:: 7/2011

Sterbefälle in Baden-Württemberg 2000 bis 2009

Dominanz der Kreislauferkrankungen nimmt leicht ab

Die Entwicklung der Sterbefallzahlen weist in den ersten 10 Jahren des neuen Jahrhunderts einige Besonderheiten auf. So ist zunächst ein weiterer Rückgang der Fallzahlen festzustellen, die Fortsetzung eines Trends, der bereits – ungeachtet des größer werdenden Anteils der älteren Bevölkerung – in den 90er-Jahren eingesetzt hat und vor allem von der Zahl der an Kreislauferkrankungen Verstorbenen abhängig ist. Dieser Trend wurde allerdings durch die besonderen klimatischen Verhältnisse des Jahres 2003 mit seinem außergewöhnlich hohen Anstieg der Sterbefallzahlen zunächst unterbrochen. Unter anderem waren es die Bedingungen dieses Ausnahmejahres, die einen extrem starken Rückgang der Sterblichkeit im nächsten Jahr zur Folge hatten. Man sprach seinerzeit angesichts der stark überhöhten Zahlen von 2003 auch von »vorgezogenen« Todesfällen. Zum Ende des neuen Jahrzehnts beginnen die Fallzahlen in Baden-Württemberg allerdings wieder zu steigen. Gleichzeitig ist ein erster – wenn auch leichter – Rückgang der Bevölkerung insgesamt zu beobachten, während der Anteil der älteren Menschen in der Gesamtbevölkerung weiter anwächst. Das bedeutet aber auch, dass bei der zunehmenden Zahl der Betagten und Hochbetagten künftig wieder mehr Menschen die Grenze ihrer Lebenszeit erreichen werden.

2003 – ein Jahr mit zwei »Sterbegipfeln«

Im Berichtsjahr 2003 verstarben im Land 97 229 Menschen mit Wohnsitz in Baden-Württemberg. Mit diesem Ergebnis übersteigt 2003 deutlich den 10-jährigen Durchschnitt 2000 bis 2009, der in diesem Zeitraum bei rund 94 800 Verstorbenen liegt.

Im Unterschied zu den übrigen Jahren wies das Jahr 2003 zwei sehr ausgeprägte »Sterbegipfel« auf. Der erste lag im März mit 9 557, der zweite im August mit 8 883 Todesfällen. Eine erhöhte Sterblichkeit in den frühen Monaten eines Jahres oder auf das Jahresende zu ist indes keine Seltenheit. 2003 übertraf der Ereignismonat März allerdings den langjährigen Mittelwert um 909 Fälle. Als singuläre Erscheinung fiel in diesem Jahr der August vollkommen aus dem Rahmen des Üblichen. Der Mittelwert dieses Sommermonats wird 2003 um 1 383 Todesfälle übertroffen.

Gegenüber dem unmittelbar vorangegangenen Jahr 2002 war die Zunahme in den beiden Monaten mit 1 186 bzw. 1 610 Fällen sogar weit höher. Auf das ganze Jahr gesehen, überstieg die Zahl der 2003 Verstorbenen die des Vorjahrs um insgesamt 2 119. Es sollte in diesem Zusammenhang aber nicht ganz außer Acht gelassen werden, dass bereits 2002 gegenüber dessen Vorjahr ein Anstieg um 1 014 Fälle zu beobachten war.

Das darauffolgende Jahr 2004 brachte dann einen regelrechten Einbruch hinsichtlich der Höhe der Sterbefallzahlen. Über alle Monate des Jahres 2004 verteilt verstarben noch 91 646 Personen, 5 583 weniger als im Ausnahmejahr 2003. An diesem Rückgang waren vor allem die gesunkenen Fallzahlen im März (– 1 273) bzw. August (– 1 786) beteiligt. Abgesehen von den Monaten November und Dezember, in denen im Vergleich zu den entsprechenden Vorjahresmonaten leichte Zuwächse um 48 und 100 Fälle zu verzeichnen waren, wiesen alle übrigen Monate Rückgange auf – bis auf eine Ausnahme durchweg im dreistelligen Bereich.

Der Altersfaktor

Auch wenn 2003 im Hinblick auf die Zahl der Verstorbenen in diesem Jahrzehnt eine herausragende Rolle spielte, so sollte es doch nicht losgelöst von der gesamten Entwicklung gesehen werden.

Erwartungsgemäß stellte die Gruppe der 70-Jährigen und Älteren den mit steigender Tendenz größten Teil der Sterbefälle. Seit 1995 vergrößerte er sich von 70,7 auf 77,3 %. Im gleichen Zeitraum nahm auch der Anteil der Bevölkerung in diesem Alter von 10,1 auf 13,7 % zu, was vor allem auf die Altersgruppe der 70- bis 74- und der 75- bis 79-Jährigen zurückzuführen ist, die jeweils einen guten Prozentpunkt hinzugewannen.

