:: 6/2011

Rückbau Süd-West?

Teil II: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs in Baden-Württemberg auf die regionale Wohnraumversorgung

Wie sieht es mit der Wohnraumversorgung in den Gemeinden des Landes aus? Diese wichtige Frage lässt sich auf Basis der aktuellen Datenlage nicht durch die Berechnung eines quantitativen Wohnungsdefizits oder einer Überversorgung beantworten. Das Hauptproblem besteht darin, dass es auf Gemeindeebene nicht bekannt ist wie viele Haushalte mit Wohnungsbedarf existieren. Allerdings gibt es verschiedene Indikatoren, die zusammengenommen einen guten Eindruck über die Quantität der regionalen Wohnraumversorgung ermöglichen. Es zeigt sich, dass bereits im letzten Jahrzehnt die Erwartung, mit Neubau die Einwohnerzahl einer Gemeinde beeinflussen zu können, in vielen Gemeinden nicht mehr erfüllt wurde. Daraus folgt, dass im Umgang mit dem Wohnungsmarkt regional differenzierte, an die jeweilige Lage angepasste Strategien entwickelt werden müssen. Aus heutiger Sicht erscheint es wahrscheinlich, dass – in regional sehr begrenztem Umfang – im Zuge der Innenentwicklung strategische Rückbaumaßnahmen sinnvoll werden, um den Wohnungsmarkt zu stabilisieren und die Attraktivität einer Gemeinde zu bewahren.

Einflussfaktoren auf die Bevölkerungsentwicklung

Im ersten Teil dieses Artikels – erschienen im Monatsheft 5/2011 – wurde deutlich, dass der Wohnungsbestand im Land auf die Bevölkerungsentwicklung reagiert. Dies kann allerdings bei unerwartet auftretenden Schwankungen, so zum Beispiel bei der Zuwanderungswelle infolge der Grenzöffnungen in Osteuropa nach 1988, auch erst mit einigen Jahren Verzögerung geschehen. Außer dem Angebot an Wohnungen, spielt das Arbeitsplatzangebot eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Einwohnerzahl im Land und natürlich auch für deren regionale Verteilung. Der Zusammenhang zwischen Beschäftigungs- und Bevölkerungsentwicklung ist vor allem dann eng, wenn das Wohnungsangebot höher ist als die Nachfrage, es den arbeitsplatzbedingt Zuwandernden also tendenziell leichter fällt am Arbeitsort eine geeignete Wohnung zu finden.

Haushalte sind Träger des Wohnungsbedarfs

Für die Analyse der Wohnungsversorgung ist die Zahl der Haushalte ausschlaggebend. Da die Zahl der Haushalte auf Gemeindeebene aktuell empirisch nicht genau bekannt ist, wird in den folgenden Analysen mit dem Ersatzkonstrukt der durchschnittlichen Zahl der Haushaltsmitglieder operiert. Die durchschnittliche Haushaltsgröße variiert im Land. Sie hängt deutlich von der Region und vom siedlungsstrukturellen Typ – wie er zum Beispiel im Landesentwicklungsplan durch die Raumkategorien beschrieben ist – ab.1

Wie sich die Raumkategorien des Landesentwicklungsplanes auf das Land verteilen zeigt Schaubild 1. Die Verdichtungsräume sind schwarz, die Randzonen um Verdichtungsräume dunkelgrau. Hellgrau sind die Verdichtungsbereiche im ländlichen Raum, weiß ist der ländliche Raum im engeren Sinne dargestellt. Baden-Württemberg ist durch eine vergleichsweise dezentrale Struktur gekennzeichnet. So gibt es nur in zwei der zwölf Regionen keinen Verdichtungsraum und zwar in den Regionen Ostwürttemberg und Schwarzwald-Baar-Heuberg. Die Region Ostwürttemberg grenzt an den Verdichtungsraum der Region Stuttgart an und verfügt mit Schwäbisch-Gmünd und den angrenzenden Gemeinden noch über eine Randzone um Verdichtungsräume. Die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg hat nur Verdichtungsbereiche im ländlichen Raum und ländliche Gemeinden im engeren Sinne.

