:: 11/2011

Gebremster Flächenverbrauch

Die Inanspruchnahme von immer mehr Flächen im Außenbereich der Städte und Gemeinden führt zu hohen Schattenkosten für die Kommunen und droht diese Kosten durch überdehnte Infrastrukturen zukünftig noch weiter zu steigern. Die fortdauernde Ausweitung von Verkehr und Siedlungsnutzungen belastet die Umwelt und beeinträchtigt die verbliebenen natürlichen Lebensräume. Die Erkenntnis, dass diesen Entwicklungen Grenzen gesetzt sind, ist mittlerweile weit verbreitet. Es geht heute vielmehr um eine intelligentere und nachhaltigere Nutzung der Flächen. Ein sparsamer Umgang mit der Ressource Fläche ist mit positiven Effekten für den Umweltschutz, das Bauen sowie die Wohnungswirtschaft und dergleichen verbunden. Der vorliegende Beitrag zieht eine Zwischenbilanz mit Stand der Flächennutzung oder besser: des Liegenschaftskatasters zum Jahreswechsel 2010/11.

Flächenverbrauch auf dem niedrigsten Wert seit Jahren

2010 wurde in Baden-Württemberg rein rechnerisch täglich eine Fläche von 6,6 Hektar (ha) »verbraucht«.1 Der Jahreszuwachs an Siedlungs- und Verkehrsfläche (siehe i-Punkt) von 2 400 ha entspricht von der Größenordnung her rund 3 470 Fußballplätzen (100 Meter x 70 Meter). Damit ist der Flächenverbrauch auf den niedrigsten Stand seit Jahren zurückgegangen, wobei die täglichen Zuwachsraten der Siedlungs- und Verkehrsfläche seit Ende der 90er-Jahre eine rückläufige Tendenz zeigen. 2006 und 2007 stehen dagegen für einen erneuten Anstieg des Flächenverbrauchs, der auch auf die boomende Konjunktur in diesem Zeitraum zurückgeführt wurde. Vor diesem Hintergrund konnte für 2008 angesichts der wirtschaftlichen Eintrü­bung ein Rückgang des Flächenverbrauchs erwartet werden, der dann tatsächlich erstaunlich hoch ausfiel. Die weiter rückläufigen Zuwachsraten in den Jahren 2009 und 2010 überraschen vor dem Hintergrund der wieder anziehenden Konjunktur ebenfalls. Möglicherweise zeigen die vielfältigen Bemühungen seitens der Politik, dem Naturschutz und anderen Akteuren in diesem Bereich, den Flächenverbrauch einzudämmen, doch langsam Wirkung. Beispiele sind hier etwa das bundesweite Projekt Refina2 oder Initiativen auf Landesebene wie MELAP 3, FOKOS4 und Raum+5.

In Bezug auf den Flächenverbrauch sind neben der Gebäude- und Freifläche, der Verkehrsfläche und der Erholungsfläche andere Flächenkategorien nur im Einzelfall bedeutsam. Der Schwerpunkt der Baumaßnahmen lag 2010 wie in den Jahren zuvor bei der Gebäude- und Freifläche (1 425 ha; +0,5 %) und weniger bei den Verkehrsflächen (587 ha, +0,3 %). Die Erholungsfläche, die sich etwa hälftig aus Sportflächen und Grünanlagen zusammensetzt, wurde um 375 ha oder 1,2 % ausgedehnt.

Die mittelfristige Betrachtung seit dem Jahrtausendwechsel zeigt bei der Gebäude- und Freifläche tendenziell sinkende jährliche Zuwachsraten, bei der Erholungsfläche6 – der grünen Komponente des Flächenverbrauchs – dagegen steigende. Der Flächenverbrauch für Verkehrszwecke7 ist in seiner Entwicklung schwankend. Viel hängt hier davon ab, in welchen Umfang für Projekte Zuschüsse vom Bund und aus der EU fließen. Und nicht zuletzt dürfte der Zeitpunkt, wann Großprojekte der Verkehrsinfrastruktur ihren Niederschlag im Kataster und dann in einem nächsten Schritt im statistischen Zahlenwerk finden, großen Einfluss haben.

Gebäude- und Freifläche: vielfältiges Erscheinungsbild

Angesichts der Größe der Gebäude- und Freifläche (GF) stellt sich die Frage, welchen Zwecken sie dient und welche Entwicklungen die einzelnen Nutzungsarten in den letzten Jahren genommen haben. Leider liegen diese Informationen erst seit 2008 jährlich, davor (ab 1996) nur in 4-jährigem Turnus vor. Für die weitere Interpretation kommt erschwerend hinzu, dass die Zahlen der Kategorie »GF nicht weiter untergliedert« erst seit der Flächennutzungserhebung 2008 hinreichend genau und aussagekräftig sind. Zuvor enthält die Position noch Restflächen der GF, die bis dato noch nicht einer Zehnerposition des Nutzungsartenkataloges zugeordnet wurden. Diese Untergliederungen der GF wurden somit tendenziell als zu niedrig ausgewiesen.

