:: 12/2010

Gleichung mit zu vielen Unbekannten: Der Restposten in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder

Der »Restposten« steht in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder für den Teil des Bruttoinlandsprodukts, dessen Verwendung sich nicht mit Daten der amtlichen Statistik belegen lässt. Dabei handelt es sich vor allem um Salden von Transaktionen über die Landesgrenze. Der vorliegende Beitrag zeigt für den Restposten Baden-Württembergs, dass neben dem internationalen Außenhandel, welcher sich zumindest ansatzweise mit Daten belegen lässt, vor allem dem Handel mit den deutschen Bundesländern wesentliche Bedeutung zukommt.

Statistische Erfassung des Wirtschaftskreislaufs …

Das theoretische Konzept der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen bildet die wirtschaftlichen Aktivitäten eines Wirtschaftsgebiets als geschlossenes Kreislaufsystem ab: Der Wert der produzierten und importierten Güter entspricht dem Wert der verwendeten Güter, das erzielte Einkommen den Ausgaben. Da heute jede Volkswirtschaft Beziehungen nach außen unterhält, die sich in grenzüberschreitenden Waren- und Kapitalströmen äußern, muss dies auch in der Inlandsproduktdarstellung berücksichtigt werden. Die amtliche Statistik in Deutschland stellt die Datengrundlagen zur Erfassung von Wirtschaftsaktivitäten über nationale Grenzen hinweg in der Regel bereit. Somit können die nationalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen den Wirtschaftskreislauf komplett abbilden, das heißt inklusive der Zu- und Abflüsse über die Grenzen Deutschlands.

… für die Bundesländer nur begrenzt möglich

Anders ist die Lage für die Bundesländer. Hier ist die Datenverfügbarkeit deutlich schlechter, denn der Waren- und Dienstleistungsverkehr innerhalb eines Bundeslandes wird nicht anders erfasst als die Transaktionen zwischen Bundesländern. Dies hat Konsequenzen für die Inlandsproduktberechnung der Länder. Sie ist als ein offenes Kreislaufsystem aufgebaut, in dem die Identität zwischen Güteraufkommen und Güterverwendung durch einen Kunstgriff erreicht wird. Der »Restposten« in der Verwendungsrechnung ist im Wesentlichen definiert als Saldo aller Zu- und Abflüsse über die Grenze des Bundeslandes. Mit knapp 43 Mrd. Euro hatte der Restposten 20071 einen Anteil von rund 12 % am baden-württembergischen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Seit 2000 waren es regelmäßig zwischen 9 und 10 %. Da es sich um eine Saldengröße handelt, kann das Volumen der Zu- und Abflüsse um ein Vielfaches größer sein. Rechnerisch ergibt sich der Restposten als Residualgröße: Bruttoinlandsprodukt minus Konsumausgaben der inländischen privaten Haushalte (einschließlich private Organisationen ohne Erwerbszweck) minus Konsumausgaben des Staates minus Bruttoanlageinvestitionen = Restposten.

Der Restposten als Summe unbekannter Salden

Was sich rechnerisch als Restgröße darstellt, ist von der methodisch konzeptionellen Seite der regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen aus fünf Einzelsalden zusammengesetzt2.

  • Vorratsveränderungen einschließlich Nettozugang an Wertsachen (Veränderungen von Vorräten und Wertsachen),
  • Exporte minus Importe über die nationalen Grenzen,
  • Regionaler Saldo der Reiseausgaben,
  • Regionaler Saldo des Leistungsaufkommens von Bund und Sozialversicherungen und dessen Verwendung,
  • Regionaler Saldo der Waren- und Dienstleistungsausgänge und -eingänge zwischen den Bundesländern.

