:: 2/2011

Kommunales Bildungsmonitoring im Programm »Lernen vor Ort«

Im Herbst 2009 wurde die bundesweite Initiative »Lernen vor Ort« als ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gestartet. 40 Modellkommunen aus ganz Deutschland haben sich das Ziel gesetzt, ein stimmiges, integriertes Konzept für das Lebenslange Lernen aller Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu schaffen und dieses systematisch zu beschreiben, zu bewerten und zu steuern. Dazu werden steuerungsrelevante Daten und Indikatoren, insbesondere aus der amtlichen Statistik benötigt. Auf deren Grundlage ist es den Kommunen nun möglich, ein nachhaltiges, datengestütztes Bildungsmonitoring zu etablieren, an spezifische Problemlagen angepasste Maßnahmen des Bildungsmanagements vor Ort umzusetzen und im Rahmen der Bildungsberichterstattung mit der Öffentlichkeit in Dialog zu treten.

Schon 2007 – vor dem offiziellen Start des Projektes – wurde das Statistische Landesamt Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt und dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) vom BMBF mit der Aufgabe betraut, eine Machbarkeitsstudie zum Aufbau eines kommunalen Bildungsmonitorings auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte durchzuführen. Das Ziel war die Schaffung einer systematischen, theoriebasierten und indikatorengestützten Grundstruktur, mit deren Hilfe das kommunale Bildungssystem beschrieben, beobachtet und gelenkt werden soll. Im Vordergrund stand das Verständnis des Bildungsbegriffs als Lebenslanges Lernen, also die Berücksichtigung nicht nur der formalen schulischen Ausbildung, sondern auch weiterer biografischer Phasen. Die Umsetzung des Ansatzes erfolgte in Form einer Handreichung, dem Anwendungsleitfaden zum Aufbau eines kommunalen Bildungsmonitorings, der seitdem regelmäßig aktualisiert und angepasst wird.

Die Bildung im Lebenslauf spiegelt sich in der Gliederung des Leitfadens in den folgenden Themenfeldern wieder:

  • Frühkindliche Bildung
  • Allgemeinbildende Schulen
  • Berufliche Schulen und Berufsbildung
  • Hochschulen
  • Erwachsenenbildung
  • non-formales / informelles Lernen

Darüber hinaus werden in weiteren Themenfeldern die lokalen Rahmenbedingungen der Bildung sowie Bildungsnetzwerke und Bildungsberatung thematisiert. Die konkrete Umsetzung des Programms »Lernen vor Ort« findet seit dem Beginn im November 2009 in 40 Modellkommunen aus 15 Bundesländern statt. In Baden-Württemberg sind dies die Stadtkreise Mannheim und Freiburg sowie der Rems-Murr-Kreis. In den teilnehmen Kommunen wurden mit Hilfe des Anwendungsleitfadens datengestützte Monitoringsysteme aufgebaut und erste indikatorenbasierte Bildungsberichte veröffentlicht. Die fachliche und wissenschaftliche Begleitung der Modellkommunen im Rahmen des Bildungsmonitoring übernehmen dabei das Statistische Landesamt Baden-Württemberg, das Statistische Bundesamt, das DIE sowie das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF).

Von Daten zu Indikatoren und Fakten

Seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 rückte das Bildungswesen in Deutschland immer mehr in den Fokus der Politik und Öffentlichkeit. Zur Darstellung und systematischen Erfassung von Entwicklungen im Bildungssektor wird auf Bundesebene seit 2006 regelmäßig ein indikatorgestützter nationaler Bildungsbericht1 veröffentlicht. In Baden-Württemberg erscheint seit 2007 ebenfalls regelmäßig ein Landesbildungsbericht2 und auch in anderen Bundesländern werden Berichte auf der Landesebene erstellt. Berichte auf kommunaler oder städtischer Ebene waren bisher eher eine Ausnahme und konzentrierten sich meist auf Teilbereiche des Bildungssystems, etwa in Form eines Schulberichts.

