:: 9/2010

Die ambulante ärztliche Versorgung in Baden-Württemberg

Stand und Entwicklung der letzten Jahre

Kaum eine Berufsgruppe ist im öffentlichen Bewusstsein so eng mit der Qualität der medizinischen Versorgung verbunden wie die der Ärzte. Mediziner im ambulanten Bereich sind für die meisten Menschen die ersten Ansprechpartner bei gesundheitlichen Problemen. Insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der absehbaren Zunahme der älteren und tendenziell eher von Krankheiten und eingeschränkter Mobilität betroffenen Bevölkerung erhöht sich die Bedeutung, die einer flächendeckenden ärztlichen Versorgung zukommt. Die Zahl der Ärzte in Baden-Württemberg hat in den letzten Jahren zugenommen, gleichzeitig ist aber gerade bei den Hausärzten mit einem deutlichen Anteil zu rechnen, der aus Altersgründen ausscheiden wird.

Die Ärztestatistik der Bundesärztekammer weist alle Ärzte aus, die in Deutschland qualifiziert sind, kurativ tätig zu werden. Nicht alle Ärzte sind aber ärztlich tätig, zum Beispiel aus Altersgründen, weil sie in Elternzeit sind oder andere Berufe als den des Arztes ausüben. Von 2000 bis 2009 erhöhte sich die Zahl der ärztlich tätigen Humanmediziner in Baden-Württemberg um knapp 11 % auf 41 900, in Deutschland um gut 11 % auf 325 900. Dies umfasst alle Ärzte, die kurativ tätig sind, zum Beispiel in Krankenhäusern, Rehaeinrichtungen oder der eigenen Praxis. Im ambulanten Bereich, zum Beispiel als niedergelassene oder angestellte Fachärzte, waren 2009 in Baden-Württemberg mit 18 300 rund 6 % mehr Ärzte tätig als im Jahr 2000, deutschlandweit waren mit 139 600 knapp 9 % mehr zu verzeichnen1.

Die Zulassung als Arzt der vertragsärztlichen Versorgung oder umgangssprachlich als »Kassenarzt« ist an die sogenannte Bedarfsplanung gebunden (siehe i-Punkt). Ärzte der vertragsärztlichen Versorgung sind im Folgenden der Fokus dieses Artikels. Die Zahl der teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten ist von 2000 bis Ende 2008 in Baden-Württemberg um 9 % auf knapp 18 200, deutschlandweit um 10 % auf 140 500 angestiegen.2 Schaubild 2 zeigt die Entwicklung der Relation zwischen Einwohnern und Ärzten sowie Psychotherapeuten. Seit 2000 hat sich die Relation in Baden-Württemberg und bundesweit verbessert, wobei Baden-Württemberg in diesem Zeitraum gleichzeitig ein Bevölkerungswachstum von 2,1 % erfuhr, die gesamtdeutsche Bevölkerung dagegen um 0,3 % sank.

Der Versorgungsbericht der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg erfasst Anfang 2010 in Baden-Württemberg knapp 18 400 Ärzte und Psychotherapeuten, bzw. 583 Einwohner je Arzt.3 Die vertragsärztliche Versorgung differenziert verschiedene Arztgruppen, darunter sind vor allem die Hausärzte als erster Anlaufpunkt der Patienten vor Ort von besonderer Bedeutung. Gut 8 000 Ärzte nahmen an der hausärztlichen Versorgung teil (Allgemeinärzte, hausärztlich tätige Internisten sowie Kinder- und Jugendärzte), knapp 10 400 an der fachärztlichen (sonstige Fachärzte, psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten).

Dabei ist die Verteilung der Ärzte auf die Stadt- und Landkreise des Landes auch bedingt durch die Bedarfsplanung sehr heterogen. Die geringste Anzahl an Ärzten wies Anfang 2010 der Hohenlohekreis mit 137 (davon 79 Hausärzte) auf, die höchste der Stadtkreis Stuttgart mit 1 341, darunter 438 Hausärzte. Auf einen Arzt im Hohenlohekreis kamen 800 Einwohner, in Stuttgart 448.4 Die Tabelle zeigt die Werte für die einzelnen Stadt- und Landkreise.

