:: 9/2010

Rinderhaltung in Baden-Württemberg

Die Haltung von Rindern zur Milch- und Fleischerzeugung ist ein wichtiges Standbein für die landwirtschaftlichen Betriebe im Land. Mit Rindfleisch und Milch wird ein Viertel des Produktionswerts der Landwirtschaft in Baden-Württemberg generiert. Dementsprechend weit verbreitet ist die Haltung von Rindern. Etwa vier von zehn Betrieben im Land halten Rinder. Die Fütterung von Rindern ist aufgrund ihrer Eigenschaft als Wiederkäuer an die Produktion von Rauhfutter gebunden, das vielfach von Grünland gewonnen wird. Damit stellt die Rinderhaltung häufig die Basis für die landwirtschaftliche Nutzung von Grünland dar, also von Flächen, die im Hinblick auf den Natur- und Artenschutz eine besondere Wertigkeit haben und zudem in besonderem Maße landschaftsprägend sind. Gleichzeitig unterliegt die Rinderhaltung – wie die Landwirtschaft generell – seit Jahren einem ausgeprägten Strukturwandel. Immer weniger Betriebe halten in immer größeren Ställen eine kleiner werdende Zahl an Rindern. In diesem Veränderungsprozess bilden sich auch die regionalen strukturellen Besonderheiten immer weiter aus.

Immer weniger Rinder, immer weniger Halter, immer größere Ställe

In Baden-Württemberg nimmt die Zahl der Rinder seit über zwei Jahrzehnten mehr oder weniger kontinuierlich ab. Ihren Höhepunkt hatte die Rinderhaltung in den Jahren vor 1983 – dem Jahr, in dem es in der Europäischen Gemeinschaft (EG) zur Einführung der Milchquotenregelung kam. Die Milchquotenregelung war der Versuch, die überbordende Milchproduktion (damalige Stichworte waren »Milchseen« und »Butterberge«) zu begrenzen, indem den Betrieben ganz bestimmte Produktionsmengen, sogenannte Quoten, zugestanden wurden. Da die Milchproduktion das Kerngeschäft der Rinderhaltung ist, war von den Maßnahmen im Bereich Milch die gesamte Rinderhaltung mitbetroffen. Die in der Folge getroffenen Beschlüsse zur Regulierung der Milchmärkte (Quotenkürzungen, ‑aufkäufe) sowie des Rindfleischsektors haben in Verbindung mit den parallel dazu verlaufenden Produktivitätsfortschritten dazu geführt, dass die Rinderbestände kontinuierlich zurückgegangen sind.

Wurden 1983 noch 1,85 Mill. Rinder in den landwirtschaftlichen Betrieben des Landes gezählt, so waren es im Jahr 2010 nach Auswertungen des Herkunfts- und Informationssystems Tier (HIT, siehe i-Punkt) nur noch 1,03 Mill. Rinder.1 Damit wurden in gut zweieinhalb Jahrzehnten über vier Zehntel des Rinderbestands abgebaut. Die Zahl der Rinderhalter bezifferte sich Ende 1983 auf rund 74 900. Nach Angaben aus HIT gab es im Frühjahr 2010 noch knapp 20 800 landwirtschaftliche Rinderhaltungen. Das entspricht einem Rückgang um fast drei Viertel, das heißt, nahezu drei von vier Rinderhaltern haben in diesem Zeitraum die Haltung von Rindern aufgegeben. Da die Halterzahlen deutlich stärker zurück gegangen sind als die Bestände, hat sich der durchschnittliche Bestand je Halter rechnerisch von etwa 25 auf 50 Rinder verdoppelt.

Annährend im Gleichschritt verlief die Entwicklung im Kernbereich der Rinderhaltung – der Milchviehhaltung. Die Zahl der Milchkühe verringerte sich von 1983 bis 2010 von 694 300 um nahezu die Hälfte auf 357 000. Die Zahl der Milchbauern ging sogar um über 80 % von 63 200 auf etwa 11 100 zurück. Im Gegenzug hat sich die mittlere Bestandsgröße einer Milchkuhherde fast verdreifacht: von 11 auf 32 Milchkühe.

