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Wahlverhalten in Baden-Württemberg im langfristigen Vergleich

Am 27. März 2011 findet die 15. Wahl zum Landtag von Baden-Württemberg zwischen 1952 und 2011 statt. Im Vorfeld des Urnengangs liefert der vorliegende Beitrag eine Retrospektive auf das langfristige Wahlverhalten der Baden-Württemberger. Welche Entwicklung nahm die Wahlbeteiligung von Frauen und Männern, jüngerer und älterer Wähler über die Jahrzehnte hinweg? Wie hat sich die Zusammensetzung der Wählerschaft der Parteien im Zeitverlauf verändert und wie haben sich die Präferenzen unterschiedlicher Wählergruppen bezüglich der Parteien gewandelt? Um diese Fragen zu beantworten, führt das Statistische Landesamt bei sämtlichen Parlamentswahlen die Repräsentative Wahlstatistik durch. Sie liefert zuverlässige Informationen von hoher Datenqualität und spiegelt – anders als die Wahlanalysen der Meinungsforschungsinstitute – nicht das erfragte, sondern das tatsächliche Wahlverhalten wider.

Sinkende Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen

Bei der historischen Betrachtung der Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg zeigt sich, dass der Wahleifer der Bürgerinnen und Bürger seit Jahrzehnten zurückgeht. Nach 63,7 % bei der Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung im Jahr 1952 lag die Beteiligung am Urnengang 1972 bei historisch hohen 80 %. Mit Ausnahme der Landtagswahl 1988 sinkt die Wahlbeteiligung seither kontinuierlich. So lag die Teilnahmequote bei der Landtagswahl 1988 noch bei 71,8 % und erreichte bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2006 mit 53,4 % ihren bisher niedrigsten Stand. Zwar ist eine abnehmende Beteiligung an Wahlen kein rein baden-württembergisches Phänomen. Jedoch weist der Südweststaat unter den Alten Bundesländern die durchschnittlich niedrigste Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen auf. Bei den bisherigen Wahlen zum Landesparlament machten im Mittel 68,3 % der wahlberechtigten Baden-Württemberger von ihrem Wahlrecht Gebrauch, während es in den Alten Bundesländern im Durchschnitt 73,5 % und in allen Bundesländern 71,1 % waren.

Frauen verschenken bei sämtlichen Landtagswahlen politisches Einflusspotenzial

Anhand der Repräsentativen Wahlstatistik (siehe i-Punkt Seite 47) wird im Folgenden der Frage nachgegangen, wie sich Männer und Frauen hinsichtlich ihres Wahleifers unterscheiden. Durch die Folgen der beiden Weltkriege zunächst verstärkt, bildeten Frauen aufgrund der höheren Lebenserwartung bislang bei sämtlichen Landtagswahlen die Mehrheit der Wahlberechtigten, womit sie rein quantitativ betrachtet auch über ein höheres politisches Einflusspotenzial als Männer verfügen. Bei der Landtagswahl 1964 waren 54,4 % und 2006 immerhin noch 51,6 % aller Wahlberechtigten1 Frauen. Bei der Betrachtung der Wahlbeteiligung2 seit 1964 zeigt sich jedoch, dass Frauen seit jeher auf einen Teil ihres Einflusspotenzials verzichtet haben, da ihre Wahlbeteiligung bei allen Landtagswahlen niedriger als bei den Männer ausfiel, wenngleich in unterschiedlicher Höhe. Lag die Wahlbeteiligung der Männer 1964 noch 5,7 Prozentpunkte über der der Frauen, so verringerte sich der geschlechterspezifische Unterschied bis 1980 auf 2,9 Prozentpunkte, nahm dann allerdings bis 1992 wieder auf 4,2 Prozentpunkte zu. Bei den Landtagswahlen 1996 (3,7 Prozentpunkte), 2001 (3,0 Prozentpunkte) und 2006 (2,7 Prozentpunkte) war abermals eine tendenzielle Angleichung zu beobachten (Schaubild 1).