Ein Problem der Unterversorgung gemäß der Definition der Bedarfsplanung besteht in Baden-Württemberg gegenwärtig nicht. Dies wäre gegeben, wenn die festgelegten Verhältniszahlen von Einwohnern zu Arzt in einem Planungsbereich bei Hausärzten um 25 % und bei Fachärzten um 50 % überschritten wären. Die Verhältniszahlen unterscheiden sich je nach Arztgruppe und Typ von Stadt/Landkreis und liegen beispielsweise bei Hausärzten zwischen 1 474 und 2 134 Einwohner je Arzt. Wenn in Stuttgart beispielsweise statt gegenwärtig 1 562 Einwohner je Hausarzt mehr als 1 981 (maßgebliche Verhältniszahl 1 585) zu verzeichnen wären, so wäre Stuttgart bei Hausärzten unterversorgt.

Demografischer Wandel und Behandlungsbedarf

Im Verlauf des demografischen Wandels wird in Baden-Württemberg die Bevölkerung von 2008 bis 2030 voraussichtlich um gut 3 % abnehmen. Dabei verändern sich die Anteile der verschiedenen Altersgruppen deutlich. Der Anteil der 60- bis unter 85-Jährigen an der Bevölkerung wird aus heutiger Sicht von 22 % auf knapp 30 % steigen, der der 85-Jährigen und Älteren von 2 % auf 4 %. Gleichzeitig werden die Anteile der jüngeren Einwohner an der Bevölkerung weiter leicht abnehmen, so beispielsweise bei den unter 20-Jährigen von 20 % auf 17 % und bei den 20- bis 40-Jährigen von 25 % auf 23 %.

Die Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen ist mit dem Alter und dem Geschlecht korreliert. Im Lebensverlauf ist das Bild für Männer und Frauen dabei uneinheitlich. Während im Kindesalter bis 10 Jahre rund 6 ambulante Behandlungsfälle je Jahr für Jungen und Mädchen zu verzeichnen sind, sinkt deren Zahl bei Männern im Jugend- und Erwachsenenalter von 10 bis 50 Jahre auf zwischen 3 und 4 und steigt bei Frauen leicht an auf rund 7. Ab 50 Jahren steigt die Zahl der Behandlungsfälle je Jahr bei Männern und Frauen und liegt bei den 75- bis 84-Jährigen bei 10 (Männer) bzw. etwa 9 (Frauen).5 Durch den deutlich steigenden Anteil von Älteren wird sich aus heutiger Sicht tendenziell der Bedarf an ambulanten ärztlichen Leistungen erhöhen.

Altersstruktur der Ärzte und Medizinabsolventen

Wie viele Ärzte werden in Baden-Württemberg in den nächsten Jahren der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung stehen?

Gegenwärtig sind insgesamt gut 20 % bzw. 3 700 der teilnehmenden Ärzte älter als 60 Jahre. Unter den Hausärzten sind es 1 600 bzw. 23 %. Dabei unterscheiden sich die Anteile der über 60-Jährigen bei den Hausärzten regional deutlich. Sie reichen von 13 % im Stadtkreis Karlsruhe bis zu 35 % im Landkreis Waldshut.6

Trotz der Aufhebung der Altersbeschränkung für die vertragsärztlichen Versorgung kann davon ausgegangen werden, dass viele dieser Ärzte in 10 Jahren nicht mehr zur Verfügung stehen werden. An Hochschulen in Baden-Württemberg beendeten 2008 gut 1 700 Mediziner erfolgreich ihr Studium (bundesweit 9 900). Jedoch wird nicht jeder Humanmediziner kurativ tätig, sondern geht zum Beispiel in die Forschung oder verlässt möglicherweise Deutschland. Weiterhin teilen sich diejenigen, die die kurative Laufbahn verfolgen, auf stationäre und ambulante Tätigkeitsbereiche auf. Um als Vertragsarzt zugelassen werden zu können, muss ein Arzt nach dem Studium eine 5- bis 6-jährige Facharztausbildung abgeschlossen haben.

