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Unternehmensgründungen und -übernahmen durch Ausländer

Sowohl Deutsche als auch Ausländer gehen mehrheitlich den Weg in die Selbstständigkeit, indem sie einen Gewerbebetrieb neu gründen. Eine wesentlich geringere Zahl übernimmt einen bestehenden Betrieb. Der Ausländeranteil ist bei den Unternehmensübernahmen höher als bei den Neugründungen. Die ausländischen Gründerinnen und Gründer sind mehrheitlich Europäer, die wiederum überwiegend aus einem EU-Mitgliedstaat kommen. Die Branchenwahl variiert mit der Nationalität, allgemein ist jedoch festzustellen, dass Ausländer im Baugewerbe und Gastgewerbe häufiger eine selbstständige Tätigkeit anzeigen als Deutsche. Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die EU veränderte sich die multikulturelle Zusammensetzung ebenso wie die Branchenschwerpunkte.

Im deutschen Grundgesetz ist die freie Berufswahl verankert. Diese Berufsfreiheit impliziert für alle deutschen Staatsbürger auch die Freiheit, eine selbstständige berufliche Tätigkeit zu wählen.1 Ergänzt wird dieses Grundrecht durch den Grundsatz der Gewerbefreiheit, der es jeder natürlichen und juristischen Person gestattet, ein Gewerbe zu betreiben. Das Prinzip der Gewerbefreiheit gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern im Rahmen der bestehenden Gesetze. So wird es unter anderem durch die Gewerbeordnung inhaltlich bestimmt und begrenzt. Für Ausländer sind darüber hinaus vor allem das Aufenthaltsgesetz und das Freizügigkeitsgesetz/EU relevant.2 Für Staatsangehörige aus den EU-Mitgliedstaaten sowie den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)3 gilt der grundgesetzlich garantierte freie Zugang zur beruflichen Selbstständigkeit ebenso wie für Deutsche. Sie genießen folglich volle Niederlassungsfreiheit in Deutschland. Ausländische Staatsangehörige aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten benötigen hingegen eine Aufenthaltserlaubnis, die eine selbstständige oder vergleichbare Tätigkeit ausdrücklich gestattet.4

Der Weg in die Selbstständigkeit ist durch die Gründung eines neuen Betriebes oder durch die Übernahme eines bereits bestehenden Gewerbebetriebes möglich. Darüber hinaus kann auch der Gesellschaftereintritt in ein bestehendes Unternehmen den Beginn einer Selbstständigkeit bedeuten.5 2010 gingen rund 105 500 Personen durch eine dieser drei Möglichkeiten den Schritt in die Selbstständigkeit, darunter 26 200 (25 %) mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Insgesamt lebten 2010 rund 1 Mill. Ausländer im erwerbsfähigen Alter in Baden-Württemberg, dies entspricht 14 % der Bevölkerung dieser Altersgruppe. Unter den 552 000 Selbstständigen Baden-Württembergs betrug der Ausländeranteil 10 %.6

Hoher Ausländeranteil bei Unternehmensübernahmen

Durch die Gründung eines neuen Gewerbebetriebes werden sowohl Deutsche als auch Ausländer am häufigsten ihr eigener Chef. 2010 wagten in Baden-Württemberg fast 96 000 Personen den Schritt in die Selbstständigkeit, indem sie einen von rund 87 000 Gewerbebetrieben alleine oder gemeinsam mit anderen neu gründeten. Knapp 23 000 (24 %) der neuen Selbstständigen gründeten einen Betrieb, der aufgrund der voraussichtlichen Beschäftigtenzahl oder der Rechtsform eine größere wirtschaftliche Substanz vermuten lässt. Die sonstigen Neugründungen gliedern sich in Nebenerwerbsgründungen und Kleingründungen. Dabei gründeten 41 % der Gewerbetreibenden im Nebenerwerb und 35 % nahmen eine Kleingründung vor.

Rund 77 % der Gewerbetreibenden waren zum Zeitpunkt der Neugründung im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Ausländeranteil betrug folglich 23 %.7 Von den ausländischen Gründerpersonen waren 25 % Frauen; damit lag dieser Anteil unter dem der deutschen Frauen mit 31 %. Im Haupterwerb gründeten 53 % der Deutschen und 79 % der Ausländer.