Seniorinnen und Jungwählerinnen besonders wahlmüde

Der geringere Wahleifer von Frauen ist ungleich auf verschiedene Altersgruppen verteilt. So ist im Zeitverlauf ein stetiges Muster festzustellen, nach dem insbesondere junge Frauen und Seniorinnen seltener wählen als ihre männlichen Altersgenossen. Von 1964 bis 2006 lag die Wahlbeteiligung der Jungwählerinnen von 18 bis 24 Jahren im Durchschnitt um 4 Prozentpunkte, die Wahlbeteiligung der Frauen ab 60 Jahren sogar um 10 Prozentpunkte unter der Vergleichsgruppe der Männer.

Insgesamt stellen die 18- bis 24-jährigen Frauen seit 1964 die Wählergruppe mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Von ihnen ging 2006 nicht einmal mehr jede Dritte (32,6 %) zur Wahl. Ein anderes Bild zeigt sich in den mittleren Altersgruppen. So fiel die Beteiligung der 25- bis 39-jährigen Frauen an allen Urnengängen seit 1964 im Durchschnitt nur um 1,2 Prozentpunkte geringer als bei Männern dieser Altersgruppe aus. Die Wahlbeteiligung der 30- bis 34-jährigen Frauen bei der Landtagswahl 2001 bzw. die der 35- bis 39-jährigen Frauen bei der Wahl 2006 lag sogar um 0,7 bzw. 0,3 Prozentpunkte über der der Männer im entsprechenden Alter.

Rückläufige Wahlbeteiligung insbesondere bei Wählern mittleren Alters

Beim Rückgang der Wahlbeteiligung lässt sich ein ausgeprägtes Gefälle zwischen jüngeren und älteren Wählern feststellen. Über alle Altersgruppen hinweg ist die Wahlbeteiligung seit ihrem Höchststand bei der Landtagswahl 1972 bis zur Landtagswahl 2006 um 29,5 Prozentpunkte gesunken (Schaubild 2). Überdurchschnittlich hoch fiel in diesem Zeitraum der Rückgang in den mittleren Altersgruppen aus. So ging die Wahlbeteiligung bei den 25- bis 34-jährigen Wählern um 40,3 Prozentpunkte auf 34,8 % bei der Landtagswahl 2006 zurück. Mit einem Minus von 35,5 Prozentpunkten auf zuletzt 47 % war auch der Rückgang bei den 35- bis 44-Jährigen überdurchschnittlich hoch. Dagegen sank die Beteiligungsquote der Jungwähler (18 bis 20 Jahre) nur unterdurchschnittlich um 27,2 Prozentpunkte, allerdings auf ein niedriges Niveau von 40,7 % bei der Landtagswahl 2006. Vergleichsweise gering hierzu fällt der Rückgang bei den 60- bis 69-Jährigen (20,5 Prozentpunkte) und der 70 Jahre und älteren Wähler (17,6 Prozentpunkte) aus.

Alterung der Wählerschaft lässt Einfluss der Jungwähler zusätzlich sinken

Der demografische Wandel führt dazu, dass das politische Einflusspotenzial jüngerer Wähler stark abgenommen hat. Während der Anteil der Senioren (60 Jahre und älter) an den Wahlberechtigten von 1964 bis 2006 um 6,1 Prozentpunkte auf 31,3 % gestiegen ist, nahm der Anteil der jüngeren Wahlberechtigten stetig ab. Noch 1984 war beinahe jeder vierte Wahlberechtigte jünger als 30 Jahre (23,4 %), 2006 nicht einmal mehr jeder sechste (15,8 %). Dies und die mit dem Alter zunehmende Wahlbeteiligung schlagen sich auch auf die Zusammensetzung der Wählerschaft nieder. 1984 war noch knapp jeder fünfte Wähler3 unter 30 Jahre alt, im Jahr 2006 nur noch gut jeder zehnte. Über ein Drittel (36,8 %) der Wähler bei der Landtagswahl 2006 befand sich im Alter von 60 und mehr Jahren. Ihr Anteil an der Gesamtwählerschaft war zuletzt also über drei Mal so hoch wie der Anteil der unter 30-Jährigen.

