:: 3/2012

Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg

Ergebnisse des Mikrozensus 2010

In Deutschland hat fast jeder fünfte Einwohner einen Migrationshintergrund, in Baden-Württemberg ist der Migrantenanteil an der Bevölkerung mit gut 26 % noch wesentlich höher. Der folgende Beitrag hat die Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg zum Thema. Aus welchen Bevölkerungsgruppen setzt sich die Gruppe der Migranten zusammen? Wie ist die Lebenssituation von Migranten gemessen an ihrem Bildungsstand, ihrer Arbeitsmarktbeteiligung und ihrer Einkommenssituation im Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund?

Baden-Württemberg mit höchstem Migrantenanteil unter den Flächenstaaten

In Deutschland lebten 2010 knapp 16 Mill. Menschen mit Migrationshintergrund. Der Anteil der Migranten an der Gesamtbevölkerung liegt damit bei gut 19 %. Somit hat fast jeder fünfte Einwohner Deutschlands einen Migrationshintergrund. Von allen Bundesländern die höchsten Migrantenanteile weisen die Stadtstaaten Bremen und Hamburg mit 28 bzw. 27 % auf, dann kommt Baden-Württemberg mit gut 26 %. Unter den Flächenländern hat damit Baden-Württemberg den höchsten Migrantenanteil. Beim Migrantenanteil zeigt sich bundesweit ein ausgeprägtes Ost-West-Gefälle. In den neuen Ländern liegt der Anteil der Migranten an der Gesamtbevölkerung lediglich bei knapp 5 %. Aber auch unter den Bundesländern im früheren Bundesgebiet zeigt sich ein starkes Gefälle. In Schleswig-Holstein beispielsweise ist der Migrantenanteil mit knapp 13 % gerade halb so groß wie in Bremen, Hamburg oder Baden-Württemberg (Schaubild 1).

Im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten wie Berlin (gut 24 %) und Hamburg (27 %) weist die Landeshauptstadt Stuttgart mit rund 38 % einen sehr hohen Migrantenanteil auf. Lediglich in Augsburg (39 %) und Frankfurt (43 %) sind die Migrantenanteile bundesweit noch höher.

Von den rund 10,7 Mill. Einwohnern des Landes besitzen etwa 2,8 Mill. Menschen einen Migrationshintergrund. Dieser Personenkreis setzt sich zusammen aus knapp 1,3 Mill. Ausländern (das sind 45 % der Migranten und 12 % der baden-württembergischen Bevölkerung) und knapp 1,6 Mill. Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit (das sind 55 % der Migranten und gut 14 % der Einwohner des Landes). Lange Zeit hat man in Deutschland die mit Integration und Migration verbundenen gesellschaftlichen Aufgaben auf die Gruppe der Ausländer begrenzt gesehen. Diese Zahlen zeigen, dass die Bevölkerungsgruppe, die tatsächlich betroffen ist, doppelt so groß ist.

Zwei Drittel aller Migranten in Baden-Württemberg sind selbst zugewandert

Insgesamt knapp zwei Drittel aller Migranten in Baden-Württemberg verfügen über eigene Migrationserfahrung, sind also selbst zugewandert. Gut ein Drittel ist hier geboren (Schaubild 2).

Zu den Migranten mit eigener Migrationserfahrung gehören folgende Gruppen:

  • Ausländer, die selbst zugewandert sind. Mit knapp 33 % aller Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg ist dies die zahlenmäßig größte Migrantengruppe.
  • Deutsche mit Migrationserfahrung, die selbst zugewandert sind. Dazu gehören einerseits die Spätaussiedler (rund 22 % aller Migranten) sowie die Eingebürgerten, die selbst zugewandert sind (10 % aller Migranten im Land).
  • Zu den Migranten ohne eigene Migrationserfahrung zählen:
  • Die in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern (12 % aller Migranten).
  • Die Kinder von Eingebürgerten, Spätaussiedlern und von Ausländern, für die die Ius Soli-Regelung1 greift. Diese Gruppe umfasst knapp 20 % aller Migranten in Baden-Württemberg.
  • Eingebürgerte, nicht zugewanderte Ausländer (knapp 3 % aller Migranten).

Aus welchen Ländern stammen die in Baden-Württemberg lebenden Migranten?

Eine wichtige Information ist auch, aus welchen Ländern die Migranten, die selbst zugewandert sind, stammen. Es zeigt sich, dass fast vier von fünf Migranten mit eigener Migrationserfahrung aus einem anderen europäischen Land zu uns gekommen sind (Darunter 36 % aus einem Staat der EU-27). Die am stärksten vertretenen Nationen von den zugewanderten Migranten sind in Baden-Württemberg Menschen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion (22 %), aus der Türkei (15 %), aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens (13 %) sowie aus Italien, Polen und Rumänien (jeweils 7 %).

