:: 6/2010

Tourismus 2009: Gedämpfte Entwicklung im Krisenjahr

Die Wirtschaftskrise ging 2009 nicht spurlos am heimischen Tourismus vorüber. Nach kontinuier-lichen Zuwächsen seit 2004 verzeichneten die Gästeübernachtungen 2009 erstmals wieder ein Minus. Mit 2,8 % fiel der Rückgang zwar im Vergleich zu vielen anderen Branchen im Land noch moderat aus. Im bundesweiten Kontext schnitt Baden-Württemberg aber wie die süddeutschen Nachbarländer deutlich unterdurchschnittlich ab. Dabei verlief die Entwicklung innerhalb des Landes zwischen den verschiedenen Marktsegmenten sehr uneinheitlich: Neben dem weiterhin rückläufigen Kurbereich war vor allem der Geschäftstourismus im städtischen Umfeld negativ von der allgemeinen Wirtschaftslage betroffen. Der klassische Erholungstourismus dagegen blieb von diesen Auswirkungen weitgehend verschont oder konnte – wie insbesondere am Bodensee – sogar deutlich zulegen.

Stadtstaaten und Küstenländer weiterhin mit Zuwächsen

Bundesweit konnte 2009 trotz der Wirtschaftskrise das Übernachtungsniveau des Vorjahres bei einem leichten Minus von 0,2 % nahezu gehalten werden.1 Abweichend vom Trend der Jahre zuvor, als die Nachfrage der Auslandsgäste stets überdurchschnittlich zugelegt hatte, gingen die Übernachtungen der internationalen Kunden 2009 jedoch um 3 % zurück. Dagegen buchten die Inlandsgäste sogar 0,3 % mehr Übernachtungen. Unter den Bundesländern schnitten 2009 die Stadtstaaten, die bereits in der 10-Jahres-Spanne zuvor deutliche überdurchschnittliche Zuwächse erzielt hatten, mit einem kräftigen Übernachtungsplus von 5,7 % erneut am besten ab. Wie in den meisten Jahren zuvor konnte dabei Bremen bei einem leichten Rückgang um 0,7 % nicht mit Berlin und Hamburg mithalten, die sogar um 6,2 % bzw. 6 % zulegten. Auch die östlichen Flächenländer, zu denen Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie Thüringen gerechnet werden, hoben sich, wie im mittelfristigen Trend mit einem Zuwachs von zusammen 1,9 % auch 2009 wieder positiv von der Bundesentwicklung ab. Die nördlichen Flächenländer, die von 1998 bis 2008 ebenso wie die südlichen Flächenländer nur unterdurchschnittlich zugelegt hatten, konnten 2009 zumindest das Vorjahresniveau nahezu halten. Dabei wurden deutliche Übernachtungsverluste um 3,1 % in Nordrhein-Westfalen durch Zuwächse um jeweils 1,9 % in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen kompensiert. 2009 nahmen damit also in sämtlichen Küstenländern die Übernachtungen zu.

Die Rückgänge konzentrierten sich 2009 dagegen – mit der Ausnahme Nordrhein-Westfalen – deutlich auf die süddeutschen Flächenländer (Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern), die zusammen 2,1 % ihrer Übernachtungen einbüßten. In Baden-Württemberg, das sich auf mittlere Sicht zuvor noch leicht positiv im süddeutschen Raum abgehoben hatte, war der Rückgang mit 2,8 % sogar noch stärker. Auch wenn die Verluste bei weitem nicht das Ausmaß wie insbesondere in einigen bedeutenden Industriebereichen erreichten, fügte sich der Tourismus im Land nahtlos in das allgemeine Muster der Wirtschaftskrise ein. Denn diese hatte Baden-Württemberg als relativ stark von der Industrie und dem Export geprägtes Bundesland besonders hart getroffen.

Preiswertere Unterkünfte stärker gefragt

Angesichts des Gesamtergebnisses kann es nicht überraschen, dass in den verschiedenen Marktsegmenten bzw. Regionen des Landes 2009 die negativen Vorzeichen überwogen. Ähnlich wie zwischen den Bundesländern, zeigte sich aber auch innerhalb Baden-Württembergs eine breite Spanne der Entwicklungen. So verzeichnete unter den Betriebsarten die klassische Hotellerie (Hotels, Hotels garnis, Gasthöfe und Pensionen) mit einem Übernachtungsrückgang um 4,5 % die stärksten Einbußen. Dies steht im deutlichen Gegensatz zur vorherigen Entwicklung. In den 10 Jahren zuvor hatte dieser Kernbereich des Tourismus, auf den 61 % aller Übernachtungen entfallen, noch einen überdurchschnittlichen Zuwachs um nahezu ein Fünftel erzielt.

