:: 11/2010

Vis à Vis: Elsass-Lothringen und Baden-Württemberg

Frankreich und Deutschland werden oft als die Motoren der europäischen Integration betrachtet, wobei insbesondere den Grenzregionen eine Schlüsselrolle zukommt. Elsass-Lothringen und Baden-Württemberg haben vor dem Hintergrund ihrer wechselvollen und schicksalhaften Vergangenheit in großem Maße zur deutsch-französischen Verständigung beigetragen. Die Europäische Union fördert durch Projekte des sogenannten INTERREG-Programms die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, beispielsweise in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Verkehr, Energie, Umwelt und Tourismus. Durch das Schengener Abkommen sind die Schlagbäume an der Grenze zu Frankreich schon längst gefallen. Dennoch – oder gerade deshalb – lohnt es sich, der Frage nachzugehen, inwieweit sich die Entwicklungen und Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft links und rechts des Rheins gleichen oder unterscheiden.

Dünn besiedeltes Elsass-Lothringen

Gemessen an der Fläche ist Elsass-Lothringen nicht ganz so groß wie Baden-Württemberg1 Die räumliche Ausdehnung dieses östlichen Landesteils Frankreichs beträgt rund 90 % der Landesfläche Baden-Württembergs. Hinsichtlich der Bevölkerungsdichte unterscheiden sich beide Gebiete jedoch erheblich. So kamen in Elsass-Lothringen im Jahr 20072 nur knapp 131 Einwohner auf einen km², während in Baden-Württemberg aufgrund der sehr starken Agglomerationen in den nördlichen Regierungsbezirken Karlsruhe und Stuttgart eine mehr als doppelt so große Bevölkerungsdichte von rund 300 Einwohner je km² zu registrieren war. Die vergleichsweise geringe Dichte in Elsass-Lohringen ist auf die sehr dünne Besiedlung in Lothringen zurückzuführen, wo lediglich rund 100 Einwohner auf einem km² leben. Dagegen ist das Elsass mit einer Bevölkerungsdichte von knapp 221 Einwohnern je km² ähnlich dicht besiedelt wie die südlichen Regierungsbezirke Freiburg und Tübingen.

Ausgewogenere Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg

Im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung scheinen sich Elsass-Lothringen und Baden-Württemberg zunächst sehr zu ähneln. So hat von 1995 bis 2007 in Elsass-Lothringen die Bevölkerung mit einem Plus von 4,1 % fast genau so stark zugenommen wie in Baden-Württemberg (4,5 %). Bemerkenswert ist jedoch, dass innerhalb von Baden-Württemberg das Bevölkerungswachstum viel ausgewogener war als in den linksrheinischen Teilregionen. Dem überdurchschnittlich expandierenden Elsass (8,3 %) stand eine fast stagnierende Bevölkerung in Lothringen gegenüber, so dass diesem französischen Landesteil auch im Hinblick auf seinen gesamtwirtschaftlichen Rückstand eher der Nimbus einer peripheren Region anhaftet. Insgesamt blieb die Bevölkerungsentwicklung in Elsass-Lothringen hinter dem Durchschnittswert Frankreichs (7,3 %) zurück, während Baden-Württemberg dynamischer als der Bundesdurchschnitt (1 %) zulegen konnte.

Wirtschaftskraft und ….

Aussagen zum Stand der Entwicklung und der Wettbewerbsfähigkeit einer Region erlaubt das auf die Einwohnerzahl bezogene Bruttoinlandsprodukt, dem umfassenden Maß für die insgesamt erbrachten wirtschaftlichen Leistungen. Um im europäischen Vergleich die Preisniveauunterschiede zu eliminieren, ist es üblich, diese volkswirtschaftliche Kenngröße in eine Kunstwährung, die sogenannten Kaufkraftstandards (KKS), umzurechnen.

Baden-Württemberg hat eine weitaus höhere Wirtschaftskraft als Elsass-Lothringen. Mit einer Wirtschaftsleistung im Jahr 2007 von fast 32 600 KKS je Einwohner lag der baden-württembergische Wert um gut ein Drittel über dem der französischen Nachbarregion (23 600 KKS). Elsass-Lothringen erreichte nicht einmal den EU 27-Durchschnitt von 24 900 KKS und verfehlte um gut ein Zehntel das Ergebnis für Frankreich (27 100 KKS). Auch hierbei hebt sich das Elsass deutlich von Lothringen ab. Im Elsass wurde ein Bruttoinlandsprodukt je Einwohner von nahezu 25 500 KKS erreicht, so dass damit zwar nicht der französische, aber der europäische Durchschnitt leicht übertroffen werden konnte. Der lothringische Wert betrug lediglich 22 100 KKS.

