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Zur Entwicklung der Ehescheidungen in Baden-Württemberg

»Bis dass der Tod uns scheidet«. Dieses Eheversprechen wurde in den vergangenen Jahren immer seltener gehalten. Bereits mehr als jede dritte Ehe in Baden-Württemberg wird derzeit nicht mehr durch den Tod eines Ehepartners, sondern durch eine Scheidung beendet. Die Scheidungshäufigkeit hat sich seit den 60er-Jahren mehr als verdoppelt, etwa 40 % der Ehepartner werden aus heutiger Sicht wohl künftig den Gang zum Scheidungsrichter wählen.

Im folgenden Beitrag sollen die aktuellen Trends bei den Ehescheidungen aufgezeigt werden. Darüber hinaus soll auch den Fragen nach den Ursachen für die gestiegenen Scheidungsquoten nachgegangen werden, welche Ehen besonders scheidungsgefährdet sind und wie sich die Ehescheidungsquoten in Zukunft entwickeln könnten.

Im Jahr 2009 wurden insgesamt rund 61 500 Ehen gelöst, knapp 1 % weniger als im Vorjahr. Nach wie vor werden die meisten Ehen durch den Tod eines Ehepartners getrennt. Ihre Zahl bewegt sich in den letzten Jahren in einer Größenordnung von knapp 40 000 Verwitwungen pro Jahr. Allerdings verliert die Institution »lebenslange Ehe« offensichtlich an normativer Kraft. Nur noch rund 65 % aller Ehelösungen beruhten im Jahr 2009 auf Verwitwung der Frau oder des Mannes, die übrigen 35 % auf Ehescheidungen. 1952, im Jahr der Gründung des Landes Baden-Württemberg, waren noch 84 % der Ehelösungen auf den Tod eines Ehepartners zurückzuführen und nur 16 % auf Ehescheidungen.1

18 500 Kinder waren 2009 von Scheidung betroffen

2009 wurden in Baden-Württemberg rund 21 500 Ehen geschieden – etwa 5 % weniger als im Vorjahr. Gegenüber 2004, als mit etwa 25 100 Scheidungen der bisherige Höchststand seit Bestehen des Landes Baden-Württemberg registriert wurde, betrug der Rückgang sogar 14 %. Im Vergleich zu 1990 lag die Zahl der Ehescheidungen 2009 allerdings um fast ein Drittel höher, seit 1980 hat sie sich sogar um zwei Drittel erhöht (Schaubild 1).

Parallel zur Entwicklung der Scheidungsfälle in den letzten Jahren hat sich die Zahl der von Scheidung betroffenen minderjährigen Kinder entwickelt. Nachdem deren Zahl bis auf die bisherige Rekordhöhe von knapp 22 000 Kindern im Jahr 2004 angestiegen war, gab es 2009 rund 18 500 minderjährige Kinder, deren Eltern sich scheiden ließen – immerhin 16 % weniger als noch 2004.

Dennoch lag damit die Zahl der von einer Scheidung betroffenen Kinder im Jahr 2009 um knapp die Hälfte hö­her als noch 1990. Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass sich heute beträchtlich mehr Ehepaare mit zwei oder mehr Kindern unter 18 Jahren trennen als noch Anfang der 90er-Jahre. Während 1990 etwa jede fünfte der seinerzeit geschiedenen Ehen zwei oder mehr minderjährige Kinder hatten, traf dies im Jahr 2009 auf etwa jede vierte der gerichtlich getrennten Ehen zu (26 %). In knapp der Hälfte aller Ehescheidungen hatten die Ehepaare zum Zeitpunkt der Scheidung keine Kinder unter 18 Jahren (46 %).

Scheidungen im sechsten Ehejahr am häufigsten

Am häufigsten war eine Scheidung im 6. Ehejahr (1 234).2 Am zweithäufigsten wurden Ehen im »verflixten«3. Ehejahr geschieden (1 199). Ebenfalls sehr hoch war das Scheidungsrisiko im 5. sowie im 8. Jahr. Damit sind 2009 mehr als ein Fünftel aller Ehen in diesen 4 Ehejahren gescheitert (Schaubild 2).