Anders stellt sich die Situation dagegen im Kurbereich dar, dem im »Bäderland« Baden-Württemberg mit einem Übernachtungsanteil von 16 % ein relativ starkes Gewicht zukommt. Trotz Zuwächsen in den Jahren 1999, 2000, 2007 und 2008 hatten die Übernachtungen in den Vorsorge- und Reha-Kliniken wegen starker Einbußen in der Spanne von 2001 bis 2006 bereits im Jahr 2008 das Niveau von 1998 noch deutlich um 9 % verfehlt. Insofern schloss sich der erneute Rückgang um 3,4 % im Jahr 2009 nahtlos an den mittelfristigen Trend an.

Die sogenannte Parahotellerie, zu der Einrichtungen wie Campingplätze, Jugendherbergen und Hütten, Erholungs- und Ferienheime, Ferienwohnungen und Schulungsheime gezählt werden, verbesserte dagegen ihr Übernachtungsergebnis 2009 deutlich um 2,9 %. Nachdem dieser Bereich in den 1990er-Jahren und um die Jahrtausendwende eher unterdurchschnittlich abgeschnitten hatte, hob er sich damit bereits im 3. Jahr in Folge positiv von der allgemeinen Entwicklung ab. Hervorzuheben ist dabei insbesondere das Reiseverkehrscamping mit einem stattlichen Übernachtungszuwachs um 8,1 % im Jahr 2009. Da die Parahotellerie insgesamt eher das preiswertere Marktsegment abdeckt, lassen die verstärkten Zuwächse der letzten Jahre auch auf ein erhöhtes Preisbewusstsein der Gäste schließen.

Rückgänge vor allem im städtischen Umfeld

Die Entwicklung in den verschiedenen Gemeindetypen korrespondiert in der Regel mit der der Betriebsarten, denn deren Betriebsstruktur weist deutlich Unterschiede auf. Die höher prädikatisierten Gemeinden, also vor allem die Heilbäder (Mineral- und Moorbäder, Heilklimatische Kurorte und Kneippkurorte), sind traditionell stark vom Kurwesen geprägt, und in den Luftkur- und Erholungsorten hat die Parahotellerie ein relativ starkes Gewicht. In den sonstigen Gemeinden ohne touristisches Prädikat, zu denen insbesondere die meisten (größeren) Städte zählen, entfällt dagegen der Löwenanteil von vier Fünfteln der Übernachtungen auf die Hotellerie.

In der Spanne von 1998 bis 2008 schlug der Übernachtungsrückgang bei den Vorsorge- und Reha-Kliniken auf das Gesamtergebnis der Mineral- und Moorbäder sowie der Heilklimatischen Kurorte durch, wenn auch nicht in vollem Umfang. Die breiter aufgestellten Kneippkurorte konnten sich dagegen gerade noch schadlos halten. Unter den niedriger prädikatisierten Gemeinden fand in diesem Zeitraum eine deutliche Verschiebung von den Luftkurorten zu den Erholungsorten statt, die sich nicht allein aus der unterschiedlichen Betriebsartenstruktur erklären lässt. Die mit Abstand günstigste Entwicklung verzeichneten mit einem Übernachtungszuwachs um über 28 % die sonstigen Gemeinden, aus denen wiederum die Großstädte (ab 100 000 Einwohner) mit einem Anstieg um ein Drittel herausragten.

2009 kehrte sich diese Entwicklung im Verhältnis zwischen prädikatisierten und sonstigen Gemeinden gerade um. Die Orte mit Prädikat kamen nämlich insgesamt mit einem vergleichweise geringen Verlust von 0,9 % davon. Dabei setzte sich in der Differenzierung nach den einzelnen Prädikaten die vorherige Entwicklung tendenziell fort. Abgesehen von der weiterhin schwächeren Entwicklung im Kurbereich scheint damit der vorzugsweise in den prädikatisierten Gemeinden beheimatete Erholungstourismus im Land 2009 die Wirtschaftskrise weitgehend unbeschadet überstanden zu haben. Die Gemeinden ohne Prädikat traf es dafür mit einem Übernachtungsrückgang um 4,8 % umso härter, und auch in den Großstädten waren die Verluste mit 4,1 % kaum geringer.