Allerdings sind innerhalb von Baden-Württemberg die Disparitäten nicht geringer. Im Südwesten war es der Regierungsbezirk Freiburg (28 500 KKS), der um fast 13 % die baden-württembergische Pro-Kopf-Leistung unterschritt. Dennoch lag Freiburgs Wirtschaftskraft um gut ein Zehntel über dem elsässischen und europäischen Durchschnittswert. Die höchste Wirtschaftskraft im Land hatte der Regierungsbezirk Stuttgart (35 200 KKS).

Daraus lässt sich schließen, dass Baden-Württemberg über erheblich bessere Standortbedingungen verfügt als Elsass-Lothringen. Vor allem ist es die hohe Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, die dem Land deutschland- und europaweit eine Spitzenstellung beschert. Nicht umsonst beträgt die Zahl der hier angemeldeten Patente je 100 000 Einwohner rund das Fünffache von dem, was im Jahr 2006 in Elsass-Lothringen zur Anmeldung kam. Gleichwohl befindet sich Elsass-Lothringen im Aufholprozess. Seit 1995 ist das Bruttoinlandsprodukt in Elsass-Lothringen ausgehend von einem vergleichsweise niedrigen Niveau mit einem Plus von gut 53 % ähnlich stark wie in Baden-Württemberg (60,6 %) gewachsen.

… Wohlstand in Elsass-Lothringen geringer

Das Gefälle der Wirtschaftskraft zwischen Baden-Württemberg und Elsass-Lothringen spiegelt sich auch im materiellen Wohlstand der Bevölkerung rechts und links des Rheins wider, wenn auch nicht ganz so stark ausgeprägt. Als Wohlstandsindikator wird das Verfügbare Einkommen der privaten Haushalte je Einwohner, gemessen in Kaufkraftkonsumstandards (KKKS), herangezogen. Demnach stand in Elsass-Lohringen der Bevölkerung im Jahr 2007 mit gut 17 000 KKKS ein um rund 14 % niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen zur Verfügung als den Baden-Württembergern (19 800 KKKS). Im Elsass wurde mit einem Wert von 17 500 KKKS der französische Durchschnitt (17 400 KKKS) leicht übertroffen. Lothringen schnitt mit 16 600 KKKS deutlich schlechter ab. In Baden-Württemberg lagen alle Regierungsbezirke über dem Bundesdurchschnitt (18 000 KKKS). Beim Einkommensvolumen hat Elsass-Lothringen schon kräftig aufgeholt. Es ist hier von 1995 bis 2007 um gut 73 % gestiegen, in Baden-Württemberg waren es rund 51 %.

Wirtschaftsstruktur: deutliche Unterschiede

In Elsass-Lothringen ist die Wirtschaft wesentlich stärker dienstleistungsorientiert als in Baden-Württemberg. So entfielen links des Rheins im Jahr 2007 gut 72 % der gesamten Bruttowertschöpfung auf den Dienstleistungssektor, rechts des Rheins waren es nur rund 59 %. Dem entsprechend hatte das Produzierende Gewerbe3 in Elsass-Lothringen einen Anteil von lediglich 25 % und in Baden-Württemberg von rund 40 %. Mit einem Anteil der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei von gut 2 % ist der primäre Sektor in Elsass-Lohringen 3-mal so stark vertreten wie in Baden-Württemberg (0,7 %).

Elsass-Lothringen ist zwar industrielastiger als die gesamte französische Wirtschaft, dennoch kann auch in der linksrheinischen Grenzregion seit 1995 ein stetiger Strukturwandel zugunsten der Dienstleistungen beobachtet werden. Weniger dynamisch verlief der Tertiarisierungsprozess in Baden-Württemberg. Hier konnte die heimische Industrie 2007 so stark von der letzten konjunkturellen Hochphase profitieren, dass sich der Wertschöpfungsanteil des Produzierenden Gewerbes sogar wieder auf rund vier Zehntel erhöht hat. Ohnehin werden hier zu Lande von der Industrie durch ihre hohe Forschungsintensität überdurchschnittlich viele Dienstleistungen selbst erbracht, die daher zur eigenen Wertschöpfung zählen und zu einem entsprechend höheren Industrieanteil beitragen.