Die durchschnittliche Ehedauer aller im Jahr 2009 geschiedenen Ehen lag bei 14,2 Jahren, wobei aber Ehescheidungen auch nach einer verhältnismäßig langen Zeit des Zusammenlebens keine Einzelfälle sind. So hatten rund 14 % der in 2009 geschiedenen Ehen das Jubiläum der Silberhochzeit bereits hinter sich. Bei 421 Ehepaaren erfolgte die Scheidung im Jahr des 25-jährigen Ehejubiläums, bei immerhin sechs Paaren im Jahr der »goldenen Hochzeit«. Andererseits gab es drei Paare, die im Jahr 2009 heirateten und auch wieder geschieden wurden.

Nach wie vor beantragen vornehmlich die Ehefrauen ein Scheidungsverfahren. Dies war 2009 bei 53 % der geschiedenen Ehen der Fall; in 40 % der Fälle wurde die Scheidung vom Mann eingereicht. Lediglich bei rund 4 % der 2009 geschiedenen Ehen hatte der jeweils andere Partner dem Scheidungsantrag nicht zugestimmt. Etwa 7 % der Geschiedenen haben das Trennungsverfahren gemeinsam beantragt.

Scheidungshäufigkeit hat sich seit den 60er-Jahren mehr als verdoppelt

Nicht nur die absolute Zahl der Ehescheidungen hat sich 2009 gegenüber dem Vorjahr verringert, sondern auch die sogenannte spezielle Scheidungsziffer, die die Ehescheidungen je 10 000 bestehende Ehen anzeigt. 2009 lag diese Ziffer bei 90 geschiedenen Ehen bezogen auf 10 000 bestehende Ehen, im Jahr 2008 noch bei 943. Dennoch kann die aktuelle Entwicklung derzeit noch nicht eindeutig als Trendumkehr hin zu einer geringeren »Scheidungsneigung« interpretiert werden, auch wenn es Hinweise darauf gibt, dass die Scheidungsquote in den letzten Jahren leicht zurückgegangen ist.4 Vielmehr dürfte der Rückgang gegenüber 2008 vor allem darauf zurückzuführen sein, dass zum 1. September 2009 die Großen Familiengerichte mit neuen Zuständigkeiten eingeführt wurden, die zu Verzögerungen in der Bearbeitung der Scheidungsverfahren geführt haben können.

Im langfristigen Vergleich ist vielmehr die Scheidungshäufigkeit mit jedem jüngeren Heiratsjahrgang angestiegen. Zieht man nämlich über die bisherigen Ehejahre gesehen eine (Zwischen-)Bilanz, so wurden vom Heiratsjahrgang 1960 etwa 15 % der seinerzeit geschlossenen Ehen geschieden (Schaubild 3). Für den Heiratsjahrgang 1970 traf dieses Schicksal auf jedes vierte Ehepaar zu, für den Jahrgang 1980 bereits auf jede dritte Ehe. Von den Paaren, die 1995 den Bund der Ehe eingingen, war bis zum Jahr 2009 – also nach 14 Ehejahren – bereits ein Viertel geschieden. Eine Abschätzung für diesen Heiratsjahrgang läuft auf eine Scheidungshäufigkeit von etwa 40 % hinaus (siehe i-Punkt). Damit hat sich die Scheidungshäufigkeit jüngerer Heiratsjahrgänge im Vergleich zu den in den 60er-Jahrern geschlossenen Ehen mehr als verdoppelt.

Erklärungsansätze für den Anstieg der Ehescheidungsraten

Was sind die Ursachen für den Anstieg der Scheidungshäufigkeit in den letzten Jahrzehnten? Die Familiensoziologie bietet hierzu verschiedene Erklärungsansätze. Genannt werden unter anderem Faktoren, die mit der Modernisierung der Gesellschaft zusammenhängen, beispielsweise mit der zunehmenden Erwerbsbeteiligung der Frauen. Außerdem hätten sich die Scheidungsbarrieren verringert, weil beispielsweise die religiösen Bindungen schwächer geworden seien und die Geschiedenen heute weniger stigmatisiert würden.5

Des Weiteren wird auf die zunehmende Attraktivität alternativer Lebensformen und die – aufgrund der steigenden Scheidungszahlen – höheren Chancen der Wiederheirat verwiesen. Schließlich hätte auch der Wertewandel zu steigenden Ehescheidungsraten geführt: Selbstentfaltungsorientierungen hätten die Oberhand gewonnen und es sei zu einer Deinstitutionalisierung der Ehe gekommen. Das heißt, der Zusammenhalt in einer Ehe würde nicht mehr durch starke Rollen und Normen gewährleistet; vielmehr müsse dieser von den Partnern selbst aktiv hergestellt werden.

