:: 2/2012

Materieller und immaterieller Wohlstand in Großstädten

Indikatoren und erste Ergebnisse für 2009/2010

Wo steht eine Stadt im Reigen anderer Großstädte? Welcher Indikator ist geeignet, eine angemessene Beurteilung der wirtschaftlichen Lage einer Stadt zu liefern? Vor allem die zweite Frage wird in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft mit Blick auf eine sachgerechte und umfassende Messung des materiellen und immateriellen Wohlstands derzeit stark diskutiert. Ein Beitrag im Rahmen der Schriftenreihe »Statistische Analysen« hat sich ausführlich mit den Möglichkeiten beschäftigt, hierzu sinnvolle Indikatoren zu entwickeln, die für Großstädte verfügbar und aussagefähig sind.1 Das Grundgerüst hierzu hat das »Wohlstandsquartett« des »Denkwerks Zukunft« gestellt, das vier Dimensionen von Indikatoren unterscheidet; sie werden hier durch eine fünfte Dimension ergänzt. Aus Gründen der statistischen Verfügbarkeit müssten die vier Indikatoren des »Wohlstandsquartetts« für die Durchleuchtung von Großstädten durch andere, regionalspezifische Indikatoren ersetzt werden (siehe i-Punkt).

Nachfolgend werden die wichtigsten Ergebnisse der genannten Studie »Statistische Analysen« für die 15 größten deutschen Städte mit jeweils mehr als 500 000 Einwohnern dargelegt. Dazu werden die Indikatoren kurz beschrieben sowie Hinweise auf die interessantesten, im Einzelnen aus den Schaubildern und Übersichten hervorgehenden Ergebnisse gegeben.

Ökonomische Dimension: Wirtschaftskraft und Einkommen

Wirtschaftskraft, Einkommensniveau und Kaufkraft großer Städte lassen sich anhand von Ergebnissen der Kreisberechnungen des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« darstellen, hier zum aktuellen Berechnungsjahr 2009.

Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Erwerbstätigen handelt es sich um einen produktionsortbezogenen Indikator für die Wirtschaftskraft einer Stadt. Niveauunterschiede zwischen den Städten erklären sich zum einen aus dem anhaltenden Zurückbleiben der ostdeutschen Wirtschaft einschließlich dem dort niedrigen Niveau der Löhne und Gehälter, zum anderen durch strukturbedingte Besonderheiten:2 Städte mit einem hohen Anteil an Unternehmensdienstleistungen sowie an kapitalintensiven Industriezweigen, wie Energie- und Wasserversorgung, Mineralölverarbeitung, Luft- und Schifffahrt, Automobilherstellung, weisen eine hohe Arbeitsproduktivität auf. Die insoweit hohe Wirtschaftskraft der Städte Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, München und Bremen erklärt sich überwiegend aus der dortigen Ausrichtung auf unternehmensbezogene Dienstleistungen. Bei Essen spielt die starke Verankerung in der Energie- und Wasserversorgung, bei Stuttgart die enorme Bedeutung der Herstellung von Investitionsgütern eine wesentliche Rolle. Bei den ostdeutschen Städten einschließlich Berlin kommt als strukturelle Erklärung für die niedrige Wirtschaftskraft noch ein starkes Gewicht bei personalintensiven Dienstleistungen, wie öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen, sowie beim Baugewerbe hinzu.

Das Primäreinkommen je Einwohner ist eine wohnortbezogene Größe und ein guter Indikator für den materiellen Wohlstand der in einer Stadt lebenden Menschen.

Die sieben Städte mit der höchsten Wirtschaftskraft (BIP je Erwerbstätigen) liegen – abgesehen von Essen – auch beim Pro-Kopf-Einkommen ganz vorne, allerdings in teilweise abweichender Reihenfolge. Neben konzeptionellen Unterschieden beider VGR-Größen hängt dies vor allem mit Abweichungen im Berufspendlerverhalten zusammen. Dabei zeichnen sich vor allem München und Hamburg, aber auch Düsseldorf und Köln als Städte aus, die innerhalb ihrer Region als Wohnort für gut verdienende Arbeitnehmer attraktiv sind, während umgekehrt viele Menschen, die in Frankfurt und in Stuttgart arbeiten und dort gut verdienen, in umliegenden Gemeinden wohnen. Ebenso weisen die Städte mit der geringsten Wirtschaftskraft auch die niedrigsten Einkommen auf, wobei Dresden und Berlin deutlich zu Duisburg aufholen konnten.3

