:: 2/2011

Schätzung regionaler Exporte und Importe als Vorarbeit zu einer Input-Output-Tabelle für Baden-Württemberg

Bei der Schätzung regionaler Input-Output-Tabellen ist das Fehlen wichtiger Daten ein großes Problem, insbesondere aus dem Bereich des Außenhandels. Daher gibt es zahlreiche Verfahren, um auch mit unzureichender Datengrundlage Hochrechnungen erstellen zu können. Meist kann hier allerdings das sogenannte Cross-Hauling, das heißt der gleichzeitige Export und Import von Gütern aus derselben Gütergruppe, nicht berücksichtigt werden. Die CHARM-Methode von Tobias Kronenberg1 bietet nun einen Ansatz, wie das Cross-Hauling geschätzt werden kann. Der vorliegende Beitrag zeigt, wie diese Methode getestet und weiterentwickelt wurde, um Exporte und Importe nach dem Konzept einer Input-Output-Tabelle für Baden-Württemberg schätzen zu können.

Symmetrische Input-Output-Tabellen

Eine Input-Output-Tabelle (Übersicht) bietet einen detaillierten Einblick in die technologischen Verflechtungen der Produktion einer Volkswirtschaft oder Region – sowohl innerhalb dieser als auch gegenüber der restlichen Welt. Dabei zeigt die Input-Output-Tabelle das Aufkommen an Gütern wie auch ihre Verwendung für den Endverbrauch und als Vorleistung zur Produktion anderer Güter.2 Dies eröffnet vielfältige Analysemöglichkeiten, zum Beispiel zu Multiplikatoreffekten von Preis- oder Mengenänderungen einzelner Güter auf andere Wirtschaftsbereiche oder im Rahmen makroökonomischer Modelle zu Umweltauswirkungen, Demografieeffekten oder Änderungen der Steuergesetzgebung.

Eine Input-Output-Tabelle beinhaltet im Wesentlichen vier Quadranten. Der erste Quadrant enthält eine Verflechtungsmatrix, die zeigt, welcher Teil des Aufkommens einer Gütergruppe zur Herstellung in einer anderen Gütergruppe verwendet wird. Dabei stellen die Zeilen das Aufkommen und die Spalten die Verwendung als Vorleistungen dar. Der zweite Quadrant enthält die letzte Verwendung von Gütern – also Konsum, Investitionen, Veränderungen der Vorratsbestände und den Export der Güter. Der dritte Quadrant vervollständigt die jeweiligen Vorleistungen des ersten Quadranten zum gesamten Aufkommen der Güter. Er zeigt, wie viel Arbeit, Kapital und Unternehmerleistung für die Produktion der Güter eingesetzt wurde (Bruttowertschöpfung) und wie viel des jeweiligen Gutes importiert wurde. Der vierte Quadrant bleibt leer.

Von einer symmetrischen Input-Output-Tabelle spricht man, da im ersten Quadrant sowohl das Aufkommen als auch die Art der Verwendung der Güter nach Gütergruppen unterteilt ist, die Verwendung also beispielsweise mit »Erzeugung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen«, das Aufkommen mit »Kraftwagen und Kraftwagenteile« bezeichnet wird. Die gesamten Spaltensummen aus erstem und drittem Quadrant zeigen so das gesamte Aufkommen von Gütern einer Gütergruppe, die gesamten Zeilensummen aus erstem und zweitem Quadrant die gesamte Verwendung von Gütern einer Gütergruppe. Folglich stimmen in einer Gütergruppe die jeweiligen Randsummen überein.

