:: 6/2011

Tourismus 2010: Krise vor allem dank Auslandsgästen überwunden

Auslandsgäste nach Unterbrechung 2009 weiterhin auf dem Vormarsch

Die abweichende Dynamik zwischen den Inlands- und Auslandsgästen stellt eine der wesentlichen Entwicklungslinien im Übernachtungstourismus des letzten Jahrzehnts sowohl in Baden-Württemberg als auch im gesamten Bundesgebiet dar.1 Die Übernachtungen beider Gästegruppen bewegten sich von 2000 bis 2002 im Land bzw. bis 2003 im Bund in einem ähnlichen Korridor, nicht zuletzt auch deshalb, weil im Zusammenhang mit den Terroranschlägen 2001 gewisse Vorbehalte gegen internationale Reisen bestanden. Bis 2008 folgte danach ein durchgehender, zum Teil kräftiger Anstieg der Ausländerübernachtungen. Vor allem das Jahr 2006 mit der Fußball-WM in Deutschland stach dabei durch Zuwachsraten um den zweistelligen Bereich besonders heraus.

Da die Finanz- und Wirtschaftskrise schwerpunktmäßig international geprägt war, schlugen sich die Übernachtungsrückgänge 2009 im Gegenzug ebenfalls bei den Auslandsgästen stärker nieder. Dies galt in umgekehrter Richtung auch in der nachfolgenden Erholungsphase 2010, in der die Übernachtungen der internationalen Gäste dank ähnlich kräftiger Zuwächse wie 2006 (+ 9 % in Baden-Württemberg, + 10 % in Deutschland) sogar auf neue Spitzenwerte anstiegen. Im Vergleich zu den Auslandsgästen entwickelten sich die Übernachtungen der Inländer im vergangenen Jahrzehnt deutlich moderater. So lag das Niveau 2010 im Land um 1,8 % unter und in Deutschland um 5 % über dem des Jahres 2000. Insgesamt erhöhte sich der Anteil der Auslandsgäste an den gesamten Übernachtungen von 2000 bis 2010 im Bundesgebiet von 12,3 auf 15,9 % und im Land von 13,6 auf 18,4 %.

Im internationalen Vergleich bei den Auslandsgästen noch Entwicklungspotenzial

Trotz der kräftigen Zunahme der Auslandsgäste im letzten Jahrzehnt bewegt sich ihr Übernachtungsanteil in Deutschland und auch in Baden-Württemberg allerdings weiterhin auf einem relativ bescheidenen Niveau. Dies wird insbesondere im internationalen Vergleich deutlich. So betrug der Übernachtungsanteil der Auslandsgäste 2009 in den wichtigsten Zielländern der EU:2

Kroatien89,0 %
Griechenland70,7 %
Österreich70,2 %
Spanien57,5 %
Portugal56,4 %
Tschechische Republik48,4 %
Italien43,0 %
Frankreich33,5 %
Vereinigtes Königreich30,5 %
Niederlande29,6 %
Schweden23,9 %
Baden-Württemberg20,7 %
Polen17,5 %
Deutschland17,2 %

Für einen Teil der genannten Staaten mag dieser Vergleich zwar etwas hinken, weil dort spezifische, den Anteil des Inbound-Tourismus fördernde Faktoren vorhanden sind, mit denen Deutschland oder Baden-Württemberg nicht oder zumindest nur in geringerem Umfang aufwarten kann.3 So ist in weniger bevölkerungsreichen Staaten der Umfang des Inländertourismus natürlich begrenzt, und einige der Länder im oberen Bereich des Rankings verfügen im großem Umfang über Küsten und vergleichsweise angenehmes Klima. Andererseits deuten wesentlich höhere Anteile auch in großen Staaten wie Frankreich oder dem Vereinigten Königreich darauf hin, dass im internationalen Tourismus auch hierzulande noch erhebliches Entwicklungspotenzial steckt, zumal in Deutschland als wirtschaftsstarkem Land auch der grenzüberschreitende Geschäftstourismus eine nicht unerhebliche Rolle spielt.

