:: 10/2011

125 Jahre Automobil

Bedeutung der Automobilindustrie für die Wirtschaft Baden-Württembergs im Spiegel der Umsatzsteuerstatistik

Das Automobil feiert in diesem Jahr seinen 125. Geburtstag. Dies soll zum Anlass genommen werden, in diesem Beitrag die Erfolgsgeschichte des Automobils in Baden-Württemberg aufzuzeigen. Die Basis dafür stellt die Umsatzentwicklung in der baden-württembergischen Automobilindustrie seit dem Jahr 1954 dar. Bis heute hat die Branche ein beachtliches Umsatzwachstum erfahren. Im Jahr 2008 betrug der Umsatz mit Automobilen und deren Zubehörteilen in Baden-Württemberg 127,3 Mrd. Euro. Verglichen mit den anderen Bundesländern liegt Baden-Württemberg damit auf Platz eins und kann zu Recht als Automobilland bezeichnet werden.

Erfindung des Automobils im Jahr 1886

Carl Benz, ein junger Ingenieur aus Karlsruhe, hatte Ende des 19. Jahrhunderts eine Vision. Er träumte davon, dass Menschen in »pferdelosen Wagen«, angetrieben durch einen Motor, über die Straßen rollten. Bis dorthin sollte es allerdings ein langer und beschwerlicher Weg sein. Neben zahlreichen finanziellen Problemen aufgrund hoher Entwicklungsaufwendungen fand seine Idee auch wenig Anklang in der Bevölkerung. Carl Benz ließ sich davon jedoch nicht beirren und arbeitete weiter hartnäckig an der Umsetzung seiner Vision. Am 29. Januar 1886 war es dann endlich soweit: Carl Benz meldete seine Erfindung beim Reichspatentamt an. Es handelte sich dabei um ein dreirädriges Fahrzeug mit Verbrennungsmotor und elektrischer Zündung1 – das erste Automobil der Welt.

Die Skepsis in der Bevölkerung war jedoch weiterhin groß. Viele Menschen hatten Angst vor der neuen Technik und sahen keine Notwendigkeit für ein solches Fortbewegungsmittel. Auch der damalige Kaiser Wilhelm II. glaubte nicht an den Erfolg des Automobils, was er folgendermaßen zum Ausdruck brachte: »Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung«.2In den ersten Jahren nach der Erfindung schien er mit seiner Aussage auch tatsächlich Recht zu haben, denn die Nachfrage nach dem neuen Fortbewegungsmittel war gering. In 6 Jahren wurden nur 25 Stück abgesetzt.3 Dies hatte vor allem folgende Gründe:

Das Auto war damals ein Luxusgut, das sich nur wenige leisten konnten.

Zum Zeitpunkt seiner Erfindung war das Auto technisch noch nicht voll ausgereift. Beispielsweise war der Motor so schwach, dass der Wagen an Steigungen geschoben werden musste.4

Erst durch weitere Innovationen, die in Verbindung mit dem Automobil standen, konnte das Auto an Attraktivität gewinnen. So führte zum Beispiel Henry Ford im Jahr 1913 die Fließbandproduktion ein, wodurch die Kosten für ein Automobil erheblich gesenkt werden konnten. Das Auto wurde dadurch für eine breitere Kundenschicht erschwinglich. Auch die Hochspannungszündung von Robert Bosch, welche die Motorleistung deutlich verbessern konnte, war ein wichtiger Meilenstein in der Erfolgsgeschichte des Automobils.

Nach Erfindung des Automobils fehlte zunächst auch die notwendige Infrastruktur, wie zum Beispiel Straßennetze, Tankstellen, Verkehrsschilder und Verkehrsregeln. Ohne diese Infrastruktur war die Nutzung des Automobils nur eingeschränkt möglich (siehe i-Punkt Seite).

Beachtliche Umsatzentwicklung bereits zwischen 1954 und 1964

Die eigentliche Erfolgsgeschichte des Automobils begann in Deutschland und damit auch in Baden-Württemberg erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit Einsetzen des »Wirtschaftswunders«. Währungsreform, Marshall-Plan und hohe Exportüberschüsse bescherten der deutschen Wirtschaft einen unerwarteten Aufschwung, von dem auch die Automobilindustrie profitierte. Denn mit zunehmendem Wohlstand konnten sich immer mehr Menschen ein Auto leisten. Der Besitz eines Automobils brachte eine bisher nicht bekannte Mobilität, und verdeutlichte der Umwelt, dass der Besitzer am Aufschwung partizipierte.