Dienstleistungen links und rechts des Rheins der Jobmotor

Das Wirtschaftswachstum ist in Elsass-Lothringen wie in Baden-Württemberg von 1995 bis 2007 mit einer deutlichen Zunahme der Erwerbstätigkeit um 8,5 bzw. 9,9 % einhergegangen. Allerdings hat Elsass-Lothringen vom gesamtfranzösischen Beschäftigungszuwachs (14,8 %) nicht so stark profitiert, insbesondere Lothringen (5,4 %) hinkte erheblich hinterher. Dagegen konnte sich in Baden-Württemberg in allen Landesteilen die Erwerbstätigkeit spürbar günstiger als im Bundesdurchschnitt (5,8 %) entwickeln.

Ausschlaggebend für das Entstehen neuer Arbeitsplätze war überall der Dienstleistungssektor mit zweistelligen Zuwachsraten bis zu 24 %. Hierzu dürfte nicht zuletzt auch die deutliche Zunahme der Teilzeitbeschäftigung beigetragen haben. Demgegenüber wurde im Produzierenden Gewerbe die Beschäftigung links und rechts des Rheins von 1995 bis 2007 vielerorts erheblich abgebaut. In Lothringen waren es – 14 %, im Elsass und in den baden-württembergischen Regierungsbezirken bis zu – 9 %.

Die Wirtschaftsstruktur, wie sie in der sektoralen Verteilung der Wertschöpfung zum Ausdruck kommt, findet man so im Prinzip auch bei der Erwerbstätigkeit vor. Der voranschreitende Tertiarisierungsprozess ist unverkennbar: In allen hier betrachteten Regionen dominiert der Dienstleistungssektor und in Baden-Württemberg ist die Industrie gewichtiger als in Elsass-Lothringen. Im Jahr 2007 waren in Baden-Württemberg rund 66 % der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor beschäftigt, in Elsass-Lothringen fast 72 %. Das Produzierende Gewerbe hatte linksrheinisch einen Beschäftigtenanteil von 26 %, dagegen rechtsrheinisch von rund 33 %.

Arbeitslosigkeit in Elsass-Lothringen höher

Auskunft über den Grad der Erwerbsbeteiligung gibt die Erwerbsquote, die den Anteil der Erwerbstätigen und der Erwerbslosen an der Bevölkerung misst. Demnach ist das berufliche Engagement in Baden-Württemberg merklich stärker als in Elsass-Lothringen ausgeprägt. Während sich im Südweststaat im Jahr 2007 die Erwerbsquote auf 52 % belief, betrug sie im Osten Frankreichs nur rund 46 %. Selbst innerhalb von Elsass-Lothringen besteht ein deutliches Gefälle, wobei Lothringen (44,7 %) noch schlechter als das Elsass (47,8 %) abschnitt. Die Gründe für eine niedrigere Erwerbsquote können sehr vielfältig sein. Dabei spielen zum Beispiel strukturelle Gegebenheiten wie das Fehlen expandierender Technologiebranchen, der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten, die geringere Qualifikation der Arbeitskräfte ebenso eine Rolle wie eine ungünstigere Altersstruktur der Bevölkerung oder traditionellere familiäre Strukturen, die zu einer geringeren Erwerbsbeteiligung von Frauen führen.

Der Arbeitsmarkt in Elsass-Lothringen befand sich im Jahr 2007 trotz der europaweit guten Konjunktur mit einer Erwerbslosenquote4 von 7 % in einer wesentlich schwierigeren Situation als in Baden-Württemberg, wo eine Quote von nur 4,9 % zu registrieren war. Die Arbeitslosigkeit hatte Lothringen mit einer Quote von 7,7 % am stärksten erfasst. Dennoch stellte sich die Lage auf dem elsässisch-lothringischen Arbeitsmarkt im Großen und Ganzen günstiger dar als in ganz Frankreich (8,3 %). Allerdings konnte sich Baden-Württemberg viel deutlicher vom Bundesdurchschnitt (8,6 %) abheben.

