:: 8/2011

Zusammengefasste Geburtenziffern in den Regionen Europas 2008

Baden-Württemberg weist wie Deutschland insgesamt seit mehr als 30 Jahren ein anhaltend niedriges Geburtenniveau auf. Ein Vergleich mit den verschiedenen Regionen Europas zeigt, dass die vier Regierungsbezirke des Landes heute mit Blick auf die Geburtenhäufigkeit im unteren Drittel der europäischen Rangliste platziert sind. Zugleich lässt sich deutlich eine geografisch markante »demografische Zweiteilung« in Europa mit Regionen höherer und niedrigerer Geburtenhäufigkeiten erkennen1.

Zusammengefasste Geburtenziffer: Indikator für das Geburtenverhalten

Die »Zusammengefasste Geburtenziffer« ist eine der wichtigsten demografischen Kennziffern. Diese Kennziffer gibt die Zahl der Kinder an, die eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommen würde, wenn ihr Geburtenverhalten so wäre wie das aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren im jeweils betrachteten Jahr und der jeweils betrachten Region. Die Berechnung erfolgt so, dass alle in einem bestimmten Jahr Geborenen nach dem Altersjahr der Mutter sortiert werden. Für jedes Altersjahr wird einzeln berechnet, wie hoch der Anteil der Frauen ist, die im Beobachtungsjahr ein Kind bekommen haben. Für jedes Altersjahr ergibt sich damit eine altersspezifische Geburtenziffer. Diese Ziffern werden addiert; das Ergebnis ist die »Zusammengefasste Geburtenziffer«. Für diesen Indikator sind auch andere Bezeichnungen gebräuchlich. Eurostat spricht zum Beispiel von der »Gesamtfruchtbarkeitsrate«. Das ist die deutsche Übersetzung des bekannten englischen Fachbegriffs »Total Fertility Rate« (TFR). Der Kürze halber wird im Folgenden die Abkürzung »TFR« verwandt.

Die TFR müsste einen Wert von 2,1 annehmen, wenn die nächste Generation – wenn man von Wanderungseinflüssen absieht – genauso groß sein soll wie die jetzige. Eine TFR unter 2,1 weist also auf eine schrumpfende Bevölkerung hin, Werte von über 2,1 auf eine wachsende. Die TFR ist damit eine der beiden Komponenten, die die tatsächliche Geburtenzahl beeinflussen. Die andere Komponente ist die Anzahl der Frauen im gebärfähigen Alter (15 bis unter 50 Jahre). Diese Anzahl ist die Strukturkomponente des generativen Verhaltens, während die TFR die Verhaltenskomponente abbildet – wobei das generative Verhalten der potenziellen Mütter seinerseits von verschiedenen Komponenten abhängt. Ganz entscheidend ist, dass in der Regel Frauen sich nur dann zur Mutterschaft entschließen, wenn sie sich auf ihren Partner verlassen und sie ihre familiären mit ihren beruflichen Aufgaben und Zielsetzungen verbinden können.

Geburtenverhalten in Baden-Württemberg deutlich unter dem EU-Durchschnitt

Die TFR lag im Jahr 2008 in der gesamten Europäischen Union (= EU-27) bei 1,60. Deutschland wies einen deutlich niedrigeren Wert von 1,38 auf. Die TFR in Baden-Württemberg lag mit 1,37 nur geringfügig unter diesem gesamtdeutschen Durchschnittswert. Daten für 2009 liegen für die EU-27 noch nicht vor, sehr wohl aber für Deutschland und seine Länder: Die TFR ging bundesweit leicht auf 1,36 zurück. In Baden-Württemberg war die Entwicklung gleich. Hier sank die TFR auf 1,35. Im Zeitverlauf ist dabei folgender Trend zu beobachten: In den 27 Staaten, die die heutige EU bilden, lag die TFR Anfang der 1960er-Jahre zusammen genommen bei ca. 2,5. Bis 1993 sank sie auf etwa 1,5 und blieb seitdem im EU-Durchschnitt etwa auf diesem Niveau. In 26 von 27 EU-Mitgliedsstaaten wurde 2008 das stabile Reproduktionsniveau von 2,1 nicht erreicht. Nur Irland erreichte knapp diesen Wert. In 15 von 27 Mitgliedsstaaten lag die TFR unter 1,52

Baden-württembergische NUTS II-Regionen europaweit im unteren Drittel

Wie sieht dies aber auf regionaler Ebene aus? Die thematische Karte zeigt die TFR des Jahres 2008 auf Ebene der NUTS II-Regionen3.

Die europaweit niedrigste Fruchtbarkeitsziffer lag im Jahr 2008 bei 1,1 in der spanischen Region Asturien. Die höchsten Werte wurden in den überseeischen Gebieten Frankreichs gemessen: In Guayana lag die TFR bei 3,6. Hohe Werte von 2,3 bis 3,5 traten auch in den ehemaligen französischen Kolonien Réunion, Guadeloupe und Martinique sowie den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla auf.4

Von den vier NUTS II-Regionen Baden-Württembergs (Regierungsbezirke) lagen Stuttgart und Freiburg mit 1,39 etwa im Bundesdurchschnitt (1,38). Nur leicht höher fiel die TFR in der Region Tübingen mit 1,41 aus, während sie in der Region Karlsruhe durchaus nennenswert niedriger war (1,33). Die niedersächsische Region Weser-Ems wies 2008 mit 1,49 die bundesweit höchste TFR aller deutschen NUTS II-Regionen auf.5 Sie lag damit aber wie auch die baden-württembergischen Regierungsbezirke deutlich unter dem EU-27-Mittel von 1,6. Die Regierungsbezirke Stuttgart, Freiburg und Tübingen finden sich in etwa gleichauf mit Österreich (1,41), Lettland, Litauen und Polen (1,39) sowie in Deutschland mit Nordrhein-Westfalen, Sachsen- Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Ähnlich niedrige Werte wie der Regierungsbezirk Karlsruhe haben auf Ebene der Staaten die Slowakei (1,32), Ungarn und Rumänien (1,35). Unter allen hier dargestellten Regionen Europas befinden sich diejenigen aus Baden-Württemberg im unteren Drittel der gesamten Rangliste.