1955, das als wachstumsstärkstes Jahr der deutschen Geschichte gilt, vergrößerte sich der Kfz-Bestand in Deutschland um 19 %5 Am 5. August 1955 wurde der einmillionste VW-Käfer verkauft, womit er zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders wurde.6 Aber auch die baden-württembergischen Autobauer konnten mit zahlreichen innovativen Produkten ihre Position auf dem deutschen Automobilmarkt stärken. Die Daimler-Benz AG hatte seit 1945 mit ihrer Nachkriegsproduktion begonnen und zahlreiche Nutz- und Personenkraftwagen auf den Markt gebracht.7

Insgesamt wurde im Jahr 1954 in Baden-Württemberg mit der Herstellung von Kraftfahrzeugen und deren Zubehörteilen ein steuerbarer Umsatz8 in Höhe von 970 Mill. Euro erreicht. Zusammen mit den Umsätzen, die durch den Handel und die Reparatur von Kraftfahrzeugen erzielt wurden (72 Mill. Euro), waren das knapp 4 % vom baden-württembergischen Gesamtumsatz. Innerhalb der nächsten 10 Jahre stiegen die Umsätze von Herstellern, Teilelieferanten sowie Betrieben des Handels und der Reparatur von Automobilen rasant an. 1964 lag der Anteil dieser Umsätze am Gesamtumsatz bereits bei knapp 8 % (siehe i-Punkt).

Zwischen 1954 und 1964 ist der steuerbare Umsatz insgesamt in Baden-Württemberg um etwa 41 Mrd. Euro von rund 26,7 Mrd. Euro auf rund 67,8 Mrd. Euro gestiegen, und damit um das 1,5-fache. Im Vergleich dazu nahm der Umsatz mit der Herstellung von Kraftfahrzeugen und deren Zubehörteilen um das 3-fache zu, das heißt, das Wachstum in der Automobilindustrie war doppelt so hoch wie in Baden-Württemberg insgesamt.

Bisheriger Umsatzrekord im Jahr 2007

In den Jahren 1966/67, als es zur ersten schweren Rezession nach dem Krieg kam, war das deutsche Wirtschaftswunder beendet. Die Rezession führte zu einem Rückgang bei den Zulassungen von Automobilen. Die deutschen, insbesondere die baden-württembergischen Automobilhersteller versuchten jedoch, die Produktionszahlen weitgehend aufrecht zu erhalten, um Beschäftigungsverluste zu verhindern. Die überschüssigen Produkte wurden entweder exportiert oder als Bestände verbucht.9 So hat die Automobilindustrie in Baden-Württemberg, aber auch in Deutschland insgesamt, diese Krise ohne signifikante Umsatzeinbußen überstanden.

In den folgenden Jahren kam es in Baden-Württemberg erneut zu einem hohen Umsatzwachstum. 1970 lag der Umsatz in der Automobilindustrie bereits bei 8 Mrd. Euro. Bis 1980 legte der Umsatz um gut 160 % zu und betrug dann rund 21 Mrd. Euro. 1990 konnte die Automobilindustrie einen Umsatz in Höhe von knapp 45 Mrd. Euro verzeichnen. Auch in den 90er-Jahren war ein Ende des Umsatzwachstums nicht in Sicht. Bis zum Jahr 2000 war der Umsatz auf 107,5 Mrd. Euro angestiegen.

Der bisher maximale Umsatz in Höhe von 133,3 Mrd. Euro wurde im Jahr 2007 erreicht, bevor es im Zuge der Wirtschaftskrise zu einem Einbruch in der Automobilindustrie kam. Im Krisenjahr 2009 war der Umsatz mit Automobilen und deren Zubehörteilen auf knapp 92 Mrd. Euro geschrumpft. Noch schwerwiegendere Folgen der Krise für die Automobilindustrie, wie etwa die Entlassung zahlreicher Arbeitskräfte, konnten durch die Abwrackprämie und die Kurzarbeitsregelung verhindert werden. Von diesen Maßnahmen profitiert die Automobilindustrie jetzt im Aufschwung, da sie auf ein erfahrenes Arbeitskräftereservoir zurückgreifen kann und nicht erst neue Mitarbeiter einstellen muss.

Zahlreiche Gründe für das anhaltend hohe Wachstum

Bereits im Jahr 1967 kam es in der Automobilindustrie zu ersten Sättigungstendenzen. Nur noch ca. 15 % der Neuzulassungen waren Erstkäufe, der Rest Ersatzanschaffungen.10 Wie ist es also möglich, dass in der Automobilindustrie bis heute ein derart hohes Umsatzwachstum zu verzeichnen ist? Wesentliche Gründe hierfür sind:

  • Tendenz zum Zweitwagen: Die Zunahme der Erwerbstätigenquote bei Frauen und die gestiegenen Anforderungen an die Mobilität allgemein haben dazu geführt, dass sich Haushalte zunehmend einen Zweitwagen anschaffen. Wenn zudem Kinder nach dem Führerschein ein eigenes Auto bekommen, fällt die Zahl der Autos pro Haushalt noch größer aus.
  • Internationalisierung: Die großen Automobilhersteller haben in den vergangenen Jahren sukzessive neue Auslandsmärkte mit hohem Wachstumspotenzial, wie zum Beispiel China oder den Nahen Osten, erschlossen und so zusätzliche Absatzmöglichkeiten geschaffen.
  • Auto als Statussymbol: Das Auto wird von vielen Menschen heute nicht mehr nur als nützliches Gebrauchsgut betrachtet, sondern auch als Statussymbol. Dies hat zur Folge, dass die Kunden bereit sind, für ausgewählte Modelle höhere Preise zu bezahlen.
  • Modellpolitik der Hersteller: Der rasante technische Fortschritt macht es den Automobilherstellern möglich, in immer kürzeren Abständen, neue oder verbesserte Produkte auf den Markt zu bringen. Auf diese Weise werden für den Kunden ständig neue Kaufanreize geschaffen.