Die erste Position des Restpostens beinhaltet im Unterschied zu den übrigen eine zeitliche Rechnungsabgrenzung. Vorratsveränderungen bezeichnen die Veränderungen der Lagerbestände von Unternehmen. Der Nettozugang von Wertsachen bezieht sich auf die Bestände von Goldbarren, Schmuck, Kunstgegenständen und Ähnlichem. Die Positionen zwei bis fünf des Restpostens bilden zusammen den Saldo der Abflüsse und Zuflüsse von Waren und Dienstleistungen über die Grenze der Region. Die Salden drei bis fünf sind für Deutschland insgesamt Null und haben daher in der nationalen Verwendungsrechnung keine Entsprechung. Position vier, der »regionale Saldo des Leistungsaufkommens von Bund und Sozialversicherungen und dessen Verwendung«, steht für eine besondere Art von Aus- und Eingängen. Im Fall des Bundes und der Sozialversicherung kann man nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass die Leistungen im gleichen Bundesland verbraucht werden, in dem sie produziert werden. Daher werden innerhalb des Systems fiktive interregionale Transfers unterstellt, die die regionalen Differenzen zwischen Produktion und Verbrauch von öffentlichen Dienstleistungen ausgleichen3.

Sämtliche Einzelpositionen des Restpostens sind – definitionsgemäß – für die Bundesländer mit Hilfe der amtlichen Statistik nicht exakt zu beziffern. Dennoch wird im Folgenden versucht, zumindest der relativen Bedeutung dieser Salden auf die Spur zu kommen.

»Restposten« für Deutschland durch den Außenbeitrag bestimmt

Die »Vorratsveränderungen« und die »Exporte minus Importe über nationale Grenzen« sind diejenigen Positionen des regionalen Restpostens, die in der nationalen Inlandsproduktberechnung explizite Entsprechungen haben. Der hieraus berechnete fiktive Restposten für Deutschland beläuft sich für das Jahr 2007 auf 162 Mrd. Euro oder knapp 7 % des nationalen BIP. Dabei ist die Bedeutung der Vorratsveränderungen eher gering. Ihr Betrag beläuft sich in der Regel auf weniger als 1 % des deutschen BIP. Die Differenz zwischen Exporten und Importen, der Außenbeitrag, war für Deutschland Anfang der 90er-Jahre leicht negativ bzw. neutral. Seit Mitte der 90er-Jahre bis 2007 war der Außenbeitrag durchgehend positiv und stieg schneller als das BIP. Dabei verdeckt die Saldenbildung den sehr viel deutlicheren Anstieg der Exporte und Importe.

Der Saldo der Konsumausgaben der Gebietsfremden im Inland und von Inländern in der übrigen Welt, verkürzt als Saldo der »Reiseausgaben«4 bezeichnet, ist Teil des Außenbeitrags. Der Saldo der Reiseausgaben war in den letzten 20 Jahren stets negativ. Im Zeitvergleich verlor er im Verhältnis zum gesamten Außenbeitrag allerdings stark an Bedeutung. Im Jahr 2007 enthielt der deutsche Außenbeitrag in Höhe von 172 Mrd. Euro einen negativen Saldo der Reiseausgaben von 32 Mrd. Euro.

Demnach werden die Höhe und zeitliche Entwicklung des fiktiven deutschen »Restpostens« wesentlich durch den Außenhandel der Unternehmen mit Waren und Dienstleistungen bestimmt. Schaubild 2 verdeutlicht, dass der Außenbeitrag und der fiktive »Restposten« für Deutschland sich zwischen 1991 und 2009 weitgehend parallel entwickelt haben.

Außenhandel Baden-Württembergs nur teilweise erfasst

Wie eingangs bereits angedeutet, erfasst die Außenhandelsstatistik nur Waren, die zwischen den Bundesländern und dem Ausland gehandelt werden. Der Außenhandel mit Dienstleistungen wird von der Bundesbank nur für Deutschland insgesamt, nicht aber nach Bundesländern erfasst. Der Handel zwischen den Bundesländern, seien es Waren oder Dienstleistungen, wird in keiner Statistik erfasst. Darüber hinaus sind die verfügbaren Daten über den Auslandshandel mit Waren auf der Ebene der Bundesländer ungenauer als für Deutschland insgesamt. Etwa 20 % des Volumens der Außenhandelsstatistik des Bundes lassen sich keinem Bundesland zuordnen. Außerdem sind die Daten zur Wareneinfuhr auf Ebene der Bundesländer unschärfer als die Daten zur Ausfuhr.

