:: 12/2011

Quartalsprognosen des Bruttoinlandsprodukts

Möglichkeiten zur Erhöhung der Treffsicherheit

In unsicheren Zeiten sucht man nach Halt – und wer hätte dies angesichts der aktuellen (Wirtschafts-)Nachrichtenlage nötiger als ein Konjunkturbeobachter, der sich vor die Aufgabe gestellt sieht, eine Prognose über die künftige Wirtschaftsentwicklung abzugeben. Da konjunkturrelevante Daten wie die Quartalswerte des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erst mit einer gewissen Zeitverzögerung vorliegen, ist man auch für die Gegenwart und jüngste Vergangenheit auf Schätzungen angewiesen. Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, wie die Zeitreihe des BIP-Kettenindex helfen kann, dessen zukünftige Entwicklung aus dem bisherigen Verlauf zu prognostizieren. Um zu prüfen, ob dieses autoregressive Modell tatsächlich geeignet ist, die Prognosegüte zu verbessern, werden frühere Quartalsprognosen, die auf weniger modelltheoretischem Vorgehen beruhten1, dem gnädigen Vergessen entrissen und der tatsächlichen Entwicklung gegenübergestellt. Auch das autoregressive Verfahren wird mit der Realität konfrontiert.

Ohne Blechschaden durch den Nebel?

Das Prognostizieren der Wirtschaftsentwicklung gleicht dem Versuch, mit verbundenen Augen ein Auto zu steuern, indem man den Anweisungen eines Mitfahrers folgt, der durch die Heckscheibe blickt. Der anonyme Urheber dieser Einschätzung trifft damit durchaus den Kern, wenngleich man diesem beunruhigenden Bild noch einen weiteren unerfreulichen Aspekt hinzufügen könnte: Der rückwärtige Straßenverlauf liegt zu allem Überfluss zumindest teilweise auch noch im Nebel. Was ist also zu tun, wenn man den Wagen unter diesen Umständen möglichst unfallfrei steuern möchte? Allein auf die Intuition zu vertrauen, wäre ein weniger guter Rat an den Fahrer, zumindest auf die Konjunkturbeobachtung übertragen. Die Anweisungen des Mitfahrers in die Überlegungen zumindest mit einzubeziehen, ist allen Unzulänglichkeiten zum Trotz die bessere Strategie.

Die vierteljährliche erscheinende Publikation »Konjunktur Südwest« des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg enthält unter anderem regelmäßig Aussagen zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Land. Sowohl für das laufende als auch das vergangene Quartal liegen zum Redaktionsschluss noch keine (auch keine vorläufigen) Berechnungen vor, sodass man auf Schätzungen angewiesen ist, erst recht, wenn eine Jahresprognose erstellt werden soll. Beispielsweise liegt bei Erscheinen der dritten Ausgabe von »Konjunktur Südwest« Ende Juli der aktuelle Rand der BIP-Quartalsreihe für Baden-Württemberg beim 1. Quartal, sodass eine »ex-post-Prognose« für das 2. und eine »echte« Prognose für das 3. Quartal zu erstellen ist (implizit auch für das 4. Quartal, da das Juliheft üblicherweise auch eine Jahresprognose enthält).

Während es für das abgelaufene Quartal wenigstens noch gewisse Anhaltspunkte gibt – beispielsweise Produktions- und Umsatzzahlen sowie Auftragseingänge des Verarbeitenden Gewerbes für den 1. Monat des vergangenen Quartals – konnte für die Einschätzung des laufenden Quartals lediglich der Verlauf des Gesamtskonjunkturindikators der Intuition zur Hilfe kommen. Für konkrete Quartalsprognosen ist dieser Gesamtkonjunkturindikator allerdings konstruktionsbedingt und von seiner Zielsetzung her weniger geeignet, da die Einzelindikatoren stark geglättet und standardisiert sind. Die konjunkturelle Grundtendenz der nächsten 3 Quartale wird zwar recht passabel angezeigt, konkrete Quartalsveränderungsraten des BIP sind aus seinem Verlauf allein jedoch kaum herzuleiten. Das hier vorgestellte Verfahren soll ein weiterer Beitrag dazu sein, die Treffsicherheit der prognostizierten BIP-Veränderungsraten zu erhöhen.2

