:: 9/2010

Milcherzeugung vor dem Hintergrund der Kontingentierung

»Milchkontingentierung« und »Milchquote« sind die Schlagworte, die die Milchproduktion seit über 20 Jahren begleitet haben. Die Beschlüsse der aktuellen EU-Agrarpolitik sehen vor, die Milchquotenregelung bis zum Milchwirtschaftsjahr 2014/15 zu verlängern. Ab dem 1. April 2015 wird es die Milchquotenregelung nicht mehr geben. Vor diesem Hintergrund und angesichts der großen Bedeutung der Milchviehhaltung für die Landwirtschaft sollen hier nochmals die Entwicklungen des Sektors dargestellt werden.

Bereits Ende der 70er-Jahre führte die steigende Milcherzeugung bei verhaltener Nachfrageentwicklung in der Europäischen Gemeinschaft zu Milchseen und Butterbergen. Die immensen Überschüsse konnten nur mit hohen, tendenziell weiter steigenden Aufwendungen vom Markt genommen werden. Das System erreichte schnell seine Grenzen. Grundlegende Besserung versprach die Kontingentierung der Angebotsmenge. Diese Maßnahme wurde in anderen Ländern wie Israel, Kanada, der Schweiz, Japan, Norwegen und Schweden bereits Jahre zuvor ergriffen. Seit 1984, also mittlerweile über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren, ist die Milchproduktion in der Europäischen Gemeinschaft durch eine Garantiemengenregelung begrenzt. Ausgehend vom Umfang einer vormaligen Milcherzeugung wurde in der Bundesrepublik deshalb jedem Betrieb eine garantierte Milchmenge, die sogenannten Milchquote, zugewiesen, bei deren Überschreitung eine Strafabgabe erhoben wird. Mit der Milchquote sollten über ein begrenztes Angebot stabile Preise für Milcherzeugnisse erzielt werden. Zugleich sollten die Marktordnungsausgaben begrenzt werden.

Die Milchkontingentierung: Ein Versuch zur Stabilisierung des Milchmarktes

Bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene und der nachfolgenden Umsetzung der Beschlüsse in europäisches bzw. nationales Recht gelang es nicht, die Produktion und damit das Angebot auf die Nachfrage abzustimmen. Anfangs, also Mitte der 80er-Jahre, lag die zugeteilte Quote schätzungsweise ein Zehntel bis ein Fünftel über dem Verbrauch. Das hieß Nachjustieren und sollte zu einer unendlichen Geschichte werden, weil der Verbrauch sich nicht wie erhofft stabilisierte oder gar anstieg, sondern sukzessive zurückging. Die nationale Rechtsgrundlage für die Milchquote und deren Übertragungsmöglichkeiten wurde seit 1984 etwa 40-mal geändert. Meilensteine hierbei waren Aussetzungen und Kürzungen von Milchquoten, teilweise flankiert von Schlachtprogrammen für Milchkühe.

Die Milchquote ist faktisch zum Eigentum der Betriebe geworden. Beim Ausstieg aus der Milchproduktion wird sie weiterverkauft, verpachtet oder verleast.

Seit der Agrarreform 1993 verfolgt die EU-Kommission das Ziel der Annäherung des EU-Preisniveaus an den Weltmarkt. Mit der Einführung der Milchquote hatten sich die Rahmenbedingungen für die Milchwirtschaft deutlich verändert. Der marktwirtschaftliche Spielraum war durch den planwirtschaftlichen Ansatz einer Mengenbegrenzung zumindest eingeschränkt. Ab 1993 wurde in Deutschland daher das Quotenregime gelockert und die bis dahin gültige Flächenbindung der Quoten aufgehoben. Zudem wurden Unter- und Überlieferungen gegeneinander saldiert.

Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, die sogenannte AGENDA 2000, wurde im Hinblick auf die damals bevorstehenden WTO1-Verhandlungen und den EU-Beitritt von zehn weiteren überwiegend mittel- und osteuropäischen Staaten2 im Jahre 2004 beschlossen. Mit der AGENDA 2000 hatte Deutschland die Quotenübertragung zunächst auf ein länderbezogenes Börsenmodell mit 21 Übertragungsgebieten, darunter vier in Baden-Württemberg3, umgestellt. Im Zuge dieser Neuregelung und ihrer Umsetzung ist abweichend von den bisherigen Bestimmungen grundsätzlich nur der flächenungebundene Verkauf von Referenzmengen – das ist die Milchmenge (Quote), die dem einzelnen Betrieb zugeteilt wird – möglich. Neupachtung und Quotenleasing sind nicht mehr zulässig.4 Die Referenzmengen können mit Beginn des Milchwirtschaftsjahres5 2000 nur noch über regionale Quotenbörsen zu festgelegten Terminen zum Verkauf angeboten werden. Der Quotenpreis ist nicht mehr frei verhandelbar; er wird von den Verkaufsstellen als Gleichgewichtspreis ermittelt. Angebot und Nachfrage, die außerhalb eines Preiskorridors liegen, werden nicht berücksichtigt. Die betreffenden Quoten können nicht verkauft werden. Ab 1. Juli 2007 wurden die bisherigen Übertragungsgebiete zu zwei neuen Übertragungsbereichen zusammengelegt. Alle alten Bundesländer bilden das Übertragungsgebiet West, die neuen Bundesländer das Übertragungsgebiet Ost.

Milchquotenregelung läuft zum Ende des Milchwirtschaftsjahres 2014/15 aus

Die Beschlüsse der aktuellen EU-Agrarpolitik sehen vor, die Milchquotenregelung bis zum Milchwirtschaftsjahr 2014/15 zu verlängern. Ab dem 1. April 2015 wird es die Milchquotenregelung nicht mehr geben. Dieser Paradigmenwechsel soll aber nicht abrupt, sondern in mehreren Teilschritten erfolgen. Hierzu wird die Quote über 5 Jahre von 2009/10 bis 2013/14 um jeweils 1 % aufgestockt. Vorrangiges Ziel hierbei ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der Milcherzeuger für die Zeit nach dem Auslaufen der Quotenregelung zu stärken. Das betriebliche Wachstum soll nicht mehr durch überhöhte Quotenpreise belastet werden. Die Mitgliedstaaten können dabei die Milcherzeuger bei der Anpassung an die neue Marktlage begleitend unterstützen.

Nach dem Auslaufen der Milchquotenregelung ist zunächst EU-weit eine starke Ausdehnung der Milcherzeugung mit der Folge weiter sinkender Erzeugerpreise zu erwarten. Die Milchproduktion wird sich mehr und mehr auf die wettbewerbsfähigsten Standorte und Betriebe konzentrieren. Sollte es nicht gelingen, etwa über regionale Spezialitäten oder Vermarktungsinitiativen, lukrative Nischen zu erobern, könnte die Milchproduktion in Baden-Württemberg insbesondere aus benachteiligten Gebieten wie dem Schwarzwald oder der Schwäbischen Alb abwandern. Diese Entwicklung hat im übrigen mit der Zusammenlegung der Übertragungsgebiete längst begonnen.

Die bisherigen zehn bundesweiten Börsentermine brachten für Baden-Württemberg wie für alle anderen südlichen Bundesländer einen Quotenabfluss, der mit 95 400 Tonnen (t) sogar noch höher als in Bayern (– 75 000 t) ausfiel. Zumeist flossen die Quoten im Übertragungsgebiet West nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Teile auch nach Nordrhein-Westfalen. Das sind die Bundesländer, die sich durch eine starke Milchviehhaltung auszeichnen. Unter den neuen Bundesländern, dem Übertragungsgebiet Ost, ist einzig Mecklenburg-Vorpommern auf Expansionskurs. Sachsen-Anhalt und Thüringen haben jeweils rund 20 000 Tonnen an Milchquote abgegeben. Die vergleichsweise geringen Übertragungsquoten in Brandenburg und Sachsen deuten auf stabile Strukturen hin.

