:: 10/2011

Die türkische Bevölkerung in Baden-Württemberg

50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei

Am 31. Oktober 1961 wurde in Bad Godesberg das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei unterzeichnet. Eine Anwerbung war zunächst ausschließlich für Unverheiratete vorgesehen, ein Familiennachzug wurde im Abkommen ausdrücklich ausgeschlossen. Die Aufenthaltsdauer wurde auf maximal 2 Jahre begrenzt, um eine auf Dauer angelegte Einwanderung zu verhindern.1 Doch nach einer Neufassung des Abkommens im Jahr 1964 kam es ganz anders – aus den »Gastarbeitern« wurden oftmals Einwanderer: Etwa die Hälfte der zwischen 1961 und 1973 angeworbenen Arbeitskräfte blieb in Deutschland und viele von ihnen holten nach und nach ihre Familie nach.2»Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen«, so der Schriftsteller Max Frisch.3 Im Folgenden sollen ausgewählte Aspekte zur türkischen Bevölkerungsgruppe in Baden-Württemberg vorgestellt werden.

Türkische Bevölkerung bildet seit 1978 die stärkste ausländische Gruppe

1952, im Gründungsjahr des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg, lebten lediglich knapp 200 Personen mit einer türkischen Staatsangehörigkeit im Südwesten. Der Anteil an der ausländischen Bevölkerung war damit verschwindend gering (0,3 %). Und auch bis zum Abschluss des Anwerbeabkommens im Jahr 1961 hat sich daran nur wenig geändert. In den folgenden Jahrzehnten ist aber die Zahl der türkischen Mitbürgerinnen und -bürger in Baden-Württemberg enorm angestiegen. 1978 wurden sie erstmals die stärkste ausländische Bevölkerungsgruppe – vor Personen mit ehemals jugoslawischer und mit italienischer Staatsangehörigkeit. 1997 erreichte die türkische Bevölkerung mit annähernd 360 000 Personen ihren bisherigen Spitzenwert.

Seit 1998 ist die Bevölkerung mit türkischer Staatsangehörigkeit rückläufig, vor allem bedingt durch Einbürgerungen. Immerhin gut 100 000 Türkinnen und Türken sind seither Deutsche geworden. Damit hatte in den letzten Jahren etwa jede vierte in Baden-Württemberg eingebürgerte Person türkische Wurzeln. Dennoch war und ist die Einbürgerungsquote der türkischen Bevölkerung, also die Zahl der Einbürgerungen bezogen auf die jeweilige Bevölkerung, verglichen mit anderen Nationalitäten eher gering. Die Bevölkerungszahl mit türkischer Staatsangehörigkeit geht aber auch deshalb zurück, weil in Deutschland geborene türkischstämmige Kinder wie Kinder anderer ausländischer Nationalitäten seit dem Jahr 2000 die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, sofern ein Elternteil mindestens seit 8 Jahren seinen regelmäßigen Aufenthalt in Deutschland hat.

Schließlich hat sich in den letzten Jahren die türkische Bevölkerung auch aufgrund einer zunehmenden Rückwanderung in die frühere Heimat verringert. Während nämlich bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts der Wanderungssaldo zwischen Baden-Württemberg und der Türkei positiv war, verlassen seither per Saldo vor allem mehr ältere Menschen den Südwesten in Richtung Türkei.

Allerdings bedeutet dieser neue Trend nicht, dass damit auch verstärkt junge Menschen mit einer türkischen Staatsangehörigkeit in ihr Heimatland zurückkehren. Im Gegenteil: Im vergangenen Jahr sind weniger 18- bis unter 30-jährige Türken aus Baden-Württemberg in die Türkei gezogen als beispielsweise noch im Jahr 2005.4 Weil aber die Zahl der Zuzüge junger Türken aus der Türkei noch stärker als die der Fortzüge zurückgegangen ist, hat sich auch der Wanderungsgewinn in dieser Bevölkerungsgruppe verringert .