Wahlergebnisse in Baden-Württemberg: CDU dominiert seit 1952

Die CDU ging aus allen bisherigen baden-württembergischen Landtagswahlen als stärkste Partei hervor. Von 1972 bis 1992 konnte die Union mit der absoluten Mehrheit der Sitze im Landtag ohne Koalitionspartner regieren. 1976 erreichte sie mit 56,7 % ihr bisher bestes Ergebnis im Land, 2006 vereinte sie immerhin 44,2 % der gültigen Stimmen auf sich. Die SPD konnte bisher nicht über die 40-Prozentmarke klettern und verbuchte 1972 ihr bisher bestes Wahlergebnis (37,6 %). Von 1968 bis 1970 sowie von 1992 bis 1996 war sie jeweils an einer großen Koalition beteiligt. Bei der Landtagswahl 2006 erzielten die Sozialdemokraten mit 25,2 % ihr zweitschlechtestes Ergebnis nach 1996 (25,1 %). Die FDP ist neben CDU und SPD die dritte Partei, die seit der Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung im Jahr 1952 im Landtag vertreten ist. Von 1960 bis 1970 und seit 1996 sind die Liberalen an Koalitionen mit der CDU beteiligt. Von 1952 bis 1968 erreichten sie zweistellige Ergebnisse, was ihnen auch bei der Landtagswahl 2006 mit 10,7 % gelang. Die GRÜNEN treten seit 1980 bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg an, wobei ihnen stets der Sprung über die 5-Prozenthürde, zweimal auch über die 10-Prozentmarke gelang. 1996 erreichten sie mit 12,1 % ihr bislang bestes Ergebnis. Bei den Landtagswahlen 1968 gelang zudem der NPD, 1992 und 1996 den REPUBLIKANERN der Einzug in den Landtag.

Wählerschaft und Stimmabgabe im Zeitverlauf

Neben der Wahlbeteiligung beleuchtet die Reprä­sentative Wahlstatistik sowohl die Wählerschaft der Parteien als auch die Stimmabgabe für die Parteien nach Geschlecht und Altersgruppen. Im Folgenden wird zunächst der Frage nachgegangen, wie sich die demografische Zusammensetzung der Wählerschaft der einzelnen Parteien im Zeitverlauf verändert hat, um abschließend den Blick auf die unterschiedlichen Parteienpräferenzen von Männern und Frauen zu richten.

Senioren in der Wählerschaft der CDU stets überrepräsentiert

Gemessen am Anteil der 60-jährigen und älteren Wähler an der Gesamtwählerschaft, lag der Anteil der Senioren an den CDU-Wählern seit 1964 stets überdurchschnittlich hoch. Während 1964 gut 27 % der CDU-Wähler 60 Jahre und älter waren, betrug der Anteil der Senioren unter allen Wählern in Baden-Württemberg nur rund ein Viertel. Bei der Landtagswahl 2006 waren die Senioren mit einem Anteil von 45,2 % an den Unionswählern sogar um 8,3 Prozentpunkte gegenüber ihrem Anteil an der Gesamtwählerschaft (36,9 %) überrepräsentiert (Schaubild 3). Die Unionswählerschaft altert zudem überdurchschnittlich stark. Während der Anteil der Wähler im Seniorenalter von 1964 bis 2006 landesweit um 11,7 Prozentpunkte gestiegen ist, nahm ihr Anteil an den CDU-Wählern um 17,9 Prozentpunkte zu. Dagegen waren Wähler unter 35 Jahren innerhalb der CDU-Wählerschaft seit 1976 stets unterdurchschnittlich vertreten.