Die Zusammenlegung der westdeutschen Übertragungsgebiete brachte zunächst einen regen Quotenhandel auf einem höheren Preisniveau. Der Markt beruhigte sich dann, ehe die Diskussionen innerhalb des Berufsstandes um den richtigen Weg in der Milchpolitik – diese Diskussion gipfelte im Milchstreik – den Preis für die Quote kurzzeitig ansteigen ließ. Die sich unter den Milcherzeugern verbreitende Erkenntnis, dass die Quotenregelung 2015 auslaufen wird, führte zum Preiseinbruch. Denn auf Seiten der Landwirte, die ihre Zukunft in der Milchviehhaltung sehen, sank die Zahlungsbereitschaft für die Milchquote; dies etwa in der Erwartung, die Zeit bis 2015 zu überbrücken, um dann zu expandieren. Auf der anderen Seite zeigten Landwirte, die den Ausstieg aus der Milcherzeugung in Erwägung zogen, zunehmende Abgabebereitschaft, um zumindest noch einen kurzfristigen Erfolg zu realisieren.

Die Strukturen ändern sich, wenn auch langsam: Weniger aber größer

Die Milchviehhaltung steht im Mittelpunkt der Rinderproduktion, denn auch ein zur Mast vorgesehenes Bullenkalb muss zuerst von einer Kuh geboren werden. Maßnahmen zur Regulierung des Milchmarktes haben somit Auswirkungen auf die gesamte Rinderhaltung. Die Quotenkürzungen hatten zwangsläufig sinkende Tierzahlen in nahezu allen Nutzungskategorien zur Folge. Diese Entwicklung wurde durch die gleichzeitigen Produktivitätsfortschritte noch verstärkt. Wirtschaftliche Milchviehhaltung setzt, wie in anderen Produktionsbereichen auch, eine gewisse Mindestgröße voraus. Die heimische Milchproduktion hat sich damit schrittweise aus dem unrentablen kleinbäuerlichen Bereich zurückgezogen und in mittlere, mehr noch in größere Betriebe verlagert.6

Jährliche Milcherzeugung im Südwesten vergleichsweise stabil bei 2,2 bis 2,3 Mill. Tonnen

Im Jahr 2009 wurden in Baden-Württemberg insgesamt 2,21 Mill. Tonnen Milch erzeugt. Das Ergebnis liegt geringfügig über dem Vergleichswert des Vorjahres und damit weiterhin auf dem seit Ende der 90er-Jahre zu beobachtenden Niveau. Vor Einführung der einzelbetrieblichen Milchquoten erreichte die Milcherzeugung 1983 mit 2,89 Mill. Tonnen im Land den bisherigen Höchststand. Als Reaktion auf die Mengenbeschränkung ging die Milcherzeugung dann bis 1992 kontinuierlich zurück, um sich in den folgenden Jahren bei rund 2,2 bis 2,3 Mill. Tonnen einzupendeln.

Bei weiter rückläufigem Milchkuhbestand errechnet sich für 2009 eine durchschnittliche Jahresmilchleistung von 6 200 kg je Kuh gegenüber 6 080 bzw. 6 090 kg je Kuh in den beiden Vorjahren. Vor 10 Jahren lag die durchschnittliche Jahresmilchleistung noch bei 5 080 kg je Kuh, Mitte der 80er-Jahre bei 4 100 kg je Kuh. Diese Leistungssteigerungen können zum einen durch verbesserte Fütterungsmethoden und Haltungsbedingungen, zum anderen auf Züchtungserfolge zurückgeführt werden. Bei gleichzeitig langfristigem Rückgang des Verbrauchs bzw. Konsums von Rind- und Kalbfleisch7 verlagerte sich zudem der Produktionsschwerpunkt in so manchem Rinder haltenden Betrieb: Die Milchproduktion wurde wichtiger, die Fleischerzeugung trat eher in den Hintergrund. Diese Entwicklung kam insbesondere der bedeutendsten Milchnutzungsrasse, den Schwarzbunten, zugute.

