:: 10/2010

Die Ursprünge der Hochschulstatistik in Baden-Württemberg

Seit den Anfängen des Hochschulwesens waren die Gründer der Universitäten und später das Land als Geldgeber der Hochschulen auf verlässliche Zahlen über diesen Bildungsbereich angewiesen. Insbesondere seit sich mehrere Hochschulen in staatlicher Trägerschaft befanden, zum Beispiel im damaligen Baden und in Württemberg, musste die Anzahl der Studierenden und Lehrenden präzise erhoben werden, damit eine solide Kapazitätsplanung betrieben und die Kosten des Hochschulwesens gerecht und gleichmäßig getragen werden konnten. 2007 hat das Land Baden-Württemberg seine Hochschulen mit einem Betrag von über 1,7 Mrd. Euro bezuschusst. Berechnungsgrundlage für die Verteilung dieser Zuschüsse sind die Daten aus der Hochschulstatistik.

Die Hochschulstatistik hat darüber hinaus aber auch die Aufgabe, aktuelle Fragestellungen im Hochschulbereich zu beantworten. Seien es standespolitische Fragestellungen wie in den Anfängen der Hochschulstatistik oder heute besonders aktuelle Fragen zu Studienabbruchquoten oder zur Lehrevaluation. Nicht immer kann sie den sich wandelnden Informationsbedürfnissen sofort gerecht werden, da sie gleichzeitig klar definierten rechtlichen Rahmenvorgaben und dem Datenschutz verpflichtet ist. Im Laufe der Zeit wurden zur Erstellung der Hochschulstatistik zunächst unterschiedliche Zugangsweisen und Systematiken gewählt, die schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg in eine gemeinsame Hochschulstatistik des Bundes und der Länder mündete. Diese wird beständig den sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst, ohne dabei ihre übergreifende Systematik zu verlieren.

Die verschiedenen Teilgebiete der Hochschulstatistik

Unter der Bezeichnung Hochschulstatistik wird heute die Statistik der Studierenden, die Prüfungsstatistik und die Personal- und Stellenstatistik gefasst. Statistiken wie die Habilitationsstatistik und die Statistik der Gasthörer sind ebenfalls Teil der Hochschulstatistik. Nicht zur eigentlichen Hochschulstatistik gehört dagegen die Hochschulfinanzstatistik, sie ist Teil der Öffentlichen Finanz- und Personalstatistik. In den Anfängen der systematischen Hochschulstatistik um 1800 gab es keine so differenzierte Aufgliederung. Erhoben wurden ausschließlich Strukturdaten zu den Studierenden. Andere Teilgebiete waren auch damals nicht unbedeutend, konnten aber aus den Verwaltungsdaten der überschaubar wenigen Hochschulen jederzeit abgefragt werden.

Ein Blick in die Geschichte der Hochschulstatistik

Die konzeptionelle Entwicklung der Hochschulstatistik in den Ländern der Bundesrepublik ist für die Jahre nach 1949 recht detailliert dokumentiert. Die Gliederung der Hochschulstatistik aus der Zeit vor Ende des Zweiten Weltkriegs lässt sich fast ausschließlich aus veröffentlichten Tabellenwerken ableiten. Eher selten stößt man bei der Recherche auf konzeptionelle Beschreibungen. Diese finden sich etwa in einem Sammelwerk der Badischen Hochschulstatistik aus dem Jahre 1912. Darin wird hervorgehoben, dass sich die Systematik der badischen Statistik an der anerkannten preußischen Hochschulstatistiken orientiere: »Form und Inhalt des hierbei benützten Erhebungsformulars sowie die Art der Aufbereitung und Ausnützung des Materiales in den Tabellen sind in Anlehnung an die Einrichtung der preußischen Hochschulstatistik, […], gewählt worden. Die Befolgung dieser Grundsätze in den wesentlichen Punkten erschien notwendig, weil der Wert der vorliegenden Statistik davon abhängt, daß ihre Feststellungen der Vergleichung mit den Ergebnissen der den gleichen Gegenstand für andere Staaten bearbeitenden Werke zugänglich sind.«1 Damals schon war für die Auswertung der landesspezifischen Hochschulstatistik der direkte Vergleich mit den Statistiken der anderen deutschen Länder handlungsleitend.