Die türkische Bevölkerung ist deutlich jünger als die deutsche. Das Durchschnittsalter liegt derzeit bei 37,9 Jahren, die Deutschen sind im Schnitt bereits 43,2 Jahre alt. Noch deutlicher werden die Unterschiede in der Altersstruktur bei Betrachtung ausgewählter Altersgruppen. Zwar beträgt der Anteil der unter 15-Jährigen bei der türkischen Bevölkerung lediglich 10 %, 5 bei der deutschen dagegen knapp 15 %. Dagegen liegt der Anteil der 65-Jährigen und älteren bei der türkischen Bevölkerung nur etwa halb so hoch wie bei den Deutschen. Im Vergleich zu den übrigen Ausländern zeigen sich bezüglich der Altersstruktur nur geringe Unterschiede.

Baden-Württemberger mit türkischem Migrationshintergrund

Vor dem Hintergrund der Einbürgerungen und des geänderten Staatsangehörigkeitsrechts ist es bei der Betrachtung der türkischen Bevölkerung in Baden-Württemberg von Interesse, nicht nur die Personen zu betrachten, die eine türkische Staatsangehörigkeit besitzen, sondern die gesamte Gruppe der Baden-Württemberger mit türkischem Migrationshintergrund. Als Personen mit Migrationshintergrund im Sinne des Mikrozensus zählen alle in Deutschland bzw. in Baden-Württemberg lebenden Ausländer und alle Deutschen mit Migrationshintergrund. Zu den Deutschen mit Migrationshintergrund gehören Spätaussiedler und Eingebürgerte sowie deren Kinder. Auch die Kinder ausländischer Eltern, die bei der Geburt zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben (nach der sogenannten »Ius Soli«-Regelung) sowie Kinder mit einseitigem Migrationshintergrund, bei denen nur ein Elternteil Migrant ist, zählen zu den Menschen mit Migrationshintergrund.

Nach dieser Definition lebten in Baden-Württemberg im Jahr 2010 rund 428 000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Dies sind rund 15 % aller Migranten in Baden-Württemberg. Während jedoch die Mehrheit der Migranten in Baden-Württemberg Deutsche sind (55 %), besitzt die überwiegende Mehrheit der Baden-Württemberger mit türkischem Migrationshintergrund (rund 72 %) nach wie vor die türkische Staatsbürgerschaft. Lediglich ein gutes Viertel (knapp 28 %) haben die deutsche Staatsbürgerschaft.

Geburtenverhalten passt sich an

Die türkischen Frauen in Baden-Württemberg bringen immer weniger Kinder zur Welt. Während die Geburtenrate 1980 noch bei annähernd 3,8 Kindern je Frau lag, sind es derzeit nur noch rund 1,7. Die durchschnittliche Zahl der Kinder je türkische Frau hat sich damit binnen 3 Jahrzehnte mehr als halbiert und liegt nur noch um etwa 0,4 Kinder über der der deutschen Frauen. Dagegen brachten türkische Frauen vor 3 Jahrzehnten im Schnitt noch fast dreimal so viele Kinder zur Welt wie deutsche Mütter.

12 600 deutsch-türkische Ehepaare

Ehen zwischen Deutschen und Ausländern werden häufiger. Der Anteil gemischtnationaler an allen Ehen, die 1970 geschlossen wurden, lag damals lediglich bei 7 %, im Jahr 2010 waren es immerhin bereits 15 %.

Bei Eheschließungen zwischen deutschen Frauen und ausländischen Männern waren solche mit türkischen Männern im Jahr 2010 am häufigsten (22 %). Ebenso kamen bei Ehen zwischen ausländischen Frauen und deutschen Männern solche mit türkischen Frauen am häufigsten vor (9 %).

Derzeit gibt es rund 12 600 deutsch-türkische Ehepaare im Südwesten. Bezogen auf die Zahl aller verheirateter Türken in Baden-Württemberg ist der Anteil deutsch-türkischer Ehepaare mit 9 % aber relativ niedrig. Verglichen mit allen anderen europäischen Staatsangehörigen ist dieser Anteil nämlich nur bei deutsch-portugiesischen und deutsch-griechischen Partnern noch geringer.

Knapp 4 % der Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen mit türkischer Staatsangehörigkeit

An den allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg wurden im Schuljahr 2010/11 insgesamt 128 261 Schülerinnen und Schüler mit ausländischer Staatsangehörigkeit unterrichtet, was einem Anteil von knapp 11 % entsprach. Die größte Gruppe unter ihnen waren die 47 376 türkischen Schülerinnen und Schüler. Damit hatten rund 37 % der ausländischen und fast 4 % aller Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen die türkische Staatsangehörigkeit.