Der Mikrozensus lässt es zu, aufgrund der großen Stichprobe von 1 % der Bevölkerung2, die durchschnittliche Zahl der Personen je Haushalt in den Regionen nach Raumkategorien auszuwerten. Es wurde für jede Region die durchschnittliche Größe der Haushalte in den dort anzutreffenden Raumkategorien ermittelt. Die Ergebnisse sind durch die Punktgröße in Schaubild 1 dargestellt. Im Verdichtungsraum der Region Südlicher Oberrhein, dem neben den Städten Freiburg im Breisgau, Emmendingen und Waldkirch auch die Gemeinden Au, Bötzingen, Denzlingen, Gundelfingen, Kirchzarten, March, Merzhausen und Umkirch umfasst, leben durchschnittlich die kleinsten Haushalte (1,8 Personen). Dieser für die genannten Gemeinden insgesamt errechnete Wert kann in den unterschiedlichen Gemeinden variieren.

In allen Verdichtungsräumen des Landes liegt die durchschnittliche Zahl der Haushaltsmitglieder unter 2,2 Personen – erkennbar an den kleinen Punkten in der Karte. Die größten Haushalte mit 2,6 bzw. etwas über 2,4 Personen je Haushalt leben in den ländlichen Gemeinden der Region Ostwürttemberg und den Verdichtungsbereichen des ländlichen Raums in der Region Heilbronn-Franken – erkennbar an den großen Punkten. In den restlichen Teilräumen des Landes bewegt sich die durchschnittliche Haushaltsgröße zwischen 2,2 (Landesdurchschnitt) bis unter 2,4. Diese durchschnittliche Mitgliederzahl der Haushalte ist an der mittleren Punktgröße erkennbar.

Die Verdichtungsräume haben durchgehend unterdurchschnittlich große Haushalte. Nur geringfügig größer und noch unter dem Landesdurchschnitt ist die durchschnittliche Zahl der Haushaltsmitglieder in den Randzonen um die Verdichtungsräume in der Region Ostwürttemberg und der Region Mittlerer Oberrhein. Die Region Mittlerer Oberrhein hebt sich insofern von allen anderen Regionen ab, als dort auch in den ländlichen Gemeinden im engeren Sinne unterdurchschnittlich große Haushalte leben.3

Belegungsdichte – rechnerische Zahl der Personen pro Wohnung

Ein ähnlicher Sachverhalt – allerdings aus anderer Perspektive – wird durch die Punktgröße in Schaubild 2 visualisiert. Diese Darstellung basiert auf Ergebnissen der Bevölkerungs- und Wohnungsfortschreibungen, die auf Gemeindeebene erhoben werden. Hier wird durch die Punktgröße die durchschnittliche Belegungsdichte dargestellt. Kleine Punkte stehen für Gemeinden in denen pro Wohnung rechnerisch weniger als 2,2 Personen leben. Die mittlere Punktgröße steht für eine durchschnittliche Belegungsdichte von 2,2 bis 2,4, die großen Punkte für Gemeinden in denen rechnerisch mehr als 2,4 Personen in einer Wohnung leben. Niedrige Belegungsdichten entstehen entweder wenn sich tatsächlich wenige Personen eine Wohnung teilen oder wenn Wohnungen leer stehen. Niedrige Belegungsdichten finden sich – analog zur kleinen Haushaltsgröße – in den Verdichtungsräumen. Besonders durchgängig ist dieser Befund in der Region Stuttgart und den Verdichtungsräumen der Regionen Rhein-Neckar und Hochrhein-Bodensee.4

Wie ist es um das regionale Wohnungsangebot bestellt?

Ob nun das Wohnungsangebot einer Gemeinde knapp bemessen ist oder – rein quantitativ betrachtet – mehr als eine Wohnung je Haushalt zur Verfügung steht, lässt sich durch den Vergleich der durchschnittlichen Haushaltsgröße mit der durchschnittlichen Belegungsdichte in einer Gemeinde feststellen. Die Größenklassen der Belegungsdichte wurden analog zu den Größenklassen bei der Haushaltsgröße in Schaubild 1 gewählt.