Probleme bei regionalen Input-Output-Tabellen

Die Input-Output-Rechnung auf nationaler Ebene ist ein fester Bestandteil des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 1995)3 und gehört somit zum Pflichtprogramm der amtlichen Statistik in allen EU-Mitgliedstaaten. Auf regionaler bzw. Bundesländerebene ist die Input-Output-Rechnung nicht in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder (VGRdL) integriert. So werden manche Daten, die das ESVG 1995 zur Berechnung einer Input-Output-Tabelle vorsieht, regional nicht erhoben. Deshalb muss, falls für Untersuchungen regionale Tabellen nötig sind, auf Schätzverfahren zurückgegriffen werden, die Teile der Tabellen durch Schlüsselungsverfahren aus den nationalen Daten ableiten. Schwierigkeiten ergeben sich auch, falls bei Statistiken, die notwendige Daten liefern können, andere methodische Konzepte verwendet werden, zum Beispiel das Inländerkonzept statt des Inlandskonzepts oder Anschaffungspreise statt Herstellungspreise. Zum Problem können auch verschiedene Gliederungstiefen werden.

Ein zentrales Problem stellen die regionalen Exporte und Importe dar, da im Regelfall nur der Handel mit dem Ausland statistisch erfasst wird, nicht aber der Handel mit anderen Bundesländern bzw. Regionen innerhalb des übergeordneten Staates. Dabei ist dies für die Input-Output-Analyse eine sehr relevante Größe.4 Klassische Location-Quotient- oder Commodity-Balance-Schätzmethoden basieren auf der Annahme, dass innerhalb einer Gütergruppe entweder nur Exporte oder Importe stattfinden, also das Außenhandelsvolumen dem Absolutbetrag des Handelsbilanzsaldos entspricht. Begründet wird dies mit der Homogenität der Gütergruppen. Die Folgen dieser Annahme sind eine deutliche Unterschätzung regionaler Handelsströme in der regionalen Input-Output-Tabelle und bei hierauf basierenden Analysen die Überschätzung regionaler Multiplikatoreffekte.

Schätzung des Cross-Haulings

Die CHARM-Methode (Cross-Hauling Adjusted Regionalisation Method) von Kronenberg hingegen bezieht Unterschiede innerhalb einer Gütergruppe mit ein. In den mit dieser Methode geschätzten Input-Output-Tabellen kann die dargestellte Region daher Güter derselben Gütergruppe gleichzeitig exportieren und importieren. Ein Heterogenitätsparameter beschreibt dabei, wie stark der Außenhandel durch Unterscheidungsmerkmale der Güter innerhalb einer Gütergruppe –wie zum Beispiel unterschiedliche Preis- und Qualitätssegmente, Markenpräferenzen, Transportkosten oder zeitliche Verfügbarkeit – höher ausfällt, als dies bei Gleichartigkeit der Güter allein durch »Über-/Unterproduktion« notwendig wäre. Cross-Hauling ist definiert als die Differenz zwischen Handelsvolumen und Betrag des Handelsbilanzsaldos. Kronenberg setzt das Cross-Hauling in jeder Gütergruppe über den Heterogenitätsparameter in Beziehung zu Produktion sowie letzter und intermediärer Verwendung des Gutes. Eine Schätzung des Cross-Haulings auf regionaler Ebene lässt sich also durchführen, falls die regionalen Heterogenitätsparameter geschätzt werden können und Produktionswerte sowie Werte für die intermediäre und letzte Verwendung in den Gütergruppen verfügbar sind (letztere drei im Folgenden als Basisgrößen bezeichnet).

Die Basisgrößen sind für die Jahre 1986, 1988, 1990 und 1993 aufgrund der damals für Baden-Württemberg berechneten regionalen Input-Output-Tabellen5 tatsächlich vorhanden, ebenso Werte für Exporte und Importe, an denen die Qualität der Schätzung gemessen werden kann. Kronenberg schlägt dazu vor, dass die Heterogenitätsparameter sich national und regional nicht wesentlich unterscheiden und so für die Region die nationalen Parameter verwendet werden können. Damit wurde anhand der Input-Output-Tabellen für die vier genannten Jahre ein Test verschiedener Formeln für das Cross-Hauling durchgeführt. Dabei wird dieselbe Formel erstens mit Daten auf Bundesebene bei bekannter Höhe des nationalen Cross-Haulings zur Schätzung des Heterogenitätsparameters eingesetzt, zweitens auf Landesebene zur Schätzung des Cross-Haulings über die Landesgrenze.