Bedeutungsverlust im Bundesvergleich

Die grundsätzlichen Entwicklungslinien (rückläufiger Bestand, abnehmende Halterzahlen bei wachsenden Bestandsgrößen) sind bundesweit – zumindest für die alten Bundesländer – zu verzeichnen. Die Rinder- und Milchkuhhaltung in den neuen Bundesländern hat nach der Wiedervereinigung zwar ebenfalls massive strukturelle Veränderungen erfahren, jedoch aus anderen Gründen und zum Teil mit anderen Vorzeichen. Sinnvolle Vergleiche können daher nur zwischen den alten Ländern angestellt werden.

Schon vor der Wiedervereinigung wiesen die Strukturen in Westdeutschland deutliche Unterschiede auf. Die größten Betriebe waren schon in den 80er-Jahren im Norden und Nordwesten der Bundesrepublik zu finden. Diesen strukturellen Vorsprung haben die Länder in den folgenden Jahren offensichtlich zu nutzen gewusst. Während im Süden das alte Gesetz vom »Wachsen oder Weichen« eher in Richtung »Weichen« umgesetzt wurde, lag anderenorts die Betonung offensichtlich eher auf »Wachsen«. Wachsen bedeutet in diesem Zusammenhang nicht absolutes Wachstum, sondern die Herausbildung von wettbewerbsfähigen Strukturen und Bestandsgrößen.

Spätestens seit der regionalen Freigabe des Milchquotenhandels wird sichtbar, dass es strukturelle Wettbewerbsunterschiede gibt und diese auch genutzt werden. Die Folge sind die Abwanderung von Produktionspotenzialen. Innerhalb von 3 Jahren sind rund 95 Tsd. Tonnen Milchquote aus dem Land »abgewandert«. Bei einer jährlichen Milchleistung von 6 198 kg je Kuh (im Jahr 2009) entspricht dies einem Abgang von über 15 000 Milchkühen. Rechnet man die laufenden Produktivitätsfortschritte in der Milcherzeugung hinzu – etwa 100 kg mehr je Kuh und Jahr in den vergangenen 10 Jahren –, dann sind weitere Bestandsabstockungen im Milchviehbereich vorgezeichnet.

Der relative Bedeutungsverlust der baden-württembergischen Milchviehhaltung kann auch im Vergleich der Bundesländer abgelesen werden. Noch im Jahr 1999 lag Baden-Württemberg auf Rang 3 bei der Zahl der Milchkühe, im Jahr 2010 ist das Land auf Rang 5 abgerutscht. Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein liegen mittlerweile vor Baden-Württemberg, wobei Schleswig-Holstein bezogen auf das Ausgangsniveau – in Schleswig-Holstein gab es 1999 noch ein Siebtel weniger Rinder als in Baden-Württemberg – eine bemerkenswerte Entwicklung aufweist.

Regionale Konzentration schreitet voran …

Die regionale Verschiebung ist keine Entwicklung die nur zwischen den Bundesländern erfolgt. Die strukturellen Anpassungsprozesse finden auch innerhalb des Landes statt. Auch in Baden-Württemberg wird die insgesamt rückläufige Bestands- und Halterentwicklung überlagert von regionaler und betrieblicher Konzentration. Um die regionale Konzentration zu veranschaulichen, bieten sich die sogenannten Verteilungskurven an. In diesen Schaubildern stellt die Winkelhalbierende oder Diagonale die Gleichverteilung dar, das heißt, wären die Rinderbestände gleichmäßig im Land verteilt, dann würde sich eine Verteilungskurve entlang der Diagonalen ergeben. Je weiter entfernt die Verteilungskurve von der Diagonalen verläuft, desto ungleichmäßiger ist die Verteilung.

Die regionalen Verteilungskurven der Rinderbestände zeigen deutlich, dass es regionale Schwerpunkte gibt. Das ist nun keine neue Erkenntnis, die Schwerpunkte der Milchviehhaltung im Land – das Allgäu, Oberschwaben, die Ostalb bis nach Hohenlohe hinein – sind hinreichend bekannt. Bemerkenswert ist jedoch, dass die regionale Konzentration voranschreitet. Das zeigt der Vergleich der Verteilungskurven für die Jahre 1999 und 2010. Im Jahr 2010 sind die Rinderbestände bei insgesamt rückläufiger Entwicklung regional extremer verteilt als im Jahr 1999. Dass hierbei die Schwerpunktgebiete an Bedeutung gewinnen, während die schwach besetzten Regionen überproportional verlieren, ist nicht direkt aus den Verteilungskurven ablesbar, lässt sich aber in zusätzlichen Auswertungen bestätigen. Die regionalen Unterschiede in der Bestandsverteilung werden also größer.

