:: 3/2011

Behandlungsfälle und Kosten ausgewählter chronischer Erkrankungen in den Krankenhäusern Baden-Württembergs

Aus der großen Zahl von chronischen Erkrankungen, die in den Krankenhäusern des Landes vollstationär behandelt werden, galt es eine Auswahl zu treffen. Vier Diagnosekreise wurden mit Blick auf bestimmte Merkmale von Krankheiten hin ausgesucht: Sie sollten durch geeignete Verhaltensweisen vermeidbar oder in ihrer Entwicklung beeinflussbar und nicht rein vererblich sein. Die Wahl fiel auf den Diabetes, die Hypertonie (Hochdruckerkrankungen) – die beide auch als Volkskrankheiten bezeichnet werden –, den stark mit Tabakrauch assoziierten Lungenkrebs und die Depression. Während die gängigen Empfehlungen bei den somatischen Krankheiten auf mehr Bewegung, bewusste Ernährung und Nikotinverzicht lauten, kommt den depressiven Erkrankungen – auch von ihnen spricht man inzwischen von einer Volkskrankheit – in mancherlei Hinsicht eine Sonderrolle zu. Ihre Ursachen werden unter anderem in den Belastungen gesehen, welche unsere moderne Gesellschaft mit sich bringt. Zwischen den beiden zum Vergleich herangezogenen Berichtsjahren weist die Zahl der infolge Depressionen im Krankenhaus Behandelten neben anderen Besonderheiten die mit Abstand größte Veränderung auf.

Chronische Erkrankungen lassen sich ihrem Wesen nach in der Regel nicht durch zielgerichtete chirurgische Eingriffe aus der Welt schaffen. Sie sind auch durch einmalig dargereichte Medikamente nicht zu besiegen. Sind sie einmal manifest, haben sie die starke Tendenz zu bleiben und ihr Opfer bis zum Tode zu begleiten, wobei sie durchaus auch die Ursache für letzteren sein können.

Bevorzugte Datenquelle: Todesursachen- und Krankenhausstatistik

Der amtlichen Statistik ermangelt es einer generellen Krankheitsartenstatistik, die – wenn es sie denn gäbe – eine objektive Meldung von Zugängen und Abgängen von behandelten Erkrankungen voraussetzt, aus denen sich die Anzahl der Neuerkrankungen, aber auch der Bestand an Patienten ableiten ließen. Ob dies mit einer abrechnungsbezogenen Statistik der Krankenkassen zu erreichen wäre, sei einmal dahingestellt.1

Ersatzweise muss vor allem auf die amtliche Todesursachenstatistik und die Krankenhausstatistik zurückgegriffen werden. Erstere hat den Vorteil, dass es sich bei Todesfällen um jeweils einmalige Ereignisse handelt. Doppelzählungen kommen aller Erfahrung nach nicht vor. So geht der jüngste Entwurf des Bevölkerungsstatistikgesetzes in der Begründung recht ausführlich auf die Rolle der Todesursachenstatistik ein. Danach liefert sie unter anderem wichtige Angaben zum Gesundheitszustand der Bevölkerung und zu den Ansatzpunkten für Maßnahmen zur Senkung der Sterblichkeit. Dagegen stehen vielfach Äußerungen hinsichtlich der gleichmäßigen Verlässlichkeit der ärztlichen Feststellungen. Einschränkungen werden auch darin gesehen, dass gerade im Hinblick auf die erheblich gestiegenen Lebensspannen ein zunehmendes Gewicht auf Ursachen liegt, die allein durch das hohe Alter verursacht werden. Diese Einschätzung haben sich nach eigenen Untersuchungen nicht in dieser Absolutheit bestätigt.2

Was die Krankenhausstatistik angeht und hier in erster Linie den Teil, der sich mit den Diagnosen beschäftigt, so ist zu berücksichtigen, dass diese Statistik vor allem als Leistungsstatistik der Krankenhäuser konzipiert wurde. Gezählt wird jeder Behandlungsfall eines Jahres, auch wenn Patienten mit der gleichen Diagnose mehrfach vollstationär versorgt werden. Ein Umstand, der den epidemiologischen Wert dieses Statistikteils einschränkt. Was sich darstellen lässt, ist das stationäre Geschehen eines Jahres. Dabei muss nicht jede chronische Erkrankung – um auf das anstehende Thema zurückzukommen – zwangsläufig zu einem Krankenhausaufenthalt führen bzw. müssen auch schwere Verläufe der Erkrankung keine permanente vollstationäre klinische Überwachung erforderlich machen.

