:: 7/2010

Umweltökonomische Gesamtrechnungen zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit und Umwelt

Die Umweltökonischen Gesamtrechnungen befassen sich unter anderem mit der Quantifizierung der Inanspruchnahme der Umwelt und Natur durch Produktion und Konsum einer Volkswirtschaft. Mit einem Set physischer Indikatoren wird der Verbrauch natürlicher Ressourcen sowie die Belastung der Umwelt durch die Abgabe von Reststoffen in Form von Luftemissionen, Abfällen und Abwasser gemessen und in Beziehung zu wirtschaftlichen Größen gesetzt. Auf diese Weise werden Aussagen zur Entwicklung der absoluten Inanspruchnahme von Ressourcen und Umwelt wie auch über Fortschritte bei der angestrebten Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum und Umweltinanspruchnahme ermöglicht. Die Ergebnisse für Baden-Württemberg zeigen hierin deutliche Erfolge, die aber in wichtigen Teilbereichen noch erheblich hinter den formulierten Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie zurückbleiben.

Steigende Bedeutung Umweltökonomischer Gesamtrechnungen

Die Umweltökonomischen Gesamtrechnungen (UGR) sind ein wesentliches Element der statistischen Berichterstattung über Nachhaltigkeit1 und Umwelt. Ihre Bedeutung erhält aktuell großen Nachdruck durch den Bericht der vom französischen Präsidenten Sarkozy eingerichteten internationalen »Kommission zur Messung der wirtschaftlichen Leistung und des sozialen Fortschritts« unter Leitung der Nobelpreisträger Professor Joseph E. Stiglitz und Professor Amartya Sen. Darin sind politisch stark beachtete Empfehlungen zu den Themenbereichen Wirtschaftsindikatoren, Lebensqualität sowie Nachhaltigkeit und Umwelt formuliert. Für die Abbildung der umweltbezogenen Aspekte der Nachhaltigkeit schlägt die sogenannte Stiglitz-Kommission ein Set physischer Indikatoren vor. Diese Empfehlung korrespondiert in hohem Maß mit dem Konzept der Umweltökonomischen Gesamtrechnungen, deren Aufbau in Deutschland sowie in den Bundesländern bereits in den 90er-Jahren begonnen wurde. Zusätzlichen Rückhalt erhalten die Arbeiten an den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen durch die derzeit vorbereitete EU-Verordnung über europäische Umweltökonomische Gesamtrechnungen, mit der eine rechtliche Grundlage für die Ergänzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen durch integrierte Umweltökonomische Gesamtrechnungen geschaffen wird. Ein wichtiges Ziel ist dabei auch die verbesserte internationale Vergleichbarkeit der entsprechenden Informationen.

Indikatoren zur Inanspruchnahme von Ressourcen und Umwelt

Der Ansatz der UGR für Baden-Württemberg wie auch für Deutschland insgesamt besteht darin, die volkswirtschaftliche Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen und Umwelt durch ein Set physischer Indikatoren (Einsatzfaktoren) abzubilden. So wird der allgemein anerkannten Tatsache Rechnung getragen, dass eine Volkswirtschaft bei ihren wirtschaftlichen Aktivitäten (Produktion und Konsum) zusätzlich zu den wirtschaftlichen Faktoren, Arbeit und produziertes Vermögen, in erheblichem Umfang auch nicht selbst produziertes, sondern von der Natur bereitgestelltes Vermögen (Umwelt-Einsatzfaktoren) in Anspruch nimmt. Die UGR unterscheiden dabei zwei Kategorien von Umwelt-Einsatzfaktoren. Zum einen sind dies natürliche Ressourcen, insbesondere die Rohstoffe wie Energieträger, Erze, andere Mineralien und Wasser, sowie die Bodenfläche als Standort für Produktions-, Konsum- und Freizeiteinrichtungen bzw. -aktivitäten. Zum anderen gehören zu den Umwelt-Einsatzfaktoren die in Anspruch genommenen Dienstleistungen der Natur, das heißt deren Nutzung als Aufnahmebecken für die durch volkswirtschaftliche Produktion und Konsum entstandenen Rest- und Schadstoffe, wie Luftemissionen, Abwasser und verschiedenartige Abfälle .

Durch die methodische Verzahnung der Umweltökonomischen Gesamtrechnungen mit anderen Gesamtrechnungssystemen, insbesondere mit den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, ist es möglich, die statistische Entwicklung der verschiedenen Indikatoren zu den drei Aspekten von Nachhaltigkeit – dem Schutz von Ressourcen und Umwelt, dem Erhalt einer funktionsfähigen Wirtschaft sowie dem Schutz lebenswerter sozialer Bedingungen – soweit erforderlich auch miteinander in Beziehung zu setzen.