Schweizer und Franzosen in Baden-Württemberg relativ stark vertreten

In diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Herkunft der internationalen Gäste von Interesse. Die wichtigsten Quellländer sind in Schaubild 2 als Bund-Land-Vergleich dargestellt. Bemerkenswerterweise stehen in Baden-Württemberg mit der Schweiz und in Deutschland mit den Niederlanden zwei relativ kleine, unmittelbar angrenzende Staaten deutlich an der Spitze, deren Bewohner sich traditionell durch besondere Reisefreudigkeit auszeichnen. Gemessen an der jeweiligen Bevölkerung nehmen daneben auch Österreich, die beiden anderen Benelux-Staaten Belgien und Luxemburg sowie die skandinavischen Länder eine starke Position ein, wobei die einzelnen Nationalitäten teilweise innerhalb Deutschlands unterschiedliche Präferenzen aufweisen. So sind Luxemburger in Baden-Württemberg relativ stark vertreten, während die Skandinavier eher norddeutsche Ziele bevorzugen.

Neben diesen kleineren Ländern nehmen zudem einige bevölkerungsreiche und wirtschaftsstarke unter den wichtigsten Herkunftsländern vordere Positionen ein. Zu nennen sind hier insbesondere die USA, die Britischen Inseln und Frankreich, wobei die Franzosen deutlich häufiger und die Briten seltener in Baden-Württemberg absteigen. Insgesamt scheinen damit für den Umfang der touristischen Nachfrage kulturelle und wirtschaftliche Einflussfaktoren sowie auch die räumliche Nähe des Herkunftslandes von wesentlicher Bedeutung zu sein.

Unterschiedliche Dynamik bei Gästen aus verschiedenen Herkunftsländern

Obwohl der Kreis der wichtigsten Herkunftsländer bis auf wenige Ausnahmen im Zeitablauf relativ stabil ist, zeigen sich in der Entwicklung des letzten Jahrzehnts bei den einzelnen Quellmärkten sehr deutliche Unterschiede. Auf der einen Seite stehen die Gäste aus den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern China und Russland, deren Übernachtungen sich binnen 10 Jahren sowohl in Baden-Württemberg als auch bundesweit – mit jeweils höheren Zuwächsen im Land – deutlich mehr als verdoppelt haben. Auch die Schweizer, die bundesweit nicht ganz so stark zulegen konnten, zählen in Baden-Württemberg noch zu diesem exklusiven Kreis. Auch bei den Franzosen, den Österreichern, den Luxemburgern und den Spaniern übertrafen die Zuwächse der Übernachtungen die Gesamtentwicklung der Auslandsgäste sowohl bundesweit als auch im Land deutlich. Dabei profitierte Baden-Württemberg besonders von den Gästen aus Frankreich und Österreich. Daneben nahmen die Gästeübernachtungen auch aus den meisten anderen wichtigen Herkunftsländern im letzten Jahrzehnt in Bund und Land zu, wenn auch teilweise mit stärkeren Unterschieden zwischen Baden-Württemberg und Deutschland.

Auf der anderen Seite trugen die USA und das Vereinigte Königreich als traditionell wichtige Herkunftsländer nicht zur Expansion der Auslandsgäste in den letzten Jahren bei. Die USA, die im Jahr 2000 in Baden-Württemberg bei der Übernachtungszahl wie heute noch in Deutschland hinter den Niederlanden rangiert hatte, erreichten 2010 – trotz leicht überdurchschnittlicher Zuwächse in diesem Jahr – weder im Land noch im Bund ganz die Übernachtungszahl zur Jahrtausendwende. Auch das Vereinigte Königreich büßte in der Rangliste der wichtigsten Herkunftsländer gegenüber 2000 durch einen leichten Rückgang in Baden-Württemberg bzw. eine annähernde Stagnation in Deutschland jeweils eine Position (an Frankreich im Land, an die Schweiz im Bund) ein. Noch deutlicher aus dem allgemeinen Muster fällt Japan. Auf beiden Regionalebenen zu Beginn des Jahrtausends noch auf Rang neun platziert, hat dieser ostasiatische Inselstaat inzwischen durch Übernachtungsrückgänge von über 40 % im Land bzw. fast 30 % im Bund unter den wichtigsten Herkunftsländern erheblich an Gewicht verloren.