Übereinstimmung in der Punktgröße zeigt an, dass die Abweichung zwischen der durchschnittlichen Zahl der Personen in einem Haushalt und der durchschnittlichen Zahl der Personen in einer Wohnung nicht besonders groß ist. Ist die Belegungsdichte höher als die durchschnittliche Haushaltsgröße, so steht rein rechnerisch nicht jedem Haushalt eine eigene Wohnung zur Verfü­gung, ist sie hingegen geringer, gibt es mehr Wohnungen als Haushalte. Eine geringe Abweichung ist unproblematisch, da – wie im ersten Teil dieses Artikels dargestellt – die Formel ein Haushalt = eine Wohnung zu vereinfacht ist.5 Besteht allerdings eine große Abweichung zwischen Haushaltsgröße und Belegungsdichte, so ist das ein Hinweis darauf, dass in der Gemeinde ein Ungleichgewicht besteht, das näher analysiert werden sollte.

Die Differenz zwischen Haushaltsgröße und Belegungsdichte ist in Schaubild 2 an der Farbe der Punkte erkennbar. Ist die Belegungsdichte höher als die durchschnittliche Haushaltsgröße, sind die Punkte hell. Dunkelrot sind sie, wenn die Haushalte um mehr als rechnerische 0,2 Personen größer sind als die Belegungsdichte. Das heißt beispielsweise, dass bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2,2 und einer Belegungsdichte von zwei in zehn Wohnungen nach Haushaltsgröße 22 Personen wohnen, nach Belegungsdichte jedoch nur 20. Rein rechnerisch würde in einer solchen Gemeinde also jede elfte Wohnung leer stehen. Es kann jedoch auch sein, dass die tatsächliche Haushaltsgröße in dieser Gemeinde von der Haushaltsgröße in den anderen Gemeinden derselben Raumkategorie der Region nach unten abweicht.6 Dies würde den Leerstand reduzieren. Ebenso wäre der Leerstand dann niedriger, wenn viele Wohnungen als Zweitwohnsitz oder Ferienwohnung genutzt werden. Gemeinden mit vielen Ferienwohnungen und Pensionen sind in Schaubild 2 durch das Bettensymbol gekennzeichnet.7 Diese konzentrieren sich in wenigen Bereichen des Landes. Ganz besonders am Bodenseeufer in der Region Bodensee-Oberschwaben, sowohl in den ländlichen Gemeinden als auch in der Randzone des Verdichtungsraumes um Friedrichshafen. Eine Konzentration von Ferienunterkünften findet sich zudem in den ländlichen Gemeinden des Hochschwarzwaldes im Süden der Region Südlicher-Oberrhein und im Norden der Region Hochrhein-Bodensee. Auch in vielen Gemeinden des nördlichen Bereichs des Schwarzwaldes sind Pensionen und Ferienwohnungen besonders häufig, jedoch nicht so flächendeckend. Im Nordschwarzwald und den Schwarzwaldgemeinden der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg hat nur ein Teil der Gemeinden einen hohen Anteil an Ferienunterkünften am Wohnungsbestand.

In den Regionen Mittlerer und Südlicher Oberrhein sind die Belegungsdichten in den meisten Gemeinden größer als die durchschnittlichen Haushaltsgrößen. Selbst in den dortigen Verdichtungsräumen liegen die Belegungsdichten meist über 2,2. Gleichzeitig sind in diesen beiden Regionen die niedrigsten Leerstandsquoten8 dokumentiert und die Einwohnerzahl hat in den letzten 9 Jahren fast flächendeckend zugenommen. Ganz ähnlich ist die Situation im Südosten des Landes, in den Regionen Donau-Iller und Bodensee-Oberschwaben. Mit Ausnahme des Landkreises Sigmaringen und der Gemeinden am Bodenseeufer treffen dort auch Belegungsdichten, die über den Haushaltsgrößen liegen, auf Bevölkerungswachstum. Allerdings war dort 2006 der Leerstand etwas höher. Eine drittes sich ähnlich entwickelndes Gebiet erstreckt sich entlang der A81 vom Landkreis Konstanz bis nach Sindelfingen. In diesen drei Gebieten – den Oberrheinregionen, den Regionen Donau-Iller und Bodensee-Oberschwaben (ohne Landkreis Sigmaringen) sowie entlang der A81 – ergibt diese Analyse, dass dort in einigen Gemeinden ein Nachholbedarf im Wohnungsbau bestehen dürfte.