Überdies gehen die Anstrengungen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen auch in die Richtung, bei der besonders kostenintensiven vollstationären Krankenhausversorgung den Rotstift anzusetzen. Das bedeutet, dass die Krankenhausbehandlungen – auch unterstützt durch den medizinischen Fortschritt der vergangenen Jahre – immer kürzer werden. Blieb im Jahr 1990 der durchschnittliche Behandlungsfall 13,5 Tage im Krankenhaus, waren es 2009 nur noch 8,1 Tage. Das bedeutet, dass bei der in der Zwischenzeit eingetretenen Zunahme um 300 000 Behandlungsfälle auf 2 Mill. die Zahl der sogenannten Pflegetage um 5,5 Mill. auf heute gut 16 Mill. zurückging.

Für die folgende Analyse wurden die Daten der Krankenhausstatistik zu Grunde gelegt. Dabei lassen sich für die Jahre 2001 und 2009 die Fallzahlen der ausgewählten chronischen Erkrankungen in Verbindung mit den jeweiligen durchschnittlichen Verweildauern in Pflegetage umrechnen. Diese Tage ergeben mit der pauschalen Kennziffer »Krankenhauskosten je Behandlungstag« multipliziert zumindest näherungsweise die für die einzelnen Behandlungsanlässe anfallenden Kosten.

Diabetes – Typ II auf dem Vormarsch

Während die Fallzahlen aller Typen des vollstationär versorgten Diabetes zusammengenommen seit Beginn des neuen Jahrhunderts von 23 658 nur wenig auf 23 921 im Jahre 2009 gestiegen sind, ist es innerhalb dieser Diagnosegruppe doch zu einer erheblichen Verschiebung gekommen. So nahm der Diabetes vom Typ II, der heute als besonders problematisch eingestuft wird, von 12 684 auf 17 943 Fälle zu. Damit wuchs sein Anteil an allen Diabetesbehandlungen von 54 % auf 75 %. Dagegen gingen die übrigen Formen um fast 5 000 Fälle auf nun 5 978 zurück (Schaubild 1).

Die durchschnittliche Behandlungsdauer ist seit 2001 bei den stationär versorgten Diabetikern von 14,5 auf 11,7 Tage gesunken. Bei den Typ II-Fällen fielen noch 12,5 statt 14,4 Tagen an. Diese Reduzierung der durchschnittlichen Behandlungsdauer führte zu dem beabsichtigten Effekt, dass zwischen 2001 und dem aktuellen Berichtsjahr tatsächlich 62 000 Krankenhaustage eingespart werden konnten. Allerdings führte die starke Verschiebung innerhalb der Diabetesgruppe hin zum Typ II dort wiederum zu einem Anstieg der Behandlungstage um gut 41 800 auf 224 200.

Verursachte der durchschnittliche vollstationäre Behandlungstag den allgemeinen Krankenhäusern im Jahre 2001 Kosten in Höhe von 347,18 Euro, waren es 2009 schon 539,42 Euro. Es ist diese Kostenentwicklung, die den Erfolgen bei der Einsparung von Pflegetagen entgegensteht. Trotz der Einsparung von Behandlungstagen verursachte die vollstationäre Unterbringung von an Diabetes Erkrankten statt der 119 Mill. Euro im Jahre 2001 nun Krankenhauskosten in Höhe von 151 Mill. Euro. Kosten treibend wirkten sich hier der starke Anstieg der Typ II Fälle aus, die nicht mehr, wie noch im Jahre 2001, mit 63,5 Mill. Euro zu Buche schlugen, sondern mit 121 Mill. Euro fast doppelt so teuer wurden (Schaubild 1).

Wie schon zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts sind etwas mehr als 60 % der in den Krankenhäusern behandelten Diabetespatienten 60 Jahre und älter. Dabei sind 2009 im Vergleich mit 2001 vor allem bei den 70-Jährigen und Älteren deutliche Zunahmen zu beobachten. 2001 war dagegen die Gruppe der 60- bis unter 70-Jahren deutlich stärker besetzt (Schaubild 2).

Steigende Fallzahlen bei Hypertonie

Die Hypertonie oder landläufig der hohe Blutdruck führte in den Kliniken des Landes im Jahr 2009 zu ähnlich hohen Behandlungszahlen wie der Diabetes. Im Unterschied zu der gegenüber 2001 nahezu unverändert hohen Zahl der behandelten Diabetiker, ist bei der Hypertonie ein Anstieg um 17 % von 18 153 auf 21 259 Fälle festzustellen (Schaubild 3).