Auslandsgäste bevorzugen Hotels und größere Städte

Generell unterscheidet sich der Inbound-Tourismus nicht nur hinsichtlich der Entwicklung speziell in den letzten Jahren vom Inländertourismus, sondern auch in Bezug auf die regionalen und sonstigen Präferenzen. Statistisch lässt sich dies unter anderem am Vergleich der Übernachtungsanteile verschiedener Gliederungskategorien bei den Inlands- und den Auslandsgästen ablesen. So verbrachten 2010 die internationalen Reisenden 58 % ihrer Übernachtungen in einem Hotel, während sich die Gäste aus Deutschland bei einem entsprechenden Anteil von knapp 37 % wesentlich schwächer auf diese Betriebsart konzentrierten. Auch Campingplätze erfreuten sich bei Auslandsgästen einer deutlich stärkeren Beliebtheit als bei Inlandsreisenden (Anteile 10 gegenüber gut 6 %). In abgeschwächter Form gilt dies auch für Hotels garnis und Pensionen sowie die im Land allerdings recht seltenen Ferienzentren. Alle anderen Betriebskategorien werden von Ausländern dagegen schwächer als von Inländern für Übernachtungszwecke genutzt. Am stärksten ausgeprägt sind diese Unterschiede bei den Erholungs- und Ferienheimen und den Vorsorge- und Reha-Kliniken, deren Übernachtungsanteile bei den deutschen Gästen jeweils ein Mehrfaches als bei den Auslandsgästen betragen.

Ein ähnlich klares Profil – wenn auch mit nicht ganz so stark ausgeprägten Unterschieden – zeigt sich auch nach dem Typ der für die Übernachtungen gewählten Gemeinden. Hierbei wird in der Tourismusstatistik insbesondere nach dem Vorliegen und der eventuellen Ausprägung der Gemeindeprädikate unterschieden. Diese Prädikate als Kur- oder Erholungsort werden speziell an die (meist kleineren) Gemeinden oder auch Ortsteile4 vergeben, die für den klassischen Erholungs- oder Gesundheitstourismus prädestiniert sind, und für die der Tourismus im Regelfall auch eine besondere wirtschaftliche Bedeutung hat. So entfiel 2010 auf diese knapp 300 Gemeinden im Land bei einem Bevölkerungsanteil von lediglich 19 % mit 52 % mehr als die Hälfte aller Gästeübernachtungen. Allerdings verdanken sie diese Mehrheit schwerpunktmäßig den Gästen aus Deutschland, die 2010 sogar 55 % ihrer Übernachtungen in einem prädikatisierten Ort verbrachten. Auslandsgäste buchten dagegen mit 41 % zwar immer noch einen stattlichen Anteil ihrer Übernachtungen in einer dieser Gemeinden. Ihr Schwerpunkt lag jedoch mit 59 % deutlich bei den Sonstigen Gemeinden (ohne Prädikat). Besonders ausgeprägt sind die Differenzen zu den deutschen Gästen dabei einerseits bei den Mineral- und Moorbädern, in denen die relativ selten von Auslandsgästen frequentierten stationären Kureinrichtungen ein besonders starkes Gewicht aufweisen, und andererseits bei den Großstädten (ab 100 000 Einwohner), deren Übernachtungsgeschehen besonders stark von den von internationalen Gästen bevorzugten Hotels geprägt sind.

Auch in der regionalen Gliederung nach den touristischen Reisegebieten lassen sich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zwischen ausländischen und deutschen Gästen erkennen, die teilweise zu den Ergebnissen in den bereits dargestellten Gliederungen korrespondieren. So übernachten Auslandsgäste relativ selten im Bereich Württembergisches Allgäu-Oberschwaben, einer Gegend, die touristisch besonders von den oberschwäbischen Mineral- und Moorbädern mit ihrem Kurangebot geprägt ist. Hingegen wählen die Auslandsgäste relativ häufig ein Ziel in der Region Stuttgart, die eine stark städtische Prägung mit einem breiten Angebot insbesondere an Hotels aufweist. Weniger stringent aus den anderen Gliederungen lassen sich dagegen die sonstigen regionalen Unterschiede erklären. Generell auffällig ist jedoch eine stärkere Präferenz ausländischer Gäste für die südwestlichen Landesteile im Mittleren und Südlichen Schwarzwald, während der südöstliche Bereiche um den Bodensee und die Schwäbische Alb eher seltener als Übernachtungsziele gewählt werden. Hierzu mag auch beitragen, dass die wichtigsten europäischen Herkunftsländer eher westlich gelegen sind, und bei der Wahl der Reiseziele im Zweifelsfall räumlich nähere Gebiete bevorzugt werden (siehe auch unten).

