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Armutsgefährdung in Baden-Württemberg

Die Europäische Union hat das Jahr 2010 zum »Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung« erklärt. Unter dem Motto »Armut darf nicht sein!« soll in der gesamten EU die Eindämmung der Armut in den Mittelpunkt rücken. Die Armutsgefährdungsquote ist gemäß der EU-Definition der Anteil der Personen, die mit weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Bevölkerung auskommen müssen. In Baden-Württemberg lag nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2009 die Armutsgefährdungsquote gemessen am Bundesmedian bei knapp 11 %. Das heißt, jeder 9. Baden-Württemberger gilt nach dieser Definition als »armutsgefährdet«. Im folgenden Artikel werden darüber hinaus auch Ergebnisse für ausgewählte Bevölkerungsgruppen dargestellt. So sind beispielsweise 41 % der alleinerziehenden Mütter und Väter und 48 % der Erwerbslosen in Baden-Württemberg von Armut bedroht. Regionale Aspekte werden anhand eines Bundesländervergleichs und im Vergleich der baden-württembergischen Regionen beleuchtet.

Wer gilt in Deutschland als armutsgefährdet?

Armut: Was ist das? Zunächst denkt man dabei vielleicht an die ärmeren Staaten in Afrika, Asien oder Lateinamerika, in denen für einen Teil der Bevölkerung Hunger und Elend, mangelnder Wohnraum, unzureichende hygienische Bedingungen oder geringe Teilhabe an Bildung zu den alltäglichen Problemen gehören. Diese sogenannte »absolute Armut« ist ein Leben am äußersten Rand der Existenz – eine Situation, die in Deutschland in dieser Form selten sein dürfte. Aber was heißt arm sein in Deutschland? Wer gilt in Deutschland als armutsgefährdet?

Die Messung der Armut bzw. der Armutsgefährdung in Deutschland erfolgt nach dem Konzept der »relativen Armut«. Die Einkommensverhältnisse des Einzelnen werden dabei im Vergleich zum Wohlstand der jeweiligen Bevölkerung betrachtet. Wer relativ arm ist, hat deutlich weniger als die meisten anderen. Dieser international anerkannte Begriff der relativen Armut basiert auf der Vorstellung sozialer Ungleichheit. Es geht um die ungleiche Verteilung von Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.1 Nach dem Armutsverständnis der EU gelten Personen als arm, »…die über so geringe (materielle, kulturelle, soziale) Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar sind.«2

Dem Konzept der relativen Armut liegt also die Vorstellung zugrunde, dass soziale Ausgrenzung bzw. der Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen aufgrund materieller Not nicht zugelassen werden darf, und dass ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auf jeden Fall garantiert werden muss.3

Wie werden Armut und Armutsgefährdung gemessen?

Armut bzw. Armutsgefährdung wird anhand des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung einer regionalen Einheit, zum Beispiel Deutschland, Baden-Württemberg oder Region Ostwürttemberg, gemessen. Wer einen bestimmten Prozentsatz des Durchschnittseinkommens unterschreitet, gilt als arm bzw. armutsgefährdet. Umgekehrt gilt als reich, wer einen bestimmten Prozentsatz des Durchschnittseinkommens überschreitet.4

Nach der Definition der Europäischen Union gilt derjenige als armutsgefährdet, dessen Einkommen weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens beträgt. Als relativ arm gilt, wer weniger als 50 % des Durchschnittseinkommens einer Bevölkerungsgruppe zur Verfügung hat. Unter »strenger Armut« leidet, wem weniger als 40 % des Durchschnittseinkommens zur Verfügung steht. Als »relativ reich« gelten diejenigen, die über 200 % oder mehr des Durchschnittseinkommens verfügen.

Jährlich werden von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder die Armutsgefährdungsquoten und Armutsrisikoschwellen auf Basis der Daten aus dem Mikrozensus – der größten amtlichen Haushaltsbefragung in Deutschland bei 1 % der Bevölkerung – berechnet und im Internet auf den Seiten der amtlichen Sozialberichterstattung5 veröffentlicht (siehe i-Punkt).

Armutsgefährdungsquoten im Bundeslandvergleich

Nach den Ergebnissen des Mikrozensus lag im Jahr 2009 in Baden-Württemberg die Armutsgefährdungsquote gemessen am Bundesmedian bei knapp 11 %. Damit ist gemessen am mittleren Einkommen in Deutschland (Bundesmedian) etwa jeder Neunte in Baden-Württemberg wie auch in Bayern von einem erhöhten Armutsrisiko bedroht, während der Anteil armutsgefährdeter Personen in Mecklenburg-Vorpommern (gut 23 %) und Sachsen-Anhalt (knapp 22 %) doppelt so hoch ist. In Deutschland sind rund 15 % der Menschen armutsgefährdet (Tabelle 1 und Schaubild 1).

