:: 7/2010

Öffentliche Entwicklungshilfe aus Baden-Württemberg

Die öffentliche Entwicklungshilfe Baden-Württembergs setzt sich aus Ausgaben für die Bereitstellung von Studienplätzen für Studierende aus Entwicklungsländern sowie Zuschüssen und Kosten für konkrete Entwicklungshilfeprojekte zusammen. Dabei erweisen sich die Studienplatzkosten als umfangreicher Sockelbetrag, während die Ausgaben für konkrete Entwicklungshilfeprojekte in den vergangen Jahren immer mehr zurückgegangen sind. Wie sich das Verhältnis dieser beiden Bausteine zueinander entwickelt hat, wird im nachfolgenden Beitrag beschrieben.

In den entwicklungspolitischen Leitlinien des Landes werden die Studienplatzkosten nur am Rande angesprochen. Dabei studierten im Wintersemester 2008/09 in Baden-Württemberg fast 14 000 Menschen aus Entwicklungsländern. Für diese Studierenden wurden allein 2008 Studienplatzkosten in Höhe von über 100 Mill. Euro als öffentliche Entwicklungshilfe angerechnet.

Die meisten der Studentinnen und Studenten aus Entwicklungsländern stammen aus China. Der größte Teil der Studierenden aus Entwicklungsländern ist in ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen eingeschrieben.

Anspruch und Realität der Selbstverpflichtung

Die Industrieländer haben sich verpflichtet, mindestens 0,7 % ihres Sozialprodukts für öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance – ODA, vgl. i-Punkt) zur Verfügung zu stellen. Diese Quote erreichen seit einigen Jahren nur die skandinavischen Länder, Luxemburg, die Niederlande und Belgien.1 Für die Bundesrepublik wurde für 2008 eine Quote von 0,38 % ermittelt. Die Berechnung der Entwicklungshilfeleistungen auf Bundesebene bezieht unterschiedlichste Aufwendungen des Bundes und der Länder ein, zum Beispiel für die Schuldenerlassung für Entwicklungsländer, aber auch Kosten die durch Flüchtlinge im Zufluchtsland entstehen.

Zum weit überwiegenden Teil werden die Landesausgaben für die Bereitstellung von Studienplätzen für Gaststudenten aus Entwicklungsländern in die ODA-Statistik der Länder eingerechnet. Das zugrunde liegende Rechenverfahren basiert auf der Anzahl ausländischer Studierender aus den betreffenden Ländern, die ihre Studienzugangsberechtigung im Ausland erworben haben (Bildungsausländer) und die nach Abschluss ihres Studiums in ihr Herkunftsland zurück kehren. Die zweite Säule der ODA-Leistungen bilden konkrete Entwicklungshilfeprojekte wie der Bau von Brunnenanlagen in Sierra Leone, Hilfstransporte nach Moldavien, Belarus oder Albanien, Wiedereingliederungsmaßnahmen für ehemalige Kindersoldaten in Burundi oder auch die Beschaffung eines LKWs für eine Bauernkooperative in Uganda, um nur einige Beispiele zu nennen.

Mit der Gesamtsumme der ODA-Leistungen steht Baden-Württemberg im Bundesländervergleich auf dem 2. Platz hinter Nordrhein-Westfalen. Verglichen mit dem Anteil am Bruttosozialprodukt der einzelnen Länder erreicht Baden-Württemberg den 6. Rang (vor Nordrhein-Westfalen). Umgerechnet auf die Einwohner eines Bundeslandes liegt Baden-Württemberg mit 1,01 Euro pro Kopf in der Spitzengruppe auf Platz 5. In den letzten beiden Kategorien liegen jeweils alle drei Stadtstaaten vorne, da die bei ihnen verbuchten Leistungen aus Studienplatzkosten überproportional in Anspruch genommen werden.

Die Studienplatzkosten unterliegen beträchtlichen Schwankungen. 2008 lagen sie nur knapp über dem Niveau von 2003, nachdem sie zwischenzeitlich stark angestiegen und anschließend ähnlich schnell wieder abgesunken waren. Als Sockelbetrag bilden sie mit fast 95 % die Basis der errechneten offiziellen Entwicklungshilfe des Landes. Diese Studienplatzkosten für Studierende aus Entwicklungsländern werden auf Grundlage der allgemeinen Hochschulstatistik zentral berechnet.

Ausgaben für Entwicklungshilfeprojekte

In der Öffentlichkeit werden Entwicklungshilfeleistungen mit Maßnahmen wie Hilfstransporten oder Brunnenbohrprojekten, mit Sachhilfen oder mit dem Aufbau medizinischer Infrastruktur in Entwicklungsländern in Verbindung gebracht. Hierbei handelt es sich um Projekte und Ausgaben, die direkt in das betroffene Land hineinwirken. Solche Projekte werden zumeist in Federführung engagierter Bürgerinnen und Bürger, von Verbänden oder auch von Forschungsinstituten in Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen (Nichtregierungsorganisationen) durchgeführt, die für die jeweiligen Maßnahmen Fördermittel von Land und Gemeinden erhalten.

Bei Betrachtung der für derartige Projekte in den vergangenen Jahren aufgewendeten Mittel offenbart sich eine auffällige Entwicklung: Die Aufwendungen sind seit 2002 in alternierenden Wellenbewegungen um durchschnittlich knapp 7 % pro Jahr gesunken. Im Jahr 2008 lag ihr Niveau um mehr als 41 % unter dem Ausgangswert von 2002.