Allerdings ist der Anstieg der Scheidungsraten nach ganz überwiegender Auffassung nicht so zu interpretieren, dass die Ehen im Schnitt heute unglücklicher als früher sind. Vielmehr dürften hierfür die gestiegenen Ansprüche der Partner aneinander und an die Beziehung ursächlich sein.6

Welche Ehen sind besonders scheidungsgefährdet?

Die Statistik der gerichtlichen Ehelösungen kann wichtige Basisinformationen insbesondere zur Entwicklung der Ehescheidungen und der Scheidungshäufigkeit sowie zur Ehedauer liefern. Darüber hinaus kann mithilfe dieser Statistik unter anderem gezeigt werden, dass städtische Regionen höhere Scheidungsraten aufweisen als ländliche Gebiete – allerdings mit abnehmender Tendenz.7 Schließlich sind auch Aussagen zur Scheidungshäufigkeit in Abhängigkeit vom Altersunterschied der Ehepartner möglich. Demnach haben beispielsweise Ehen eine besonders niedrige Scheidungshäufigkeit, bei denen der Mann 2 bis 4 Jahre älter ist als die Frau.8

Darüber hinaus kann die Statistik der gerichtlichen Ehelösungen allerdings kaum direkte Antworten zu der Frage anbieten, von welchen soziodemografischen Faktoren die Scheidungshäufigkeit beeinflusst wird. Aus familiensoziologischen Studien lassen sich aber interessante Einblicke in diese Zusammenhänge gewinnen:9

  • Gemeinsame Kinder mindern die Scheidungshäufigkeit. Die positiven Effekte der Kinder auf die Ehestabilität sinken aber mit zunehmendem Kindesalter und zunehmender Ehedauer. Kinderlose Ehen haben das höchste Scheidungsrisiko.
  • Ehen zwischen Deutschen und Ausländern haben im Vergleich zu Ehen zwischen Deutschen und Ehen zwischen Ausländern die höchste Scheidungshäufigkeit.
  • Protestanten und Konfessionslose haben ein höheres Scheidungsrisiko als Katholiken.
  • Ehen, in denen beide Partner erwerbstätig sind, werden häufiger geschieden als Ehen, in denen die Frau nicht berufstätig ist.
  • Das Risiko für eine Scheidung ist umso höher, je mehr die Frau im Vergleich zum Mann verdient.
  • Ehen, in denen die Frau ein höheres Bildungsniveau aufweist als der Mann, haben ein höheres Scheidungsrisiko als Ehen, in denen der Mann eine mindestens gleichwertige Bildung vorweist.
  • Bei Kindern, deren Eltern geschieden wurden, ist das Scheidungsrisiko erhöht.10
  • Ehen mit Wohneigentum werden seltener geschieden.11
  • Die Scheidungswahrscheinlichkeit bei Wiederverheiratungen ist höher als bei Erstvermählten.12

Ausblick: Anstieg der Scheidungsquote scheint gestoppt

Für jüngere Heiratsjahrgänge lässt sich derzeit nicht eindeutig abschätzen, ob die Scheidungshäufigkeit weiter ansteigen wird. Allerdings deutet eine Auswertung der Ehescheidungen des Heiratsjahrgangs 2000 darauf hin, dass sich die Scheidungsquote auf dem derzeitigen Niveau einpendeln könnte. Von den im Jahr 2000 geschlossenen Ehen wurden in den ersten 9 Ehejahren 18 % geschieden – genau so viele wie beim Jahrgang 1995. Für den Heiratsjahrgang 1990 lag der entsprechende Anteil geringfügig niedriger (17 %).

Diese Einschätzung wird im Großen und Ganzen bestätigt, wenn anstelle des Anteils der Ehescheidungen verschiedener Heiratsjahrgänge derjenige unterschiedlicher Berichtsjahrgänge herangezogen wird. Wie Schaubild 4 zeigt, ist die sogenannte zusammengefasste Scheidungsziffer seit 2005 sogar rückläufig und betrug zuletzt 37 % für die ersten 30 Ehejahre. Das heißt, sowohl die Längsschnitts- als auch die Querschnittsbetrachtung kommt zu dem Ergebnis, dass derzeit wohl rund 40 % der Ehen geschieden werden (siehe i-Punkt).

