 % der Jungen und gut 4 % der Mädchen das allgemeinbildende Schulsystem. Ein ähnliches Bild der Abschlüsse ergibt sich auch in früheren Jahren.

Mädchen Nase vorn, Jungen hintendran?

Die aufgezeigten Ergebnisse aus der geschlechts-spezifischen Betrachtung der Schulstatistik vermitteln das Bild, Mädchen haben die Nase vorn, kommen schneller und erfolgreicher durch die Schule und – so könnte man vermuten – schneiden folglich auch im Studium und im Beruf besser ab. Eine Aussage über den Erfolg der Mädchen im späteren Studium und (Berufs-)Leben ist mit den Ergebnissen der Schulstatistik aber noch nicht möglich. Dazu müssten zum Beispiel die Übergänge von der allgemeinbildenden Schule auf die berufliche Schule (Ausbildung, Erwerb zusätzlicher allgemeinbildender Abschlüsse) nach Geschlechtern getrennt betrachtet werden oder auch die Übergänge von der allgemeinbildenden Schule in den Beruf und ins Studium. Außerdem sollte der Migrationshintergrund und die soziale Herkunft berücksichtigt werden.

Einblicke zum Erfolg von Mädchen und Jungen in Studium und Beruf kann man zum Beispiel aus der Hochschulstatistik, dem Mikrozensus oder auch der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit gewinnen.

An den baden-württembergischen Hochschulen waren im Prüfungsjahr 2008 gut 48 % der rund 51 500 Absolventen weiblich, womit das Geschlechterverhältnis fast ausgeglichen war. Der Frauenanteil an den Promovierenden lag bereits etwas niedriger bei 41 %; von den 296 Habilitationen, die im Prüfungsjahr 2008 abgelegt wurden, stellten Frauen nur ein knappes Viertel.6

Der Frauenanteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Baden-Württemberg lag 2009 zwar bei 45 % (und damit etwas höher als vor 20 Jahren mit 41 %), allerdings ist im selben Zeitraum die Teilzeitquote bei den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen um 12 Prozentpunkte auf 35 % angestiegen. Damit bleibt die Teilzeitbeschäftigung eine Domäne der Frauen. Die meisten (ein Fünftel) der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen waren im Gesundheits- und Sozialwesen tätig, knapp gefolgt vom Verarbeitenden Gewerbe (19 %).7 In Führungspositionen sind Frauen immer noch eher selten zu finden und auch ihr Nettoeinkommen liegt im Schnitt unter dem ihrer männlichen Kollegen.8

1 Vgl. zum Beispiel www.jugendhilfeportal.de, www.schulbuchzentrum-online.de, Stand 12. März 2010.

2 Die Formel geht auf den Soziologen Ralf Dahrendorf zurück und bezeichnet ab Mitte der 60er-Jahre Bildungsbenachteiligung aufgrund einer besonderen Mehrfachunterdrückung. Vgl. Wapedia/Katholische Arbeitertochter vom Land, Stand 15. März 2010.

3 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP: Wachstum. Bildung. Zusammenhalt, 17. Legislaturperiode, beschlossen und unterzeichnet am 26. Oktober 2009. Vgl. auch Stellungnahme des Bundesjugendkuratiorums: Schlaue Mädchen, Dumme Jungen? Gegen Verkürzungen im aktuellen Geschlechterdiskurs, Stand 12. März 2010.

4 Früh eingeschult: Nach dem Einschulungsstichtag 6 Jahre alt geworden; normal eingeschult: erstmals schulpflichtig und bis zum Einschulungsstichtag 6 Jahre alt geworden; spät eingeschult: im Vorjahr zurückgestellt.

5 Vgl. auch Landesinstitut für Schulentwicklung und Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: Bildungsberichterstattung 2009, Sonderpädagogische Förderung in Baden-Württemberg, Stuttgart 2009, S. 64 f.

6 Vgl. Pressemitteilung Nr. 72/2010: Frauen stellen an baden-württembergischen Hochschulen 48 Prozent der Absolventen vom 4. März 2010.

7 Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Beschäftigungsstatistik 2009.

8 Vgl. dazu Statistik aktuell: Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern in Baden-Württemberg, Stuttgart, 2009.