Umweltökonomische Trends bei Einsatzmengen und Produktivität

Zur Beantwortung der Frage, wie nachhaltig Wirtschaft und Gesellschaft mit Ressourcen und Umwelt umgehen, sind bei der Betrachtung der Einsatzfaktoren verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Neben dem absoluten Zahlenwert der einzelnen Indikatoren ist vor allem auch deren Entwicklung im Zeitablauf, das heißt die Richtung der Trends bei den einzelnen Einsatzfaktoren, von großer Wichtigkeit. Außerdem ist die Effizienz bzw. Produktivität der Nutzung der verschiedenen Einsatzfaktoren ein wichtiger Aspekt. Die hierbei zur ökonomischen Entwicklung in Bezug gesetzte Veränderung der Umweltnutzung gibt darüber Auskunft, wie effizient die Umwelteinsatzfaktoren genutzt werden. Ziel ist es, die Effizienz, das heißt die Produktivität beim Einsatz, zu steigern und damit eine Entkoppelung der Inanspruchnahme von Umwelteinsatzfaktoren von der Entwicklung der Wirtschaftsleistung zu erreichen.

Daten zu den verschiedenen Einsatzfaktoren liegen für Baden-Württemberg überwiegend ab Anfang der 90er-Jahre vor. Für Bund-Länder-Vergleiche wird der Zeitraum ab 1995 herangezogen. Damit wird den Sonderentwicklungen in den ostdeutschen Bundesländern in den frühen 90er-Jahren Rechnung getragen, die insbesondere durch umfangreiche Produktionsstilllegungen unmittelbar nach der Wiedervereinigung ausgelöst wurden.

Noch kein durchgängiger Rückgang beim Ressourcenverbrauch

Im Bereich Ressourcennutzung ist keine einheitliche Entwicklung erkennbar. Deutliche Rückgänge sind beim Rohstoffverbrauch (– 16 %) und beim Wassereinsatz (– 21 %) zu verzeichnen. Der Energieverbrauch hingegen lag trotz zuletzt spürbar gesunkenem Verbrauch 2008 noch um 7,4 % höher als Anfang der 90er-Jahre. Auch die Siedlungs- und Verkehrsfläche hat gegenüber 1991 um immerhin 14 % weiter zugenommen. Allerdings hat die jährliche Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke gegenüber Mitte der 90er-Jahre abgenommen.

Eindeutig rückläufig ist die Entwicklung bei der Abgabe von Rest- und Schadstoffen an die Natur. Analog zum verminderten Wassereinsatz wurde die Abgabe gebrauchten Wassers deutlich verringert. Die Emissionen an Luftschadstoffen gingen sogar um 38 % zurück, und die Abgabe von Siedlungsabfällen an die Natur wurde nahezu auf Null reduziert. Auch bei den Emissionen an Treibhausgasen ist mittlerweile ein spürbarer Rückgang um immerhin 13 % gegenüber Anfang der 90er-Jahre erreicht worden. Im gleichen Zeitraum von 1991 bis 2008 ist das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 28 % angestiegen. Die Zahl der Erwerbstätigen im Land erhöhte sich um 13,1 % von 4,96 auf 5,61 Mill. Personen. Allerdings hat die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden nicht im gleichen Umfang zugenommen. Die Zahl der Einwohner im Land nahm seit 1991 um 7,5 % auf 10,75 Mill. zu.

Der zeitliche Verlauf der Inanspruchnahme ist bei den verschiedenen Einsatzfaktoren von teils deutlichen Schwankungen gekennzeichnet. Eindeutige Trendaussagen, bezogen auf die absoluten Einsatzmengen, sind daher zumindest erschwert. Dies gilt insbesondere für die auf den Ressourcenverbrauch bezogenen Indikatoren. Ein eindeutig abnehmender Trend ist dort nur für den Wassereinsatz festzustellen. Beim Primärenergieverbrauch kann trotz der deutlich niedrigeren Werte in den Jahren 2007 und 2008 noch nicht von einer Trendwende hin zu einem rückläufigen Primärenergieverbrauch gesprochen werden. Dies gilt entsprechend auch für die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke.

Beim Rohstoffverbrauch insgesamt ist trotz der 2006 und 2007 leicht erhöhten Einsatzmenge insgesamt zwar ein rückläufiger Trend festzustellen. Der langfristige Rückgang wird jedoch allein durch die hier stark dominierenden sonstigen mineralischen Stoffe sowie zugehörigen Erzeugnisse getragen. Dies sind die hauptsächlich in der Bauindustrie sowie der Industrie der Steine und Erden verwendeten und vorwiegend aus Sand, Kies und Natursteinen bestehenden Rohstoffe, die allein rund zwei Drittel der gesamten im Land eingesetzten abiotischen Rohstoffe ausmachen. Ihr Einsatz hat seit der ersten Hälfte der 90er-Jahre deutlich abgenommen. Nicht zurückgegangen ist hingegen der Verbrauch der Rohstoffe bestehend aus Energieträgern und zugehörigen Erzeugnissen sowie der Erze einschließlich zugehöriger Erzeugnisse. Die Einsatzmengen dieser beiden Stoffgruppen der Energieträger und Erze weisen einen deutlich steigenden Trend auf. So beträgt die Zunahme bei den Energierohstoffen immerhin 24 % und der Einsatz an Erzen etc. nahm sogar um rund 150 % gegenüber 1994 zu.