ARIMA weist den Weg

In Schaubild 1 sind die Veränderungen des logarithmierten BIP-Kettenindex zum Vorjahresquartal für Baden-Württemberg den Prognosen für das vergangene Quartal gegenübergestellt, die in »Konjunktur Südwest« veröffentlicht wurden oder der Veröffentlichung zugrunde lagen.34 Dass Punktlandungen bei der Prognose zwar vorkommen, aber eher selten sind, ist wenig verwunderlich und sollte auch nicht der Maßstab zur Beurteilung der Prognosegüte sein. Hier bietet sich eher der Standardfehler der Schätzungen an. Die Schaubilder 1 und 2 enthalten also auch noch das Intervall von ± einem Standardfehler, in dem im Durchschnitt rund 68 % der prognostizierten Werte liegen sollten. Insgesamt ist die Treffgenauigkeit der alten Methode durchaus passabel. Es deutet sich aber an, dass die BIP-Veränderungsraten in Phasen der Hochkonjunktur eher unterschätzt und in Krisenzeiten eher überschätzt wurden.

Die Rede vom Konjunkturzyklus impliziert, dass der Wirtschaftsentwicklung eine gewisse Regelmäßigkeit innewohnt, wenn sie auch von vielen Zufälligkeiten überlagert wird. Diese Regelmäßigkeiten werden versucht, mit einem sogenannten ARIMA-Modell abzubilden (siehe i-Punkt). In Schaubild 1 unten sind die daraus resultierenden Prognosen dargestellt. Auch das ARIMA-Verfahren schätzt geringere BIP-Rückgänge im Zuge des Schocks vom 3. Quartal 2008. Alles in allem ist der Standardfehler nach ARIMA jedoch kleiner und das entsprechende Prognoseintervall enger als das für die traditionelle Methode.

Wie verhält es sich mit den Prognosen für das laufende Quartal? Schaubild 2 zeigt erneut die nach den jeweiligen Verfahren prognostizierten und die tatsächlichen Werte. Erwartungsgemäß ist der Standardfehler der Prognose bei beiden Verfahren für das laufende Quartal größer als für das vergangene – je ferner der Prognosehorizont, desto größer die Unsicherheit. Aber auch hier ist das ARIMA-Modell im Vorteil.

Die Ergebnisse zeigen, dass die mit dem skizzierten Zeitreihenmodell erstellten Prognosen den Instrumentenkasten der Konjunkturberichterstattung sinnvoll erweitern, indem sie eine erste Orientierung geben, wohin konjunkturell die Reise geht, und zwar unabhängig von subjektiven Einschätzungen. Dass es sich lohnt, die Modellergebnisse ernst zu nehmen, haben die vorangegangenen Ausführungen gezeigt, was allerdings nicht bedeutet, dass subjektive Einschätzungen keinen Platz mehr hätten. Im Gegenteil: Auch Informationen mit höherer Unsicherheit sind wertvoll, wenn diese Unsicherheit in das Urteil mit einfließt.

1 Brautzsch, Hans-Ulrich /Ludwig, Udo: Vierteljährliche Entstehungsrechnung des Bruttoinlandsprodukts für Ostdeutsch-land: Sektorale Bruttowertschöpfung; IWH Diskussionspapiere Nr. 164, Juli 2002; S. 15.

2 Das Anliegen ähnelt insofern dem Ansatz, der in einem früheren Beitrag dargestellt wurde (Vullhorst, Udo: »Konjunkturprognosen: lernen aus der Vergangenheit?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 4/2011«, S. 34–38), Methode und Datengrundlage unterscheiden sich aber.

3 Bei den in »Konjunktur Südwest« veröffentlichten Werten handelt es sich um prognostizierte Veränderungsraten der Originalwerte, während für das ARIMA-Modell die saisonalen Differenzen des logarithmierten BIP-Kettenindex herangezogen wurden (zur Begründung siehe i-Punkt). Allerdings gilt ln(BIPt) − ln(BIPt-4) ≈ (BIPt /BIPt-4)-1. Bei den hier betrachteten Zeitreihen fällt der Unterschied nicht weiter ins Gewicht.

4 Nicht alle in den folgenden Schaubildern 1 und 2 dargestellten Werte wird man in den entsprechenden Ausgaben von Konjunktur Südwest wiederfinden, was beispielsweise daran liegt, dass stattdessen saisonbereinigte Veränderungsraten zum Vorquartal veröffentlicht wurden. Nichtsdestotrotz lassen sich die zugehörigen Vorjahresveränderungsraten noch nachvollziehen.