:: 12/2011

Das Anlagevermögen in Baden-Württemberg

Die Höhe und Zusammensetzung des gesamtwirtschaftlichen Anlagevermögens bzw. Kapitalstocks sind für die wirtschaftliche Leistung und die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes von entscheidender Bedeutung. Das Anlagevermögen informiert nicht nur über den Bestand an Anlagegütern in einer Volkswirtschaft und damit über deren Produktionskapazität. Angaben über den Alterungsprozess der Anlagen erlauben ferner Rückschlüsse auf die Effizienz der Produktionsanlagen sowie auf die Notwendigkeit von Ersatzinvestitionen. Als Maß für den Alterungsprozess der Anlagen dient der Modernitätsgrad. Ergebnisse zum regionalen Anlagevermögen werden vom Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« veröffentlicht. Hiernach ist festzustellen, dass der Modernitätsgrad in Baden-Württemberg seit 1991 kontinuierlich abnimmt. Der vorliegende Beitrag gibt zunächst einen Überblick über die methodischen Aspekte der regionalen Vermögensrechnung.1

Nachweis des Anlagevermögens erfolgt nach verschiedenen Konzepten

Der Begriff Anlagevermögen, wie er in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen verwendet wird, umfasst den Bestand an produzierten Vermögensgütern, die länger als ein Jahr wiederholt oder dauerhaft in der Produktion eingesetzt werden. Einbezogen sind materielle Güter, wozu Ausrüstungen, Bauten, Nutztiere und -pflanzen zählen, sowie immaterielle Güter, wie zum Beispiel Computerprogramme (siehe i-Punkt). Dargestellt wird das Anlagevermögen nach verschiedenen Konzepten: nach dem Brutto- und Nettokonzept, jeweils bewertet zu Wiederbeschaffungspreisen und konstanten Preisen.2

Mit dem Bruttoanlagevermögen zu Wiederbeschaffungspreisen wird der Betrag der Anlagegüter ausgewiesen, der hätte gezahlt werden müssen, wenn die Anlagen zum Berichtszeitpunkt neu beschafft worden wären. Folglich weist das Bruttovermögen den Neuwert der Anlagegüter aus. Das Nettoanlagevermögen zu Wiederbeschaffungspreisen dient hingegen als Größe, um den Zeitwert der Anlagen abzuschätzen, weil beim Nettokonzept im Vergleich zum Bruttokonzept die seit dem Investitionszeitpunkt aufgelaufenen Abschreibungen berücksichtigt werden. Für Analysen zur Entwicklung der Produktionskapazität eignet sich das Bruttoanlagevermögen in konstanten Preisen, da hierbei ausschließlich die mengenmäßige Entwicklung des Anlagevermögens betrachtet wird. Der jahresdurchschnittliche Bestand an Bruttoanlagevermögen in konstanten Preisen wird als Kapitalstock bezeichnet und gibt an, wie viele Anlagegüter im Jahresdurchschnitt zur Verfügung stehen.

Anlagevermögen wird mittels Kumulationsmethode berechnet

Mangels umfassender statistischer Angaben über die Vermögensbestände erfolgt die Berechnung des regionalen Anlagevermögens – auf der Ebene der Bundesländer – entsprechend der nationalen Rechnung3 auf indirektem Wege über die sogenannte Kumulationsmethode (Perpetual-Inventory-Methode, kurz PIM). Nach dieser Methode ergibt sich das Anlagevermögen eines Berichtsjahres aus den kumulierten Investitionen der Vergangenheit abzüglich der zwischenzeitlich eingetretenen Abgänge – das sind Anlagegüter, die effektiv aus dem Bestand ausscheiden – bzw. abzüglich der Abschreibungen.