Verschiedene Formeln zum Cross-Hauling

Kronenberg schlägt als Formel die Gleichung qi = hi × (xi + zi + di) vor. Hierbei bezeichnet q das Cross-Hauling, h den Güterheterogenitätsparameter, x den Bruttoproduktionswert, z die intermediäre und d die letzte inländische Verwendung, der Index i die jeweilige Gütergruppe.

Es erscheint allerdings plausibel, auch eine nichtlineare Beziehung in Betracht zu ziehen, da eine steigende Binnenmarktgröße für ein bestimmtes Gut normalerweise zu einer steigenden Bedeutung des Binnenmarkts gegenüber dem Außenhandel führt, sodass die Steigung des Cross-Haulings abnehmen sollte, ebenso sein Anteil an den Basisgrößen. Dieser Effekt beruht darauf, dass bei anwachsender Größe der regionalen Produktion oder Verwendung eines Gutes im Normalfall sowohl Angebot als auch Nachfrage regional an Unterschiedlichkeit zunehmen, während gleichzeitig die Marktmacht einzelner Anbieter und Nachfrager zurückgeht, sodass die Motive für Außenhandel zurückgehen. Eine Wurzelfunktion beschreibt jene Art der Beziehung mathematisch relativ passend. Dabei fällt der Heterogenitätsparameter wegen der Anwendung der Wurzelfunktion deutlich höher aus als bei Anwendung des linearen Kronenberg-Ansatzes6 (Schaubild). Zwei Eigenschaften des Kronenberg-Ansatzes bleiben auch bei der Modifikation durch eine Wurzelfunktion erhalten. Da sich die Zunahme einer der Größen Produktion, inländische Zwischen- oder Endnachfrage ohne Wachstum der anderen direkt in der Handelsbilanz zeigt, ist es nicht unplausibel, ihre Auswirkung auf die Heterogenität über die Summe der drei Größen abzuschätzen. Auch die Überlegung, dass bei nicht vorhandenem Markt7 Cross-Hauling ebenfalls nicht stattfindet, wird abgebildet.

So wird als eine neue Formel die Gleichung qi = hi × √(xi + zi + di) vorgeschlagen und getestet. Es wird dabei unterstellt, dass im Falle fehlender Produktion, aber vorhandener Verwendung, bzw. umgekehrt, Cross-Hauling stattfindet, was zum Beispiel firmenintern durchaus vorstellbar ist, und sich mathematisch für die Schätzung nicht vermeiden lässt.8

Eine dritte Variante der Formel wurde schließlich noch getestet, um Erkenntnisse über die Auswirkung der Gesamtproduktion auf die Heterogenität zu liefern: qi = hi × (xi + zi + di) ∕ x

Hierbei bezeichnet X die Summe der Bruttoproduktionswerte der einzelnen Gütergruppen.

Ergebnisse der Tests

Die Ergebnisse (Tabelle) legen tatsächlich eine Beziehung der Art qi = hi × √(xi + zi + di) nahe, da in der Gesamtsumme die Abweichungen dieser Schätzung gegenüber den Originalwerten stabil unter 4 % liegen und auch die starken Veränderungen durch die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 problemlos erfasst werden. Es zeigt sich ebenso, dass die Annahme, dass der Heterogenitätsparameter in Bund und Land gleich ist, in den einzelnen Gütergruppen unterschiedlich deutlich verletzt scheint, insgesamt jedoch die Schätzung nicht zu stark verfremdet. Die von Kronenberg unterstellte lineare Hochrechnung zeigt hingegen in der Summe eine stabile Unterschätzung der Exporte und Importe9 um knapp unter 40 %.