Allerdings ist diese – auf den ersten Blick erfreuliche – Entwicklung hin zu nicht mehr weiter steigenden oder sogar leicht sinkenden Scheidungsquoten auch im Zusammenhang mit der in den letzten Jahrzehnten zurückgegangenen »Heiratsneigung« zu sehen: »Wer sich bewusster und gezielter für die Ehe entscheidet, lässt sich möglicherweise seltener scheiden.«13

Tatsächlich lag der Anteil der Verheirateten an der erwachsenen Bevölkerung in Baden-Württemberg Ende 2009 nur noch bei 54 %, 1980 waren dagegen noch 63 % der Erwachsenen verheiratet. Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass in den letzten drei Jahrzehnten sowohl das durchschnittliche Heiratsalter als auch die Scheidungshäufigkeit angestiegen ist, lässt eine differenzierte Betrachtung der Bevölkerung nach Altersgruppen darauf schließen, dass seltener geheiratet wird. Ende 2009 lag der Anteil der Verheirateten in jeder Altersgruppe der unter 60-Jährigen jeweils niedriger als 1980 (Schaubild 5). Lediglich bei den 60-Jährigen und Älteren liegt der aktuelle Verheiratetenanteil höher als noch 1980. Dies dürfte vor allem auf die in den letzten Jahrzehnten stark gestiegene Lebenserwartung der Bevölkerung zurückzuführen sein.

1 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass heute eine Ehe, die nicht geschieden wird, im Schnitt annähernd 10 Jahre länger dauert als noch zu Beginn der 50er-Jahre – und zwar deshalb, weil seither die Lebenserwartung um über 14 Jahre angestiegen ist, während sich das durchschnittliche Heiratsalter bei der Erstheirat »nur« um knapp 5 Jahre erhöht hat.

2 Die Ehedauer ergibt sich statistisch aus der Differenz zwischen dem Jahr der Eheschließung und dem Jahr, in dem das Scheidungsurteil rechtskräftig wird. Da die Scheidung in den meisten Fällen erst nach einer einjährigen Trennungszeit ausgesprochen wird, sind Ehen faktisch bereits im 5- bzw. nach dem 4. Ehejahr am häufigsten zerbrochen.

3 Da aus der Bevölkerungsfortschreibung die Zahl der Ehen nicht bekannt ist, wird hilfsweise auf die Zahl der verheirateten Frauen zurückgegriffen; vgl. hierzu: Gröner, Gerhard: Struktur und Entwicklung der Ehescheidungen in Baden-Württemberg und Bayern, in: Hohenheimer Diskussionsbeiträge Nr. 249/2004, S. 9 f.

4 Vgl. hierzu den »Ausblick« in diesem Beitrag.

5 Vgl. Wagner, Michael: Scheidungsrisiken in Deutschland aus soziologischer Sicht, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Ausgabe 7–8/2004, S. 488.

6 Vgl. beispielsweise Peuckert, Rüdiger: Familien im sozialen Wandel, 7. Auflage, 2008, S. 178.

7 Vgl. beispielsweise den Eildienst des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg vom 5. Oktober 2010: Höchste Scheidungshäufigkeit im Stadtkreis Baden-Baden.

8 Zitiert aus Gröner, Gerhard: Struktur und Entwicklung der Ehescheidungen in Baden-Württemberg und Bayern, in: Hohenheimer Diskussionsbeiträge Nr. 249/2004, S. 16 f.

9 Soweit nichts anderes angegeben, sind die Ergebnisse entnommen aus: Peuckert, Rüdiger: Familien im sozialen Wandel, 7. Auflage, 2008, S. 174 ff. Zum Teil basieren die zitierten Aussagen auf bereits älteren Untersuchungen, so dass fraglich ist, ob die genannten Zusammenhänge auch heute noch in dieser Stringenz gültig sind.

10 Vgl. Wagner, Michael: Scheidungsrisiken in Deutschland aus soziologischer Sicht, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Ausgabe 7– 8/2004, S. 487.

11 Vgl. Wagner, Michael: Scheidungsrisiken in Deutschland aus soziologischer Sicht, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Ausgabe 7– 8/2004, S. 487.

12 Vgl. Babka von Gostomski, Christian u. a.: Soziostrukturelle Bestimmungsgründe der Ehescheidung, in: Klein, Thomas/Kopp, Johannes (Hrsg.): Scheidungsursachen aus soziologischer Sicht, 1999, S. 49.

13 Interview von RP ONLINE mit Prof. Michael Wagner: »Deutsche Ehen halten länger«