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch auch, dass sich die meist traditionell bestehenden Unterschiede zwischen Inlands- und Auslandsgästen eher abgeschwächt haben. Abgesehen von einzelnen Ausnahmen waren nämlich die mittelfristigen Übernachtungszuwächse bei den Auslandsgästen tendenziell in den von den internationalen Reisenden weniger bevorzugten Kategorien überdurchschnittlich hoch. So legten beispielsweise die Ausländerübernachtungen in der Reiseregion Bodensee-Oberschwaben, der Zusammenfassung aus den drei Reisegebieten Württembergisches Allgäu-Oberschwaben, Bodensee und Hegau, 2010 gegenüber 2000 um 71 % zu, während sie insgesamt »nur« um 41 % anstiegen. Mit 30 % war der entsprechende Anstieg dagegen in der Region Stuttgart deutlich niedriger. Auch in den Sonstigen Gemeinden (ohne Prädikat) waren die Zuwächse mit 28 % deutlich geringer als in den prädikatisierten Gemeinden, in denen der Anstieg mit 66 % nahezu zwei Dritteln entsprach. Insofern hat der Ausländertourismus im Land in den letzten Jahren bei insgesamt steigendem Niveau auch an Breite gewonnen.

Spezielle Präferenzen der ausländischen Gäste aus den verschiedenen Herkunftsländern

Wie bereits aus dem Bund-Land-Vergleich der Herkunftsländer erkennbar wurde, sind die Auslandsgäste bei weitem keine homogene Gruppe. Insofern kann es auch kaum überraschen, dass die Gäste der zehn wichtigsten Herkunftsländer bei den Reisezielen auch innerhalb des Landes deutlich unterschiedliche Präferenzen erkennen lassen. Insgesamt ging 2010 knapp jede zweite Ausländerübernachtung in Baden-Württemberg (49 %) auf den Schwarzwald zurück und etwa jede fünfte bzw. jede sechste auf die Region Stuttgart (19 %) bzw. das Nördliche Baden-Württemberg (16 %). Den Rest teilten sich die Reiseregion Bodensee-Oberschwaben (9 %) und die Schwäbische Alb (6 %).5

Demgegenüber logierten Schweizer, Holländer, Franzosen und Belgier deutlich häufiger im Schwarzwald. Dies ging zu Lasten aller anderen Reisegebiete, mit einer Ausnahme: Schweizer sind nämlich auch noch relativ häufig im angrenzenden Gebiet Bodensee-Oberschwaben anzutreffen. In noch stärkerem Maß ist das bei deren Nachbarn aus Österreich der Fall, die daneben auch noch in der Region Stuttgart relativ stark vertreten sind. Für Briten, Spanier und Italiener, für die räumliche Nähe nur eine untergeordnete Rolle spielen dürfte, ist zwar auch der Schwarzwald das wichtigste Zielgebiet in Baden-Württemberg. Überdurchschnittlich häufig führt die Reise aber in die Region Stuttgart sowie das Nördliche Baden-Württemberg (mit Ausnahme Italien). Völlig aus dem Muster der wichtigsten anderen Zielländer fallen dagegen die US-Amerikaner. Ihr regionaler Schwerpunkt liegt nämlich deutlich im wirtschaftlich starken Ballungsgebiet der Region Stuttgart sowie im Nördlichen Baden-Württemberg, das teilweise eine ähnliche Charakteristik aufweist. Bei diesen Gästen aus Übersee kommen also offensichtlich ganz andere Reisemotive – wie insbesondere geschäftliche Gründe oder Städtebesichtigungen zum Tragen – als beispielsweise bei den Schweizern, die die angrenzenden Regionen Baden-Württembergs gerne für einen Kurzurlaub nutzen.

1 Die Angaben beziehen sich – sofern nicht explizit erläutert – durchweg auf Beherbergungsbetriebe (einschließlich Reiseverkehrscamping, Vorsorge- und Reha-Kliniken und Schulungsheime) ab neun Schlafgelegenheiten.

2 Quelle: Eurostat; aufgeführt sind die Staaten mit mindestens 30 Mill. Übernachtungen; Beherbergungsbetriebe entsprechend der EU-Abgrenzung ohne Vorsorge- und Reha-Kliniken und ohne Schulungsheime.

3 Streng genommen müssten für diesen Vergleich mit Staaten bei dem Bundesland Baden-Württemberg auch die Gäste aus anderen Bundesländern als »Auslandsgäste« gezählt werden; Daten hierzu liegen aber nicht vor.

4 In der Tourismusstatistik Baden-Württembergs werden immer nur komplette Gemeinden einem Prädikat zugeordnet. Bei einem Prädikat nur für einen Ortsteil wird dieses auf die Gesamtgemeinde übertragen, sofern der entsprechende Gemeindeteil mehrheitlich zum Tourismus der Gemeinde beiträgt.

5 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden in dieser Darstellung die drei Reisegebiete des Schwarzwalds zum Schwarzwald insgesamt und die drei Reisegebiete Württembergisches Allgäu-Oberschwaben, Bodensee und Hegau zur Reiseregion Bodensee-Oberschwaben zusammengefasst.