Der Test der dritten Formel zeigt, dass das Verhältnis der regionalen zur nationalen Gesamtproduktion Heterogenitätsunterschiede zwischen Bund und Land nicht allein erklären kann. Die Schätzung der Exporte weicht in den einzelnen Gütergruppen nicht gleichmäßig von den Werten der damaligen baden-württembergischen Input-Output-Tabellen ab, jedoch mit 4 bis 8 % in den Gesamtsummen auch nicht allzu weit. Insgesamt legen die Testergebnisse also für Baden-Württemberg eine Schätzung des Cross-Haulings mit der folgenden Formel nahe:10 qi = hi × √(xi + zi + di) mit hi = qiBund ∕ √(xiBund + ziBund + diBund)

Daraus ergibt sich als Formel des Handelsvolumens in jeder Gütergruppe die Gleichung vi = bi + hi × √(xi + zi + di), wobei v das Handelsvolumen und b den Handelsbilanzsaldo in jeder Gütergruppe bezeichnet.

Weitere Schritte zur Hochrechnung einer Input-Output-Tabelle

Die Berechnung aller anderen Elemente einer regionalen Input-Output-Tabelle könnte eng an Kronenbergs Herangehensweise angelehnt werden. So ließe sich der private Konsum mithilfe regionaler Daten aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) berechnen. Die anderen Größen der regionalen letzten Verwendung – die Konsumausgaben des Staates und die Bruttoinvestitionen – könnten mit geeigneten Größen aus den nationalen Werten erschlossen werden. Für die Bruttowertschöpfung sowie die Vorleistungssummen ließen sich mittels regionaler Daten über die Erwerbstätigkeit und die Vorleistungsquoten11 Schlüsselgrößen bilden, die an die nationale Input-Output-Tabelle angelegt werden könnten. Die Vorleistungsverflechtung im ersten Quadranten könnte ausgehend von den regionalen Vorleistungssummen mithilfe der nationalen Input-Output-Tabelle geschlüsselt werden.

Von den Rechenschritten der CHARM-Methode haben einige besondere Bedeutung für die Plausibilität des Ergebnisses. Insgesamt scheinen die Balance zwischen der Produktionswertzeile im dritten Quadranten, der Spalte der gesamten intermediären Verwendungen (letzte Spalte des ersten Quadranten) und einer Spalte der gesamten letzten inländischen Verwendungen in jeder Gütergruppe (Zeilensummen des zweiten Quadranten ohne Exporte) entscheidend zu sein, ebenso jeweils die Anteile der einzelnen Einträge dieser Zeilen/Spalten an ihren Summen.

Relativ große Auswirkungen auf die Passgenauigkeit der Ergebnisse müssten sich ergeben, wenn man die regionalen Produktionswerte anhand der Erwerbstätigenzahlen anstatt der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gegenüber bundesweiten Produktionswerten abschätzt, da in Baden-Württemberg Selbstständigkeit und Unternehmertätigkeit eine größere Rolle spielen als bundesweit, ebenso falls Vorleistungsquoten auf regionalen Daten basierten anstatt geschlüsselt zu werden. Als Parameter, an dem die Plausibilität der ganzen Hochrechnung geprüft werden könnte, bietet sich die errechnete Handelsbilanz an, die – mit Einschränkungen – einen wesentlichen Teil des Restpostens der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausmachen sollte. 12

Fazit

Insgesamt ist es gelungen, eine gute Einschätzung über die Genauigkeit der CHARM-Methode für Baden-Württemberg zu bekommen, und daraus eine Modifikation der Schätzformel zu konstruieren, die das Ergebnis stark verbessert und auch die theoretische Erklärung plausibler macht. So scheint die modifizierte Methode tatsächlich eine relativ gute Schätzung der Exporte und Importe zu ermöglichen. Die wichtige Frage, wie sich die Schätzmethode am aktuellen Rand verhält, könnte allerdings nur durch eine regionale Originärberechnung der Exporte und Importe und einen anschließenden Vergleich mit der Schätzung beantwortet werden. Ebenso bleibt es zu klären, ob in anderen Regionen die Quadratwurzel oder eine andere Potenz die richtige Wahl für die Berechnung ist.