Das Brutto- bzw. Nettovermögen wird im Einzelnen folgendermaßen berechnet:

Bruttoanlagevermögen zum Jahresanfang
+Zugänge zum Anlagevermögen
Abgänge vom Anlagevermögen
=Bruttoanlagevermögen am Jahresende (= Bruttoanlagevermögen am Jahresanfang4 des folgenden Jahres)
Nettoanlagevermögen zum Jahresanfang
+Zugänge zum Anlagevermögen
Abschreibungen auf das Anlagevermögen
sonstige Änderungen des Nettoanlagevermögens
=Nettoanlagevermögen am Jahresende (= Nettoanlagevermögen am Jahresanfang des folgenden Jahres)

Um auch die ältesten noch im aktuellen Bestand befindlichen Anlagen erfassen zu können, setzt die Kumulationsmethode voraus, dass die Angaben zu den Investitionen möglichst weit in die Vergangenheit zurückreichen. In der Bundesrechnung liegen solche langen Investitionsreihen vor, auf Länderebene sind die Investitionen in der erforderlichen Wirtschaftsbereichstiefe jedoch erst ab 1991 vorhanden. Deshalb gilt das Jahr 1991 als »Startjahr«. Der Vermögensbestand zu Beginn des Jahres 1991 musste auf Basis von Bundeswerten geschätzt werden.5

Prinzipiell werden für die regionale Vermögensrechnung drei Grundinformationen benötigt. Neben den Investitionsdaten nach Bundesländern sind sogenannte Abgangs- und Abschreibungsverteilungen sowie Bundeseckwerte, teilweise differenziert nach alten und neuen Bundesländern, Grundvoraussetzung. Mit diesen Angaben können die für die Kumulationsmethode erforderlichen Zugänge, Abgänge, Abschreibungen und sonstige Änderungen des Nettovermögens berechnet und anschließend auf die nationalen Ergebnisse koordiniert, das heißt rechnerisch auf die Bundeseckwerte abgestimmt werden. Ferner fließen Angaben aus den regionalen Landwirtschaftlichen Gesamtrechnungen zur Bestimmung der Nutztiere und Nutzpflanzen ein. Durchgeführt wird die Berechnung getrennt nach Bauten und Ausrüstungen einschließlich sonstiger Anlagen, jeweils in der Wirtschaftszweiggliederung A66 (WZ 2003) bzw. teilweise tiefer.

Berechnung der einzelnen Komponenten

Die Zugänge zum Anlagevermögen basieren auf den Bruttoanlageinvestitionen. Da die Investitionen nach Wirtschaftsbereichen nur für die neuen Anlagen ausgewiesen werden, wird bei den Zugängen zusätzlich der Saldo aus den Käufen und Verkäufen gebrauchter Güter berücksichtigt. Für die Bestimmung der Abschreibungen und Abgänge sind eigentlich Angaben über Ausrüstungen und Bauten, die vor 1991 investiert wurden, erforderlich. Nur so können Abschreibungen bzw. Abgänge auf Anlagegüter, die sich bereits vor dem Jahr 1991 im Bestand befanden, berücksichtigt werden. Länderspezifische lange Investitionsreihen für die Jahre vor 1991 stehen in der benötigten Wirtschaftsbereichstiefe allerdings nicht zur Verfügung.

Deshalb werden die Abschreibungen und Abgänge in zwei Schritten berechnet:

  1. Abschreibungen bzw. Abgänge auf Investitionen seit 1991 (sogenannte laufende Abschreibungen bzw. Abgänge) und
  2. auf Investitionen, die vor 1991 getätigt wurden (Abschreibungen bzw. Abgänge auf Altbestände)

Die laufenden Abschreibungen und Abgänge können direkt aus den Investitionen bzw. Zugängen nach Bundesländern in Kombination mit den vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellten Abschreibungs- bzw. Abgangsverteilungen7 ermittelt werden. Letztgenannte beruhen auf einer güterspezifischen Verteilungsfunktion der Nutzungsdauer, das heißt es wird angenommen, dass die einzelnen Güter nicht geschlossen zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem Bestand ausscheiden, sondern ihre Abgangszeitpunkte glockenförmig um die durchschnittliche Nutzungsdauer streuen.8 Wird bei einem Fahrzeug bestimmten Typs beispielsweise eine Nutzungsdauer von 10 Jahren angelegt, impliziert dies nicht zwangsläufig, dass diese Fahrzeuge allesamt nach 10 Jahren nicht mehr funktionieren. Manche können bereits nach 6, andere erst nach 15 Jahren funktionsuntüchtig sein.