Geringe Abweichungen von der Altersstruktur der Gesamtwählerschaft bei SPD und FDP

Die demografische Zusammensetzung der Wählerschaft von SPD und FDP wich auch im Zeitverlauf betrachtet nur relativ schwach von der Alterstruktur der Gesamtwählerschaft ab. Dennoch kann festgehalten werden, dass die Wähler ab 60 Jahren bei sämtlichen Landtagswahlen seit 1964 nur unterdurchschnittlich unter den Wählern der Sozialdemokraten vertreten waren. Unter den Wählern der FDP waren bei allen Landtagswahlen von 1980 bis 2006 überdurchschnittlich viele Wähler von 45 bis 59 Jahren zu finden, wenngleich ihr Anteil an der Wählerschaft der Liberalen bei der Landtagswahl 2006 nur noch geringfügig um 0,3 Prozentpunkte über dem Anteil dieser Altersgruppe an allen Wählern im Land lag.

Die GRÜNEN: Die Wählerschaft altert mit der Partei

Als die GRÜNEN 1980 das erste Mal bei einer Landtagswahl antraten, erhielten sie fast jede dritte Stimme (32,6 %) von Wählern unter 25 Jahren. 57,9 % der GRÜNEN-Wähler waren damals unter 35 Jahre alt und damit um rund ein Drittel überrepräsentiert. Wenngleich diese Altersgruppe bis heute überdurchschnittlich unter den Wählern der GRÜNEN vertreten ist, stellen mittlerweile die 35- bis 59-Jährigen innerhalb der GRÜNEN-Wählerschaft die stärkste Altersgruppe. Während bei der Landtagswahl 2006 rund 47 von 100 gültigen Stimmen von Wählern zwischen 35 und 59 Jahren abgegeben wurden, kamen von 100 gültigen Stimmen für die GRÜNEN gut 64 Stimmen aus dieser Altersgruppe. Seit jeher unterrepräsentiert sind unter den Wählern der GRÜNEN die Wähler ab 60 Jahren.

Parteienpräferenzen von Männern und Frauen

Unterschiede in den Parteienpräferenzen von Männern und Frauen zeigten sich im Zeitverlauf vor allem hinsichtlich der Stimmabgabe für CDU und SPD. So gab 1968 rund jede zweite Frau (50,2 %) der CDU ihre Stimme. Dagegen machten nur 37,2 % der Männer ihr Kreuz bei der Union (Schaubild 4). Ein umgekehrtes Bild zeigte sich 1964 bei der SPD, die von 41,5 % der Wähler, aber lediglich von 34 % der Wählerinnen gewählt wurde. Die geschlechterspezifischen Unterschiede in der Wählergunst gegenüber den beiden Volksparteien verschwanden im Zeitverlauf jedoch zunehmend. So lag das Ergebnis der CDU bei den Frauen 1988 »nur« noch 4 Prozentpunkte über dem der Männer, 2006 waren es noch 1,9 Prozentpunkte. Bei den Sozialdemokraten konnten bereits seit der Landtagswahl 1980 keine signifikanten Unterschiede mehr festgestellt werden.

Unterschiede bei der Stimmabgabe von Männern und Frauen sind bei den Liberalen und den GRÜNEN vergleichsweise schwach ausgeprägt, wobei allerdings die GRÜNEN seit 1992 häufiger von Frauen als von Männern gewählt wurden. Bei der Landtagswahl 2006 gaben zuletzt 11,8 % der Frauen, aber nur 9,6 % der Männer den GRÜNEN ihre Stimme. Deutlich von Männern bevorzugt waren bisher hingegen Parteien aus dem rechten Spektrum. So erlangte die NPD 1968 landesweit 9,9 % der gültigen Stimmen, wurde dabei aber von 13,4 % der Männer und lediglich von 6,8 % der Frauen gewählt. Als den REPUBLIKANERN 1992 der Sprung in den Landtag gelang, wurden sie von 15,5 % der Wähler und 8,5 % der Wählerinnen gewählt (Schaubild 4). Wären 2001 nur Männer wahlberechtigt gewesen, wären sie mit 6,4 % der gültigen Stimmen weiterhin im Landtag vertreten gewesen.

1 Wahlberechtigte ohne Wahlschein.

2 Im Rahmen der Repräsentativen Wahlstatistik kann nur die Wahlbeteiligung der Wahlberechtigten ohne Wahlschein ausgegeben werden.

3 Wähler ohne Wahlschein.