Migranten sind deutlich jünger als Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund

Die Gruppe der Migranten ist deutlich jünger als die der Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund. Der Anteil der unter 25-Jährigen, also der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt bei den Migranten bei 35 %, bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund dagegen lediglich bei 23 %. Die Gruppe der 25- bis unter 65-Jährigen ist mit jeweils rund 54 % gleich groß. Im Rentenalter, also 65 Jahre und älter, sind nur 11 % der Migranten, bei den Menschen ohne Migrationshintergrund liegt der Anteil älterer Menschen mit knapp 23 % doppelt so hoch. Das Durchschnittsalter ist somit bei den Migranten mit rund 36 Jahren erheblich niedriger als bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund, die ein Durchschnittsalter von rund 45 Jahren aufweisen.

Diese Zahlen zeigen, dass der Prozess der demografischen Alterung und die damit verbundenen Probleme in Baden-Württemberg ohne die Bevölkerung mit Migrationshintergrund noch deutlich ausgeprägter ausfallen würden.

Migranten haben fast vier Mal häufiger als Menschen ohne Migrationshintergrund keine berufliche Qualifikation

In unserer Gesellschaft ist die schulische und berufliche Qualifikation der Menschen eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliches Teilhaben, für eine angemessene Lebenssituation und die Lebenschancen.

Die berufliche Qualifikation von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im Alter von 25 bis unter 65 Jahren weist große Unterschiede auf. Besonders auffällig ist vor allem der sehr hohe Anteil von Migranten ohne Berufsausbildung (rund 35 %). Von den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund haben nur etwa 9 % keine Berufsausbildung. Das heißt, Migranten haben fast viermal häufiger als Menschen ohne Migrationshintergrund keinen Beruf gelernt. Dementsprechend sind Migranten bei allen Berufsabschlüssen unterrepräsentiert. Selbstverständlich gibt es auch unter den Migranten Personen mit hoher beruflicher Qualifikation. Statistisch betrachtet haben jedoch Migranten im Durchschnitt eine geringere berufliche Qualifikation.

Migranten haben schlechtere Arbeitsmarktchancen als Personen ohne Migrationshintergrund

Die im Durchschnitt geringere berufliche Qualifikation von Migranten wirkt sich offensichtlich unmittelbar auf die Arbeitsmarktchancen von Migranten aus. Migranten sind wesentlich seltener berufstätig als Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund: Von den 15- bis unter 65-Jährigen ohne Migrationshintergrund sind in Baden-Württemberg knapp 77 % berufstätig, von den Migranten nur rund 66 %. Diese Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung zeigen sich bei den Männern (ohne Migrationshintergrund: rund 81 %, mit Migrationshintergrund gut 73 %), aber noch deutlich stärker ausgeprägt bei den Frauen (knapp 72 % bzw. gut 59 %).

Auch die Erwerbslosenquoten (also der Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen) zeigen, dass diese beiden Bevölkerungsgruppen offensichtlich nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Erwerbslosenquote der Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund lag im Jahresdurchschnitt 2010 bei knapp 4 %, die der Migranten mit rund 9 % mehr als doppelt so hoch (Schaubild 3).

Eine Ursache für die höhere Erwerbslosigkeit von Migranten dürfte sicherlich in deren im Durchschnitt schlechteren beruflichen Qualifikation zu sehen sein. Weitere Ursachen für die schlechteren Arbeitsmarktchancen von Migranten könnten unter anderem in teilweise geringen Deutschkenntnissen liegen oder darin, dass im Ausland erworbene Ausbildungsabschlüsse nicht als gleichwertig angesehen werden.

Bevölkerung mit Migrationshintergrund häufiger von staatlichen Transferleistungen abhängig

Das geringere formale Bildungsniveau und die schlechteren Arbeitsmarktchancen von Migranten ziehen eine durchschnittlich schlechtere finanzielle Situation bzw. eine höhere Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen nach sich.