… ebenso die regionale Differenzierung

Neben der regionalen Konzentration findet auch eine regionale Differenzierung statt, das heißt, in den verschiedenen Regionen des Landes bilden sich verschiedene Schwerpunkte aus. Die Unterschiede sind nicht so groß, dass man von verschiedenen Welten sprechen müsste, sind aber doch so groß, dass sie sich in spezifischen Bestandsgrößen, Nutzungsartenverteilung und Rassenzusammensetzung widerspiegeln.

So ist der Bereich von Allgäu und Bodensee über Oberschwaben bis zur Donau ganz klar von der Milcherzeugung dominiert. Über 40 % des Rinderbestandes entfallen hier auf Milchkühe, also auf Tiere die der aktiven Erzeugung von Milch dienen. Der übrige Tierbestand (Kälber, Jungrinder und Färsen) dient im Wesentlichen der Erneuerung der aus dem Produktionsprozess ausscheidenden Tiere. Die Rassen Braunvieh und Schwarzbunt, die den Milchnutzungsrassen zuzurechnen sind bzw. in der Züchtung einen klaren Akzent auf die Milchnutzung setzen, haben im Land hier ihren Schwerpunkt. Im Zuge des Strukturwandels haben sich hier die größten Tierbestände im Landesdurchschnitt herausgebildet. Der durchschnittliche Milchkuhbestand liegt mit 39 Milchkühen deutlich über dem Landesmittel von 32 Milchkühen.

»Landschaftspflege« im Schwarzwald

In gewisser Hinsicht den Gegenpol bietet der Schwarzwald und die vorgelagerte Rheinebene. Auch hier wird Milch produziert, allerdings in meist kleineren Beständen. Der durchschnittliche Milchkuhbestand im Schwarzwald liegt bei 19 Milchkühen, im Hochschwarzwald sogar nur bei 16 Tieren. Die durch die Topografie schwierigen Produktionsbedingungen fordern hier ihren Tribut. Diese spiegeln sich auch in der Rassenzusammensetzung und der Bedeutung extensiver Landnutzungsformen wider. Der Schwarzwald ist nicht die »Wahlheimat« der Hochleistungskuh. Hier stehen vielmehr Rassen im Vordergrund, die sich durch Genügsamkeit und Robustheit auszeichnen. Nicht von ungefähr hat das »Vorderwälder Rind«, eine alte Hausrind-Rasse, dort seinen Verbreitungsschwerpunkt. Die Kategorie »alle anderen Rassen«, die in den in den (Süd-)Schwarzwald hineinreichenden Kreisen die wichtigste Klasse darstellt, wird von den »Vorderwäldern« dominiert.

In diesen Regionen spielt aber auch der Aspekt der extensiven Landschaftspflege eine andere Rolle als im Allgäu und Oberschwaben. Das wird daran erkennbar, dass neben den »Vorderwäldern« auch Extensivrassen wie »Charolais«, »Limousin« oder »Angus« eine gewisse Bedeutung erlangen. Die Rassen werden vorrangig in der Ammen- und Mutterkuhhaltung eingesetzt. Zwar ist auch im Schwarzwald die Milcherzeugung (noch) das wichtigste Standbein, der Anteil der Milchkühe am Rinderbestand fällt mit 29 % jedoch deutlich niedriger aus als im Allgäu. Dagegen liegt der Anteil der sonstigen Kühe (im Wesentlichen Ammen- und Mutterkühe) mit 13 bis 14 % um ein Mehrfaches über dem Allgäu bzw. Oberschwaben (etwa 2 bis 3%).

In den meisten übrigen Gebieten Baden-Württembergs ist »Fleckvieh« die vorherrschende Rinderrasse. Sie bietet gute Voraussetzungen für die Milcherzeugung und hat ansprechende Eigenschaften im Hinblick auf die Produktion von Rindfleisch. Als klassisches Doppelnutzungsrind sorgt das »Fleckvieh« für ein zweites Standbein in den Betrieben.