Mobilität und Tourismus

In Baden-Württemberg verfügt die Bevölkerung über einen hohen Fahrzeugbestand. Im Jahr 2007 kamen hier gut 656 Fahrzeuge auf 1 000 Einwohner, wobei der ländlich geprägtere Regierungsbezirk Tübingen den höchsten Mobilitätsgrad aufwies (680 Fahrzeuge). In Elsass-Lothringen fiel die Fahrzeugdichte mit rund 613 Fahrzeugen je 1 000 Einwohner geringer aus, zwischen den Teilregionen Elsass und Lothringen gab es kaum einen Unterschied. Damit ist die Bevölkerung im Osten Frankreichs besser mit Fahrzeugen ausgestattet als im ganzen Land (587 Fahrzeuge). Auch in Baden-Württemberg wurde der bundesdeutsche Durchschnitt übertroffen (626 Fahrzeuge).

Linksrheinisch ist insbesondere das Elsass ein begehrtes Reiseziel. Schon Goethe berichtet in seinem autobiographischen Werk »Dichtung und Wahrheit« von der »Reise in das schöne Elsass«. Touristenmagnete sind die Kulturschätze und Baudenkmale wie zum Beispiel in Strasbourg und Colmar sowie die Gipfel Grand Ballon, Hohneck, Champ du Feu und Donon in den Vogesen, die vieles von ihrer Urwüchsigkeit und Eigentümlichkeit bewahren konnten. Edelzwicker, Gewürztraminer, Choucroute garnie und Gugelhupf, um nur einige der kulinarischen Spezialitäten zu erwähnen, locken viele Touristen auch an die elsässische Weinstraße. Dass das Elsass jedoch nicht so frequentiert wird, wie es mancherorts im Schwarzwald und am Bodensee der Fall ist, dürfte mit der weniger intensiven touristischen Erschließung zusammenhängen. So kamen im Elsass im Jahr 2007 nur gut 10 Fremdenzimmer auf 1 000 Einwohner, während im Regierungsbezirk Freiburg gut 16 Zimmer je 1 000 Einwohner vorhanden waren. Geradezu spärlich sind die Übernachtungsmöglichkeiten in Lothringen mit nur knapp 6 Zimmern je 1 000 Einwohnern, obwohl diese Region mit den historisch interessanten Städten Nancy (Unesco-Welterbe) und Metz sowie der lothringischen Seenplatte nahe Sarrebourg für Städtetouristen und Naturliebhaber einiges zu bieten hat. Elsass-Lothringen lag 2007 mit einem Angebot von knapp 8 Zimmern je 1 000 Einwohner unter dem französischen Gesamtdurchschnitt mit rund 10 Zimmern. Baden-Württemberg bewegte sich mit gut 11 Zimmern je 1 000 Einwohnern im Bundesdurchschnitt.

1 Grundlage der Gebietsabgrenzung ist die NUTS-Verordnung (NUTS = Nomenclature of territorial Units for Statistics). Darin werden die Regierungsbezirke Baden-Württembergs jeweils als NUTS 2-Gebiete betrachtet. Baden-Württemberg ist eine Gebietseinheit auf der NUTS 1- Ebene. Elsass-Lothringen ist keine eigenständige Gebietseinheit im Sinne der NUTS, sondern wurde für den vorliegenden Beitrag entsprechend der historischen Gegebenheiten auf der Basis der separaten NUTS 2-Gebiete Elsass und Lothringen zu einer rein analytischen Einheit zusammengefasst. Siehe: Eurostat, Regionen in der Europäischen Union, Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik, NUTS 2006/EU-27, Ausgabe 2007.

2 Nahezu alle hier verwendeten Daten entstammen der Regionaldatenbank von Eurostat. Im Hinblick auf die Aktualität ist die Verfügbarkeit der Regionaldaten recht unterschiedlich. 2007 ist das aktuellste gemeinsame Jahr, zu dem der ausgewählte Datenkranz bis zum Redaktionsschluss weitgehend vollständig vorlag. Grundsätzlich ist der Datenvorrat auf der regionalen Ebene eingeschränkter.

3 Im vorliegenden Beitrag immer einschließlich Baugewerbe.

4 Berechnet auf Basis der EU-Arbeitskräfteerhebung (AKE). Die in der AKE verwendete Definition der Arbeitslosigkeit entspricht den Empfehlungen der IAO. Diese Definition kann von jenen der nationalen Arbeitsverwaltungen abweichen.