Auf relativ günstige demografische Werte können Frankreich (2,01, ohne Überseeterritorien: 1,99), Großbritannien (1,96), die skandinavischen Länder Dänemark (1,89), Schweden (1,91), Finnland (1,85) und vor allem Irland (2,10) verweisen. Auf der NUTS II Ebene gibt es besonders niedrige Fruchtbarkeitsraten einerseits in den städtischen Zentren, so zum Beispiel in Berlin, Hamburg und Prag, aber auch in peripheren Regionen, so beispielsweise auf Sardinien und im österreichischen Burgenland.

Demografische Zweiteilung Europas

  • Die wichtigsten Ergebnisse der Darstellung sind aber andere:
  • 1. Im gesamten Nordwesten Europas, also in den skandinavischen Ländern, Island, Großbritannien, Frankreich sowie den Benelux-Ländern gibt es noch relativ günstige Fruchtbarkeitsziffern, die über dem EU-Durchschnittswert von 1,60 liegen.
  • 2. Die Werte der südlichen Regionen (Spanien, Portugal, Italien, Slowenien, Mazedonien, Griechenland und Malta) liegen ebenso wie die der östlichen Regionen (Baltikum, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien) und die der Regionen der Mitte (Deutschland, Österreich, Schweiz) fast ausnahmslos unter dem erwähnten EU-Durchschnitt von 1,60.
  • 3. Europa ist somit demografisch zweigeteilt: in einen Nordwestgürtel einerseits, die Regionen des Südens, des Ostens und der Mitte Europas einschließlich Deutschlands andererseits.
  • 4. Die Fruchtbarkeitsziffern unterscheiden sich regional zwar stark, aber die Unterschiede der Regionen innerhalb eines Staates sind immer deutlich geringer als die Unterschiede zwischen den Staaten. Alle NUTS-II-Regionen Deutschlands werden hier zum Beispiel in nur zwei Größenklassen, und zwar die beiden niedrigsten, untergliedert. Auch Weser-Ems als »fruchtbarste« Region Deutschlands liegt klar unter dem EU-Durchschnitt und fällt noch in die zweitniedrigste von sieben Größenklassen.

Fazit

Für die Zukunft bedeutet dies unter anderem, »dass es in Estland, Lettland und Litauen sowie in den meisten Regionen Bulgariens, Rumäniens, Deutschlands, Ungarns, Polens und der Slowakei bis zum Jahr 2030 einen Bevölkerungsrückgang geben wird.«6 Hier zeigt sich ein derzeit noch wenig beachtetes Zukunftsproblem: Der teils erhoffte (qualifizierte Arbeitskräfte), teils befürchtete (Lohndumping, »Zuzug in die Sozialsysteme«) künftig verstärkte Zuzug von Menschen aus Osteuropa nach Deutschland erfolgt aus Regionen, die oft jetzt schon dünn besiedelt sind, und in denen die Bevölkerung aufgrund einer zu niedrigen Fertilität und durch Abwanderung jetzt bereits abnimmt und voraussichtlich weiter abnehmen wird.

1 Die Analyse ist ursprünglich unter Berücksichtigung der Statistischen Regionen in Niedersachsen erschienen; vgl., Eichhorn, Lothar, Zusammengefasste Geburtenziffern in den Regionen Europas 2008, in: Statistische Monatshefte Niedersachsen, 5/2011, S. 260–263. Für den vorliegenden Beitrag wurde die Analyse redaktionell mit Blick auf die baden-württembergischen NUTS II-Regionen bearbeitet.

2 Angaben nach Eurostat, Jahrbuch der Regionen 2010, Luxemburg 2010, S. 23.

3 Die europäische, hierarchisch gegliederte NUTS-Systematik unterteilt die EU-Mitgliedsstaaten wenn möglich in kleinere regionale Einheiten und orientiert sich – soweit möglich – an den vorhandenen administrativen Strukturen. NUTS II entspricht in Deutschland den Regierungsbezirken bzw. Statistischen Regionen. Während in Baden-Württemberg die NUTS II-Regionen den vier Regierungsbezirken Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Tübingen entsprechen, sind dies beispielsweise in Niedersachsen die Statistischen Regionen Braunschweig, Hannover, Lüneburg und Weser-Ems, die dort ehemals die gleichnamigen Regierungsbezirke bildeten. Der Datenstand ist in fast allen Fällen 2008; in den Regionen, für die noch keine Daten für 2008 vorlagen (Belgien und Großbritannien), wurde auf das aktuellste verfügbare Jahr zurückgegriffen.

4 Diese Gebiete gehören zu Frankreich bzw. Spanien und damit zur EU; sie sind hier aber nicht kartiert worden. Die Mittelmeerinsel Malta ist als EU-Mitglied selbstverständlich enthalten, man kann die Insel aber nur schwer auf der Karte erkennen: Sie liegt südlich der Ostspitze Siziliens.

5 Eurostat.

6 Jahrbuch der Regionen 2010, S. 27.