In Preußen hatte sich bereits im Jahr 1805 der Chef des königlichen statistischen Bureaus, Beguelin, an den Staatsminister »des geistlichen Departements«, von Wassow, mit der Bitte gewandt, die Hochschulen zur Berichterstattung nach einem einheitlichen Muster zu verpflichten. Dieses Muster beschrieb er in seinem Brief vom 21. November 1805.2

Seiner Bitte wurde statt gegeben, aber das beschriebene Befragungsmuster konnte bedauerlicherweise aufgrund von Kriegswirren und wechselnden Zuständigkeiten nicht lange beibehalten werden. Die preußische Hochschulstatistik erlebte in den Folgejahren erhebliche Schwankungen bis hin zur zeitweiligen völligen Einstellung. Erst ab dem Jahr 1886 konnte sich ein Studierendenfragebogen, die »Zählkarte für Studirende«, etablieren, der an preußischen Hochschulen Anwendung fand. Diese Zählkarte ist ebenfalls überliefert und ihre Struktur orientiert sich erkennbar an den ursprünglich von Beguelin vorgegebenen Kategorien.

Ihre 13 Unterkategorien schlüsseln die damals relevanten Strukturdaten weiter auf. So sind Beruf und Stand des Vaters ein zentraler Faktor, was die Entwickler der Zählkarte durch ein fett hervorgehobenes »(genau anzugeben)« betont haben. Aber auch Stipendien, Vergünstigungen und »Freitische« (kostenloses Mensaessen) werden erhoben.

Das Ausfüllen der Zählkarte wurde an den Eintrag ins »Anmeldebuch« für Pflichtvorlesungen gebunden, was zur Folge hatte, dass die ehemals eher lückenhafte Erhebung sich in eine Vollerhebung umwandelte. »Auf diese Weise ist es möglich geworden, nicht allein ein sehr lückenloses und, wie diesseits ausdrücklich hervorgehoben sein möge, vorzügliches Zählkartenmaterial zu erhalten, sondern auch den disziplinarisch nicht unerheblichen Vortheil zu erzielen, daß mit Sicherheit festgestellt werden konnte, wer zur Annahme von Vorlesungen thatsächlich persönlich anwesend gewesen ist.«3

Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine Reichseinheitliche Hochschulstatistik, die seit 1909 laufend weitergeführt und ausgebaut wurde. Ihre Fortführung wurde vom Ersten Weltkrieg unterbrochen und erst ab 1925 wieder aufgenommen.

Aus dieser Zeit stammt das »Frageblatt für Studierende« der Universität Tübingen in Württemberg (Abbildung 3), das ähnlich detailliert wie die preußische Zählkarte aus dem Jahr 1887 dokumentiert ist. Es wurde den Studierenden bei der Rückmeldung im Sommerhalbjahr vorgelegt.4

Die hohe Übereinstimmung dieses »Frageblatts« mit der preußischen Zählkarte weist darauf hin, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts mit der preußischen Zählkarte ein verbindlicher Standard etabliert hatte, der länderübergreifende Auswertungen und Vergleiche innerhalb der Hochschulstatistik ermöglichte.

Das »Frageblatt für Studierende« der Universität Tübingen sah vor, dass die Studentinnen und Studenten jährlich bei der Einschreibung eine Reihe von Angaben machten, aus denen schließlich die Studierendenstatistik der Hochschule zusammen gestellt wurde.

Im Tübinger Fragenkatalog von 1926 steht das gewählte Studienfach und die Anzahl der Fachsemester im Mittelpunkt. Die geplante berufliche Laufbahn wird zusätzlich auch abgefragt, wobei hervorgehoben wird, dass »Staatsdienst« allein als Angabe unzureichend sei.

Weiterhin werden detaillierte Angaben zum Beruf und zur Lebensstellung des Vaters erwartet. Es überrascht wenig, dass die Lebensstellung der Mutter 1926 noch keine Rolle spielte. Auch Studienfachwechsel werden erhoben und Fragen zum Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung gestellt. Fast schon modern erscheint der abschließende Fragenkatalog zu Praxiserfahrungen und Nebentätigkeiten vor und während des Studiums.

Zusammenführung der Badischen und Württembergischen Hochschulstatistik

Im badischen Raum bezog sich die Statistik bis ins frühe 20. Jahrhundert auf die drei Universitäten in Heidelberg, Freiburg und Karlsruhe, denen in Württemberg die Hochschulen Tübingen, Stuttgart und Hohenheim gegenüberstanden.

Aus dem Dritten Reich ist die Statistik für Württemberg lediglich in Tabellenform überliefert. Die dort aufgeführten Merkmale beschränken sich auf Strukturdaten der inzwischen vier württembergischen Hochschulen (die Hochschule Esslingen für Lehrerbildung wurde zusätzlich aufgeführt) und unterscheidet bei den Studierenden zwischen Württembergern und Nichtwürttembergern, Geschlecht und Konfession.