Heute werden in der Kategorie »GF nicht weiter untergliedert« Flächen vorläufig eingeordnet, bei denen – etwa wie im Falle eines Neubaugebiets – beim Abmarken der neuen Flurstücksgrenzen nicht erkennbar ist, welche Unternutzung später tatsächlich vorliegt. Erst nach der Gebäudeaufnahme erfolgt dann die endgültige Buchung in die zutreffende (untergeordnete) Nutzungsart. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass sowohl die Gebäude- und Freifläche insgesamt als auch die Siedlungs- und Verkehrsfläche korrekt ausgewiesen werden. Eine Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche – also ein Flächenverbrauch – kann somit zeitnah dokumentiert werden. Es fehlt zu diesem Zeitpunkt allerdings die Angabe über die Zweckbestimmung des Flurstücks.

Trotz der skizzierten Unzulänglichkeiten sind doch zumindest Tendenzaussagen über die Nutzung der Gebäude- und Freifläche möglich. So wird landesweit über die Hälfte für Wohnungszwecke genutzt, weitere 17 % durch Gewerbe und Industrie. Es folgen die Anteile der GF, die überwiegend der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und der Allgemeinheit (6 %) sowie für Handel und Dienstleistungen (5 %) dienen. Erfreulicherweise sind die jährlichen Zuwachsraten nahezu aller Unternutzungen der Gebäude- und Freifläche rückläufig. Am ausgeprägtesten zeigt sich dies bei der GF-Wohnen, deutlich auch bei der GF-Handel und Dienstleistungen. Das Auf und Ab bei der Erschließung und Ausweisung neuer Gewerbe- und Industriegebiete steht wahrscheinlich in engem Zusammenhang mit der konjunkturellem Entwicklung. Einzig die GF-Öffentliche Zwecke neigt zu steigenden Zuwachsraten.

Eigentlich unplausibel: Die Gebäude- und Freifläche Land- und Forstwirtschaft nimmt zu

Bemerkenswert ist der Anstieg der GF-Land- und Forstwirtschaft, auch wenn er über den gesamten Zeitraum von 1996 bis 2010 mit 3 219 ha vergleichsweise gering ausfällt. Denn in der gleichen Zeit halbierte sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe auf 44 500 Einheiten8. Die Gretchenfrage in der Landwirtschaft heißt seit Jahrzehnten »wachsen oder weichen?« Und das gilt nicht nur für die Anbauflächen, sondern auch für die Stall- und Wirtschaftsgebäude. Häufig wird infolge beengter Hofstellen in der Ortslage der Betrieb oder Teile davon ausgesiedelt, so dass ein echter Zuwachs an GF-Land- und Forstwirtschaft entsteht. Betriebsaufgaben werden dagegen zunächst im Kataster kaum registriert, weil Änderungen der Nutzungsart dort grundsätzlich nur auf Antrag erfolgen und zudem gebührenpflichtig sind. Im Regelfall wird erst eine mit Baumaßnahmen verbundene Umnutzung zu einer Änderung im Kataster führen.

Siedlungs- und Verkehrsfläche: 505 400 ha entsprechen einem Anteil von 14,1 % an der gesamten Landesfläche

Die Ergebnisse der Flächenerhebung 2010 spiegeln den Stand des Automatisierten Liegenschaftsbuches (ALB) zum 31. Dezember 2010 wider. Danach sind in Baden-Württemberg 85 % der Bodenfläche den Nutzungsarten Landwirtschafts- (1,64 Mill. ha), Wald- (1,37 Mill. ha) und Wasserfläche (38 600 ha) zuzuordnen. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche beziffert sich auf 505 400 ha. Das entspricht einem Anteil am gesamten Landesgebiet (3,58 Mill. ha) von 14,1 %. Flächen anderer Nutzung wie Unland9, Übungsgelände, etc. belaufen sich auf rund 23 500 ha.

30 440 ha der Siedlungs- und Verkehrsfläche dienen der Erholung, 195 700 ha oder 38,7 % entfallen auf Flächen für Straßen, Wege und Plätze sowie den Schienen- und Luftverkehr. Die gesamte Gebäude- und Freifläche beziffert sich nunmehr auf 271 400 ha. Das entspricht einem Anteil von 53,7 % an der Siedlungs- und Verkehrsfläche. Darunter sind 143 600 ha für Wohnzwecke und weitere 44 700 ha, die vorherrschend für gewerbliche und industrielle Zwecke genutzt werden. 16 500 ha der Gebäude- und Freifläche werden für öffentliche Zwecke bereitgestellt, weitere 13 700 ha vom Handel und Dienstleistungssektor genutzt. Die Gebäude- und Freifläche Land- und Forstwirtschaft beziffert sich auf landesweit 29 100 ha. Zum Vergleich: Der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Landesfläche betrug 1996 noch 12,7 % und umfasste 454 300 ha.