Etwa 62 % der Ausländer, die eine Neugründung anzeigten, besaßen die Nationalität eines EU-Mitgliedstaates, weitere 29 % die eines anderen europäischen Staates. Eine Staatsangehörigkeit aus dem außereuropäischen Ausland hatten nur 9 % der Gründer und Gründerinnen, was etwas mehr als 2 000 Gewerbetreibenden entspricht. Die größte Gruppe bilden hier die Thailänder mit insgesamt 171 Personen, an zweiter Stelle stehen 134 Gewerbetreibende aus dem Irak.

Bei den Unternehmensübernahmen durch Erbfolge, Kauf oder Pacht liegt der Ausländeranteil wesentlich höher als bei den Neugründungen. Von den rund 7 200 Übernahmen im Jahr 2010 erfolgten mehr als 2 250 (31 %) durch Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Davon kamen

aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union42 %
aus einem anderen europäischen Land44 %
aus dem außereuropäischen Ausland14 %

Einen Gesellschaftereintritt zeigten 2010 rund 560 Deutsche und über 1 760 Ausländer im Gewerbeamt an. Der hohe Ausländeranteil von 76 % beruht zu 93 % auf den Aktivitäten der Gewerbetreibenden aus Rumänien, Polen, Bulgarien und Ungarn. Es handelt sich in der Regel um Gesellschaftereintritte im Baugewerbe.

Existenzgründungsvorhaben von Ausländern haben zugenommen

Neugründungen durch Ausländer haben in den letzen 15 Jahren zunehmend an Gewicht gewonnen. So lag der Ausländeranteil unter den Gewerbetreibenden, die eine Neugründung anzeigten, in der 2. Hälfte der 90er-Jahre noch bei 12 %. Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die EU in den Jahren 2004 und 2007 stieg er kontinuierlich an und erreichte 2010 schließlich einen Wert von 23 %. Auch die Gewichte der verschiedenen Nationalitäten veränderten sich im Laufe der Zeit. So stellten beispielsweise 2003 die Türken (27 %), Italiener (16 %) und Griechen (7 %) die größten Gruppen unter den ausländischen Gründern und Gründerinnen. 2010 erreichten die Türken nur noch einen Anteil von 16 %, Italiener 8 % und Griechen 3 %. Dies ist allerdings nur bei den Griechen mit einem merklichen Rückgang der absoluten Zahl von Gründerinnen und Gründern verbunden. Ihre Zahl ging seit 2003 um 21 % zurück. Dagegen stieg die Zahl der Türken mit Neugründungen in diesem Zeitraum um 14 % und die der Italiener blieb nahezu unverändert (−1 %). Die Anzahl der deutschen Gründerinnen und Gründer ging im selben Zeitraum um 3 % zurück.

Ursache für die Veränderung der multikulturellen Zusammensetzung der Gründerpersonen war aber auch der Bedeutungsgewinn anderer Nationalitäten. Nach der Aufnahme weiterer mittel- und osteuropäischer Staaten als Vollmitglieder der Europäischen Union8 stieg zunächst vor allem die Zahl der Polen, die einen Gewerbebetrieb in Baden-Württemberg gründeten. Stellten sie 2003 lediglich 2 % der ausländischen Gründer und Gründerinnen, waren es 2006 – also im 2. Jahr der EU-Vollmitgliedschaft – bereits 21 %. Dies entspricht einem Zuwachs ihrer Zahl um das 17-fache. Auch die Zahl der Ungarn erhöhte sich seit 2004 kontinuierlich. Ab 2007 stieg dann die Anzahl der Bulgaren und Rumänen sprunghaft an und lag 2010 schließlich 51-mal bzw. 14-mal höher als 2006. Entgegengesetzt entwickelte sich in diesem Zeitraum die Zahl der Polen, die 2010 um 19 % niedriger lag als 2006. Vermutlich war der Markteintritt der Arbeitskräfte aus Rumänien und Bulgarien für diesen Rückgang mit verantwortlich. 2010 zeigten mehr als 2 850 polnische und rund 2 800 rumänische Staatsbürger die Neugründung eines Gewerbebetriebes an. Dies entspricht jeweils einem Anteil von rund 13 % an den ausländischen Gründerpersonen. Aus Bulgarien kamen über 1 900 (9 %) und aus Ungarn fast 1 150, das waren 5 %.