Bei der Erhebung der Zahlen für 2009 zeichnet sich eine positive Tendenz ab. Noch vor Abschluss der jährlichen Erhebung wurde der letztjährige Betrag überschritten. Damit kommt die Talfahrt der letzten Jahre vorläufig zu einem Ende. Ob es sich dabei tatsächlich um eine Trendwende handelt, wird die Zukunft erweisen.

Werden allein die Ausgaben für konkrete Entwicklungshilfeprojekte im Ländervergleich betrachtet, erreicht Baden-Württemberg 2008 in der Gesamtsumme erneut den 2. Platz nach Nordrhein-Westfalen, bei den Pro-Kopf-Ausgaben auf Basis der Einwohnerzahlen jedoch den 6. Rang.

Entwicklungspolitische Leitlinien

In Beantwortung einer Landtagsanfrage stellte das Wirtschaftsministerium Ende Januar 2010 die entwicklungspolitischen Maßnahmen des Landes für die vergangenen Jahre und die zukünftige Planung vor. In dieser Aufstellung kommen die Ausgaben für Studienplätze nur am Rande zur Sprache, zum Beispiel, wenn mitgeteilt wird, dass das Land den Mittelansatz für den Studierenden- und Nachwuchswissenschaftleraustausch der Jahre 2008 und 2009 aufgrund der derzeitigen Haushaltssituation für den Doppelhaushalt 2010/11 gekürzt hat2, so dass künftig eher wieder mit einem Rückgang öffentlicher Entwicklungshilfe als mit einem Anstieg zu rechnen sein wird.

Gleichwohl wird betont, dass auch in Zukunft ein entwicklungspolitischer Schwerpunkt in bildungspolitischen Maßnahmen, insbesondere in der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit und im Bereich der Aus- und Fortbildung gesehen wird. Beispielhaft angeführt werden vielfältige Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit Modellcharakter, die in Zusammenarbeit baden-württembergischer Forschungsinstitute und der örtlichen Wirtschaft in Entwicklungsländern betrieben werden.

Weiterhin verdeutlichen Fortbildungsangebote für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen, die Einbeziehung entwicklungspolitischer Themen in die Bildungspläne der verschiedenen Schultypen und die Förderung der Bildungsveranstaltungen der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg den Stellenwert entwicklungspolitischer Informations- und Bildungsarbeit.

Studierende aus Entwicklungsländern

Im Wintersemester 2008/09 waren 34 091 Studierende ohne deutsche Staatsangehörigkeit an baden-württembergischen Hochschulen eingeschrieben, darunter 26 401 Bildungsausländer, also Personen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben haben. Über 52 % von ihnen (13 717) stammten aus Ländern, die vom DAC (Development Assistance Commitee der Welthungerhilfe) als Entwicklungsländer eingestuft werden. Da in dieser Liste3 auch Länder wie die Türkei aufgeführt werden, machen die 1 008 Studierenden mit türkischer Staatsangehörigkeit die zweitgrößte Gruppe (7 %) unter den Studierenden aus Entwicklungsländern aus. Die größte Gruppe (gut 26 %) bilden Chinesinnen und Chinesen, von denen 3 594 in Baden-Württemberg studieren. Anschließend folgen Studierende aus der Ukraine (867), Kamerun (654), Indien (576) und Georgien (508). Die Studierenden aus diesen sechs Ländern (zusammen 7 107) machen bereits über die Hälfte aller 13 717 Studierenden aus weiteren 105 Entwicklungsländern an baden-württembergischen Hochschulen aus.

Die Abfolge der 2 694 Studienanfängerinnen und -anfänger nach ihren Herkunftsländern deutet die künftige Entwicklung an. Ein Viertel aller Erstsemester aus diesen Ländern sind Studierende mit chinesischer Staatsangehörigkeit (25 %) Danach folgen Studienanfängerinnen und -anfänger aus der Türkei (9 %) und Mexico (7 %), das in der Studierendenstatistik lediglich auf Platz 10 liegt.

Rund 50 % aller Studierenden aus Entwicklungsländern konzentrieren sich bei der Wahl ihres Studienbereichs auf fünf Fächer: Maschinenbau/Verfahrenstechnik bildet mit einem Anteil von gut 12 % aller Bildungsausländer aus Entwicklungsländern den beliebtesten Studienbereich. An zweiter Stelle folgen dann Wirtschaftswissenschaften. Wird dieses Fach zusammengefasst mit Wirtschaftsingenieurwesen erhöht sich der Anteil der Studierenden aus Entwicklungsländern, die diesen Studienbereich gewählt haben, auf fast 15 %. Elektrotechnik und Informatik schließen sich in der Beliebtheit auf Platz 3 und 4 an und erst mit einigem Abstand folgen Germanistik und Medizin und weitere 52 Studienbereiche.

In einzelnen Studienfächern sind Studierende aus bestimmten Ländern besonders stark vertreten. In den Wirtschaftswissenschaften liegen Studierende mit chinesischem Pass mit 31 % noch weit vor den Studierenden aus der Türkei (knapp 7 %). Studierende aus China belegen auch bevorzugt Maschinenbau/Verfahrenstechnik. Ihr Anteil von 27 % aller Maschinenbau-Studierenden aus den hier aufgeführten Ländern ist drei mal so hoch wie der der nächst größten Gruppe, der Studenten und Studentinnen aus der Türkei (9 %).