Gemeindegröße und Flächennutzung

Interessante Gesetzmäßigkeiten zeigen sich, wenn man die Ergebnisse der Flächenerhebung in Abhängigkeit von der Gemeindegröße betrachtet:

So steigt mit der Gemeindegröße der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Bodenfläche deutlich an. In den kleineren Gemeinden mit weniger als 3 500 Einwohnern entfallen weniger als 10 % der Bodenfläche insgesamt auf die Siedlungs- und Verkehrsfläche, in Gemeinden über 10 000 Einwohnern sind es bereits über 14 %. In Städten mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern beansprucht die Siedlungs- und Verkehrsfläche rund ein Viertel der gesamten Bodenfläche, in den neun Großstädten mit über 100 000 Einwohnern sogar über 41 %.

Mit der Gemeindegröße ändert sich auch die Zusammensetzung der Siedlungs- und Verkehrsfläche. So gewinnt die Gebäude- und Freifläche mit wachsender Einwohnerzahl mehr und mehr an Bedeutung, bis bei einer Größe von 100 000 Einwohnern mit einem Anteil von rund 60 % an der Siedlungs- und Verkehrsfläche eine gewisse Sättigungsgrenze erreicht ist.

Der Erholungsfläche kommt in größeren Städten weitaus mehr Bedeutung zu als in den kleineren Gemeinden. Umgekehrt werden in den kleineren Gemeinden große Anteile der Siedlungs- und Verkehrsfläche (rund 50 %) für den Verkehr genutzt. Hier fallen die überörtlichen Verbindungsstraßen relativ stark ins Gewicht. In den Großstädten sinkt der Anteil der Verkehrsflächen auf 30 % und darunter.

248 Gemeinden, das sind 23 % aller Gemeinden in Baden-Württemberg, haben mehr als 10 000 Einwohner. Auf sie entfiel im Kalenderjahr 2010 die Hälfte des gesamten Flächenverbrauchs, also der Umwidmung naturnaher Flächen in Siedlungs- und Verkehrsfläche. Die Gruppe der Gemeinden mit 3 500 bis 10 000 Einwohner (438 Gemeinden oder 40 %) trägt immerhin noch 34 % des Zuwachses, während die 416 Gemeinden mit weniger als 3 500 Einwohnern (38 %) nur zu 16 % am letztjährigen Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche beteiligt waren.

Kleine versus größere Gemeinden

Wer nun aber glaubt, dass der Flächenverbrauch in kleineren Gemeinden kein Thema ist, der irrt. Diese Aussage soll allerdings nicht an einer Momentaufnahme, sondern an der Entwicklung über einen längeren Zeitraum festgemacht werden. Denn ein Teil der Änderungen einer Nutzungsart kann auf Berichtigungen und Aktualisierungen beruhen. Das heißt, die Änderungen haben schon vor längerer Zeit stattgefunden, werden aber erst jetzt im Kataster dokumentiert. Dies beeinträchtigt die Analyse umso mehr,

  • je kleinräumiger die Gebietskulissen,
  • je kürzer die Beobachtungsperioden und
  • je enger die beobachteten Merkmale definiert sind.

Um die Verhältnisse über die Gemeindegrößenklassen hinweg vergleichbar zu machen, wird der jährliche Flächenverbrauch zusätzlich auf die jeweilige Einwohnerzahl der Gemeinden bezogen. 10 Während in den Großstädten in den 15 Jahren zwischen 1996 und 2010 eine Fläche von durchschnittlich 1 m² pro Jahr und Einwohner für Siedlungs- und Verkehrsfläche umgenutzt wurde, beträgt der Vergleichswert bei den kleinsten Gemeinden ca. 7,5 m² pro Jahr und Einwohner mit einem ausgeprägten Schwerpunkt bei der Gebäude- und Freifläche.

Dahinter stehen oftmals großzügig dimensionierte Neubaugebiete, vorzugsweise mit Einfamilienhäusern bebaut auf Grundstücken von nicht selten über 800 m². Die Gemeinden hoffen, über eine attraktive Preisgestaltung, junge Familien im Ort anzusiedeln. Diese Politik zeigt sich am ausgeprägtesten in den kleineren und mittleren Gemeinden, wo der Flächenverbrauch teilweise weniger stark wahrgenommen und als problematisch empfunden wird. Mit wachsender Gemeindegröße und steigendem Durchgangsverkehr werden dann Umgehungsstraßen zum Thema. Im städtischen Bereich etwa ab einer Größe von 50 000 Einwohnern müssen die Verkehrsflächen dem gestiegenen Verkehrsaufkommen Rechnung tragen. Dabei geht es eher um den Ausbau vorhandener Straßen als um Neubauvorhaben. Und schließlich gewinnen Erholungsflächen mit steigender Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte an Bedeutung. Denn diese muss dort Funktionen übernehmen, die in ländlichen Gebieten von Wald und Flur ganz selbstverständlich mit übernommen werden. Spezialfälle sind Aus- und Neubau von Camping- und Golfplätzen, die als grüne Komponente zum Flächenverbrauch in landschaftlich attraktiven Gebieten beitragen.