Veränderungen hinsichtlich der multikulturellen Zusammensetzung sind nicht nur bei den Gründern und Gründerinnen von Gewerbebetrieben, sondern auch bei der ausländischen Bevölkerung im Land zu beobachten. So nahm seit Abschluss der EU-Osterweiterungen im Jahr 2007 die Zahl der ausländischen Mitbürger aus den insgesamt zwölf neuen Mitgliedstaaten um 22 % zu. Hohe Zuwächse zeigten sich dabei unter anderem bei den Bulgaren (+68 %), Rumänen (+49 %) und Ungarn (+26 %). Demgegenüber ging im gleichen Zeitraum die Zahl der ausländischen Mitbürger aus Italien (−2 %), Griechenland (−6 %) und der Türkei (−4 %) zurück.

Der Bevölkerungszuwachs fällt bei den Rumänen und Bulgaren damit deutlich schwächer aus als der Anstieg bei den Gründerzahlen dieser Nationalitäten. Bezieht man nun die Zahl der Gründerpersonen auf die jeweilige Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, ergibt sich für deutsche Staatsbürger eine Gründungsintensität von zwölf Gründern und Gründerinnen je 1 000 Einwohner im Alter von 15 bis unter 65 Jahren. Bei den Türken (16), Italienern (14) und Griechen (13) liegt die Gründungsintensität höher. Bei den Bulgaren kommen auf 1 000 Einwohner im erwerbsfähigen Alter sogar 201 Gründerpersonen. Auch bei den Rumänen (104), Ungarn (98) und Polen (77) ist diese Kennzahl ungewöhnlich hoch.

Branchenwahl variiert mit der Nationalität

Die Pizzeria, Dönerbude oder der Chinese um die Ecke gehören ebenso selbstverständlich in unsere Alltagswelt wie der türkische Lebensmittelhändler. Daher entspricht es unseren Erwartungen, wenn Ausländer in diesen Branchen häufiger einen Gewerbebetrieb gründen als Deutsche. In diesen Alltagswahrnehmungen spiegelt sich jedoch nur ein Teil der tatsächlichen Selbstständigkeit und aktuellen Gründungsaktivitäten von Ausländern wider. Eine nähere Betrachtung zeigt zudem, dass die Branchenwahl mit der jeweiligen Nationalität der Gründerinnen und Gründer variiert.

Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit gründen mit 25 % am häufigsten im Handel und hier vor allem im Einzelhandel (ohne Kfz). Weitere 12 % starten mit einer Tätigkeit im Bereich der freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen, zu denen neben der Werbung und Marktforschung zum Beispiel auch die Unternehmensberatung oder -verwaltung gehören. An dritter Stelle stehen sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen. Dazu zählen beispielsweise Hausmeisterdienste, die Gebäudereinigung oder der Büroservice. Von Ausländern wird die Neugründung eines Gewerbebetriebes am häufigsten im Baugewerbe (30 %) angezeigt. An zweiter Stelle rangiert mit gut 18 % der Handel, gefolgt von den wirtschaftlichen Dienstleistungen mit einem Anteil von 14 %.

Italiener, Türken und Griechen gründen häufig im Handel und Gastgewerbe

2010 gründeten 3 541 Türken, 1 838 Italiener und 681 Griechen einen Gewerbebetrieb in Baden-Württemberg. Ihr Gründungsverhalten ähnelt insofern dem der Deutschen, da sie sich ebenfalls am häufigsten im Handel selbstständig machen. Italiener kommen hier auf einen Anteil von 29 %, Türken auf 27 % und unter den Griechen sind es gut 25 %. Der Schwerpunkt liegt im Einzelhandel (ohne Kfz). Im Vergleich zu deutschen Staatsbürgern haben jedoch der Kfz-Handel (einschließlich der Instandhaltung und Reparatur von Kfz) sowie Handelsvermittlung und Großhandel (ohne Kfz) ein höheres Gewicht.

Erwartungsgemäß liegt ein weiterer Schwerpunkt der Gründerinnen und Gründer aus Italien, Griechenland und der Türkei im Gastgewerbe. Dabei wählten unter den Italienern und Griechen jeweils knapp 21 % diese Branche, unter den türkischen Gründerpersonen waren es 15 %. Während es sich bei Türken und Italienern fast ausschließlich um Gastronomiebetriebe handelt, gehören bei den Griechen prozentual häufiger auch Beherbergungsbetriebe dazu.

Türken sind darüber hinaus auch in anderen Wirtschaftsbereichen wie Baugewerbe (11 %) oder Verkehr und Lagerei (10 %) deutlich präsent. Ebenfalls häufiger wählen sie Tätigkeiten im Bereich der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (12 %) und hier vor allem in dem Wirtschaftszweig »Garten- und Landschaftsbau; Gebäudebetreuung« (7 %).