Innerhalb der letzten 10 Jahre ist die Zahl der türkischen Schülerinnen und Schüler um nahezu ein Drittel gesunken. Im Schuljahr 2000/01 waren im Rahmen der amtlichen Schulstatistik noch 69 414 gezählt worden. Damals hatten sie noch einen Anteil von etwa 42 % an allen ausländischen Schülerinnen und Schülern. Der Gesamtanteil der Ausländer betrug noch annähernd 14 %. Ein Hauptgrund für diese Entwicklung dürfte die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 sein, die es hier geborenen Kindern ermöglicht hat, auch die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben.6

An den Grundschulen besaßen 12 601 Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2010/11 die türkische Staatsangehörigkeit. Dies war knapp ein Drittel der ausländischen und gut 3 % aller Grundschülerinnen und -schüler.

Türkische Schülerinnen und Schüler häufiger an Werkreal- und Hauptschulen, seltener an Gymnasien

An den weiterführenden Schulen sind türkische Schülerinnen und Schüler wesentlich häufiger an Werkrealschulen und Hauptschulen anzutreffen als an Gymnasien. Im Schuljahr 2010/11 besuchten 17 148 Türkinnen und Türken eine Werkreal- oder Hauptschule, 8 569 eine Realschule und 4 200 ein Gymnasium. Damit besaß fast jeder neunte Schüler einer Werkreal- oder Hauptschule die türkische Staatsangehörigkeit, aber nur jeder 82. an einem Gymnasium.

Die Verteilung der türkischen Schülerinnen und Schüler auf die einzelnen weiterführenden Schularten unterscheidet sich damit deutlich von der der deutschen. Während die Zahl der türkischen Schülerinnen und Schüler, die eine Werkreal- oder Hauptschule besuchen, vier Mal so hoch ist wie die Zahl der türkischen Gymnasiasten, ist die Zahl der deutschen Gymnasiasten drei Mal so hoch wie die der deutschen Werkreal- oder Hauptschüler.

Vergleicht man die Verteilung der türkischen Schülerinnen und Schüler mit derjenigen anderer Nationalitäten, so stellt man fest, dass sie der Verteilung der italienischen Schülerinnen und Schüler ähnelt. Allerdings gibt es auch Ausländergruppen, in denen die Anteile des Schulbesuchs deutlich anders verteilt sind. So besuchen rund 25 % der griechischen und fast 29 % der kroatischen Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen ein Gymnasium (Schaubild 6). Grundsätzlich ist dieses Verteilungsmuster in den letzten Jahren konstant geblieben. Im Vergleich zum Schuljahr 2006/07 ist allerdings festzustellen, dass bei den türkischen Schülerinnen und Schülern die Anteile der Werkreal- und Hauptschule um über 4 Prozentpunkte und der Sonderschule um 1 Prozentpunkt abgenommen haben, während die Anteile der Realschule um über 2 Prozentpunkte und des Gymnasiums um 3 Prozentpunkte angestiegen sind.7 Unter den türkischen Schülerinnen und Schülern wird damit der Trend zu höherwertigen Schulabschlüssen sichtbar.

Allerdings zeigt sich im Erwachsenenalter eine hohe Bereitschaft, allgemeinbildende Abschlüsse nachzuholen. So besaßen 2010/11 über 16 % der 2 611 Abendrealschülerinnen und -schüler die türkische Staatsangehörigkeit. Dies traf auch auf etwas mehr als 9 % der 3 506 Schülerinnen und Schüler zu, die an Abendgymnasien oder Kollegs die Hochschulreife anstrebten.

Berufliche Schulen zunehmend zum Erwerb höherer Abschlüsse genutzt

Von den 431 711 Schülerinnen und Schülern der beruflichen Schulen im Schuljahr 2010/11 waren 12 % Ausländer. Unter diesen 51 938 Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren 40 % Türkinnen und Türken. Somit besaßen mit 20 778 knapp 5 % aller Schülerinnen und Schüler der beruflichen Schulen die türkische Staatsbürgerschaft.