Die Grundlage all dieser Veröffentlichungen sind Indikatoren, die zu einem großen Teil aus Daten der amtlichen Statistik generiert werden können. Durch diese wird es für politische Entscheidungsträger möglich, basierend auf messbar gemachten Größen das Bildungswesen zielgerichtet zu steuern. Die Indikatoren können dabei unterschiedliche Funktionen einnehmen. Durch Zeitreihen lassen sich Entwicklungen darstellen und nachvollziehen, durch Zielwertfestlegungen Erreichungsgrade von politischen Zielen bestimmen oder durch Vergleiche mit anderen Regionen eine Einordnung der kommunalen Situation in einen größeren Vergleichsrahmen erfolgen.

Das Programm »Lernen vor Ort« richtet das Bildungsmonitoring und Bildungsmanagement verstärkt auf die regionale Ebene aus. Das Bildungsniveau der Bürgerinnen und Bürger ist mittlerweile als ein entscheidender Faktor für die wirtschaftliche aber auch für die soziale Entwicklung des Standorts erkannt worden. Viele der Problemlagen im Bildungsbereich sind kommunalspezifisch und vor Ort am besten lösbar. Vor allem regionalisierbare Indikatoren stehen hierbei im Vordergrund und finden sich in der Konzeption des Anwendungsleitfaden wieder. Durch sie wird es möglich, das Bildungssystem vor Ort umfassend zu beschreiben.

Durch die regelmäßige Verfügbarkeit und methodisch einheitliche Erhebung der Daten aus der amtlichen Statistik kann das Ziel einer nachhaltigen, tragfähigen Implementierung eines datengestützten Bildungsmonitorings und regelmäßiger Bildungsberichterstattung in den Kommunen sichergestellt werden. Die Auswahl der Indikatoren aus dem Anwendungsleitfaden soll immer kommunalspezifisch und problemorientiert erfolgen. Das Ziel eines kommunalen Bildungsmonitorings ist nicht die Schaffung von bundesweit vergleichbaren Indikatorensets oder standardisierten Bildungsberichten, sondern eine auf regionale Problemlagen und Stärken bezogene Analyse, die zu konkreten Handlungskonsequenzen führt. Deshalb steht die kommunale Perspektive im Vordergrund, die bei der Konzeption und Verstetigung des Bildungsmonitoring in den jeweiligen Kreisen und kreisfreien Städten besondere Beachtung finden sollte.

Das Grundgerüst ist gegeben

Der Anwendungsleitfaden ist ein Grundgerüst für den Aufbau eines kommunalen Bildungsmonitorings und der Bildungsberichterstattung. Er baut auf dem Ansatz des »Lebenslangen Lernens« auf. So finden Bildungsaktivitäten und -angebote für jede Altersgruppe Berücksichtigung. Durch den Anwendungsleitfaden – verstanden als Serviceleistung für Landkreise und kreisfreie Städte – wird es kommunalen Institutionen erleichtert, ein kommunales Bildungsmonitoring bzw. die Erstellung von regionalen und kommunalen Bildungsberichten selbstständig auf der Basis von regelmäßig verfügbaren Daten durchzuführen.

Ein zentraler Inhalt des Leitfadens sind die ausführlichen Beschreibungen einer Vielzahl von nunmehr über 120 Indikatoren, die für die Bildungsberichterstattung von Bedeutung sein können. Die einheitliche definierten Kennzahlen und Indikatoren sollen es ermöglichen, dass die jeweils gewünschten Daten ermittelt, errechnet und in einen fachlich fundierten Zusammenhang gestellt werden können. Der Anwendungsleitfaden untergliedert die Indikatoren in Überblicks-, Kern- und Ergänzungsindikatoren. Die Überblicksindikatoren sind geeignet, einen erweiterten Überblick über die regionale Situation zu geben. Bei ihnen handelt es sich um Basiszahlen, aus denen Kern- und Ergänzungsindikatoren erzeugt werden. Die Kernindikatoren wurden nach Kriterien der Steuerungsrelevanz ausgewählt und sollen der Abbildung der regionalen Bildungslandschaft dienen. Mittel- bis langfristig können auf Grundlage dieser Indikatoren die Auswirkungen von Bildungsanstrengungen verfolgt werden. Die Ergänzungsindikatoren können regionale Akzente in der Förderung von Bildungseinrichtungen und -maßnahmen verdeutlichen.