Wie bereits erläutert, ist eine analoge Berechnung für Abgänge und Abschreibungen auf vor 1991 investierte Anlagegüter nicht möglich. Deshalb wird hier auf Bundeswerte zurückgegriffen, die zunächst in Eckwerte für die neuen und alten Bundesländer aufgeteilt und anschließend auf die einzelnen Länder regionalisiert werden. Scheiden Anlagen aus unerwarteten Gründen vorzeitig aus dem Bestand aus, gehen sie beim Bruttokonzept als Sonderabgänge, die Bestandteil der Abgänge sind, ein. Beim Nettokonzept stellen sie mit den sonstigen Änderungen des Nettovermögens eine gesonderte Position dar. Beispiele für solch außerordentliche oder unvorhersehbare Ereignisse sind Stilllegungen, Kapazitätsabbau von Eisen- und Stahlindustrie oder die Flutschäden der Hochwasserkatastrophe 2002, vor allem in den neuen Bundesländern. Angaben zum Anlagevermögen in Wiederbeschaffungspreisen erhält man durch Umbewertung der konstanten Vermögensgrößen in Wiederbeschaffungspreise. Einen Überblick über die Berechnung des regionalen Anlagevermögens gibt die Übersicht.

Kapitalstock im Land bei über 1,7 Bill. Euro

Der in Baden-Württemberg im Jahr 2008 eingesetzte Kapitalstock hatte einen Wert von 1 711 Mrd. Euro, das heißt es standen für Produktionszwecke im Jahresdurchschnitt Anlagegüter im Wert von über 1,7 Bill. Euro zur Verfügung. Damit stellte der Südwesten 14,5 % des gesamten in Deutschland vorhandenen Kapitalstocks. Mit 85 % entfiel der größte Anteil auf den Dienstleistungssektor, 14 % des baden-württembergischen Kapitalstocks fanden sich 2008 im Produzierenden Gewerbe. Dieser außerordentlich hohe Anteil des Dienstleistungssektors am gesamtwirtschaftlichen Kapitalstock ist darauf zurückzuführen, dass in diesem Sektor über 90 % der Bauten vorhanden sind. Ursächlich hierfür sind die im Dienstleistungsbereich »Grundstücks- und Wohnungswesen« erfassten Wohngebäude.

Modernitätsgrad: Tendenz fallend – nur für Ausrüstungen vereinzelt steigend

Für die Beurteilung der Effektivität des Produktivvermögens spielt neben der Kapitalhöhe auch das Alter der Anlagen eine Rolle. Eine zeitnahe Zusammensetzung des Anlagevermögens, vor allem des Ausrüstungsvermögens, ist tendenziell ein Zeichen für Investitionen in technischen Fortschritt. Aufschluss über den Alterungsprozess des Anlagevermögens gibt der Modernitätsgrad. Dieser nimmt in Baden-Württemberg seit 1991 kontinuierlich ab. Während im Jahr 1991 noch 65,6 % des Anlagevermögens nicht abgeschrieben waren, belief sich der Modernitätsgrad 2009 nur noch auf 59,9 %. Bundesweit lag der Modernitätsgrad im Jahr 2009 mit 60,2 % leicht über dem Niveau des Südwestens, was im Wesentlichen auf den umfassenden Erneuerungsprozess der Anlagen in den neuen Bundesländern zurückzuführen ist.

Grundsätzlich sind sowohl Bauten als auch Ausrüstungen im Zeitverlauf einem zunehmendem Alterungsprozess unterworfen. Aufgrund des schnelleren Veraltens von Ausrüstungen weisen diese im Vergleich zum Bauvermögen einen merklich geringeren Modernitätsgrad auf. Allerdings ist beim Ausrüstungsvermögen infolge der kürzeren Nutzungsdauern und damit der Notwendigkeit von Ersatzinvestitionen für die Jahre ab 2000 auch ein Verjüngen der Ausstattung zu beobachten, wohingegen der Modernitätsgrad für Bauten im Zeitverlauf stetig abnahm.