Zunehmend nutzen auch die türkischen Schülerinnen und Schüler die Möglichkeiten des beruflichen Schulsystems, höhere Abschlüsse zu erwerben, auch wenn nach wie vor an beruflichen Schulen, die einen höheren Bildungsabschluss vermitteln, weniger ausländische Schülerinnen und Schüler zu finden sind.8 Während im Schuljahr 2010/11 gut 13 % der deutschen Schülerinnen und Schüler beruflicher Schulen ein berufliches Gymnasium besuchten, traf dies nur auf rund 8 % der türkischen zu. Immerhin waren rund 3 % der Gymnasiasten an beruflichen Schulen Türkinnen und Türken, wogegen an allgemeinbildenden Gymnasien nur gut 1 % der Schülerinnen und Schüler die türkische Staatsangehörigkeit besaßen.

Eine gewisse Besonderheit stellten die Berufskollegs dar. Mit gut 16 % war der Anteil dieser auf dem mittleren Schulabschluss aufbauenden Schulart unter den türkischen Schülerinnen und Schülern rund 2 Prozentpunkte höher als unter den deutschen. An vielen Berufskollegs können die erfolgreichen Absolventen zusätzlich zum Berufsabschluss mit der Fachhochschulreife eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben.

Unter den türkischen Schülerinnen und Schülern war der Anteil der Berufsfachschule mit knapp 27 % fast doppelt so hoch wie unter den deutschen. Fast die Hälfte der türkischen Berufsfachschüler besuchten die 2-jährigen zur Fachschulreife führenden Berufsfachschulen, um aufbauend auf einem erfolgreichen Hauptschulabschluss einen mittleren Bildungsabschluss zu erwerben. Türkische Jugendliche nutzen damit überdurchschnittlich häufig diesen Weg zur Erlangung eines höheren Abschlusses.

Türkische Studierende überwiegend Bildungsinländer

Im Wintersemester 2010/11 waren 3 980 türkische Studierende an den Hochschulen in Baden-Württemberg eingeschrieben. Sie stellten 1,4 % der insgesamt 287 463 Studierenden und sind damit vor den Chinesinnen und Chinesen die größte Gruppe unter den ausländischen Studierenden. Von den türkischen Studierenden waren 2 960 Bildungsinländer, hatten also ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben. Nur 1 020 der im Land studierenden Türkinnen und Türken hatten ihre Hochschulzugangsberechtigung aus dem Ausland mitgebracht. Dass nahezu drei Viertel ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben hatten, ist unter den ausländischen Studierenden eine Ausnahme.

Die beliebteste Fächergruppe unter den türkischen Studierenden sind die Ingenieurwissenschaften mit einem Anteil von 32 %, gefolgt von Mathematik und Naturwissenschaften mit fast 27 % und den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit gut 25 %. Jeder neunte türkische Studierende hatte sich in den Sprach- und Kulturwissenschaften eingeschrieben. Die anderen Fächergruppen9 hatten nur eine untergeordnete Bedeutung. Diese Verteilung der Fächergruppen unterscheidet sich auffallend von der Gesamtverteilung: 30 % aller Studierenden hatten im Wintersemester 2010/11 einen Studiengang in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften belegt, 21 % in den Ingenieurwissenschaften, 19 % in Mathematik und Naturwissenschaften und gut 17 % in den Sprach- und Kulturwissenschaften. Türkische Studierende bevorzugen demnach deutlich stärker die sogenannten MINT-Studiengänge.10

Diese Vorliebe für naturwissenschaftlich-technische Studiengänge ist auch auf eine höhere Beteiligung weiblicher Studierender in diesen Fächern zurückzuführen. So war im Wintersemester 2010/11 ein Viertel der türkischen Studierenden in den Ingenieurwissenschaften weiblich. Insgesamt traf dies nur auf ein Fünftel aller Studierenden der Ingenieurwissenschaften zu. Auch in Mathematik und Naturwissenschaften lag der Anteil der Studentinnen unter den türkischen Studierenden mit gut 40 % über dem Durchschnitt aller Studierenden dieser Fächergruppe, der bei etwas weniger als 37 % lag. Insgesamt waren allerdings nur knapp 42 % aller türkischen Studierenden weiblich. Ihr Anteil war damit rund 5 Prozentpunkte geringer als bei der Gesamtzahl der Studierenden.

