:: 11/2010

Aktuelle Trends im Wanderungsgeschehen in Baden-Württemberg

Die Einwohnerzahl Baden-Württembergs ist im Jahr 2009 um etwa 4 600 Personen auf rund 10 745 000 Personen zurückgegangen. Ursache dieser Entwicklung ist zum einen, dass die Zahl der Gestorbenen um knapp 7 900 höher als die der Geborenen lag. Zum anderen hat sich der Wanderungsgewinn in den letzten Jahren deutlich verringert und lag 2009 nur noch bei 3 400 Personen.

Im folgenden Beitrag soll unter anderem gezeigt werden, dass sich das Wanderungsgeschehen in den letzten Jahren deutlich verändert hat. So profitiert Baden-Württemberg seit dem Jahr 2006 per Saldo nur noch vom Zuzug ausländischer Mitbürger, während mehr Deutsche den Südwesten verlassen haben als zugezogen sind. Dagegen war der Wanderungssaldo der deutschen Bevölkerung in den Jahren und Jahrzehnten zuvor ausnahmslos positiv. Innerhalb des Landes zählen derzeit vor allem die Stadtkreise zu den Gewinnern im Wanderungsgeschehen, während dies in den 80er- und 90er-Jahren noch die eher ländlichen Gebiete waren.

Die Wanderungsbilanz Baden-Württembergs wies im Jahr 2009 einen Gewinn von rund 3 400 Personen auf. Dieser Saldo ergab sich aus den insgesamt 239 900 Zuzügen und 236 500 Fortzügen über die Landesgrenzen. Damit fiel das Wanderungsplus im vergangenen Jahr nochmals geringer aus als 2008. Seinerzeit lag dieses bei 4 400 Personen.

Die aktuellen Wanderungsgewinne erreichen bei weitem nicht die hohen Zahlen zu Beginn des Jahrzehnts und liegen nur noch auf dem Niveau der Jahre mit den geringsten Wanderungsgewinnen seit Anfang der 90er-Jahre (1997: + 2 900; 2006: + 3 900). Zum Vergleich: Im Jahr 2001 zogen noch rund 69 000 Personen mehr nach Baden-Württemberg zu als von hier abwanderten, 2002 lag der Wanderungsgewinn immerhin noch bei etwa 56 000 Personen.

Der aktuelle Rückgang der Wanderungsgewinne gegenüber dem Vorjahr beruht darauf, dass die Zahl der Zuzüge etwas stärker als die der Fortzüge gesunken ist. So hat sich 2009 die Zahl der Zuzüge aus dem Ausland bzw. aus anderen Bundesländern gegenüber dem Vorjahr um 9 700 Personen verringert. Gleichzeitig ist die Zahl der Fortzüge aus dem Südwesten nur um rund 8 700 zurückgegangen.

Geringes Wanderungsplus gegenüber dem übrigen Bundesgebiet und dem Ausland

Die – im langfristigen Vergleich – relativ kleinen Wanderungsgewinne im Jahr 2009 resultierten sowohl aus einem geringen positiven Wanderungssaldo mit den anderen Bundesländern (+ 1 100) als auch gegenüber dem Ausland (+ 2 400). Damit hat sich die Wanderungsbilanz in ihrer Zusammensetzung im Vergleich zu 2008 erheblich verändert. Damals wurde gegenüber dem übrigen Bundesgebiet noch ein deutlich höherer Wanderungsgewinn (+ 12 800) erzielt, während ins Ausland mehr Personen fort- als zugezogen waren (Wanderungssaldo: – 8 400).

Die stärksten Nettozuströme aus dem Bundesgebiet verzeichnete das Land gegenüber Sachsen (+ 1 700 Personen), Nordrhein-Westfalen (+ 1 400) und Niedersachsen (+ 1 100 Personen). Demgegenüber hat Baden-Württemberg 3 200 Personen durch Abwanderung nach Bayern verloren, und vor allem auch gegenüber dem Stadtstaat Berlin war die Wanderungsbilanz deutlich negativ (Tabelle).

Die stärksten Wanderungsverflechtungen Baden-Württembergs über die Bundesgrenzen bestehen naturgemäß mit dem übrigen Europa: Rund drei Viertel dieser Zu- und Fortzüge im Jahr 2009 betrafen Umzüge von bzw. in andere europäische Staaten. Insgesamt war der Wanderungssaldo mit dem übrigen Europa negativ (– 1 900). Mit Abstand am stärksten waren hierbei die Wanderungsverluste mit der Schweiz (– 4 600), gefolgt von Griechenland (– 1 300) und der Türkei (– 1 000). Dagegen wurden die höchsten Wanderungsgewinne innerhalb Europas gegenüber Rumänien (+ 2 700), Bulgarien (+ 1 600), der Republik Kosovo (+ 900) und Polen (+ 700) erzielt.

Gegenüber Afrika (+ 1 100), Amerika (+ 500) und vor allem Asien (+ 3 000) war der Wanderungssaldo Baden-Württembergs im Jahr 2009 positiv. Insbesondere Menschen aus dem Irak (+ 900), aus Brasilien (+ 300), Afghanistan, Nigeria und Pakistan (jeweils 200) sind im vergangenen Jahr in den Südwesten zugewandert. Gegenüber Australien und Ozeanien überwogen dagegen die Fortzüge die Zuzüge (Wanderungssaldo: – 200).