In dieser Zeitspanne sank die durchschnittliche Zahl der Behandlungstage je Fall von 8,8 auf nur noch 5,5 Tage und damit deutlich unter den Durchschnitt aller Behandlungsfälle. Der Rückgang der durchschnittlichen Verweildauer führte auch bei den vollstationär behandelten Fällen von Hypertonie zu einer Reduzierung der Krankenhaustage um rund 43 900 auf 116 000 im Jahr 2009.

Nach dem gleichen Schema wie bereits die Kosten für Diabetesbehandlungen berechnet wurden, führt auch hier die Entwicklung der Krankenhauskosten je Behandlungstag trotz der deutlich gesunkenen Zahl der aufgewendeten Tage zu einem merklichen Anstieg der Kosten auf nun gut 62,6 Mill. Euro (+12 %).

Die Altersverteilung der wegen ihrer Hochdruckerkrankungen behandelten Fälle zeigt, dass es eindeutig die höheren Altersgruppen sind, die sich einer Krankenhausbehandlung unterziehen müssen. Der Anteil der 60-Jährigen und Älteren bewegt sich zwischen 72 % und 75 % (Schaubild 4). Bei dieser Erkrankung weisen im Jahr 2009 vor allem die beiden oberen Altersgruppen gegenüber 2001 mit knapp71 bzw. 58 % sehr hohe Zuwächse auf.

Deutlich mehr Krankenhausbehandlungen infolge von Lungenkrebs

Die Zahl der im Jahre 2009 vollstationär behandelten Lungenkrebserkrankungen bewegte sich mit 22 543 Fällen etwa auf dem Niveau von Diabetes und Hypertonie. Gegenüber 2001 stieg die Fallzahl um knapp 25 % an. Die Behandlungsdauer ging in diesem Zeitraum von 11 Tagen auf 8,2 Tage zurück. Trotz der doch recht eindrucksvollen Zunahme von Behandlungsfällen ist es durch die Reduzierung der durchschnittlichen Verweildauer gelungen, die Zahl der Behandlungstage um 7 % auf nun 184 200 Tage zu senken.

Wie bei Diabetes und Hypertonie konterkarierten aber auch hier die in diesem Zeitraum um 55 % je Behandlungstag gestiegenen Krankenhauskosten die bei den Behandlungsdauern erzielten Einsparungen. So stiegen die von Lungenkrebs verursachten Krankenhauskosten von rund 68,7 Mill. Euro um rund 45 % auf 99,4 Mill. Euro (Schaubild 5).

In der Altersverteilung der Lungenkrebsbehandelten ist eine leichte Veränderung festzustellen. Waren im Jahr 2001 knapp 77 % aller Behandlungsfälle in der Altersklasse der 50- bis unter 75-Jährigen zu finden, besetzen 2009 rund 78 % die Altersklasse der 55- bis unter 80-Jährigen. Damit hat sich die Altersgrenze leicht nach oben verschoben (Schaubild 6).

75 % mehr Krankenhausfälle in Folge von Depressionen

Gegenüber den drei bisher skizzierten Erkrankungen weist der Diagnosekreis der Depressionen außer dem Umstand, dass es sich um ein psychisches Leiden handelt, weitere Besonderheiten auf. Am augenfälligsten mag zunächst sein, dass die Fallzahlen der wegen dieser psychischen Erkrankung vollstationär Versorgten zwischen den beiden untersuchten Jahren von 13 903 auf 24 396 angestiegen sind. Daraus ergibt sich die mit großem Abstand höchste Steigerungsrate der in diesem Beitrag vorgestellten Erkrankungen (+75 %) (Schaubild 7).

Hinzu kommt, dass wie bei fast allen psychischen Leiden ihre klinische Behandlung erheblich mehr Zeit beansprucht, als dies bei somatischen Erkrankungen in aller Regel der Fall ist. Zwar konnten von den Krankenhäusern auch hinsichtlich der durchschnittlichen Behandlungsdauer von Depressionen Einsparungen erreicht werden, aber mit einem Rückgang um 2 auf nun 38,5 Tage fielen sie vergleichsweise gering aus. Daraus resultiert in Verbindung mit dem enormen Anstieg der Fallzahlen ein sehr beeindruckender Zuwachs an Behandlungstagen. Waren es 2001 noch zusammengenommen 563 400 Krankenhaustage, die für die Behandlung depressiver Patienten aufgewendet werden mussten, waren im Jahr 2009 gut 940 400 Behandlungstage erforderlich (+67 %).