Fast jeder vierte ausländische Beschäftigte hatte 2010 einen türkischen Pass

Zur Jahresmitte 2010 waren im Südwesten rund 3,9 Mill. Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt (siehe i-Punkt). Von den insgesamt rund 416 000 ausländischen Arbeitnehmern besaßen knapp 99 000 oder fast jeder vierte Beschäftigte einen türkischen Pass. 69 400 bzw. 70 % davon waren Männer und 29 500 oder 30 % Frauen. Unter den türkischen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten waren Frauen damit eher selten vertreten. Bei den Beschäftigten aller anderen ausländischen Nationalitäten lag der Frauenanteil mit 41 % dagegen fast genauso hoch wie in der deutschen Belegschaft (46 %).

Mehr als die Hälfte der türkischen Beschäftigten arbeiteten in Fertigungsberufen

Fertigungsberufe sind bei türkischen Mitarbeitern sehr viel beliebter als bei den übrigen ausländischen Beschäftigten und vor allem auch bei den deutschen Kollegen. Insgesamt arbeiteten im Jahr 2010 rund 55 % der Beschäftigten mit türkischer Nationalität in einem Fertigungsberuf. Bei den übrigen ausländischen Beschäftigten waren es lediglich 41 %, bei den deutschen Beschäftigten sogar nur 26 %.

Besonders häufig arbeiteten türkische Beschäftigte als Montierer, Metallarbeiter, Schlosser und Mechaniker. Aber auch als Hilfsarbeiter, die definitionsgemäß ebenfalls zu den Fertigungsberufen gezählt werden, waren türkische Mitarbeiter fast vier Mal so häufig anzutreffen als ihre deutschen Kollegen. Diese Handwerksberufe sind vorwiegend in der Industrie gefragt, so dass die türkischen Beschäftigten mit einem Beschäftigungsanteil von 50 % in diesem Wirtschaftssektor überdurchschnittlich vertreten sind. Die entsprechenden Werte bei den übrigen Ausländern und den deutschen Beschäftigten lagen mit 39 bzw. 38 % deutlich niedriger.

Demgegenüber übten türkische Mitarbeiter insgesamt seltener einen Dienstleistungsberuf aus. Mit einem Anteil von 41 % lag die Quote um 10 Prozentpunkte unter dem Wert der übrigen ausländischen Beschäftigten (51 %) und deutlich niedriger als in der deutschen Belegschaft. Hier waren insgesamt 62 % in einem Dienstleistungsberuf tätig.

Auch innerhalb der ausgeübten Dienstleistungstätigkeiten sind Unterschiede zu beobachten. So werden bei den türkischen Mitarbeitern die sogenannten allgemeinen Dienstleistungsberufe, wie etwa Reinigungsberufe oder aber auch Verkehrsberufe wie zum Beispiel Lagerverwalter oder Transportarbeiter häufiger ausgeübt, während bei den deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufe besonders beliebt sind.

Qualifikation der türkischen Arbeitnehmer verbessert

Der Strukturwandel sowie die fortschreitende Technisierung der Arbeitsprozesse hatten bereits in der Vergangenheit zu einem deutlichen Anstieg qualitativ höherwertiger Arbeitsplätze geführt. Im Zuge des internationalen Wettbewerbs wird sich dieser Prozess weiter fortsetzen, sodass Aus- und Weiterbildung der Belegschaft immer stärker an Bedeutung gewinnen. Allein in den letzten 10 Jahren hat sich das Ausbildungsniveau der Beschäftigten insgesamt, aber insbesondere auch das der türkischen Kolleginnen und Kollegen deutlich verbessert. Von den im Jahr 2010 gut 75 000 türkischen Beschäftigten, für die eine Angabe zur Berufsausbildung vorlag, hatten 40 % eine abgeschlossene Lehre. 10 Jahre zuvor hatte der entsprechende Wert lediglich 31 % betragen. Die Quote der Fachhochschul- und Hochschulabsolventen erhöhte sich in den letzten 10 Jahren von 1 auf 2 %. Auch der Anteil der türkischen Beschäftigten ohne Berufsausbildung ging in der letzten Dekade um 11 Prozentpunkte auf 58 % zurück.