Als relativ stabil erwiesen sich die Anteile der 70- bis 74- und der 75- bis 79-Jährigen an den Sterbefällen insgesamt, die sich über alle Jahre hinweg in einer Schwankungsbreite von 1 bis 4 Prozentpunkten bewegen. Diese Abweichungen waren auch bei den über 80-Jährigen zu beobachten. Im Vergleich mit dem Ergebnis der beiden anderen hohen Altersklassen fällt eine Besonderheit auf. Während deren Anteile im Ausnahmejahr 2003 leicht zurückgingen, stieg der Anteil in der höchsten hier gewählten Altersklasse von 48,7 auf 49,9 % an. Im darauffolgende Jahr 2004 sank der Anteil vorübergehend auf 49 %, um danach kontinuierlich anzusteigen, bis er 2009 bei 53,4 % angelangt war – mehr als der Hälfte aller Sterbefälle.

Setzt man nun die Zahl der Sterbefälle in dieser Altersgruppe mit der Bevölkerung gleichen Alters in Beziehung, zeigen die so errechneten Raten, dass sie bei den 70- bis 74-Jährigen über den gesamten beobachteten Zeitraum hinweg sanken. Das trifft bis auf einen äußerst geringfügigen Anstieg im Jahr 2008 auch auf die 75- bis 79-Jährigen zu. Demgegenüber verläuft die Entwicklung bei den 80-Jährigen und Älteren weniger einheitlich. Zunächst nimmt die Sterberate hier zwischen 1996 – dem Jahr mit den bislang meisten Sterbefällen seit Bestehen des Landes – bis 1999 zu. Danach setzte ein Rückgang ein, der vom Ergebnis des Jahres 2003 kurzfristig unterbrochen wurde. Ab 2006 begann sich die Rate auf einem Niveau von rund 9 950 Sterbefällen je 100 000 Einwohner gleichen Alters einzupendeln. Dies stellt gegenüber der Rate des Jahres 1999 in Höhe von 12 400 doch einen bedeutenden Rückgang der Sterberate dar.

In diesem Zusammenhang bleibt anzumerken, dass die auf die Gesamtheit der Bevölkerung bezogene (rohe) Sterberate von der altersspezifischen Sterberate der 70-Jährigen und Älteren verständlicherweise abweicht. Sie schließt auch die von der Sterblichkeit kaum oder doch weniger betroffene jüngere Bevölkerung mit ein. Aus diesem Grunde vermag sie den demografischen Wandel weniger deutlich abzubilden. So lag sie 2009, einem Jahr mit 97 556 Sterbefällen, bei 907,8 nur leicht über der Rate von 2000 in Höhe von 905,9, als man 95 354 Tote zählte.

Die Todesursachen

Es ist davon auszugehen, dass die hohe Sterblichkeit in den kritischen Monaten März und vor allem August 2003 darauf zurückzuführen ist, dass die Betroffenen vor allem ältere Menschen waren, bei denen bereits ernsthafte gesundheitliche Vorschädigungen vorlagen. Dieses Phänomen erscheint in recht regelmäßig wiederkehrenden Sterbefallgipfeln in den kälteren Monaten vor und/oder nach dem Jahreswechsel.

Die extreme Hitzeperiode des Sommers 2003 setzte die Bevölkerung zusätzlichen gesundheitlichen Belastungen aus, was zu dem weiteren, ungewöhnlich ausgeprägten zweiten »Sterbegipfel« führte. Allerdings kommt die Todesursache, die expressis verbis als Folge der seinerzeit gemessenen hohen Temperaturen Bezug nahm, in der Statistik dieses Jahres nicht vor. Vielmehr verteilen sich die Angaben auf mehrere Ursachengruppen. Kreislauf- aber auch Atemwegserkrankungen spielen hier tragende Rollen. Zusätzlich sind vermehrt Sterbefallzahlen als Folge infektiöser und parasitärer Krankheiten, Endokrinen, Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen sowie von Krankheiten des Verdauungssystems verursachte Sterbefälle zu beobachten. Gegenüber 2003 ist im darauffolgenden Jahr allein in diesen Gruppen ein Rückgang um zusammen 4 642 Sterbefälle festzustellen. An Krebs (bösartigen Neubildungen) verstarben 158 Personen weniger als im Vorjahr, und das nachdem bereits im Ausnahmejahr 2003 gegenüber 2002 ein Rückgang bei dieser Ursache in Höhe von 372 Fällen zu beobachten war. Im Hinblick auf die Ergebnisse der übrigen Ursachengruppen, die deutlich negativer ausgefallen waren, eine doch erstaunlich kleine Zahl. Immerhin verursachen Krebsleiden rund 25 % aller Sterbefälle (Kreislauf etwa 42 %, während die anderen Gruppen bei jeweils 7 % und weniger liegen).