Die Entwicklung der Ärztezahlen in Baden-Württemberg zeigt eine deutlich größere Zunahme bei den Fachärzten. Hier wurde seit 1999 ein Zuwachs um gut 20 % verzeichnet, die Zahl der Hausärzte erhöhte sich dagegen nur um 1 %. Ein eventuelles Nachwuchsproblem könnte sich so eher bei den Hausärzten zeigen. Zu den Ärzten der hausärztlichen Versorgung gehören unter anderem auch Kinder- und Jugendärzte, deren Rückgang aufgrund geringerer Kinderzahlen die Betreuungsrelation nicht deutlich verschlechtert. Zwei Bestandteile gestalten diesen Trend kritisch: Einerseits eine alternde Hausärzteschaft mit einem deutlichen Anteil an Medizinern, der mittelfristig aus Altersgründen ausscheiden wird und andererseits eine voraussichtlich stärkere Inanspruchnahme medizinischer Leistungen durch eine alternde Bevölkerung.

Reformen und Modellprojekte

Um dieser und anderen Herausforderungen zu begegnen, wurden durch vielfältige Reformen speziell im Bereich der ambulanten Versorgung eine Vielzahl von Möglichkeiten geschaffen, einer Über-, Unter- oder Fehlversorgung entgegen zu steuern.

Eine engere Kooperation von stationären und ambulanten Leistungserbringern zum Beispiel von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten in Form von integrierten Versorgungsformen, ist eine davon. Weitere sind sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und die überörtliche Praxisausübung. In MVZ praktizieren Ärzte unterschiedlicher Fachbereiche und eventuell weitere Partner (Apotheken, Physiotherapeuten, Pflegedienste) zusammen.7 Die Zahl der MVZ erhöhte sich in Baden-Württemberg von 2007 bis 2009 von 34 auf 74 mit insgesamt 367 Ärzten. Bei der überörtlichen Praxisausübung in Berufsausübungsgemeinschaften (ÜBAG) kooperieren Ärzte und Partner und erbringen auch Leistungen außerhalb des Vertragsarztsitzes, was insbesondere in ländlichen Regionen einer Unterversorgung entgegen wirken kann. In 2009 gab es 94 ÜBAG.8

Darüber hinaus wird eine grundsätzliche Anpassung der Bedarfsplanung diskutiert. Etwa die Anpassung des Einwohner/Arzt-Schlüssels mittels eines demografischen Faktors, der die tendenziell höhere Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen Älterer und deren geringere Mobilität berücksichtigen soll.9

Bei der Entscheidung von Nachwuchsmedizinern, welche Laufbahn sie einschlagen wollen (beispielsweise kurative Tätigkeit oder Forschung, Tätigkeit in Deutschland oder im Ausland), gehen viele Faktoren ein. Ein Einflussfaktor, der seit Jahren immer wieder kontrovers diskutiert wird, ist die Vergütung von Ärzten und insbesondere von »Landärzten«. Das Vergütungssystem von Ärzten ist sehr komplex, immer wieder Gegenstand von Reformen und kann hier aus Platzgründen nicht in geeigneter Weise dargestellt werden.10

Im Gespräch sind auch Änderungen beim Medizinstudium in Hinblick auf die Zulassung und die Struktur und Inhalte des Studiums. Vorschläge sind, die Zahl der Medizinstudienplätze zu erhöhen oder eine »Landarztquote« einzurichten.11 Eine veränderte Struktur der Facharztausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin stellt die »VerbundweiterbildungPlus« in Baden-Württemberg dar. Die Ärzte müssen hierbei nicht jede Station ihrer Ausbildung in Eigenregie organisieren, sondern habe einen koordinierten und nahtlosen Ausbildungsablauf. Dieser wird durch das »Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin« begleitet, einem Zusammenschluss der 5 medizinischen Universitätsstandorte im Land. Neben einem Netzwerk aus niedergelassenen Fachärzten und regionalen Kliniken werden dabei Mentoringprogramme und Schulungen für Ärzte in der Facharztausbildung geboten. Die Zahl der regionalen Weiterbildungsverbünde stieg von acht Ende 2008 auf 23 Anfang 2010.12

Ebenfalls angelaufen sind in Baden-Württemberg Modellprojekte, um gerade im ländlichen Bereich die medizinische Versorgung an zukünftige Herausforderungen anzupassen.