Trotz dieses Aufholprozesses ist die berufliche Qualifikation der ausländischen Arbeitnehmer und insbesondere auch der türkischen Beschäftigten dennoch spürbar geringer als die der deutschen Arbeitskollegen. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit deutscher Staatsangehörigkeit, für die eine Angabe zur Ausbildung vorliegt, besaßen 2010 lediglich 18 % keine Berufsausbildung. Damit war die Quote der türkischen Kollegen ohne Berufsausbildung aktuell mehr als drei Mal so hoch. Umgekehrt lag der Akademikeranteil unter den türkischen Beschäftigten um fast 12 Prozentpunkte unter dem der deutschen Arbeitnehmer.

Selbstständige mit türkischer Staatsangehörigkeit

In Baden-Württemberg gab es im Jahr 2010 insgesamt rund 552 000 Selbstständige. Zu den Selbstständigen zählen einerseits die Personen, die ein Unternehmen oder einen Betrieb als Eigentümer oder Pächter leiten. Aber auch die selbstständigen Handwerker und die freiberuflich Tätigen wie Rechtsanwälte, Ärzte und Architekten zählen zur Gruppe der Selbstständigen. Gut 53 000 baden-württembergische Selbstständige, das heißt jeder zehnte hat eine ausländische Staatsbürgerschaft. Von diesen wiederum sind gut 9 000 (knapp 18 %) Türken.

Türkische Staatsangehörige leben überwiegend in Städten

Innerhalb des Landes verteilt sich die türkische Bevölkerung sehr unterschiedlich auf die einzelnen Stadt- und Landkreise. Sie konzentriert sich auf die stärker verdichteten, industriell geprägten Teilräume des Landes. Am stärksten vertreten ist sie – gemessen an der Gesamtbevölkerung – in den Stadtkreisen Heilbronn, Mannheim und Pforzheim. Am geringsten sind die Anteile in den eher ländlich geprägten Landkreisen Emmendingen, Breisgau-Hochschwarzwald und im Hohenlohekreis sowie im Stadtkreis Freiburg im Breisgau. Gemessen an der ausländischen Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil der türkischen Mitbürger im Landkreis Heilbronn mit über 40 % am höchsten, in Freiburg im Breisgau mit nur 8 % am niedrigsten.

Dynamische Handelsbeziehungen mit der Türkei

Obwohl die Bemühungen der Türkei um eine Vollmitgliedschaft in der EU bisher nicht von Erfolg gekrönt sind, waren die bilateralen Handelbeziehungen zwischen Deutschland bzw. Baden-Württemberg und der Türkei auf mittlere Sicht von einer überdurchschnittlichen Dynamik geprägt. So haben sich die baden-württembergischen Ausfuhren in die Türkei binnen 2 Jahrzehnten von 0,64 Mrd. Euro im Jahr 1990 auf 2,46 Mrd. Euro im Jahr 2010 – bei einem gleichzeitigen Anstieg der Gesamtexporte um 169 % – nahezu vervierfacht. Auch einfuhrseitig betrug der Zuwachs im gleichen Zeitraum leicht überdurchschnittliche 232 %.

Unter den wichtigsten baden-württembergischen Handelspartnern nimmt die Türkei damit derzeit bei den Exporten Rang 16 und bei den Importen den 18. Platz ein. Aus türkischer Sicht ist Deutschland sogar das mit Abstand wichtigste Abnehmerland von ausgeführten Waren, und hinter Russland liegt es auch als Herkunftsland der türkischen Importe auf dem zweiten Platz. Selbst das Bundesland Baden-Württemberg fände sich als eigenständiger Staat in beiden Handelsrichtungen noch unter den Top 20 der wichtigsten türkischen Handelpartner.