Schwerwiegende Vorschädigungen aus diesen Diagnosekreisen dürften in außergewöhnlich belastenden Bedingungen zu einem Todeszeitpunkt führen, der unter weniger extremen Situationen womöglich später gelegen hätte. Nun ist bei diesen »vorgezogenen« Sterbefällen kaum festzustellen, zu welchem Zeitpunkt sie unter »normalen« Bedingungen eingetreten wären. Ganz sicher ist aber nicht damit zu rechnen, dass unmittelbar auf die »Sterbegipfel« tiefe Täler folgen, die für einen sofortigen Ausgleich sorgen. Im konkreten Fall sind Rückgänge der Sterbefallzahlen gegenüber dem Vorjahresergebnis bereits zum Jahresende 2003 zu beobachten. Auf die zuvor stark angestiegene Sterblichkeit mag sich hier bereits ein leichter Rückgang andeuten. Ein wirklicher Ausgleich wird eine längere Zeitspanne beanspruchen.

Jäher Abstieg folgt steilem Anstieg – die Rolle der Kreislauferkrankungen

Warum aber in dem auf das Ausnahmejahr folgenden Jahr 2004 ein derartig ungewöhnlich starker Rückgang der Fallzahlen eingetreten ist, lässt sich kaum ausschließlich auf die Ereignisse des Vorjahrs zurückzuführen. Der weitgehende Wegfall des frühen Jahresgipfels während der Winterperiode sowie das Fehlen besonderer klimatischer Belastungen über den Sommer reichen allein von den Fallzahlen her gesehen nicht aus, waren doch auch in den weniger »problematischen« Monaten dieses Jahres deutlich niedrigere Werte festzustellen.

Dominierend ist der Einfluss, der von den Kreislauferkrankungen auf das Sterbegeschehen insgesamt ausgeht. Jede Zu- oder Abnahme der von diesen Krankheiten verursachten Todesfälle wirkt sich bei diesen Erkrankungen wegen den hohen Sterbefallzahlen zwangsläufig auf das Gesamtergebnis aus. So hatte die kreislaufbedingte Sterblichkeit einen großen Anteil am Sommergipfel des Jahres 2003, aber auch am abrupten Rückgang der Sterbefälle im darauffolgenden Jahr. Danach waren zwar wieder ansteigende Zahlen zu beobachten, wobei jedoch bis zum Ende des Jahrzehnts das Niveau der Jahre vor 2003 nicht wieder erreicht wurde. Auch war diese Zunahme nicht konstant, sondern wies in den Jahren 2006 und 2007 weitere Dellen auf. Dagegen liegt die Zahl der Sterbefälle insgesamt 2009 wieder auf gleicher Höhe wie im Jahr 2003. Hier scheint der rückläufige Trend, der in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre einsetzte, gebrochen.

Aber auch der bestimmende Einfluss der Kreislauferkrankungen auf die Höhe der Todesfälle erschließt sich weniger aus den absoluten Zahlen, solange sie losgelöst von der tatsächlichen Größe der betroffenen Bevölkerung gesehen werden. Die nach absoluten Zahlen oft dramatischen Effekte relativierten sich immer dann, wenn die Zunahme der Todesfälle mit einer wachsenden Bevölkerungszahl einhergeht und umgekehrt. Erst aus der Beziehung zwischen der Anzahl der Verstorbenen und der dieser gegenüberstehenden Bevölkerung lassen sich Sterberaten errechnen, die eine zuverlässigere Aussage über eine Entwicklung erlauben.

So ist die Bevölkerung Baden-Württembergs bis einschließlich 2008 stetig gewachsen. Seit Anfang der 90er-Jahre steigt die Zahl der Sterbefälle zwar auch an, aber nicht in gleichem Verhältnis. Das hat zur Folge, dass die Sterberate in diesem Zeitraum nahezu ununterbrochen sinkt. Erst das Jahr 2003 bringt den vorübergehenden heftigen Ausschlag nach oben. Seit 2006 stieg die Rate erneut an und erreichte im Jahr 2009 fast wieder die Höhe des Ergebnisses von 2003. Hinzu kam in 2009 ein Bevölkerungsrückgang um knapp 5 000 Einwohner, was zu einer geringfügigen Erhöhung der Rate beitrug. Diese Entwicklung lässt sich dahingehend interpretieren, dass durch die zunächst auseinanderdriftenden Bevölkerungs- und Todesfallzahlen eine »Sterbelücke« entstand. Da aber die zunächst ausgebliebenen Sterbefälle zwangsläufig einmal eintreten müssen, wird sich diese Lücke zu einem späteren Zeitpunkt schließen bzw. verkleinern. Nämlich dann, wenn der natürliche, altersbedingte Absterbeprozess auch bei denen einsetzt, die zwischenzeitlich in höhere und höchste Altersgruppen hineingewachsen sind, die in der Vergangenheit viele dieser Menschen gar nicht erreicht hätten.