Rückläufiger Trend bei den Treibhausgasemissionen

Für die Einsatzfaktoren, die die Dienstleistungsfunktion der Umwelt als Aufnahmebecken für Reststoffe beschreiben, ist bei ebenfalls deutlichen jährlichen Schwankungen ein durchgängig rückläufiger Trend festzustellen. Dies gilt zwischenzeitlich auch für die Treibhausgasemissionen, deren Abwärtstrend nicht mehr allein von der Minderung der Methan- und N2O-Emissionen getragen wird. Auch bei den energiebedingten CO2-Emissionen ging die lange Zeit eher stagnierende Entwicklung offenbar in einen Abwärtstrend über. Dass trotz des längerfristig betrachtet noch nicht rückläufigen Primärenergieverbrauchs eine Abnahme der jährlichen CO2-Emissionen gelungen ist, beruht in erster Linie auf Veränderungen in der Zusammensetzung der eingesetzten Energieträger. Neben einem erhöhten Einsatz des weniger CO2-intensiven Energieträgers Erdgas anstelle von Kohle und Heizöl hat insbesondere der Ausbau der erneuerbaren Energien zum Rückgang der CO2-Emissionen beigetragen. Dabei ist der Anstieg des Anteils erneuerbarer Energien auf über 10 % im Jahr 2008 vor allem auch auf die verstärkte Nutzung von Biomasse, darunter in großem Umfang von biogenen Abfällen, zurückzuführen. Somit trägt die forcierte Weiterentwicklung der Abfallwirtschaft nach der Einstellung der Deponierung organischer Abfälle auch indirekt in erheblichem Umfang zur Reduzierung der CO2-Emissionen bei.2 Durch die außerordentlich starken Produktionseinbußen vor allem im Bereich des Produzierenden Gewerbes im Jahr 2009 ist davon auszugehen, dass die CO2-Emissionen auch in Baden-Württemberg nochmals deutlich zurückgegangen sind. Auf Bundesebene war diese Abnahme der CO2-Emissionen nach vorläufigen Ergebnissen höher als der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts.

Durchgängige Produktivitätssteigerung bei Umwelteinsatzfaktoren …

Vor allem im Bereich der Ressourcennutzung besteht die Zielsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie vor allem in der deutlichen Steigerung der Produktivität (BIP je Einheit des Einsatzfaktors) von Energieverbrauch und Rohstoffeinsatz und damit der nachhaltigen Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch. Entsprechendes gilt für die Inanspruchnahme der Dienstleistungsfunktion der Umwelt als Aufnahmebecken für Reststoffe.

Tatsächlich ist die Produktivität der umweltbezogenen Einsatzfaktoren durchweg angestiegen. Besonders deutlich gelang dies bei den Luftschadstoffen und der Abgabe von Siedlungsabfällen an die Natur. Bezogen auf den Zeitraum seit 1995 liegt die durchschnittliche jährliche Steigerung der Produktivitäten im Land fast durchweg höher als im Bundesdurchschnitt. Und auch bei den Treibhausgasen sowie dem besonders gewichtigen CO2 hat sich die Entkoppelung der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukt und der jährlichen Emissionsfracht im Land erkennbar beschleunigt.

... aber noch zurück hinter Nachhaltigkeitszielen

Besondere Beachtung findet die Entwicklung der Rohstoff- und Energieproduktivität. Die Energieproduktivität ist im Land, gemessen am Jahr 1990, um 17,2 % angestiegen. Bundesweit lag die Steigerung der Energieproduktivität im selben Zeitraum bei rund 30 %. Die auf Bundesebene größere Steigerung ist in erheblichem Umfang auf die Sonderentwicklung infolge der Stilllegung ineffizienter Produktionsanlagen in den neuen Ländern Anfang der 90er-Jahre zurückzuführen. Bezogen auf die Zeit nach 1995 lag die Steigerung der Energieproduktivität in Baden-Württemberg nahezu beim Bundesdurchschnitt. Die Nachhaltigkeitsstrategie formuliert das Ziel, die Energieproduktivität bis 2020 zu verdoppeln. Um dies zu erreichen, ist eine erhebliche Steigerung der Produktivitätserfolge notwendig. Das gilt in analoger Form auch für die Rohstoffproduktivität, die im Land seit 1994 um 48,3 % und damit sogar stärker als im Bundesdurchschnitt erhöht wurde.