Bei den italienischen und griechischen Gründerinnen und Gründern stehen nach Handel und Gastgewerbe mit einem Anteil von 10 % bzw. 9 % Tätigkeiten zur Erbringung von sonstigen überwiegend persönlichen Dienstleistungen an dritter Stelle. Hierzu gehören zum Beispiel Wäschereien, Frisörsalons sowie Nagel- und Sonnenstudios. Knapp 5 % der Italiener starten mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen. Zum Vergleich: Unter den Türken sind es nur gut 3 % und unter den Griechen 2 %, Deutsche kommen in diesem Wirtschaftsbereich ebenfalls auf einen Anteil von 5 %. Gegenüber Deutschen (< 1 %) gründen Türken (4 %) und Griechen (6 %) zudem vergleichsweise häufig im Spiel-, Wett- und Lotteriewesen.

Baugewerbe ist Domäne der Polen, Bulgaren, Rumänen und Ungarn

Neugründungen von Ungarn, Polen, Bulgaren und Rumänen erfolgen ganz überwiegend im Baugewerbe. Dabei konzentrieren sich die Tätigkeiten im Wirtschaftszweig »Vorbereitende Baustellenarbeiten, Bauinstallation und sonstiges Ausbaugewerbe«. Häufig genannte Tätigkeiten sind hier beispielsweise Abbrucharbeiten, Betonbauarbeiten, die Elektroinstallation, der Einbau von genormten Baufertigteilen (zum Beispiel Fenster, Türen) sowie Arbeiten als Maurer oder Eisenflechter. Am höchsten ist der Anteil der Gründer im Baugewerbe unter den Ungarn (62 %) und Polen (61 %). Aber auch bei den Bulgaren und Rumänen ist er mit 52 % und 48 % dominierend. Insgesamt waren 44 % aller Gewerbetreibenden bzw. 73 % der ausländischen Gewerbetreibenden, die 2010 eine Neugründung im Baugewerbe anzeigten, Staatsangehörige dieser vier Nationen. Mehrheitlich erfolgt die Gründung als nicht eingetragenes Einzelunternehmen, an zweiter Stelle steht die Rechtsform Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR).

Ein weiteres häufig gewähltes Betätigungsfeld ist der Wirtschaftsbereich »Garten- und Landschaftsbau; Gebäudebetreuung«, zu dem beispielsweise Hausmeisterdienste und die Gebäudereinigung gehören. Gut 24 % der Bulgaren, 17 % der Rumänen und 14 % der Polen machten sich 2010 in diesem Wirtschaftszweig selbstständig. Ungarn kommen hier lediglich auf 6 %. Dafür sind sie in anderen Tätigkeitsfeldern etwas stärker vertreten. Zum Beispiel gründen 7 % im Verarbeitenden Gewerbe und hier vor allem im Bereich der Herstellung von Metallerzeugnissen.

Gekauft, gepachtet oder geerbt: Unternehmensübernahmen durch Ausländer

Rund 2 260 Ausländer übernahmen 2010 in Baden-Württemberg einen bestehenden Gewerbebetrieb, in dem sie diesen kauften, pachteten oder eine Erbfolge antraten. Fast 740, das heißt ein Drittel dieser Gewerbetreibenden, waren türkische Staatsbürger. Weitere 16 % kamen aus Italien und 9 % aus Griechenland.

Besonders typisch sind Unternehmensübernahmen durch Erbfolge, Kauf oder Pacht im Gastgewerbe und im Handel. So wählen 35 % der Deutschen und 68 % der Ausländer bei der Übernahme einen Gastronomiebetrieb, darunter zum Beispiel Restaurants, Imbissstuben, Eisdielen, Schankwirtschaften, Bars, Event-Caterer oder Heimlieferservices für Speisen und Getränke. Bereits eingeführte Betriebe im Einzelhandel9 stellten bei den Unternehmensübernahmen durch Deutsche mit 23 % einen größeren Anteil als bei den Ausländern (11 %). Wie bei den Neugründungen sind italienische und griechische Staatsbürger stärker im Gastgewerbe aktiv als Gewerbetreibende aus der Türkei. 83 % der Italiener und 84 % der griechischen Gewerbetreibenden zeigten die Betriebsübernahme im Gastgewerbe an. Unter den Türken betrug dieser Anteil 69 %.