Diese unverbindlich vorgeschlagenen Indikatoren sollen es erleichtern, ein flexibles breit angelegtes Monitoring in ausgewählten Bildungsbereichen zu konzipieren. Kreise oder kreisfreie Städte, die besondere Bildungsanstrengungen unternommen haben, sollten diese dokumentieren und deren Fortentwicklung datengestützt verfolgen. Vielfach bietet es sich an, eine solche Akzentuierung mit eigenen kleinräumigen Erhebungen und Befragungen zu flankieren.

Über die Indikatorenbeschreibungen hinaus enthält der Anwendungsleitfaden auch Vorschläge zur Gliederung eines kommunalen Bildungsberichts und Hinweise für eine mögliche Gestaltung der Kapitel zu den einzelnen Teilbereichen des Bildungswesens, da die Bildungsberichterstattung im Kontext des Bildungsmonitorings einen zentralen Stellenwert innehat.

Übergänge am Beispiel eines Indikators

Als ein zentrales Feld der Bildungsanstrengungen in vielen der am Programm teilnehmenden Kommunen hat sich die Verbesserung des Übergangs von Schulabgängerinnen und Schulabgängern in die berufliche Ausbildung herausgestellt. Die Augenmerke liegen dabei vielfach auf Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss und dem Übergangssystem. Der Indikator E12.3 aus dem Anwendungsleitfaden beschreibt die schulische Herkunft der Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen, aufgeschlüsselt nach den Teilbereichen des Berufsbildungssystems. Die Teilbereiche sind entsprechend den Vorgaben des Indikatorenforschungsprojekts »Zuordnung der beruflichen Bildungsgänge nach der ISCED3 auf Länderebene« der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder gegliedert.

Dabei umfasst die »Duale Ausbildung« die in Ausbildungsbetrieben und Berufsschulen stattfindende Berufsausbildung in Berufen, die nach Berufsbildungsgesetz bzw. Handwerksordnung geregelt sind. Das »Schulberufssystem« besteht aus schulischen Bildungsgängen, die einen qualifizierenden beruflichen Abschluss vermitteln. Maßnahmen außerschulischer Träger und schulische Bildungsgänge, die keinen qualifizierenden Berufsabschluss vermitteln, sind dem »Übergangssystem« zugeordnet. Dies schließt auch teilqualifizierende Angebote ein, die auf eine anschließende Ausbildung angerechnet werden können oder Voraussetzung zur Aufnahme einer vollqualifizierenden Ausbildung sind. Der Bereich »Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung« enthält die Bildungsgänge, die ausschließlich oder vorrangig eine Hochschulzugangsberechtigung, aber keinen Berufsabschluss vermitteln. Der Bereich »Berufliche Fortbildung« dient vor allem Fachschulen wie zum Beispiel Meister- oder Technikerschulen.

Durch diesen Indikator ergeben sich Hinweise auf die Chancen von Jugendlichen, beim Übergang in die Berufsausbildung einen adäquaten dualen oder schulischen Ausbildungsplatz zu erhalten. Durch eine Darstellung im Zeitverlauf lässt sich auf kommunaler Ebene zunehmender oder abnehmender Förderbedarf zeigen, der in spezifische Maßnahmen des Übergangsmanagements vor Ort umgesetzt werden kann. Ebenfalls denkbar wäre eine tiefgehende Analyse durch beispielsweise eine als Querschnittsstudie angelegte Schulabgängerbefragung, verbunden mit dem Ziel, die Problemlagen aus Sicht der Betroffenen kennenzulernen.