Das Verfügbare Einkommen je Einwohner ist aus dem Primäreinkommen je Einwohner abgeleitet, indem zum einen die von den dort lebenden Einwohnern gezahlten direkten Steuern und Sozialabgaben abgezogen, zum anderen deren empfangene Sozialtransfers hinzugesetzt werden. Die Reihenfolge der Städte beim Verfügbaren Einkommen ist, abgesehen von wenigen Einzelfällen, dem Ranking des Primäreinkommens sehr ähnlich. Auch hier gibt es wieder gewisse Verschiebungen innerhalb der sieben einkommensstärksten und der vier einkommensschwächsten Städte, die sich vor allem durch Unterschiede bei den sozialen Transferleistungen erklären.

Sozio-ökonomische Dimension: Einkommensverteilung

Während die Primäreinkommen bzw. Verfügbaren Einkommen je Einwohner interregionale Einkommensunterschiede zwischen den Städten beschreiben, geben Armutsgefährdungsquoten Anhaltspunkte für intraregionale Einkommensdisparitäten innerhalb einer Stadt. Armutsgefährdungsquoten lassen sich über bedarfsgewichtete Nettoäquivalenzeinkommen aus dem Mikrozensus und daraus abgeleitete Armutsgefährdungsschwellen errechnen. 4 Für Aussagen zur Einkommensdisparität innerhalb einer Stadt ist dazu die über den Median der Nettoäquivalenzeinkommen der jeweiligen Stadt ermittelte Schwelle geeignet (siehe i-Punkt). Da die so berechneten Armutsgefährdungsquoten über die einzelnen Jahre hinweg stark schwanken, wurden für die in Schaubild 4 wiedergegebenen Ergebnisse Durchschnittswerte der Jahre 2005 bis 2009 herangezogen.5

Auffallend sind einerseits niedrige Einkommensdisparitäten in Berlin, Duisburg und auch Dortmund, also gerade in solchen Städten, in denen die Einkommen je Einwohner relativ gering ausfallen. Auf der anderen Seite finden sich hohe Einkommensdisparitäten in den beiden einkommensstarken Städten München und Frankfurt. Bemerkenswert ist weiterhin eine große Ausgeglichenheit im unteren Mittelfeld mit Armutsgefährdungsquoten in neun der 15 Städte zwischen 16,8 und 17,7 %. Weitere Erklärungen bieten Unterschiede in den sozio-ökonomischen Strukturen. So fallen Universitätsstädte mit geringen Einkommen und niedrigen sozialen Transfers grundsätzlich etwas zurück.6

Gesellschaftliche Dimension: Soziale Ausgrenzung

Niedrige Einkommen und hohe Einkommensdisparitäten können zu gesellschaftlicher Unzufriedenheit führen und Grund für das Gefühl sozialer Ausgrenzung sein. Entsprechende Probleme können ausgeglichen werden durch gute zwischenmenschliche Beziehungen innerhalb der Gesellschaft sowie gelungene soziale Integration, unterstützt beispielsweise durch Vereine oder ehrenamtliches Engagement. Geeignete Indikatoren zur subjektiven Einschätzung solcher Fragen bieten die Ergebnisse der Urban-Audit-Wahrnehmungserhebung (koordinierte Bürgerbefragung zur Lebensqualität in deutschen Städten) zum Jahre 2009, allerdings nur für die teilnehmenden elf Großstädte. 7

Die hierin zum Themenbereich »Armut« gestellte Frage lautet, ob Armut in der Stadt als ein Problem angesehen wird. In Schaubild 5 sind die Städte nach ihrem Anteil der »Nein-Antworten« geordnet. Ein Vergleich mit den Schaubildern 2 und 3 bzw. 4 lässt vermuten, dass sich die »gefühlte Armut« insgesamt betrachtet eher an der Höhe der jeweiligen Einkommen festmacht als an Einkommensungleichgewichten innerhalb der Stadt. So ist die »gefühlte Armut« in den Städten Stuttgart und München mit hohen Pro-Kopf-Einkommen, aber relativ großen innerstädtischen Einkommensdisparitäten besonders gering, in den Städten Berlin und Dortmund mit relativ niedrigem Einkommensniveau, jedoch eher schwacher Armutsgefährdung dagegen auffallend stark ausgeprägt. Wiederum liegen aber auch bei diesen Umfrageergebnissen recht viele Städte im Mittelfeld nahe beieinander.