Schlussbetrachtung

Die Gründungsintensität ist bei Ausländern höher als bei Deutschen. Zudem haben Unternehmensgründungen und -übernahmen durch Ausländer in den letzten Jahren an Gewicht gewonnen. Nebenerwerbsgründungen sind dabei vergleichsweise selten, überwiegend dient die Selbstständigkeit dem Haupterwerb.

Die Branchenschwerpunkte variieren mit der Nationalität, jedoch lassen sich durchaus einige Schwerpunkte ausmachen. So erfolgen zum Beispiel bei den Ausländern mehr als zwei Drittel der Unternehmensübernahmen durch Erbfolge, Kauf oder Pacht im Gastgewerbe. Auffällig ist außerdem die Konzentration und Dynamik der Gründungsaktivitäten im Baugewerbe durch Polen, Bulgaren, Rumänen und Ungarn. Dies betrifft sowohl die Neugründungen als auch die hohe Zahl der Gesellschaftereintritte. Auch die Bevölkerungszahl der betreffenden Nationen stieg in Baden-Württemberg seit den EU-Beitritten an, allerdings nicht so stark wie die Gründungsaktivitäten. Bezogen auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter fällt daher die Gründungsintensität sehr hoch aus. Begünstigt wurde der »Gründungsboom« in der Baubranche auch durch den Wegfall von Zulassungsbeschränkungen (seit 1. Januar 2004) für insgesamt 53 Handwerke im Rahmen der Reform des Handwerkrechts.

Der Zentralverband des deutschen Handwerks wies bereits 2005 darauf hin, dass es sich zumindest bei einem Teil dieser Neugründungen im Baugewerbe um den Versuch handeln könnte, die Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu umgehen.10 Freizügigkeit bedeutet, dass es keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingung gibt.11 Deutschland hat jedoch von der Möglichkeit der Einschränkung dieses EU-Rechts für die Zeit von maximal 7 Jahren Gebrauch gemacht.

Eine Vergleichsstudie zur Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit in der europäischen Bauindustrie12 verweist für Deutschland auf Beispiele von Scheinselbstständigkeit, in denen sich ein Hauptgesellschafter und mehrere weitere Gesellschafter aus den neuen Mitgliedstaaten als GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) ausgeben. In der Studie wird gefordert, dass »in diesen Fällen … geprüft werden (muss), ob die Arbeitnehmer tatsächlich in einem Partnerstatus agieren oder ob eine de facto Arbeitgeber – Arbeitnehmer Beziehung zwischen den betroffenen Personen und dem deutschen oder ausländischen »Leiter« der Firma besteht.«13 Für Staatsangehörige aus Polen und Ungarn trat die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai 2011 ein. Für die Länder Bulgarien und Rumänien wird dies ab 1. Januar 2014 der Fall sein. Bis dahin gelten Übergangsregelungen, die für die Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland eine Arbeitsgenehmigung erforderlich macht. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Zahl der Neugründungen im Baugewerbe durch Staatsangehörige der genannten Beitrittsländer mit Eintritt der Arbeitnehmerfreizügigkeit verändern wird.

1 Die Berufsausübung selbst kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (Grundgesetz, Artikel 12, Absatz 1).

2 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) und Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Stand November 2011.

3 Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz.

4 Weitergehende Informationen , Stand November 2011.

5 Existenzgründungen außerhalb der gewerberechtlichen Anzeigepflicht werden hier und im Folgenden nicht berücksichtigt.

6 Die Angaben des Mikrozensus umfassen auch jene Formen der Selbstständigkeit, die durch die Gewerbeanzeigenstatistik nicht erfasst werden.

7 Der Anteil der deutschen Gründerpersonen mit Migrationshintergrund ist in der Gewerbeanzeigenstatistik nicht ermittelbar.

8 Zum 1. Mai 2004 wurden Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern (nur der griechische Landesteil) als Vollmitglieder auf-genommen. Im Januar 2007 folgten Rumänien und Bulgarien.

9 Ohne Handel mit Kraftfahrzeugen.

10 Handwerksordnung, Stand November 2011.

11 EG-Vertrag, Teil 3, Art. 39, Abs. 2.

12 Jorens, Y: Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit in der Europäischen Bauindustrie. Zusammenfassung einer Vergleichsstudie der 11 Mitgliedstaaten, hrsg. von Europäische Sozialpartner für die Bauindustrie (EFBWW und FIEC), 2009, S. 19,, Stand November 2011.

13 Ebenda.