Selbst wenn bei den Krankenhäusern Baden-Württembergs in Bezug auf psychische Erkrankungen etwas niedrigere Krankenhauskosten in Ansatz zu bringen sind, schlägt die sprunghaft angestiegene Zahl der Behandlungstage von Depressionen voll zu Buche. Beliefen sich diese Kosten im Jahre 2001 noch auf 188,4 Mill. Euro, war es zuletzt mit 473 Mill. Euro ein auf das Zweieinhalbfache gestiegener Betrag.

Über die Hälfte (56 %) der wegen Depressionen im Krankenhaus Behandelten, waren 30 bis 59 Jahre alt. Sie befanden sich also noch in der Lebensphase, die gemeinhin vom Erwerbsleben geprägt ist (Schaubild 8).

Zusammen 5 % aller Fälle, aber 10 % aller Kosten

Zusammengenommen führten die vier Krankheitsbilder im Jahre 2009 in den Kliniken des Landes zu rund 92 100 Behandlungsfällen. Und obwohl die Behandlungsdauern allgemein mehr oder weniger stark rückläufig waren, stieg wegen der Entwicklung bei den Depressionen die Zahl der aufzuwendenden Pflegetage um 20 % auf 1,5 Mill.

Mit dem Anstieg der Behandlungsfälle und vor allem aber mit der dynamischen Entwicklung der Krankenhauskosten konnten die Einsparungsbemühungen nicht Schritt halten. Zwar gelang es durch diese Anstrengungen, den Kostenanstieg zu dämpfen, dennoch entstanden im Jahre 2009 allein bei diesen vier chronischen Erkrankungen Krankenhauskosten in Höhe von 786 Mill. Euro. Gegenüber dem Jahr 2001 entspricht dies einer Kostensteigerung um 82 %. Allerdings wären ohne den Druck auf die durchschnittlichen Verweildauern die zum Teil doch erhebliche Reduzierung der Behandlungstage nicht möglich gewesen. Entsprächen die Verweildauern des Jahres 2009 denen des Jahres 2001, hätte allein dieser Umstand zu einer Erhöhung der Krankenhauskosten in diesem Bereich in der Größenordnung von 132,4 Mill. Euro geführt (Tabelle).

2009 verursachten die hier untersuchten chronischen Erkrankungen knapp 5 % aller rund 2 Mill. Krankenhausbehandlungsfälle. Gemessen an den 8,1 Mrd. Euro Gesamtkosten, belief sich ihr Anteil am den Krankenhauskosten allerdings auf fast 10 %. Im Jahr 2001 machten die vier chronischen Erkrankungen noch 4 % aller Fälle und 7 % aller Kosten aus.

Während sich der Diabetes und die Hypertonie von der Höhe der Fallzahlen und der Kosten erst kurz vor Erreichen des derzeit anzunehmenden Rentenalters von 65 Jahren auszuwirken beginnen, spielen Krankenhausbehandlungen im Zusammenhang mit Lungenkrebserkrankungen schon bei den 50-Jährigen eine Rolle. Vollständig aus diesem Rahmen fällt allerdings die Altersspanne, innerhalb der Depressionen einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen. Die Masse der Krankenhausbehandlungen erfolgt hier noch im Erwerbstätigenalter.

Während Diabetes und Hypertonie aber auch in gewisser Weise der Lungenkrebs sich innerhalb der 9 hier untersuchten Jahre eher an die allgemeine demografischen Entwicklung anlehnte, haben die Depressionen einen doch extremen Aufschwung erfahren, der eher an eine Epidemie denken lässt und dessen Entwicklung vor 10 Jahren kaum vorauszusehen gewesen sein dürfte.

1 Zu der Problematik von Kassenstatistiken siehe Susann Behrendt: Morbidität in den Arztpraxen, Statistisches Bundesamt: Wirtschaft und Statistik, Heft 11/2009, Wiesbaden, S 1099 ff.

2 Eine Untersuchung der Todesursachen infolge von Krankheiten des Kreislaufsystems belegt diese These nicht. Vielmehr zeigte sie, dass die große Vielfalt der in diesem Kapitel der Internationalen Klassifikation (ICD) enthaltenen Einzeldiagnosen durchaus von den Ärzten ausgeschöpft wurde. Zudem verringern sich die Anteile der Kreislauferkrankungen insgesamt und die Anteile von Krebserkrankungen und anderer Ursachen nehmen zu. Auch gibt es keine Gleichverteilung der altersspezifischen Häufigkeiten zwischen den Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs. Vgl. Baumann, Lothar: »Krankheiten des Kreislaufsystems – Todesursache Nummer eins«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2009«