Im Schaubild und der Tabelle ist der Indikator am Beispiel der schulischen Herkunft der neu eingetretenen Schülerinnen und Schüler in die Teilbereiche des Berufsbildungssystem für die Landesebene dargestellt. Aus dem Schaubild ist ersichtlich, dass landesweit der Anteil der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss, die in das Übergangssystem einmündeten, rückläufig ist. Gleichzeitig steigt der Anteil dieser Jugendlichen, die eine duale Ausbildung aufnahmen, leicht an. Ebenso ist festzustellen, dass der Anteil von Schülerinnen und Schüler mit einem mittleren Bildungsabschluss im Teilbereich »Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung« gestiegen ist. Dabei ist zu beachten, dass ab dem Schuljahr 2009/10 in Baden-Württemberg in einigen Bildungsgängen an Berufskollegs statt der beruflichen Ausbildung der Erwerb der Fachhochschulreife in den Vordergrund gerückt ist.

Es bewegt sich etwas

Mit Hilfe des Anwendungsleitfadens ist es möglich, die kommunale Bildungslandschaft systematisch, theoriebasiert, indikatorengestützt, regelmäßig und umfassend darzustellen. Es können Ziele, Strukturen und Entwicklungen beschrieben und regionale Vergleiche erstellt werden. Auf diese Weise lassen sich die Leistungsfähigkeit des Bildungswesens insgesamt und seiner Teile einschätzen und damit Grundlagen für politische Entscheidungen zur Verbesserung des Bildungswesens liefern.

Über die Programmlaufzeit von »Lernen vor Ort« wird der Anwendungsleitfaden in Austausch mit den Kommunen stetig überarbeitet und ergänzt und jährlich aktualisiert. Die jeweils neueste Version kann unter www.statistik-bw.de/BildungKultur/ kostenlos heruntergeladen werden. Für die Zukunft erarbeiten die Statistischen Landesämter unter der Federführung des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg momentan ein Konzept, um ab Ende 2012 die Daten zu den Kern- und Überblicksindikatoren des Anwendungsleitfadens auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte flächendeckend und kostenlos über das Internet bereitzustellen.

Die Laufzeit von »Lernen vor Ort« ist noch bis 2012 angelegt. Bereits jetzt hat es in vielen Kommunen nachhaltige Strukturen und Netzwerke geschaffen, die zum Ziel haben, die kommunale Bildungslandschaft und Bildungspolitik zu verbessern. Mehrere Bildungsberichte wurden bisher im Rahmen des Programms veröffentlicht, darunter in Baden-Württemberg von Mannheim4 und Freiburg5. Aber auch Kommunen im ungeförderten Raum haben Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung auf ihre Agenda gesetzt. Jüngst legte die Stadt Schwäbisch Gmünd einen von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd erstellten Bildungsbericht6 auf Grundlage des Anwendungsleitfadens vor. Ein weiterer Bericht für den Ostalbkreis befindet sich gegenwärtig ebenfalls unter Federführung der PH Gmünd in Arbeit.

1 Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2010), Bildung in Deutschland 2010, Bielefeld: Bertelsmann Verlag.

2 Landesinstitut für Schulentwicklung & Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2007), Bildung in Baden-Württemberg, Stuttgart: Landesinstitut für Schulentwicklung & Statistisches Landesamt Baden-Württemberg.

3 ISCED = International Standard Classification of Education, ein von der UNESCO entwickelter Standard zur Klassifizierung und Charakterisierung von Schultypen und Schulsystemen im internationalen Vergleich.

4 Arbeitsgruppe »Indikatoren für Bildungserfolg« (2010), 1. Mannheimer Bildungsbericht 2010, Mannheim: Stadt Mannheim

5 Regionales Bildungsbüro, Initiative LEIF (2010), Bildung in Freiburg 2010, Freiburg: Stadt Freiburg, Dezernat II.

6 PH Gmünd (2010), Bildung in Schwäbisch Gmünd 2010, Schwäbisch Gmünd: Stadt Schwäbisch Gmünd Dezernat III.