Positive Effekte für zahlreiche andere Wirtschaftsbereiche

Die heutigen Automobilhersteller sind über Zulieferbeziehungen mit vielen anderen Unternehmen verbunden. Das Ausmaß dieser Verflechtungen wird an der geringen Fertigungstiefe bei den Automobilherstellern deutlich. Aktuell beträgt diese in Deutschland 25 %11, das heißt 75 % der PKW-Erstellung werden von anderen Unternehmen erbracht. Dies bedeutet, dass zahlreiche Komponenten eines Automobils von den Herstellern nicht selbst gefertigt, sondern fremdbezogen werden. Wichtige Zulieferprodukte sind zum Beispiel: Lichtmaschinen, Zündkerzen, Zündkabel, Bremsen, Getriebe, Achsen, Räder, Sicherheitsgurte, Airbags, Türen, Stoßstangen und Sitze. Die Herstellung dieser Produkte wird in der amtlichen Statistik neben der Herstellung von Kraftwagen, Kraftwagenmotoren und Karosserien ebenfalls der Automobilindustrie zugeordnet.12 Darüber hinaus gibt es noch weitere Produkte, die als Vorleistungen in die Automobilproduktion einfließen, deren Herstellung laut Klassifikation der Wirtschaftszweige 2008 aber nicht zur Automobilindustrie, sondern zu anderen Wirtschaftsbereichen zählt.

Wichtige Zulieferprodukte dieser Art sind:

  • Beleuchtungseinrichtungen für Kfz
  • Kolben, Kolbenringe und Vergaser
  • Fahrzeugbatterien
  • Pumpen für Kfz und Motoren
  • Bereifungen
  • Gummierzeugnisse
  • Windschutzscheiben, Fenster und Rückspiegel.

Im Folgenden soll die Entwicklung der Zulieferindustrie in Baden-Württemberg näher betrachtet werden. Herangezogen werden die Umsätze derjenigen Zulieferprodukte, die erhebungstechnisch in den Automobilsektor fallen. Betrug der Umsatz mit diesen Zulieferprodukten 1990 lediglich rund 13 % vom Gesamtumsatz der Automobilindustrie, so lag dieser Anteil im Jahr 2005 bei fast 40 % Der steigende Prozentsatz deutet darauf hin, dass die Umsätze der Automobilzulieferer stärker gestiegen sind als die der Automobilhersteller. Das Umsatzplus der Zulieferer resultiert jedoch nicht nur daraus, dass die Hersteller von Automobilen vermehrt Teile fremd beziehen. Auch wurden in den letzten Jahren die Produkte der Zulieferer zunehmend komplexer, sodass dafür immer höhere Preise erzielt werden konnten.

Die enge Verflechtung mit den Automobilherstellern schafft für die Zulieferbetriebe eine Abhängigkeit sowohl im positiven wie auch negativen Sinne: Sind die Absatzzahlen der Automobilhersteller hoch, profitieren auch die Zulieferer, da dann eine hohe Nachfrage nach Zulieferprodukten besteht. Andererseits hat die vergangene Wirtschaftskrise gezeigt, dass ein Nachfrageeinbruch auf dem Automobilmarkt auch die Zulieferindustrie trifft und dort zahlreiche Arbeitsplätze gefährden kann.

Fazit

Die Erfindung des Automobils hat die Wirtschaft Baden-Württembergs nachhaltig beeinflusst. Erfolgte die Automobilproduktion anfangs noch in Betrieben des Handwerks, so entstand im Zuge der Massenfertigung ein ganz neuer Industriezweig, der sich der Herstellung von Automobilen widmete. Heute gilt die Automobilindustrie als umsatzstärkste Industriebranche in Baden-Württemberg und ist somit eine Schlüsselbranche des Landes. Zur Automobilindustrie zählen neben den Herstellern auch die zahlreichen Zulieferbetriebe, die sich vor allem im Raum Stuttgart, aber auch im übrigen Baden-Württemberg angesiedelt haben. Insgesamt gibt es in Baden-Württemberg über 1 000 Zulieferfirmen. 13 All diese Firmen profitieren vom Automobilbau und bieten zahlreichen Menschen eine Beschäftigungsmöglichkeit. Auch sonstige automobilnahe Bereiche, wie zum Beispiel der Handel oder Betriebe der Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen, sind für die Wirtschaft Baden-Württembergs von großer Bedeutung.