Gut 8 % der Personen mit Migrationshintergrund leben überwiegend von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld, Hartz IV etc. Bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund ist dies lediglich bei knapp 4 % der Fall. Das Erwerbseinkommen als wichtigste Quelle des Lebensunterhalts gaben nur rund 41 % der Migranten, jedoch knapp 47 % der Personen ohne Migrationshintergrund an. Ein vergleichsweise hoher Anteil der Migranten (gut 38 %) ist auf Unterhalt durch Angehörige angewiesen, bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund ist dies nur bei rund 25 % der Fall. Hier dürfte der größere Anteil von Kindern und Jugendlichen, aber auch die geringere Erwerbsbeteiligung von Migranten eine Rolle spielen. Da der Anteil der Senioren wie bereits erwähnt unter den Migranten relativ klein ist, fällt in dieser Gruppe der Anteil der Rentenbezieher mit knapp 13 % wesentlich geringer aus als unter den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund (gut 24 %).

Migrantenhaushalte verfügen im Durchschnitt über ein geringeres monatliches Haushaltsnettoeinkommen

Knapp 28 % der Migrantenhaushalte (Haushalte bei denen der Haupteinkommensbezieher über einen Migrationshintergrund verfügt) müssen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 1 300 Euro auskommen. Bei Haushalten, deren Haupteinkommensbezieher keinen Migrationshintergrund hatten, lag der vergleichbare Anteil lediglich bei knapp 22 %. Unter den Beziehern höherer Haushaltsnettoeinkommen sind hingegen die Migrantenhaushalte deutlich seltener vertreten. Nur rund 19 % der Migrantenhaushalte verfügen über ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens 3 200 Euro. Von den Haushalten, deren Haupteinkommensbezieher keinen Migrationshintergrund aufweist, befanden sich hingegen deutlich mehr, nämlich gut 28 % in dieser Einkommensgruppe.

Dieses Einkommensgefälle wird zusätzlich noch dadurch verschärft, dass die Haushalte von Migranten im Durchschnitt deutlich größer sind als die von Personen ohne Migrationshintergrund. Die durchschnittliche Haushaltsgröße bei den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund lag 2010 bei 2,1 Personen pro Haushalt, in den Haushalten von Baden-Württembergern mit Migrationshintergrund leben durchschnittlich 2,4 Personen.

Die Einkommenslage von Migranten und ihre Bedingungsfaktoren führen im Weiteren dazu, dass das Armutsrisiko von Migranten höher ist als das von »Nichtmigranten«. Während von den Baden-Württembergern ohne Migrationshintergrund nahezu jeder Zehnte von Armut bedroht war, war es bei den Baden-Württembergern mit Migrationshintergrund nahezu jeder Fünfte (Schaubild 4).

Auch die jungen Migranten sind schlecher ausgebildet

In dieser Situation dürfte vielmals die nachfolgende Generation als Hoffnungsträger gelten. Allerdings zeigen sich auch in der jungen Migrantengeneration deutliche Bildungsdefizite. Von den jungen Menschen ohne Migrationshintergrund im Alter von 25 bis unter 35 Jahren hat fast jeder zweite das Abitur, 33 % besitzen den Realschulabschluss, 18 % den Hauptschulabschluss. Bei den Migranten zeigt sich eine andere Verteilung: Nur 33 % haben Abitur und 32 % den Hauptschulabschluss. Eklatant sind vor allem auch die Unterschiede bei denjenigen, die keinen Schulabschluss haben: Das trifft nur noch auf gut 1 % der jungen Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund dieser Altersgruppe zu, jedoch auf immerhin knapp 7 % der jungen Migranten.

Das Gefälle bei den Schulabschlüssen setzt sich bei den beruflichen Abschlüssen fort. Bei den 25- bis unter 35-Jährigen mit Migrationshintergrund haben rund 27 % keine Berufsausbildung. Dies ist nur bei rund 7 % der Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund der Fall. Bei allen Ausbildungsabschlüssen sind die Migranten wesentlich schwächer vertreten als Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund (Schaubild 5).

Die Ursachen für die schlechtere schulische und berufliche Qualifikation von jungen Migranten dürften unter anderem in Sprachproblemen zu sehen sein, aber auch in der Tatsache, dass in Deutschland der Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Bildung in hohem Maße vom Bildungsniveau der Eltern abhängt (Dominoeffekt).

1 Ius Soli (lat: Recht des Bodens), bezeichnet das Prinzip, nach dem ein Staat seine Staatsbürgerschaft an alle Kinder verleiht, die auf seinem Staatsgebiet geboren werden. Seit der Einführung von Staatsbürgerschaftsgesetzen galt in Deutschland das Ius Sanguinis (Abstammungsprinzip, Staatsbürgerschaft an die der Eltern gebunden). Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 wurde mit dem sogenannten »Optionsmodell« für Kinder ausländischer Eltern, die bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllen die Möglichkeit eröffnet, dass für sie bis zur Volljährigkeit eine doppelte Staatsbürgerschaft besteht, und sich die Person dann in der Regel bis zum 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden muss.