:: 12/2011

Flächennutzung in Baden-Württemberg vor dem Hintergrund der naturräumlichen Gliederung

Baden-Württemberg wird ganz wesentlich durch die Vielfalt seiner Naturräume geprägt. Die Oberrheinebene mit ihrem milden Klima im Süd-Westen hat ihren Widerpart in der »rauen« Alb im Osten, wo es bekanntlich immer »einen Kittel1« kälter ist. Im Norden des Landes finden sich die bewaldeten Mittelgebirgslandschaften des Odenwalds, im Süd-Osten die eiszeitlich geprägte Moränenlandschaft Oberschwabens und des Westallgäus. Berge wie die Vulkanschlote des Hegau (Hohentwiel) oder des Kaiserstuhls gibt es ebenso wie Zeugenberge am Schichtstufenrand der Schwäbischen Alb (Hohenzollern, Hohenstaufen). Im Hintergrund der weiteren Ausführungen zur Flächennutzung in Baden-Württemberg steht deshalb stets die Frage, ob die naturräumliche Gliederung des Landes Auswirkungen auf die Flächennutzung zeigt, und wenn ja, welche?

Bestimmungsgründe der Siedlungsgeschichte: Bodengüte…

Wir kaufen heute Rindfleisch aus Argentinien, Äpfel aus Neuseeland, Spargel aus Griechenland, Wein aus Chile, Australien und Südafrika. Bis vor rund 200 Jahren waren die Menschen in unseren Breiten aber auf die Nahrungsmittel angewiesen, die sie selbst produzierten oder die in ihrer näheren Umgebung erzeugt wurden. Denn oftmals reichten die Ernten kaum für den Eigenbedarf des Betriebsinhabers und seiner Familie. Zudem war der Handel speziell auch mit Lebensmitteln in größerem Umfang aufgrund der damals schlechten Verkehrsinfrastruktur zu Land und der politischen Verhältnisse (Kleinstaaterei, Schutz- und Wegezölle) nur innerhalb eines engen Umkreises möglich. Vor diesem Hintergrund wurde zunächst vornehmlich dort gesiedelt, wo gute Böden und mildes Klima vergleichsweise hohe Erträge insbesondere an Feldfrüchten, weniger an Gemüse, Obst und Wein ermöglichten. Solche Verhältnisse gab und gibt es in Baden-Württemberg auf den Fildern, im Neckarbecken und den Gäulandschaften mit ihren guten Lössböden, darüber hinaus entlang des Rheingrabens bis hin zur Bergstraße. Ebenfalls noch größere zusammenhängende Flächen mit guten Böden und günstigem Klima finden sich im Bodenseebecken und im Osten des Landes entlang der Donau (Hügelland der unteren Riss).

… Topografie

Hinsichtlich der Eignung eines Standortes zum Ackerbau spielt die Hängigkeit des Geländes eine große Rolle. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Anteil des Ackerlandes an der Landwirtschaftsfläche in den Großlandschaften Mittleres Oberrhein-Tiefland, Neckar-Taubergäuplatten sowie im Raum Odenwald, Spessart und Südrhön über 70 % liegt. Besonders intensive Formen der landwirtschaftlichen Bodennutzung finden sich in der Stuttgarter Bucht (33 % Ackerland, 40 % Gartenland, 8 % Weingarten, 19 % Grünland) und im Bodenseebecken (42 % Ackerland, 12 % Gartenland, 1 % Weingarten, 45 % Grünland). Grünland und Wald sind dagegen Indizien für weniger ertragreiche Böden bzw. für Standorte, bei denen ungünstige topografische und klimatische Verhältnisse einer intensiveren ackerbaulichen Nutzung entgegen stehen. Räume mit hohem Grünlandanteil an der Landwirtschaftsfläche sind das Westallgäuer Hügelland (94 %) und die Riss-Aitrach-Platten (66 %). Der Anteil der Waldfläche an der Gesamtfläche beträgt in den Schwarzwaldgemeinden durchschnittlich 66 %, in den Schwäbischen Waldbergen 47 % gegenüber 38 % im Landesmittel.

… Erbsitten und …

In Abhängigkeit von den natürlichen Standortbedingungen setzten sich hinsichtlich der Erbfolge unterschiedliche Vorgehensweisen durch. Waren die Bedingungen vergleichsweise schlecht und konnte ein Hof nur eine Familie ernähren, trat der Erstgeborene das väterliche Erbe an.2 Seine Brüder suchten ihr Glück nicht selten in der Fremde. Bei günstigen Bedingungen wurden die Flächen dagegen unter den männlichen Nachkommen aufgeteilt. Die Äcker wurden im Laufe der Zeit immer kleiner und kleiner, bis die Besitzer nicht mehr in der Lage waren, den Lebensunterhalt der Familie allein aus der Landwirtschaft zu bestreiten. Sie waren gezwungen, zusätzlich ein Handwerk zu betreiben. Mit Einsetzen der Industrialisierung stand den Fabrikanten in den sogenannten Realteilungsgebieten mit den Kleinhandwerkern somit oftmals eine breite Schicht erfahrener »Facharbeiter« zur Verfügung.

Die Verteilung der Erbsitten ist heute noch erkennbar. Gebiete mit einem hohen Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Bodenfläche (Rheingraben, Südwesten des Schwäbischen Keuper-Lias-Gebiets und der Neckar- und Tauber-Gäuplatten) gehörten zu den Realteilungsgebieten.