Deutliche Unterschiede zeigen sich auch, wenn die Zu- und Fortzüge getrennt nach Deutschen und Ausländern betrachtet werden: Baden-Württemberg profitiert nur noch von ausländischen Zuziehenden (+ 9 900), während der Wanderungssaldo bei der deutschen Bevölkerung negativ ist (– 6 400).<aFt> Insbesondere in der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen ziehen per Saldo relativ viele deutsche Baden-Württemberger fort. Dagegen ist der Wanderungssaldo der ausländischen Mitbürger bis zum Alter von 50 Jahren positiv und wird erst im höheren Alter vor allem aufgrund der Rückwanderung in die Heimatländer negativ.

Für »Auswanderer« ist die Schweiz bevorzugtes Ziel

Im Jahr 2009 zogen gut 119 000 Personen von Baden-Württemberg ins Ausland. Darunter waren 27 300 deutsche Staatsbürger. Damit ist die Zahl der Deutschen, die Baden-Württemberg in Richtung Ausland verlassen hat, in den letzten Jahren deutlich angestiegen: Im Jahr 2001 waren es erst 18 200, 2008 lag die Zahl derjenigen, die den Südwesten ins Ausland verlassen haben, sogar bei 31 200. Zusammen genommen haben damit in den Jahren von 2001 bis 2009 gut 210 000 Baden-Württemberger mit deutscher Staatsangehörigkeit ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt.

Bevorzugtes Zielland ist mit deutlichem Abstand die benachbarte Schweiz. Hierhin zog es seit Anfang 2001 rund 48 600 deutsche Staatsbürger aus dem Südwesten. Es folgten Fortzüge in die USA (20 100), nach Frankreich (16 900), Spanien (11 000), Österreich (10 700) und in das Vereinigte Königreich (8 800). Gut zwei Drittel aller Auslandsfortzüge von Deutschen aus Baden-Württemberg hatten einen europäischen Staat zum Ziel.

Allerdings handelt es sich bei diesen Zahlen nicht in diesem Umfang um dauerhafte Fortzüge im Sinne von »Auswanderung«; denn im Betrachtungszeitraum kehrten immerhin insgesamt 152 000 deutsche Staatsbürger aus dem Ausland nach Baden-Württemberg zurück. Damit weist die Bilanz aus Zu- und Fortzügen seit dem Jahr 2001 ein Minus von rund 58 000 Personen auf.

Vor allem gegenüber der Schweiz ist der »Wanderungsverlust« enorm: Werden den Fortzügen seit 2001 die Zahl der »Rückkehrer« nach Baden-Württemberg gegenübergestellt, so ergibt sich ein Minus von insgesamt rund 30 000 Personen gegenüber unserem südlichen Nachbarland. Mehr als die Hälfte des Wanderungsverlusts entfiel damit auf Umzüge in die Schweiz. Deutlich geringer, aber dennoch ebenfalls nennenswert war die negative Wanderungsbilanz vor allem auch gegenüber Österreich (– 5 100) und den USA (– 4 100).

In welchem Umfang wandern Fachkräfte aus?

Aktuell wird die Abwanderung auch zunehmend im Zusammenhang mit der Frage diskutiert, in welchem Umfang hochqualifizierte Arbeitskräfte das Land verlassen. Es wird befürchtet, dass sich dadurch ein bereits heute vielfach beklagter Fachkräftemangel vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zusätzlich verstärken könnte. In der amtlichen Wanderungsstatistik werden aber weder Berufsgruppen noch die Schulabschlüsse der Wegziehenden erfasst, so dass anhand dieser Daten keine Aussage darüber möglich ist, in welchem Umfang es sich bei den »Auswanderungen« um Wegzüge von Hochqualifizierten handelt.

Eine im Auftrag des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg erstellte Studie kommt aber zu dem Ergebnis, dass jährlich per Saldo knapp 2 200 deutsche hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Südwesten in das Ausland ziehen.1 Eine Untersuchung des DIW hat darüber hinaus ermittelt, dass ein Großteil der ausgewanderten Akademiker und Fachkräfte aber wieder nach Deutschland zurückkehrt, so dass von diesen Fortgängen langfristig eher positive Effekte für den Standort Deutschland zu erwarten seien.2

Der Trend »zurück in die Stadt« hat sich auch 2009 fortgesetzt

Innerhalb des Landes haben die einzelnen Teilräume sehr unterschiedlich von Zuwanderungen profitiert. Lediglich 21 der 44 Kreise Baden-Württembergs konnten im Jahr 2009 einen Wanderungsgewinn erzielen. Die Mehrheit wies einen mehr oder weniger großen Wanderungsverlust auf. Noch im Jahr 2001 hatten alle Stadt- und Landkreise einen Wanderungsgewinn verbuchen können.