Wie verhält sich die Entwicklung des Wohnungsangebots zur Entwicklung der Einwohnerzahl?

In Schaubild 2 ist noch ein weiterer Indikator für die Wohnraumversorgung abgebildet, der bei der Einschätzung der Wohnungsversorgung wertvolle Hinweise liefert. Die Flächeneinfärbung gibt Auskunft über den Zusammenhang zwischen Bautätigkeit und Einwohnerentwicklung. Im ersten Teil dieses Aufsatzes wurde bereits darauf hingewiesen, dass dieser Zusammenhang sehr eng, aber in den letzten Jahren rückläufig ist. In allen Gemeinden Baden-Württembergs hat die Zahl der Wohnungen in den Jahren 2000 bis 2009 zugenommen. In 43 Gemeinden, darunter die Stadtkreise bis auf Mannheim, Heilbronn und Ulm, nahm die Bevölkerung um 2,2 Personen und mehr je neue Wohnung zu. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Bautätigkeit nicht ganz mit dem Bedarf mithalten konnte.

Anders stellt sich die Situation in den über 400 Gemeinden dar, deren Einwohnerzahl bereits im letzten Jahrzehnt zurück ging. Auch dort wurde mehr gebaut, als Wohnungen durch Umnutzung oder Abriss dem Wohnungsangebot entzogen wurden: Das heißt, auch dort ist die Zahl der Wohnungen gestiegen. Daher haben alle Gemeinden mit Einwohnerverlust negative Werte beim Indikator »Zuwachs der Zahl der Einwohner je neuer Wohnung«. Diese Gemeinden sind an der dunkelblauen Einfärbung in Schaubild 2 erkennbar. Dort ging die Einwohnerzahl trotz neu zur Verfügung stehender Wohnungen zurück. Nicht jeder Bevölkerungsverlust führt gleich zu zunehmendem Leerstand, da auch Haushaltsmitglieder, zum Beispiel Kinder oder Partner aus der Gemeinde verziehen, der Resthaushalt jedoch in der Wohnung verbleibt. Der Haushalt wird also kleiner, ein Wohnungsbedarf bleibt aber bestehen. Einen kritisch analysierender Blick lohnt sich jedoch, wenn mehrere Indizien aus Schaubild 2 zusammentreffen.

Zu beachten sind

  • die Belegungsdichten (Größe der Punkte)
  • die Relation zwischen Belegungsdichten und durchschnittlicher Haushaltsgröße (Punktfarbe)
  • die Entwicklung des Verhältnisses der Wohnungen zur Einwohnerzahl (Flächeneinfärbung) und
  • die Nutzung von Wohnungen als Ferienwohnung bzw. Pension (Bettensymbol)

Wenn in Gemeinden die Einwohnerzahl rückläufig (dunkelblaue Flächen) ist und die Belegungsdichten deutlich kleiner sind als die durchschnittliche Haushaltsgröße in der Raumkategorie (dunkelrote Punkte), dann lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass in diesen Gemeinden im letzten Jahrzehnt ein Überangebot an Wohnungen entstanden ist. Dies ist vor allem in den Höhenlagen des Schwarzwaldes der Fall sowie im nördlichen und südlichen Teil der Schwäbischen Alb. Sofern viele Wohnungen als Zweitwohnsitz, Ferienwohnung oder Pension genutzt werden, dürfte der Leerstand entsprechend niedriger sein.