Exportüberschuss im internationalen Warenhandel 2007: 28 Mrd. Euro

Die verfügbaren Daten zum internationalen Warenhandel Baden-Württembergs zeigen, dass das Land seit 1991 jedes Jahr mehr Güter ins Ausland exportiert, als es von dort importiert. Der Exportüberschuss war mit Ausnahme des Jahres 1993 immer kleiner als der Restposten. Sein Wert schwankte zwischen 66 und 97 % des Restpostens. Es verwundert nicht, dass der Restposten Baden-Württembergs durch den Exportüberschuss im internationalen Warenhandel nicht so stark abgebildet wird wie der »fiktive Restposten« für Deutschland durch den Außenbeitrag. Dies verdeutlicht auch der Vergleich der Schaubilder 2 und 3. Offenbar sind weitere Positionen des Restpostens Baden-Württemberg, etwa der internationale Handel mit Dienstleistungen und der Handel zwischen den Bundesländern, ebenfalls von Bedeutung5.

Internationaler Dienstleistungshandel stark an Warenhandel gekoppelt

In der inländischen Produktion der deutschen Wirtschaft überwiegen die Dienstleistungen. Im Jahr 2007 lag ihr Anteil an der gesamten inländischen Produktion bei 69 %. Im internationalen Handel Deutschlands spielen Dienstleistungen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Rund 88 % der Exporte und Importe betreffen Waren. Eine Großteil des Handels mit Dienstleistungen ist darüber hinaus an den internationalen Warenhandel gekoppelt. Rund 55 % der exportierten und 46 % der importierten Dienstleistungen sind Bereichen zuzuordnen, die sich überwiegend aus dem Handel mit Waren ergeben: Transport, Handel, Kreditgeschäfte und Versicherungen. Zwar haben die Informations- und Kommunikationstechniken in den Bereichen »Datenverarbeitung«, »Forschung und Entwicklung« sowie »unternehmensbezogene Dienstleistungen« neue international handelbare Arten von Dienstleistungen hervorgebracht, bei denen die räumliche Trennung von Produzent und Nutzer keine Rolle mehr spielt. Prominentes Beispiel sind die Call Center. Der Anteil dieser Dienstleistungen am Außenhandelsvolumen Deutschlands war 2007 jedoch mit knapp 4 % im Vergleich zum Anteil der Industrieerzeugnisse mit 86 % noch sehr gering6.

Es ist plausibel anzunehmen, dass Dienstleistungen auch im internationalen Handel Baden-Württembergs und im Außenbeitrag des Landes vom Umfang her nur eine geringe Rolle spielen. Wesentlich schwieriger ist die Einschätzung des Handels Baden-Württembergs mit den übrigen Bundesländern. Immerhin hat das Land mit den Regionen um Mannheim und Ulm Anteil an zwei bundesländerübergreifenden Verdichtungsräumen, in denen aufgrund kurzer Wege ein intensiver Austausch von Waren und Dienstleistungen zu vermuten ist. Die amtliche Statistik liefert jedoch kaum Anhaltspunkte zum Volumen und zur Bilanz des Handels über die Grenzen der Bundesländer.