Allerdings sind die Handelbeziehungen weiterhin von einem deutlichen Ungleichgewicht geprägt, denn die baden-württembergischen Ausfuhren in die Türkei übertrafen 2010 mit 2,46 Mrd. Euro die Einfuhren aus der Türkei von 1,42 Mrd. Euro deutlich. Darin spiegeln sich nicht zuletzt die unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen wider, die sich wiederum in der Art der jeweils ausgeführten Waren niederschlagen. So dominieren bei den baden-württembergischen Ausfuhren in die Türkei mit einem Wertanteil von zusammen 61,5 % im Jahr 2010 Kraftwagen (einschließlich Teilen) und Maschinen deutlich, zwei Warengruppen also, hinter denen sich technisch anspruchsvolle und daher auch vergleichsweise hochpreisige Produkte verbergen.

Die Einfuhren aus der Türkei verteilen sich demgegenüber deutlich breiter über die verschiedenen Produktgruppen. Mit einem weit überdurchschnittlichen Anteil von 35,3 % in den Bereichen Textilien und Bekleidung (Anteil an den Gesamtimporten 3,5 %) wird jedoch ein traditioneller Schwerpunkt der türkischen Industrie deutlich erkennbar. Auch die Einfuhren von Nahrungs- und Futtermitteln haben mit 6,8 % im Jahr 2010 eine relativ starke Bedeutung. Insgesamt scheinen die Einfuhren aus der Türkei im Vergleich zu den Ausfuhren dorthin damit deutlich stärker von Massenprodukten geprägt, für die je Einheit nur ein vergleichsweise niedriger Preis erzielt werden kann.

Fazit: Türkische Bevölkerung bereichert das Land, weist aber noch Integrationsdefizite auf

Die türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sind in den letzten Jahrzehnten zu einem festen Bestandteil der baden-württembergischen Gesellschaft geworden. Die Türkinnen und Türken haben wie auch andere ausländische Bevölkerungsgruppen das Land bereichert – nicht nur mit ihrer Arbeitskraft, sondern auch kulturell. Viele haben hier eine zweite Heimat gefunden. Über 22 000 Mitbürger in Baden-Württemberg mit einer türkischen Staatsangehörigkeit leben seit über 40 Jahren in Deutschland; im Durchschnitt sind es immerhin 24 Jahre. Viele Kinder von »Gastarbeitern« sind hier aufgewachsen und des »Schwäbischen« oder »Alemannischen« mächtiger als der Sprache ihrer Eltern. Ein Beispiel hierfür ist der türkischstämmige Kabarettist Bülent Ceylan mit seinem kurpfälzischen Dialekt.

Bei der Integration der türkischen Bevölkerung werden allerdings Defizite kritisiert, die sich – wie gezeigt – nicht zuletzt in einem unterdurchschnittlichen Anteil Jugendlicher an Gymnasien widerspiegeln. Eine Ursache für die mangelnde Integration wird darin gesehen, dass bis in die 1990er-Jahre nicht von einem dauerhaften Verbleib der Zuwanderer ausgegangen wurde, sodass entsprechende Reformen erst spät kamen.11

Unabhängig von den Gründen für die derzeitige Situation erscheint aber eine pauschale Bewertung als »gelungene« oder »misslungene« Integration nicht möglich. Hierzu ist die Lebenssituation der Türken zu heterogen, nicht zuletzt zwischen den »typischen« Arbeitsmigranten der ersten Generation und der ihrer Kinder (»zweite Generation«).12

Unbestreitbar ist, dass das Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen am ehesten erfolgreich ist, wenn eine gemeinsame Basis demokratischer Grundregeln für den Umgang miteinander vorhanden ist. »Dazu gehört das Bekenntnis der Zuwanderer zum demokratischen Rechtsstaat, zur Verfassung und den Grund- und Menschenrechten. Integration erfordert außerdem, dass sich die Aufnahmegesellschaft auf Zuwanderer und ihre Nachkommen einlässt. Sie muss ihnen Chancen eröffnen, Wurzeln zu schlagen und heimisch zu werden, ohne ihre kulturelle Identität oder ihre religiöse Überzeugungen preisgeben zu müssen.«13 In den einzelnen Bundesländern werden sowohl von den Landesregierungen als auch von anderen Institutionen und Gruppierungen vielfältige Anstrengungen unternommen, um diesen Integrationsprozess zu unterstützen. Eines der aktuellsten Beispiele hierfür ist die Gründung eines Ministeriums für Integration in Baden-Württemberg.