Die insgesamt kontinuierliche Abnahme des Modernitätsgrades ist ein Zeichen dafür, dass der durch Verbrauch und Verschleiß eingetretene Verlust des Vermögens nicht durch entsprechend hohe Investitionen ausgeglichen wurde. Auf der anderen Seite besitzt eine »reife« Volkswirtschaft notwendigerweise einen größeren Anteil älterer Anlagen in ihrem Bestand. Allgemein ist zu beachten, dass der Investitionsbegriff der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ausschließlich Ausgaben für Ausrüstungen, immaterielle Anlagen und Bauten umfasst. Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE), die in der modernen Wissensgesellschaft zunehmend eine wachstumsrelevante Rolle einnehmen, sind definitionsgemäß nicht inbegriffen. Überlegungen, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der revidierten Fassung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG), das für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union rechtsverbindlich ist, als Investitionen zu betrachten, sind im Gange. So liegt bereits auch ein Entwurf eines deutschen Satellitenkontos für FuE vor.9

1 Vgl. dazu auch: Walter, Ilse Anette: Zur Anlagevermögensrechnung Baden-Württembergs, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl, 01/1982, S. 2–12.

2 Die Darstellung des Vermögens in konstanten Preisen erfolgt aktuell in Preisen von 2000, das heißt alle Anlagegüter sind mit den Preisen des Berichtsjahres 2000 bewertet. Bei Wiederbeschaffungspreisen ist das Anlagevermögen für alle Jahre in Preise des jeweiligen Berichtsjahres ausgewiesen. Mit der Revision 2011 erfolgt eine Umstellung der Preisbereinigung auf Vorjahrespreisbasis, wie dies bei den anderen Aggregaten in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen seit der Revision 2005 üblich ist.

3 Vgl. dazu: Schmalwasser, Oda/ Schidlowski, Michael: Kapitalstockrechnung in Deutschland, in: Wirtschaft und Statistik 11/ 2006, S. 1107–1123.

4 Das Anlagevermögen wird nach der Revision 2011 – sowohl national als auch für die Bundesländer – nicht mehr als Bestand am Jahresanfang, sondern als Bestand am Jahresende nachgewiesen. Vgl. dazu auch: Räth, Norbert/Braakmann, Albert: Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 2011 für den Zeitraum 1991 bis 2010, in: Wirtschaft und Statistik 09/2011, S. 852.

5 Für die alten Bundesländer basiert die Schätzung auf Informationen aus früheren Kapitalstockberechnungen, das heißt vor Einführung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG); für die neuen Länder wurde die Rechnung aus dem vorliegenden statistischen Datenmaterial neu aufgebaut.

6 Die A6-Ebene gliedert sich in Land- und Forstwirtschaft, Fischerei; Produzierendes Gewerbe ohne Baugewerbe; Baugewerbe; Handel, Gastgewerbe und Verkehr; Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister sowie in öffentliche und private Dienstleister.

7 Vgl. für die Berechnung der Abgangs- und Abschreibungsverteilungen: Schmalwasser, Oda/ Schidlowski, Michael: Kapitalstockrechnung in Deutschland, in Wirtschaft und Statistik 11/ 2006, S. 1114 ff.

8 Da die zur Berechnung der Nutzungsdauern benötigten Informationen regional nicht verfügbar sind, werden in der Länderrechnung bundeseinheitliche Gewichte herangezogen, das heißt für alle Bundesländer werden die gleichen Nutzungsdauern für die einzelnen Güter unterstellt.

9 Vgl. dazu: Oltmanns, Erich/ Bolleyer, Rita/ Schulz, Ingeborg: Forschung und Entwicklung nach Konzepten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, in Wirtschaft und Statistik 2/ 2009, S. 125–136.