Die rohen Sterberaten der Kreislauferkrankungen geben diese Entwicklung bis zum Jahr 2006 – naturgemäß auf niedrigerem Niveau als die Sterbefallzahlen insgesamt – weitgehend exakt wider. Danach weichen die Kurvenverläufe voneinander ab. Während die Sterberate insgesamt einen recht steilen Anstieg zeigt, fiel die Aufwärtsbewegung bei den Kreislauferkrankungen wesentlich verhaltener aus. Die Höhe des Ergebnisses von 2003 wurde bei weitem nicht erreicht.

Wachsender Einfluss anderer Todesursachen

Das Jahresergebnis der Todesursachenstatistik von 2009 übertraf das von 2003 um gerade einmal 327 Fälle. Zwar blieb die Vorherrschaft der Kreislauferkrankungen nach wie vor ungebrochen, aber sie verursachten knapp 1 867 Sterbefälle weniger als im Jahr 2003. Dieser Rückgang wurde 2009 mehr als kompensiert von den angestiegenen Fallzahlen der Krankheiten der Psyche und des Nervensystems (+ 1 328), des Atmungssystems (+ 695), der bösartigen Neubildungen (+ 695) und der Krankheiten des Urogenitalsystems (+ 645).

Der Anteil der Kreislauferkrankungen an den Todesfällen insgesamt sank seit dem Jahr 2000 von 43,5 auf 41,9 %. Allein 2003 kamen sie noch einmal auf einen Anteil von 43,9 %.

Vorgezogene und nachgeholte Sterbefälle

Das »Hitzejahr« und seine unmittelbaren Folgen in 2004 unterbrachen den – wenn auch leichten – Abwärtstrend der Sterberaten der Vorjahre. Ohne dieses in seinen Auswirkungen außerordentliche Geschehen dürfte die Sterberate insgesamt eine Talsohle von geringerer Tiefe hinterlassen haben, um danach wieder merklich anzusteigen. Auch für den Verlauf der Kurve bei den Kreislauferkrankungen hieße das, dass ihr Einschnitt weniger tief und der darauf folgende Anstieg weniger steil ausgefallen wäre.

Die Auswirkungen der Verschiebungen innerhalb der Altersstruktur der Bevölkerung des Landes hin zu wachsenden Besetzungszahlen der oberen Altersgruppen lässt erwarten, dass in nächster Zukunft zwar weiterhin immer mehr Menschen ein höheres Alter erreichen, aber zwangsläufig auch für immer mehr Menschen in diesem fortgeschrittenen Alter das Leben einmal endet. So gesehen ist auch zu erwarten, dass die Anzahl der Sterbefälle weiter steigen wird und ihr Tiefstand zur Mitte des neuen Jahrzehnts den Wendepunkt markierte. Das mit Redaktionsschluss vorgelegte Jahresergebnis der Bevölkerungsstatistik 2010 verfehlt mit 98 807 Sterbefälle das Ergebnis des Jahres 1996 nur knapp. Die »vorweggenommenen« Sterbefälle des Jahres 2003 fielen spätestens ab dem Berichtjahr 2007 nicht mehr ins Gewicht. Zu diesem Zeitpunkt bewegte sich die Zahl der Todesfälle wieder auf der Höhe von 2001 und hat von da an weiter zugenommen. So gesehen bietet sich das Jahr 2003 als ein Kulminationspunkt in doppelter Hinsicht an. Zum einen wurden Sterbefälle vorweggenommen, die sonst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten wären. Zum andern zeigt aber die Entwicklung der Jahre vor 2003 mit überwiegend sinkenden Sterbefallzahlen, dass hier auch Todesfälle »nachgeholt« wurden, die dann unter den besonderen Bedingungen des Ausnahmejahres eingetreten sind. Erste Anzeichen hierfür finden sich im vergleichsweise hohen Ergebnis des Jahres 2002. Das erklärt auch den doch eindrucksvollen Rückgang der Sterbefallzahlen ebenso wie der Sterberate im Jahre 2004, in dem eben diese Sterbefälle nicht mehr eintreten konnten.