Insgesamt konnte somit in der letzten Dekade die durchschnittliche Milchleistung um 100 kg je Kuh und Jahr gesteigert werden. Dass sich damit aber keinesfalls das Ende der Entwicklung abzeichnet, zeigen die Verhältnisse in den neuen Bundesländern, die mit durchschnittlichen Milchleistungen8 von 8 200 kg je Kuh und mehr ihre führenden Positionen eindrucksvoll behaupten. Dem am nächsten kommen unter den alten Bundesländern Nordrhein-Westfalen (7 090 kg/Kuh), Niedersachsen (7 010 kg/Kuh) und Schleswig-Holstein (6 850 kg/Kuh). Insgesamt wurden 2008 in Deutschland 28,66 Mill. Tonnen Milch erzeugt. Über sieben Zehntel der Milch wurde in nur fünf Bundesländern produziert:

Bayern7,6 Mill. t
Niedersachsen5,3 Mill. t
Nordrhein-Westfalen2,8 Mill. t
Schleswig-Holstein2,5 Mill. t
Baden-Württemberg2,2 Mill. t

Regionale Komponente des Strukturwandels in der Milchviehhaltung

Der Strukturwandel in der Milchviehhaltung hat neben dem betrieblichen Aspekt auch eine regionale Komponente. Die Gebiete, in denen wie im gesamten oberschwäbischen Raum die Milchviehhaltung aufgrund der natürlichen Standortfaktoren traditionell eine starke Stellung hat, gewinnen in der Milcherzeugung zunehmend an Gewicht. Auch spezifisches Know-how bzw. dessen Transfer von der Wissenschaft in die Praxis über Spezialberater sowie eingespielte Bezugs- und Absatzwege bevorzugen vorhandene Schwerpunkte. Umgekehrt zieht sich die Milchproduktion mehr und mehr aus den Landesteilen zurück, die sich seit jeher durch eine große Zahl von Klein- und Kleinstbeständen auszeichnen und wo es Einkommensalternativen zur Milch, sei es im Betrieb oder außerhalb, gibt.

Regional bestehen sowohl hinsichtlich Bedeutung und Umfang der Milchproduktion als auch bezüglich der tierischen Leistungsfähigkeit erhebliche Unterschiede. Die Milchhochburgen Baden-Württembergs liegen im äußersten Südosten. Die Regionen Bodensee-Oberschwaben (28 %) und Donau-Iller (16 %) stehen mit 961 500 Tonnen Milch für fast die Hälfte der gesamten Milcherzeugung im Land. Allein auf die Landkreise Ravensburg (464 000 Tonnen) und Biberach (226 000 Tonnen) entfällt ein Produktionsanteil von zusammen etwa 30 %. Weitere Schwerpunkte der Milcherzeugung schließen sich nach Norden entlang der bayerischen Landesgrenze an. Der Alb-Donau-Kreis (einschließlich Stadtkreis Ulm; 122 600 Tonnen), der Ostalbkreis (167 800 Tonnen) und der Landkreis Schwäbisch Hall (140 900 Tonnen) tragen zusammen ein weiteres knappes Fünftel zur Milcherzeugung im Land bei.

Spitzenreiter in puncto Milchleistung ist allerdings der Zollernalbkreis mit 6 840 kg durchschnittlichem Jahresmilchertrag je Kuh, gefolgt vom Landkreis Ravensburg mit 6 680 kg und dem Ostalbkreis mit 6 660 kg. Am unteren Ende der Skala finden sich mit durchschnittlichen Jahresmilchleistungen von unter 5 000 kg je Kuh die Landkreise Rastatt, Esslingen und der Ortenaukreis. Hintergrund für die große Spannbreite in den Leistungshöhen dürfte die vorrangige Nutzungsrichtung der Tiere und damit die in den jeweiligen Regionen vorherrschenden Rinderrassen sein. In den ausgeprägten Grünlandgebieten gibt es zur Milcherzeugung kaum eine Alternative hinsichtlich der Produktionsausrichtung, sodass hier die Höhe der Milchleistung als Zuchtziel eindeutig im Vordergrund steht. Bei den Regionen mit niedrigerer Milchleistung dürfte eher der Fleischertrag der Tiere und somit die Masttauglichkeit der Kälber von züchterischem bzw. betriebswirtschaftlichem Interesse sein.