In der Umfrage wurde auch gefragt, ob die in der Stadt lebenden Ausländer gut integriert sind. Diese Frage steht damit für den Bereich »gesellschaftliche Ausgrenzung«. In den Ergebnissen von Schaubild 6 zeigt sich im Städteranking eine beachtliche Parallelität zur Frage »Armut als Problem«, wobei innere Zusammenhänge beider Fragenkomplexe durchaus gegeben sind. Weitere bemerkenswerte Erkenntnisse zeigt eine Gegenüberstellung mit dem Bevölkerungsanteil Nichtdeutscher in den Großstädten. Danach kann die Ausländerintegration ausgerechnet in den Städten Stuttgart und München mit den höchsten Ausländeranteilen (22,9 und 22,7 %) als besonders geglückt betrachtet werden. Auch in Düsseldorf, Nürnberg und Köln mit ebenfalls hohen Ausländerquoten (zwischen 16,1 und 18,4 %) sieht mehr als die Hälfte der Einwohner die ausländischen Mitbürger als gut integriert an. Demgegenüber überwiegt vor allem in Berlin, aber auch in Dortmund, Essen und Hamburg trotz unterdurchschnittlichem Ausländeranteil im Großstädtevergleich (zwischen 11,9 und 15,7 %) der Anteil der Integrationsskeptiker. Ein Grund für die offensichtlich gute Integrationsfähigkeit der Städte Stuttgart, München, Düsseldorf und Nürnberg könnte darin bestehen, dass dort die ausländischen Menschen und ihre Familien breiter über die Stadtgebiete verteilt sind als etwa in Berlin und auch in Hamburg, also keine ausgeprägte räumliche Konzentration mit der Gefahr einer Ghettobildung besteht.

Ökologische Dimension: Umwelt- und Klimaschutz

Die amtliche Statistik kann bedauerlicherweise keine ausreichende Anzahl an Indikatoren zu einer umfassenden Messung der Umweltqualität in Stadt- und Landkreisen zur Verfügung stellen. Um so wertvoller sind die Daten und Informationen des German Green City Index, in dem die Leistungen von elf deutschen Großstädten im Bereich Umwelt- und Klimaschutz anhand von insgesamt 30 Indikatoren untersucht werden; diese werden dann zu acht Kategorien zusammengefasst.8 16 der 30 Indikatoren sind quantitativer Natur und bewerten die derzeitige Situation der Städte, 14 qualitative Indikatoren beurteilen die Aussichten auf künftige Verbesserungen. Die Würdigung der ökologischen Leistungen der erfassten elf deutschen Großstädte erfolgt durch einen Vergleich mit dem Durchschnitt von insgesamt 41 europäischen Städten, wobei für jede der acht Kategorien fünf Bewertungsgruppen (weit überdurchschnittlich, überdurchschnittlich, durchschnittlich, unterdurchschnittlich, weit unterdurchschnittlich) unterschieden werden.

Aufgrund beachtlicher Aktivitäten und Erfolge im Bereich Umwelt- und Klimaschutz sind die deutschen Großstädte im Vergleich zu den europäischen Metropolen gut positioniert. Zehn der insgesamt zwölf deutschen Städte, aber nur acht der 29 nichtdeutschen europäischen Städte weisen Werte über dem Durchschnitt aus, nämlich die vier skandinavischen Hauptstädte sowie die größten Städte der vier Nachbarländer Belgien, Niederlande, Österreich und Schweiz. Noch im Durchschnitt befinden sich mit Essen und Köln die beiden verbleibenden deutschen Städte, außerdem sieben weitere europäische Hauptstädte. Unterdurchschnittliche Ergebnisse haben neun, weit unterdurchschnittliche Ergebnisse fünf europäische Städte aufzuweisen.

Die Ergebnisse der elf deutschen Großstädte liegen erstaunlich nahe beieinander. Dies zeigt die Tabelle, in der die Bewertungen in den acht Kategorien zusammengestellt sind. Als Gründe für das gute Abschneiden geben die Autoren der Studie die Bemühungen der Bundesregierung an, die Umweltpolitik in Deutschland soweit wie möglich zu vereinheitlichen, außerdem ein traditionell hohes und weiter steigendes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung.