Der Wohnungsmarkt im Land ist relativ ausgeglichen, nicht jedoch bei kleinräumiger Betrachtung

Interessant ist, dass an den von Bevölkerungsrückgang und kleinen Belegungsdichten betroffenen Bereich im südlichen Teil der Schwäbischen Alb (um Sigmaringen) im Westen wie im Osten direkt Gebiete anschließen mit wachsender Bevölkerung und hohen Belegungsdichten. Eine ganz ähnliche Entwicklung findet sich auch im Norden der Region Donau-Iller. Deren nördlichste Gemeinden haben hohe Belegungsdichten und größtenteils eine positive Einwohnerentwicklung. Die angrenzenden Gemeinden der Region Ostwürttemberg hingegen verloren fast durchweg Bevölkerung und haben durchschnittliche Belegungsdichten, die deutlich unter der durchschnittlichen Personenzahl je Haushalt in der Region liegen. Auch ganz im Norden des Landes waren die meisten Gemeinden schon im letzten Jahrzehnt von Bevölkerungsrückgang betroffen. Allerdings sind es hier nur einige, die bereits heute kleine Belegungsdichten und eine deutliche Abweichung (größer 0,2 Personen) von Haushaltsgröße aufweisen.

Diese Analysen zeigen, dass großräumige Betrachtungen auf der Suche nach Lösungsstrategien für den Umgang mit dem demografischen Wandel um kleinräumige Betrachtungen ergänzt werden müssen. Bereits in unmittelbarer Nachbarschaft können die Verhältnisse am Wohnungsmarkt sehr unterschiedlich sein. Besonders in den Stadtkreisen aber auch in einigen ländlichen Gemeinden konnte die Bautätigkeit mit der Einwohnerentwicklung im letzten Jahrzehnt nicht mithalten. Es zeigt sich auch, dass bereits heute in weiten Teilen des Landes nicht mehr von einem Wohnungsdefizit auszugehen ist, sondern in vielen Gemeinden bereits ein ausreichendes bzw. sogar ein quantitatives Überangebot an Wohnungen bestehen dürfte.

Da es sich bei den Gemeinden mit Bevölkerungsrückgang in der Mehrzahl um ländliche Gemeinden handelt, in denen Einfamilienhäuser dominieren, dürfte der Leerstand vorwiegend nicht bei Neubauten, sondern im Altbestand entstanden sein. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass bestehende Wohngebiete an Attraktivität verlieren. Verschärfend kommt hinzu, dass für den größten Teil der betroffenen Gebiete entsprechend der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung mit weiter rückläufigen Einwohnerzahlen zu rechnen ist.9 Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, bei der Ausweisung neuer Baugebiete mit großer Vorsicht zu verfahren und intensiv und kritisch zu prüfen, ob ein Bedarf tatsächlich über einen längeren Zeitraum zu erwarten ist und keine Reserven im Bestand mobilisiert werden können.

Ein mancherorts derzeit noch vorhandene Wohnungsdefizit dürfte sich auch ohne Neubaugebiete allein durch den zukünftigen weiteren Bevölkerungsrückgang abbauen. Umso wichtiger wird, dass im Bestand durch geeignete Modernisierungen bzw. ersetzenden Neubau nachfragekonformer Wohnraum geschaffen wird. Eine momentan noch vorliegende Nachfrage nach Wohnraum durch Neubau auf der grünen Wiese zu befriedigen, dürfte sich in den nächsten Jahrzehnten als infrastrukturelle Fehlinvestition mit hohen Folgekosten erweisen.10

Rückbau Süd-West? Zunächst nur kleinräumiger Anpassungsbedarf zu erwarten

Zählt man den vergangenen und vorausgerechneten Bevölkerungsverlust zusammen, so ist nur in 15 Gemeinden ein Bevölkerungsrückgang zwischen 2000 und 2030 von über 20 % zu erwarten, in weiteren 21 von über 15 %. Das heißt auf der anderen Seite, ein flächendeckender Rückbau wie in den Neuen Bundesländern teilweise geschehen, ist in Baden-Württemberg in den nächsten 20 Jahren nicht auf der Tagesordnung. Allerdings gibt es – lokal sehr begrenzt – einen deutlichen Bevölkerungsrückgang. Dieser erreicht zwar nicht die Größenordnung wie in vielen Gemeinden Ostdeutschlands seit der Wiedervereinigung, er ist jedoch so deutlich, dass er zu einem Rückgang der Zahl der Haushalte mit Wohnungsbedarf führen wird.