Die höchsten Wanderungsüberschüsse wurden im Jahr 2009 im Stadtkreis Freiburg im Breisgau und dem stärker verdichteten Rhein-Neckar-Kreis sowie in den universitär geprägten Landkreisen Tübingen und Konstanz erzielt. Wird zusätzlich zum absoluten Wanderungsgewinn auch noch die unterschiedliche Einwohnerzahl der Kreise berücksichtigt, so schneidet wiederum der Stadtkreis Freiburg im Breisgau am günstigsten ab: Je 1 000 Einwohner sind in die südbadische Universitätsstadt immerhin neun Personen per Saldo zugezogen, gefolgt vom Landkreis Tübingen mit acht Personen je 1 000 Einwohner und vom Landkreis Konstanz mit sechs Personen je 1 000 Einwohner.

23 Stadt- und Landkreise im Südwesten wiesen mehr Fort- als Zuzüge auf. Die größten Wanderungsverluste waren im Landkreis Böblingen sowie in den stärker ländlich geprägten Landkreisen Ostalb- und Schwarzwald-Baar-Kreis zu beobachten.

Alle neun Stadtkreise des Landes haben im vergangenen Jahr Wanderungsgewinne erzielen können, während dies nur bei 12 der 35 Landkreise der Fall war. Damit hat sich im Jahr 2009 ein Trend fortgesetzt, der seit Anfang dieses Jahrzehnts in Baden-Württemberg, aber auch in andere Teilen Deutschlands zu beobachten ist: Die (Groß-)Städte und verdichteten Gebiete im Land haben für Zuziehende im Vergleich zu den 90er-Jahren an Attraktivität gewonnen, während die Dynamik in den eher ländlich strukturierten Kreisen tendenziell geringer geworden ist.

Diese Änderung im regionalen Wanderungsgeschehen wird dabei vor allem von den 15- bis unter 30-Jährigen getragen. Das heißt, der neue Trend dürfte insbesondere dadurch bestimmt sein, dass junge Menschen zur Ausbildung und zum Studium verstärkt in die Städte ziehen. Allerdings ist der Trend »Zurück in die Stadt« auch in den anderen Altersgruppen zu beobachten, so dass sich generell die Einstellung zum Wohnen in der Stadt positiv verändert haben dürfte.3

Perspektive: Wohl auch künftig (nur noch) moderate Wanderungsgewinne

Das Wanderungsgeschehen Baden-Württembergs verlief in den letzten Jahren in deutlich ruhigeren Bahnen als in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts oder gar in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und aller Voraussicht nach dürfte sich dieser Trend nur noch moderater Wanderungsgewinne mittelfristig fortsetzen. Hierfür spricht, dass wesentliche Wanderungsströme versiegt sind (so der Zuzug von Aus- und Übersiedlern) oder zum Teil deutlich nachgelassen haben (so die Zahl der Asylbewerber, aber auch der Zuzug aus den neuen Bundesländern). Andererseits ist davon auszugehen, dass der Südwesten aufgrund seines enormen Arbeitsplatzangebots für Zuziehende weiterhin attraktiv bleiben wird, da die großräumigen Wanderungsbewegungen überwiegend arbeitsplatzinduziert sind.

Ein gewisser, aus heutiger Sicht allerdings nur schwer zu quantifizierender Anstieg der Zuzüge könnte allerdings daraus resultieren, dass etwa ab den Jahren 2011/12 die zehn Mitgliedsstaaten, die 2004 der EU beigetreten sind, die volle Freizügigkeit erhalten werden. In der aktuellen Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes vom November 2009 wurde diesem Sachverhalt dadurch Rechnung getragen, dass für die Vorausrechnungsjahre ab 2012 ein Anstieg des jährlichen Wanderungsgewinns von 5 000 auf 10 000 Personen unterstellt wurde. Dennoch lägen auch damit die Wanderungssalden deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt: Seit der Gründung des Landes Baden-Württemberg im Jahr 1952 sind im Schnitt über 50 000 Personen pro Jahr mehr zu- als weggezogen.

1 Zu unterscheiden ist damit zwischen Zu- bzw. Fortzügen von Deutschen und Ausländern einerseits und von Zu- bzw. Fortzügen in das übrige Bundesgebiet oder in das Ausland andererseits. Während Baden-Württemberg also nur noch von ausländischen Zuziehenden profitiert und bei der deutschen Bevölkerung Wanderungsverluste aufweist, konnte der Südwesten sowohl gegenüber dem übrigen Bundesgebiet als auch gegenüber dem Ausland einen wenn auch nur geringen Wanderungsgewinn erzielen.

2 Vgl. Arndt, Christian u. a.: Abwanderung von Hochqualifizierten aus Baden-Württemberg, Studie der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen und des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), Tübingen im Auftrag des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg, 2010, S. 92.

3 Vgl. Liebau, Elisabeth/Schupp, Jürgen: Auswanderungsabsichten: Deutsche Akademiker zieht es ins Ausland – jedoch nur auf Zeit, in: Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 37/2010, S. 9.

4 Vgl. hierzu ausführlicher Brachat-Schwarz, Werner: »Reurbanisierung – Gibt es eine »Renaissance der Städte« in Baden-Württemberg?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2008«