Neben den am Bundesmedian ermittelten Armutsgefährdungsquoten, die häufig für Vergleiche zwischen den Bundesländern herangezogen werden, veröffentlicht die »Amtliche Sozialberichterstattung« auch die Armutsgefährdungsquoten gemessen am regionalen Median, zum Beispiel des jeweiligen Bundeslandes oder der Region. Gemessen am mittleren Einkommen in Baden-Württemberg (Landesmedian) liegt die Armutsrisikoschwelle für Einpersonenhaushalte im deutschen Südwesten beispielsweise bei 871 Euro, während sie gemessen am mittleren Einkommen in Deutschland bei 801 Euro liegt (Tabelle 2). Das heißt, Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg gelten – gemessen am mittleren Einkommen in Baden-Württemberg – dann als armutsgefährdet, wenn ihnen ein Einkommen von weniger als 871 Euro im Monat zur Verfügung steht. Durch die Betrachtung anhand des Landesmedians werden die regionalen Einkommensniveaus, die zum Teil auch unterschiedliche regionale Preisniveaus widerspiegeln, stärker berücksichtigt. Vergleicht man die Armutsgefährdungsquoten auf Basis des jeweiligen Landesmedians, wird deutlich, dass der Anteil armutsgefährdeter Personen in einigen östlichen Bundesländer (Thüringen, Sachsen, Brandenburg) sogar geringer ist als in Baden-Württemberg (Schaubild 2).

Armut trifft bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker

Unter Berücksichtigung der baden-württembergischen Einkommensverhältnisse (Landesmedian) gelten 14 % der hiesigen Bevölkerung als armutsgefährdet. Von den Männern in Baden-Württemberg waren 13 % und von den Frauen 15 % von Armut bedroht. Nach Altersgruppen betrachtet, wiesen die unter 18-Jährigen mit gut 17 % und die 18- bis unter 25-Jährigen mit 21 % die höchsten Armutsrisikoquoten auf. Ebenso liegt der Anteil armutsgefährdeter Senioren mit rund 15 % leicht über dem Landesdurchschnitt von 14 %. Unter den Senioren sind Frauen stärker armutsgefährdet als Männer. Rund 17 % der Frauen im Alter von 65 und mehr Jahren haben ein Einkommen unterhalb der Armutsrisikoschwelle, aber nur knapp 13 % der Männer dieser Altersgruppe. Ursachen für die höheren Armutsgefährdungsquoten der älteren Frauen liegen unter anderem in ihren Erwerbsbiografien mit kürzeren Erwerbszeiten infolge von Kindererziehung sowie in geringeren Einkommen.

Das Armutsrisiko ist eng mit der Arbeitsmarktbeteiligung sowie mit dem Qualifikationsniveau gekoppelt. Fast die Hälfte aller erwerbslosen Baden-Württemberger (48 %) ist von Armut bedroht, während nur knapp 8 % der Erwerbstätigen dem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Ein Drittel der als geringqualifiziert eingestuften Personen, 14 % der Qualifizierten und 5 % der Hochqualifizierten gelten in Baden-Württemberg als armutsgefährdet.6

Betrachtet man die einzelnen Haushaltstypen hinsichtlich ihrer Armutsgefährdung, ergeben die Berechnungen bei 41 % der Haushalte alleinerziehender Mütter und Väter ein Armutsrisiko. Ebenso sind kleine und sehr große Haushalte armutsgefährdet. So ist knapp jeder vierte Single-Haushalt (24 %) von Armut bedroht. Rund 23 % der Haushalte mit zwei Erwachsenen und drei oder mehr Kindern weisen ein Armutsrisiko auf. Dagegen sind die Anteile armutsgefährdeter Haushalte mit zwei Erwachsenen und einem Kind (9 %) bzw. mit zwei Kindern (knapp 11 %) nicht mal halb so hoch.

Große Unterschiede waren auch bei Baden-Württembergern mit und ohne Migrationshintergrund erkennbar. Während von den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund jeder Zehnte von Armut bedroht war, war es bei denjenigen mit Migrationshintergrund jeder Vierte (Tabelle 3).

Höchster Anteil armutsgefährdeter Personen in der Region Rhein-Neckar

Deutliche Unterschiede bezüglich des Anteils armutsgefährdeter Personen zeigen sich bei der Betrachtung der einzelnen Regionen Baden-Württembergs. Auch hier kann man die Armutsgefährdungsquoten einerseits aus dem Blickwinkel des Landesmedians vergleichen oder andererseits anhand des Medians der jeweiligen Region, der das regionenspezifische Einkommens- und Preisniveau einbezieht. Sowohl auf Basis des Landesmedians als auch auf Basis des Regionalmedians weist die Region Rhein-Neckar in Baden-Württemberg mit Abstand die höchste Armutsgefährdungsquote (18,1 % bzw. 17,4 %) auf. Bei den anderen Regionen ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse, je nachdem welcher Median zugrunde gelegt wird. Gemessen am Landesmedian sind die Armutsgefährdungsquoten in den Regionen Donau-Iller (12,4 %), Bodensee-Oberschwaben (12,7 %), Hochrhein-Bodensee (12,9 %) und Stuttgart (13,1 %) am geringsten. Hier ist der Anteil der Personen am geringsten, die ein Einkommen unterhalb der Armutsrisikoschwelle für Baden-Württemberg (871 Euro für Einpersonenhaushalte) aufweisen. Im Vergleich der Armutsgefährdungsquoten nach dem jeweiligen Regionalmedian finden sich die geringsten Anteile armutsgefährdeter Personen in den Regionen Heilbronn-Franken und Ostwürttemberg (beide 12,1 %), Nordschwarzwald (12,5 %) und Hochrhein-Bodensee (12,9 %). Die Armutsgefährdungsquoten anhand des Regionalkonzepts sind in den Regionen Rhein-Neckar (17,4 %), Stuttgart (14,9 %) und Mittlerer Oberrhein (14,6 %) am höchsten (Tabelle 4).

Weitere umfangreiche Daten zu Armuts- und Sozialindikatoren sowie detaillierte methodische Erläuterungen werden für alle Bundesländer im Internet unter www.amtliche-sozialberichterstattung.de veröffentlicht.