Dazu wurde zum Beispiel im Ostalbkreis ein Projekt der »Telemedizin« gestartet. Patienten mit Herzrhythmusstörungen können dabei über ein mobiles Tele-EKG-Gerät (ungefähr in Scheckkartengröße) und ein Mobiltelefon von zu Hause oder unterwegs aus ihre Daten an Fachärzte im Ostalb-Klinikum übermitteln. Die Ärzte können sich so schnell über etwaige bedenkliche Veränderungen informieren und Maßnahmen einleiten.13

Weitere geplante Modellprojekte sind der weitere Ausbau von MVZ, Landarzttaxis, um älteren und mobilitätseingeschränkten Patienten den Zugang zu Ärzten zu erleichtern, und zusätzliche Anreize für Ärzte, sich im ländlichen Raum niederzulassen.14 Dazu gehören gerade für junge Ärzte und deren Familien verbesserte Angebote zur Kinder- und Familienfreundlichkeit.15

Die heute absehbaren zukünftigen Entwicklungen signalisieren besondere Herausforderungen, um weiterhin eine qualitativ hochwertige und flächendeckende medizinische Versorgung in Baden-Württemberg sicher zu stellen. Dabei kommt über die demografische Entwicklung hinaus auch den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die öffentlichen Haushalte und auf die einkommensabhängigen Krankenversicherungsbeiträge in den nächsten Jahren große Bedeutung zu. Die Vielzahl der Beteiligten und die Komplexität des Gesundheitssystems erfordern ein hohes Maß an Kooperation und Koordination auf allen Ebenen, von der Kommune über das Land bis hin zur Bundesebene.

1 Gesundheitsberichterstattung des Bundes basierend auf der Ärztestatistik der Bundesärztekammer, ohne Zahnärzte 2010.

2 Aktuellste verfügbare Daten Stand 31. Dezember 2008 ohne ermächtigte Ärzte und Psychotherapeuten, dies sind ausgewählte Ärzte, die zusätzlich zu den Vertragsärzten berechtigt sind GKV-Patienten ambulant zu behandeln, zum Beispiel Fachärzte in Krankenhäusern. Eigene Berechnungen auf Basis der Grunddaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

3 Ohne ermächtigte Ärzte und Psychotherapeuten Stand Juni 2009. Aufgrund methodischer Unterschiede und Stichtage sind die Werte der KBV und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) nur eingeschränkt vergleichbar, jedoch liegen bundesweite Daten nur von der KBV und regionalisierte Daten für Baden-Württemberg nur von der KVBW vor. Bevölkerungsstand 30. September 2009. KVBW Versorgungsbericht 2009 mit Anhang 2010.

4 Stand Anfang 2010, Bevölkerung Stand 30. September 2009. KVBW 2010.

5 Gmünder Ersatzkasse (GEK) (Hrsg.) (2006): GEK-Report ambulant-ärztliche Versorgung 2006, Asgard-Verlag, Sankt Augustin. S. 164.

6 KVBW 2010.

7 Simon, Michael (2010): Das Gesundheitssystem in Deutschland – Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise, Verlag Huber Bern 3. Auflage. S. 188.

8 KVBW 2010.

9 Vgl. Fülöp/Kopetsch/Schöpe: Bedarfsgerechte Versorgungsplanung, in: Gesundheits- und Sozialpolitik 7-8/2007 S. 57-63.

10 Simon 2010 bietet einen Überblick über die Grundzüge S. 208-228.

11 Hierbei wird ein Kontingent an Studienplätzen an Studenten vergeben, mit der Maßgabe nach ihrem Abschluss eine gewisse Zeit als Landarzt tätig zu sein.

12 VerbundweiterbildungPlus Allgemeinmedizin Baden-Württemberg

13 Landratsamt Ostalbkreis, gesundheitsnetz-ostalbkreis.de.

14 Hauk, Peter: Flächendeckende Versorgung ist das Gebot; in: Gemeindetag Baden-Württemberg (Hrsg.): Die Gemeinde (BWGZ) 9/2009, S. 339-343.

15 Interviews mit Bundesgesundheitsminister Rösler vom 4. und 16. April 2010.