Auf Basis dieser Kategorien liegt Stuttgart mit insgesamt sieben überdurchschnittlich und nur einer durchschnittlich bewerteten Kategorie an der Spitze, gefolgt von Berlin und Hamburg mit je zwei durchschnittlichen und sechs überdurchschnittlichen Kategorien. Fünf überdurchschnittliche und drei durchschnittliche Kategorien weisen die Städte München, Hannover, Nürnberg und Leipzig auf; Bremen kommt auf eine durchschnittliche und eine unterdurchschnittliche Kategorie. In Frankfurt am Main halten sich vier überdurchschnittliche und vier durchschnittliche Kategorien die Waage. Zwei durchschnittliche und eine unterdurchschnittliche Kategorie entfallen auf Essen. Lediglich in Köln überwiegen die durchschnittlichen Kategorien (sechs) gegenüber den überdurchschnittlichen.

Fiskalische Dimension: Öffentliche Verschuldung

Die Qualität des öffentlichen Lebens wird maßgeblich auch dadurch bestimmt, in welchem Umfang eine Kommune öffentliche Einrichtungen zur Verfügung stellt oder öffentliche Aufgaben im Interesse ihrer Bürger wahrnimmt. Je gravierender eine Stadt verschuldet ist, desto enger ist ihr finanzieller Spielraum und damit die Möglichkeit, öffentliche Aufgaben vor allem freiwilliger Art zu übernehmen. Dies mindert den Wohlstand der dort wohnenden Menschen, und es hat auch Auswirkungen auf das Leben künftiger Generationen, die für Zins und Tilgung der aufgelaufenen Schulden aufkommen müssen. Kommunale Schulden können damit als Indikator für öffentlichen Reichtum, Nachhaltigkeit und finanzielle Spielräume zur Bewältigung zukünftiger Aufgaben angesehen werden.

Der aus Schaubild 7 ersichtliche Verschuldungsgrad (Verschuldung je Einwohner)9 zwischen den neun Großstädten (ohne Stadtstaaten) ist ausgesprochen differenziert. Die geringste Verschuldung weisen die Städte Dresden und Düsseldorf auf, allerdings begünstigt durch erhebliche Entschuldungsmaßnahmen in den letzen Jahren aufgrund groß angelegter Veräußerungen von zuvor kommunalen Wohnungen. Recht überschaubar ist außerdem die Verschuldung in Stuttgart. Am Ende stehen Nürnberg und Köln mit einer mehr als dreimal so hohen Verschuldung wie die baden-württembergische Landeshauptstadt. Ansonsten folgt die Reihenfolge des kommunalen Schuldenstands keinen erkennbaren Regelmäßigkeiten, insbesondere scheinen keine inneren Verbindungen zu anderen hier diskutierten ökonomischen und gesellschaftlichen Indikatoren vorzuliegen.

Verfügbarkeit der Daten für alle Großstädte

Leider können die hier vorgeschlagenen Indikatoren nicht für alle 15 Großstädte Deutschlands bereitgestellt werden. So lässt die Urban-Audit-Befragung die Städte Hannover, Bremen, Dresden und Duisburg außer Betracht, und im German Green City Index werden die Städte Düsseldorf, Dortmund, Dresden und Duisburg nicht untersucht. Da außerdem die kommunale Verschuldung für die Stadtstaaten nicht separat dargestellt werden kann, können die hier vorgestellten Indikatoren bislang durchgehend nur für die sieben Städte München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart, Essen, Leipzig und Nürnberg vorgelegt werden.

Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Sicht von Stuttgart

Gemessen an den hier diskutierten Indikatoren für den materiellen Wohlstand kann Stuttgart vorwiegend überdurchschnittlich hohe Werte vorweisen, vor allem bei den Einkommen der privaten Haushalte, aber auch bei der Wirtschaftskraft. Demgegenüber schneidet die baden-württembergische Landeshauptstadt bezüglich der Verteilung der Einkommen unter den privaten Haushalten der Stadt, abzulesen aus einer leicht überdurchschnittlichen Armutsgefährdungsquote, eher mittelmäßig ab. Gleichwohl kann die soziale Situation der in Stuttgart lebenden Menschen als gut bezeichnet werden: Die gefühlte Armut ist sehr gering ausgeprägt, die Ausländerintegration nahezu beispielhaft.

Besonders günstige Werte erzielt Stuttgart beim Umwelt- und Klimaschutz: In sieben von acht Kategorien einer umfassenden ökologischen Studie weist Stuttgart Werte auf, die über dem Durchschnitt deutscher Städte bzw. europäischer Metropolen liegen. Schließlich steht Stuttgart bei der öffentlichen Verschuldung, der fiskalischen Dimension, ebenfalls relativ gut da, und zwar auch ohne einmalige Entlastungsaktionen wie den umfangreichen Verkauf zuvor kommunaler Wohnungen.