Betriebliche Konzentration schreitet voran

Neben der regionalen Konzentration und Differenzierung schreitet vor allem die betriebliche Konzentration voran. Damit ist jener Prozess beschrieben, dass neben dem rückläufigen Bestand und der sinkenden Zahl an Rinderhaltern sowie dem damit verbundenen allgemeinen Anstieg der Bestandsgrößen zusätzlich die größeren Betriebe ihren Gewichtsanteil ausbauen. Die verbleibenden Betriebe werden also nicht nur immer größer, es verschiebt sich auch die Gewichtung innerhalb der verbleibenden Betriebe hin zu den größeren Betrieben.

Diese Entwicklung wird an der Gegenüberstellung der betrieblichen Verteilungskurven der Rinderbestände in den Jahren 1999 und 2010 deutlich. Die Verteilungskurve für das Jahr 2010 verläuft rechts der Kurve für das Jahr 1999, die Rinderbestände verteilen sich also ungleichmäßiger auf die Betriebe. In Zahlen: Im Jahr 1999 entfielen auf das oberste Zehntel – das waren Betriebe mit etwa 89 und mehr Rindern – rund 34 % des Rinderbestands. Im Jahr 2010 verläuft die Grenze für die 10 % der Betriebe mit den größten Rinderbeständen bei etwa 125 Rindern und diese Betriebe vereinigen 37 % des Bestands auf sich.

Quo vadis?

Wie geht es weiter mit der Rinderhaltung im Land? Es gehört wenig prophetische Gabe dazu vorherzusagen, dass der Strukturwandel – mit den geschilderten Entwicklungslinien – weitergehen wird. Schon in der Vergangenheit konnte die europäische, nationale und Landes-Agrarpolitik den letztlich durch Effizienz- und Produktivitätsgewinne ausgelösten Wandel in der Rinder- und Milchkuhhaltung nicht aufhalten, trotz aufwendiger Stützungsregelungen bis hin zur Produktionsmengensteuerung. Das Potenzial staatlicher Hilfen wird vor dem Hintergrund knapper werdender Mittel und größerer Konkurrenz um die verbleibenden Mittel, beispielhaft genannt sei nur die demografische Entwicklung der Gesellschaft, in Zukunft eher kleiner werden als größer ausfallen. Es kommt hinzu, dass für den Kernbereich der Rinderhaltung, die Milcherzeugung, ein eindeutiges Signal für ein Auslaufen der Milchquotenregelung gesetzt wurde.

Vergleichsweise gute Perspektiven sind für jene Bereiche und Regionen zu erwarten, die schon in der Vergangenheit den Strukturwandel am erfolgreichsten bewältigt haben. Sie verfügen über eine gewisse Produktionsdichte, um auch in Weiterverarbeitung und Absatz auf passable Stückkosten zu kommen. Anders formuliert: Wenn es nicht im Allgäu und in Oberschwaben gelingt, eine wettbewerbsfähige Milcherzeugung zu halten, dann wird es nirgendwo in Baden-Württemberg gelingen. Je weiter und ferner von diesem »Cluster« Milcherzeugung betrieben wird, desto schwieriger wird es werden.

In Höhenlagen des Schwarzwalds, aber auch in anderen benachteiligten Lagen des Landes, ist eine Prognose schwer möglich. Angesichts der strukturellen Nachteile beruhen die entscheidenden Variablen letztlich auf politischen Prioritätensetzungen, für die die oben geschilderten Rahmenbedingungen gelten. Auch bei rückläufiger Förderung wäre ein völliges Brachfallen nicht zu befürchten, denn es wird auch dann engagierte und kreative Einzelpersonen geben, die unter schwierigen Bedingungen neue, angepasste Bewirtschaftungsformen entwickeln werden. Vielleicht im Stil großflächiger Weidewirtschaft von US-Ranches, vielleicht aber auch kleinflächiger und nur in Nischen mit Ziegenkäse oder Stutenmilch. In der Breite wären bei einem Abbau staatlicher Stützung jedoch deutliche Veränderungen zu erwarten.

1 Der Vergleich von Viehbeständen in landwirtschaftlichen Betrieben aus statistischen Erhebungen und den Angaben aus Verwaltungsquellen ist nicht uneingeschränkt möglich. Beim längerfristigen Vergleich sind diese Einschränkungen jedoch vernachlässigbar.