In eine sehr ähnliche Richtung weist die Aufgliederung nach den Raumkategorien des Landesentwicklungsplans von 2002. Danach konzentrierten sich die Rückgänge 2009 deutlich auf die stark urban geprägten Verdichtungsräume sowie auf die Verdichtungsbereiche im ländlichen Raum, die zuvor jeweils besonders zugelegt hatten. Während die mittelfristige Entwicklung hin zum Städtetourismus in Baden-Württemberg mit den überdurchschnittlichen Zuwächsen der Stadtstaaten korrespondierte, stand die Entwicklung im Jahr 2009 in deutlichem Widerspruch dazu. Worin könnte die Erklärung liegen? Generell dürften Übernachtungsrückgänge speziell im städtischen Umfeld in engem Zusammenhang mit dem Geschäftsreiseverkehr stehen, dem hier eine stärkere Bedeutung zukommt als etwa im ländlichen Bereich bzw. in den prädikatisierten Gemeinden. Dessen Umfang wiederum wird nicht zuletzt von der konjunkturellen Lage bestimmt. Insofern scheint es auch plausibel, dass sich dies in Baden-Württemberg als besonders von der Wirtschaftskrise betroffenem Land relativ stark niederschlägt. Auf der anderen Seite scheinen Berlin als Bundeshauptstadt und Hamburg, die 2009 allein für den Anstieg bei den Stadtstaaten verantwortlich waren, unter den Großstädten in touristischer Sicht eine Sonderstellung einzunehmen. Bundesweit blieben die Übernachtungen der Großstädte zusammen nämlich 2009 unverändert. Rechnet man Hamburg und Berlin heraus, bedeutet dies für die restlichen deutschen Großstädte bereits einen Rückgang um 2,3 % im Jahr 2009.

Herbe Verluste in der Region Stuttgart, Zuwächse im Raum Bodensee

In der regionalen Betrachtung nach Reisezielen des Landes2 wiesen im Zeitraum von 1998 bis 2008 vor dem Hintergrund der landesweiten Übernachtungszuwächse 6 der 9 Reisegebiete ebenfalls Anstiege in einer relativ engen Spanne von 16 % bis 21 % auf. Aus diesem Rahmen fielen lediglich drei Destinationen, nämlich die Region Stuttgart mit einem überdurchschnittlichen Zuwachs um 29 % sowie der nahezu stagnierende Südliche Schwarzwald und der um gut 4 % rückläufige Nördliche Schwarzwald. Analog zur Trendumkehr bei den größeren Städten schlugen sich die Rückgänge 2009 vor allem in den stärker städtisch geprägten Reisezielen nieder. Dies traf auf das Nördliche Baden-Württemberg zu, das mit einem Übernachtungsrückgang um 3,5 % sogar noch relativ glimpflich davonkam, insbesondere aber auf die zuvor besonders expansive Region Stuttgart, die 2009 einen besonders herben Verlust um 10,7 % verkraften musste. Auch die Schwäbische Alb, auf der die Verdichtungsbereiche im ländlichen Raum sowie die Gemeinden ohne Prädikat relativ stark repräsentiert sind, verzeichnete 2009 einen überdurchschnittlichen Übernachtungsrückgang um 4,5 %. Dies galt bei einem Minus von 2,7 % in abgeschwächter Form erneut auch für den Nördlichen Schwarzwald. Die beiden anderen Teilbereiche des Schwarzwalds, der mit einem Übernachtungsanteil von 45 % insgesamt weiterhin das bedeutendste Urlaubsziel des Landes darstellt, büßten zwar ebenso wie das Württembergische Allgäu-Oberschwaben 2009 an Übernachtungen ein. Die Rückgänge fielen aber mit 0,2 % bis 1,2 % deutlich geringer aus.

Auf der anderen Seite verbesserten das Reisegebiet Bodensee sowie der benachbarte Hegau trotz der Wirtschaftskrise ihr Übernachtungsergebnis 2009 gegenüber 2008 deutlich um 4,1 % bzw. 6,6 %. Analog zu den Zuwächsen in den Küstenländern scheint damit also auch innerhalb Baden-Württembergs die Nähe zum Element Wasser im vergangenen Jahr eine besondere Anziehungskraft auf die Gäste ausgeübt zu haben.