Der Zweite Weltkrieg bewirkte auch in der Hochschulstatistik eine Zäsur, so dass die Hochschulstatistiken Badens und Württemberg erst nach der Zusammenlegung der beiden Länder im Jahr 1952 in der baden-württembergische Hochschulstatistik, wie wir sie heute kennen, zusammengeführt wurden.

Die moderne Hochschulstatistik

Die Hochschulstatistik der jüngeren Vergangenheit beruht auf einem Grunddatenkatalog, den die Länder 1949 vereinbart haben, und wurde bis in die frühen 90er-Jahre hinein – wie seit den Anfängen der Hochschulstatistik – aus den Angaben der Studierenden selbst gespeist. Parallel zur Studierendenstatistik entwickelte sich die Personal- und Stellenstatistik, die seit 1953 bzw. 1960 Aufschlüsse über die Betreuungsdichte und den Verwaltungsapparat der Hochschulen geben.

Anfangs teilte sich die Hochschulstatistik noch in die »kleine Hochschulstatistik« im Sommersemester und die »große Hochschulstatistik« im Wintersemester auf. Seit 1992 wird die Hochschulstatistik aus den Verwaltungsdaten der Hochschulen erstellt. Fortwährend findet die Befragung einmal im Semester, also zweimal jährlich statt.

Noch in den 70er-Jahren waren die »Ausbildung der Eltern« und die »Stellung der Eltern im Beruf« wichtige Merkmale der Hochschulstatistik, da mit diesen Daten die Bildungsbeteiligung der verschiedenen Bevölkerungsschichten ermittelt werden sollte. Ebenfalls erhoben wurden bis in das Jahr 1994 die Berufswünsche der Studierenden.

Die Merkmale der Studierendenstatistik, die in der Gegenwart an den Hochschulen erhoben werden, unterscheiden sich auch quantitativ von denen vor fast 100 Jahren. Inzwischen sind es bis zu 152 Merkmale, die pro Semester über jeden Studenten und seinen Studienerfolg erfasst werden. Der Datensatz, den die Hochschulen an das Statistische Landesamt liefern, ist anonymisiert. Im Zentrum des Datensatzes stehen fortwährend Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit sowie regionale Herkunft. Weiterhin werden Angaben zu früheren Studien und detaillierte Angaben zum Studium im Berichtssemester erhoben. Weitere Bereiche konzentrieren sich auf den Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung und berufspraktische Tätigkeiten vor und während des Studiums. Schließlich werden abgelegte Prüfungen in den belegten Studienfächern abgefragt.

Die gegenwärtige Hochschulstatistik (siehe i-Punkt) ist eine moderne Individualstatistik, die – unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen – eine Rekapitulation von Studienkarrieren innerhalb der jeweiligen Hochschulen ermöglicht. Die Individualstatistik stößt dort an ihre Grenzen, wo es im Studienverlauf zu Wechseln zwischen einzelnen Hochschulen kommt. Diese Wechsel fanden in der Vergangenheit immer häufiger statt, gehen aber seit Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge wieder zurück (bzw. beschränken sich auf begrenzte Auslandssemester, die in den Studienverlauf eingebettet sind). Dennoch sollte die Weiterentwicklung der Hochschulstatistik den Aspekt der individuellen Studienverläufe stärker berücksichtigen und es ermöglichen, Studienkarrieren, Wechsel und Abbruchquoten eindeutiger zu dokumentieren, als es die gegenwärtigen Verfahren leisten können.

Auch der Umstand, dass im Rahmen der amtlichen Hochschulstatistik über die soziale Herkunft der Studierenden nur noch wenig in Erfahrung gebracht wird, führt zu Informationslücken. So altertümlich die Fragen nach Beruf und Stand des Vaters in den historischen Beispielen anmuten, so notwendig erscheint die Möglichkeit einer Einordnung in soziale Gruppen, um zu ermitteln, wie durchlässig unser Bildungssystem tatsächlich ist.

1 Ministerium des Kultus und Unterrichts: »Badische Hochschulstatistik. Die Ergebnisse der Ermittlungen aus dem 19 Jahrhundert sowie für die Zeit 1900 – 1910«, Karlsruhe 1912.

2 Königliches statistisches Bureau in Berlin (Hg.): »Preußische Statistik« Heft 102, Berlin 1890, S. 1.

3 A.a.O., S.2.

4 Oberregierungsrat Dr. A. Schott: »Ergebnisse der württ. Hochschulstatistik im Sommerhalbjahr 1926« in: Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, Jahrgang 1925/26, Stuttgart 1927, S. 117.