Saldo der Reiseausgaben für Baden-Württemberg unbekannt

Zu den »Konsumausgaben Gebietsfremder in Baden-Württemberg und der Baden-Württemberger außerhalb des Bundeslandes«, die hier kurz als Reiseausgaben bezeichnet werden, zählen neben den Ausgaben für Transport, Übernachtung und Verpflegung auch Ausgaben im Einzelhandel oder für Dienstleistungen, soweit sie außerhalb des Wohnsitz-Bundeslandes getätigt werden. Für Deutschland insgesamt ist der internationale Saldo der Reiseausgaben negativ und sein Betrag erreicht nur einen geringen Bruchteil des gesamten Außenbeitrags. Inwieweit dies auch für Baden-Württemberg gilt, ist offen. Möglicherweise spielt der regionale Reiseverkehr, sei es in Form von Tagestourismus, Einkaufsfahrten oder Tagespendelverkehr eine größere Rolle. Die verfügbaren Daten aus der amtlichen Statistik7 lassen jedoch kaum einen Schluss über das Vorzeichen des Saldos zu.

»Import« von Leistungen des Bundes und der Sozialversicherung

Beim Leistungsaufkommen von Bund und Sozialversicherung handelte es sich 2007 bundesweit um Ausgaben in Höhe von rund 228 Mrd. Euro. Davon entfiel etwa ein Fünftel auf Ausgaben des Bundes, die fast ausschließlich für die Erstellung öffentlicher Güter in den Bereichen »Verteidigung«, »öffentliche Verwaltung« sowie »öffentliche Ordnung und Sicherheit« verwendet wurden. Der größte Teil des Leistungsaufkommens bestand aus Gütern und Dienstleistungen für die Aufgabenbereiche »Gesundheitswesen« (143 Mrd. Euro) und »Soziale Sicherung« (37 Mrd. Euro), die von den Sozialversicherungen für die Versicherten gekauft wurden. Eine indikatorgestützte, überschlagsartige Zurechnung der Erstellung und Verwendung des Leistungsaufkommens von Bund und Sozialversicherung ergab für Baden-Württemberg 2007 einen rechnerischen Nettoimport von knapp 2 Mrd. Euro oder gut 4 % des Restpostens8.

Fazit

Von den knapp 43 Mrd. Euro des baden-württembergischen Restpostens 2007 dürften rund 28 Mrd. Euro dem Saldo im internationalen Warenhandel und – 2 Mrd. Euro dem Saldo von Leistungserstellung und -verwendung von Bund und Sozialversicherung zuzuordnen sein. Für 17 Mrd. Euro oder 40 % des Restpostens lagen keine Informationen aus der amtlichen Statistik vor. Es kann angenommen werden, dass dieser Betrag wesentlich durch einen Exportüberschuss im Handel mit den anderen Bundesländern zustande kommt. Welche Güter und welches Handelsvolumen sich dahinter verbergen, bleibt jedoch offen.

1 Aufgrund der in den regionalen Gesamtrechnungen eingeschränkten Datenverfügbarkeit können einige Positionen der Verwendungsrechnung erst im zweiten des dem Berichtsjahr folgenden Jahres durchgeführt werden.

2 Arbeitskreis»Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«: Methodenbeschreibung, Stand April 2007, S.60.

3 Vgl. auch Europäische Kommission: Methodik der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen: Tabellen des Staates, Luxemburg 2000, S. 20.

4 Neben den Reiseausgaben der Konsumenten sind in dieser Position auch andere Käufe von Konsumenten wie Versandbestellungen im Ausland oder Käufe im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs enthalten.

5 Hinzu kommen in der regionalen Betrachtung konzeptionelle Unterschiede zwischen den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und den Exporten/Importen laut Außenhandelsstatistik.

6 Vgl. auch Bleses, Peter; et. al. »Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit dem Ausland« in: Wirtschaft und Statistik Heft 1/2008, S. 29.

7 Für diesen Beitrag untersucht wurden die Monatserhebung im Tourismus, die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und die Berufspendlerrechnung.

8 Regionale Zurechnung der Leistungserstellung des Bundes anhand der Verteilung der Beschäftigten im Bundesdienst, Soziale Sachleistungen der Sozialversicherung überwiegend anhand der Beschäftigten im Gesundheitswesen. Regionale Zurechnung der Leistungsverwendung nach Einwohneranteilen.