In der regionalisierten Wohnungsbedarfsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes sind bereits bestehende Wohnungsüberversorgungen bzw. noch bestehende Defizite nicht berücksichtigt. Die dort nachgewiesenen Kreise mit – aufgrund sinkender Haushaltszahlen – voraussichtlich abnehmendem Bedarf an Wohnungen11 sind auf Basis der hier vorgenommenen Analysen unterschiedlich zu behandeln. In den Landkreisen Heidenheim, Main-Tauber, Zollernalb, Schwarzwald-Baar, Sigmaringen und Göppingen würde ein »Rückbaubedarf« wahrscheinlich über den errechneten Zahlen liegen, soweit hier bereits Überangebote vorhanden sind. In den Stadtkreisen wird sich hingegen durch die voraussichtlich rückläufigen Haushaltszahlen lediglich ein noch vorhandenes Defizit verringern. 12

In Gemeinden, in denen heute schon ein Überangebot an Wohnungen besteht und die Bevölkerung weiter deutlich rückläufig ist, können auch Rückbaumaßnahmen notwendig werden, um den Wohnungsmarkt zu stabilisieren und die Attraktivität der Gemeinden zu sichern. Durch Modernisierung und Auflockerung der Bausubstanz oder die Schaffung von Grünflächen, können innerorts von Leerstand betroffene Gebiete aufgewertet werden. Da der Bevölkerungsrückgang nach 2030 demografisch bedingt noch zunehmen wird, wird der Kreis der Kommunen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen müssen, sukzessive zunehmen.

1 Der Landesentwicklungsplan ist ein politisches Planungsinstrument das die besonderen raumordnerischen Erfordernisse aller Bereiche im Land berücksichtigen soll. Siehe: LEP2002

2 Vgl. i-Punkt.

3 Vgl. auch Brachat-Schwarz, Werner: »Struktur und Entwicklung der Privathaushalte«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2010«

4 Besonders in Universitätsstädten mit einer hohen Zahl an Wohnungen in Wohnheimen, die im Wohnungsbestand nicht erfasst sind, ist die tatsächliche Belegungsdichte noch etwas niedriger als hier dargestellt. Vgl. auch Teil I dieses Aufsatzes.

5 Vgl. Payk, Bernhard: »Rückbau Süd-West?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 5/2011«

6 Zum Verständnis sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass die Punkte zwar für jede Gemeinde des Landes dargestellt werden, dass ihnen jedoch keine individuellen Gemeindewerte zugrunde liegen, sondern alle Gemeinden einer Raumkategorie einer Region jeweils dieselbe durchschnittliche Haushaltsgröße hinterlegt wurde, da die Daten aus dem Mikrozensus (vgl. i-Punkt) stammen, der nicht auf Gemeindeebene ausgewertet werden kann. Tatsächlich können in der Haushaltsstruktur zwischen den Gemeinden einer Kategorie deutliche Unterschiede bestehen.

7 Basis dieser Kennzeichnung ist die Betriebsdichte (Pensionen sowie Ferienwohnungen und –häuser je 1 000 Wohnungen). Grundlage ist die Beherbergungsstatistik, die jedoch nur Betriebe mit neun und mehr Betten erfasst. Daher können Gemeinden, deren Struktur im Gastgewerbe vor allem durch keine Betriebe geprägt ist, hier evtl. nicht korrekt gekennzeichnet sein. Die Bedeutung von Zweitwohnsitzen ist durch die amtliche Statistik nicht ermittelbar.

8 Leerstand 2006 nach Mikrozensus unter 6,5 %, vgl. Teil I dieses Aufsatzes.

9 Vgl. Payk, Bernhard/Schmidt, Heike/Schwarck, Cornelia: »Regionale Bevölkerungsvorausrechnung bis 2030 für Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 4/2010«

10 Vgl. Siedentop: Im Schatten der Reurbanisierung?, in: Der Bürger im Staat, Heft 1‑2/2011, S. 85

11 Dies entspricht einem rechnerisch negativen Wohnungsneubaubedarf.

12 Vgl. Schmidt, Heike/de la Croix, Madeleine: »Regionale Wohnungsbedarfsvorausrechnung für Baden-Württemberg bis 2030«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 3/2011«