…Verkehrsverhältnisse

Große Bedeutung hinsichtlich der regionalen Komponente der Siedlungsentwicklung hatten zudem die großen Flüsse wie Rhein, Neckar und Donau, auf denen der Warenverkehr auch über große Strecken einfacher zu bewältigen war als auf dem Landwege, und das Vorkommen von Bodenschätzen wie beispielsweise die Salzlagerstätten bei Heilbronn. Ortsnamen und Gewannbezeichnungen wie etwa Glashütte oder Erzgrube deuten darauf hin, dass in früheren Zeiten mancherorts intensiv Naturschätze ausgebeutet wurden. Es bildeten sich so lokale Siedlungsschwerpunkte heraus, die dann beginnend im Zeitalter der Industrialisierung zunächst durch Bahnlinien und später durch leistungsfähige Straßen vernetzt wurden. Geringere Baulandpreise in den kleineren Nachbargemeinden bei ausreichend verfügbaren Flächenreserven bewirkten später Suburbanisierungseffekte und zogen neben der Wohnbevölkerung auch Gewerbe- und Industriebetriebe an.

Bevölkerungsentwicklung: Früher entscheidende Triebfeder des Flächenverbrauchs

Die Landnutzung durch den Menschen ist einem steten Wandel unterworfen. Setzen die natürlichen Gegebenheiten auch aktuell noch einen gewissen Rahmen, so bestimmen aber heute doch mehr und mehr wirtschaftlich-technische, gesellschaftliche und politische Tendenzen die Entwicklungsrichtung der Flächennutzung. Diese Faktoren haben über die Bevölkerungsentwicklung in der Folge dann beim Flächenverbrauch ihren Niederschlag gefunden.

Seit 1900 ist die Bevölkerung auf der heutigen Landesfläche 2,5-mal so groß; allein im Zeitraum von 1950 bis 2010 ist sie um rund zwei Drittel angestiegen. Dabei nahm die Bevölkerung bis auf kurze Phasen Mitte der 70er- und Anfang der 80er-Jahre landesweit mal mehr, mal weniger stark zu. Seit 2005 sind in vielen Naturräumen kontinuierliche Abnahmen zu verzeichnen. Fast flächendeckend betroffen sind neben kleineren Gebieten im Osten und Südosten des Landes die Großräume Schwäbische Alb, Odenwald, Spessart, Südrhön und der Schwarzwald. Rund zwei Drittel der Naturräume hatten zwischen 2005 und 2010 einen Rückgang von insgesamt rund 62 000 Einwohnern, während das andere Drittel einen Zuwachs um 80 000 Einwohner zu verzeichnen hatte. Spitzenreiter waren dabei die Nördliche Rheinebene mit einem Plus von 20 800 Einwohnern gefolgt von der Freiburger Bucht mit plus 11 000 Einwohnern. Der seit einiger Zeit zu beobachtende Trend der »Reurbanisierung« macht sich somit auch auf der Ebene der Naturräume bemerkbar.

Leider sind ähnlich langfristige Beobachtungen auf Basis der Flächenerhebung in Baden-Württemberg nicht möglich, da vollständig vergleichbare Zahlen auf kleinräumiger Ebene erst seit 1996 vorliegen.

Auffällige Übereinstimmung zwischen Besiedelungsdichten und naturräumlicher Gliederung

Der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche liegt derzeit (Stand 31. Dezember 2010) landesweit in Baden-Württemberg bei 14,1 % und variiert auf Gemeindeebene innerhalb einer Spannbreite von 1 bis über 60 %. Dabei gibt es regional Konzentrationen von Gemeinden mit sehr dichter Besiedelung, aber auch solche mit sehr dünner Besiedlung. Teilweise auffällige Übereinstimmungen zeigen sich zwischen der Häufung von Gemeinden mit ähnlichen Anteilswerten und der Abgrenzung von Naturräumen. Hohe Anteilswerte der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche finden sich vor allem in der Stuttgarter Bucht (51 %), den Fildern (35 %) und der Nördlichen Rheinebene (29 %) gefolgt von der Bergstraße (25 %), dem Neckarbecken (24 %), dem Mittleren Albvorland (23 %) und der Freiburger Bucht (21 %).

Durchgehend niedrige Anteile sind für den ganzen Schwarzwald kennzeichnend, wobei sich die beiden nördlichen Teilräume Nördlicher Talschwarzwald (10 %) und Schwarzwald-Randplatten (11 %) von den anderen Schwarzwald-Naturräumen (6 bis 7 %) nochmals deutlich abheben. Einen weiteren Schwerpunkt mit Anteilswerten von unter 10 % findet man im Südosten des Landes (Hegaualb, Oberschwäbisches Hügelland, Westallgäuer Hügelland, Donau-Ablach-Platten und Mittlere Kuppenalb), wenn auch nicht so ausgeprägt und homogen wie im Schwarzwald.

Fazit

Im Einzelfall spielten vielfältige Gründe eine Rolle, an welchen Orten in der Vergangenheit gesiedelt wurde und wie sich die Ansiedlungen im Laufe der Zeit entwickelten. Tendenziell kann aus heutiger Sicht festgehalten werden, dass je intensiver die Landwirtschaftsfläche genutzt wird – je höher also der Anteil von Ackerfläche, Gartenland und Weingärten an der Landwirtschaftsfläche sind – desto höher fällt auch der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Bodenfläche insgesamt aus. Auf der anderen Seite nehmen mit wachsender Bedeutung der Siedlungs- und Verkehrsfläche die Flächenanteile von Wald und Grünland ab. Dies kann auch heute noch als Hinweis für den Zusammenhang zwischen Bodengüte, Klimazone, Topografie und der Besiedelung gelten.

1 Schwäbischer Ausdruck für Jacke.

2 Anerbenrecht.