:: 4/2012

Trend zu höheren Bildungsabschlüssen

Vom Entlasszeugnis der Volksschule zur Hochschulreife

Im Jahr 1953 verließen noch über 90 % der Schüler die allgemeinbildenden Schulen im Land, nachdem sie die Volksschulpflicht erfüllt hatten. Nur 3 % erwarben damals das Abitur. 2010 wurden dagegen weitaus mehr Abiturzeugnisse ausgestellt als Hauptschulabschlüsse. Am häufigsten wird gegenwärtig der mittlere Bildungsabschluss erworben. Gleichwohl erwirbt mittlerweile mehr als die Hälfte eines Altersjahrgangs eine Hochschulzugangsberechtigung. Denn an den mittleren Abschluss kann sich noch über ein berufliches Gymnasium oder den Zweiten Bildungsweg das Abitur anschließen. Zudem bieten die beruflichen Schulen mit der Fachhochschulreife einen entsprechenden Abschluss an. Junge Frauen stellen heute über die Hälfte aller Abiturienten, 1970 lag ihr Anteil dagegen erst bei 39 %.

Der Volksschulabschluss: in den 1950er-Jahren der übliche Abschluss

Der erste »baden-württembergische« Entlassjahrgang verließ vor Ostern 1953 die allgemeinbildenden Schulen des jungen SüdweststaatS. Dieser im Vergleich zu heute sehr frühe Entlasstermin ist auf den damaligen Schuljahresbeginn im Frühjahr zurückzuführen. Erst Mitte der 1960er-Jahre wurde auf den heutigen Schuljahresrhythmus umgestellt. Dies erforderte damals im Übergang zwei sogenannte »Kurzschuljahre« mit der Folge, dass es im Jahr 1966 zwei Entlassjahrgänge gab – vor Ostern und im Herbst.

Die gut 115 000 Abgänger allgemeinbildender Schulen des Jahres 1953 gingen weit überwiegend nach Erfüllung der Volksschulpflicht ab. Diese umfasste damals nur 8 Schuljahre. Lediglich 6 % der Schulentlassenen hatten die mittlere Reife erworben und nur 3 % das »Reifezeugnis«, also das Abitur. Von den rund 7 200 Absolventen mit mittlerer Reife hatten nur 1 100 zuvor eine Mittelschule oder den Mittelschulzug einer Volksschule besucht. Die anderen 6 100 waren mit dem Versetzungszeugnis in den 11. Schuljahrgang von einer »Höheren Schule« abgegangen.1 Es war damals also keineswegs selbstverständlich, den Besuch einer Höheren Schule mit dem Abitur abzuschließen.

Stark rückläufige Entlasszahlen im 1. Jahrzehnt

In den ersten Jahren nach der Gründung Baden-Württembergs war die Zahl der Schulentlassen rückläufig. 1959 gab es einen Einbruch auf zunächst 69 000 und dann nur noch 63 000 im Jahr 1960. Dies ist die geringste Zahl an Schulabgängen, die jemals im Land verzeichnet wurde. Ursache für diese Entwicklung waren die im Verlauf des Zweiten Weltkriegs sinkenden Geburtenzahlen. Sie hatten 1945 ihren niedrigsten Stand erreicht und waren 1946 erst langsam wieder angestiegen.

Als Folge hiervon lagen im Jahr 1960 die Anteile der Schulabsolventen mit mittlerem Abschluss und Hochschulreife an den Schulentlassungen deutlich höher als zu Beginn der 1950er-Jahre. Diese älteren Absolventen stammten noch aus stärker besetzten Geburtsjahren. Der sprunghafte Anstieg auf Anteile von 12 % für die Hochschulreife und 17 % für die mittlere Reife wurde nur durch die geringe Zahl von rund 44 400 Entlassenen der Volks- und Hilfsschulen ermöglicht. Bereits 1961 waren die Anteile von mittlerer Reife und Hochschulreife wieder auf 9 % bzw. 12 % zurückgegangen.2

1970er- und 1980er-Jahre: Ausbau des Schulwesens führt zu höheren Schulabschlüssen

In den 1960er-Jahren stiegen die Anteile der höheren Schulabschlüsse an den allgemeinbildenden Schulen zunächst nur langsam an. Nur etwa jeder zehnte Schulabgänger erreichte damals das Abitur, dagegen ging jeder sechste ohne Hauptschulabschluss ab. Die 1960er- und 1970er-Jahre waren dann von einem starken Ausbau des Schulwesens geprägt, der in den 1970er- und 1980er-Jahren zu einem Anstieg höherer Abschlüsse führte. Im Jahr 1990 endete fast jede vierte Schullaufbahn an einer allgemeinbildenden Schule mit dem Abitur, knapp ein Drittel der Abgänger erreichte den Realschulabschluss (Schaubild 1). Dagegen ging der Anteil der Hauptschulabschlüsse zwischen 1970 und 1990 um 20 Prozentpunkte auf nur noch 36 % zurück. Der Hauptschulabschluss war aber immer noch der an allgemeinbildenden Schulen am häufigsten erworbene Abschluss – eine Position, die er bis 1994 hielt. Der Anteil der Abgänge ohne Hauptschulabschluss hatte sich im Zeitraum von 1970 bis 1990 auf 8 % halbiert.

Aktuell mehr Hochschulreifezeugnisse als Hauptschulabschlüsse

Im Vergleich der Schulabgängerzahlen von 1990 und 2000 scheint sich eine gewisse Beruhigung des Ausbaus des Schulsystem abzuzeichnen. Lediglich der Realschulabschluss konnte in dieser Zeit um 6 Prozentpunkte auf 38 % zulegen.

Der seit Mitte der 1990er-Jahre anhaltende Anstieg der Übergangsquoten von der Grundschule auf das Gymnasium3 hat ein entsprechendes Anwachsen des Anteils der Abiturienten an den Absolventen der allgemeinbildenden Schulen zur Folge; im Jahr 2010 lag er bei 28 %. Damit überstieg an allgemeinbildenden Schulen die Zahl der Abiturienten erstmals die Zahl der Hauptschulabschlüsse. Mit einem Anteil von 41 % war der Realschulabschluss 2010 mit Abstand der am häufigsten an einer allgemeinbildenden Schule erworbene AbschlusS. Der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss sank weiter auf nur noch 5 %.

Wachsender Beitrag beruflicher Schulen

Berufliche Schulen dienen in erster Linie der beruflichen Grund-, Aus-, und Fortbildung. Als weiterer Schwerpunkt hat in den vergangenen Jahrzehnten der Erwerb allgemeinbildender Schulabschlüsse an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 1960 erreichten etwas weniger als 900 Absolventen von Schulen, die heute zu den beruflichen Schulen des Zweiten Bildungswegs zählen, die Hochschulreife. Andere allgemeinbildende Abschlüsse waren an beruflichen Schulen damals nicht möglich. 1970 gab es dann bereits recht gut ausgebaute 2-jährige Bildungsgänge an Berufsfachschulen, die mit der Fachschulreife zu einem mittleren Bildungsabschluss führten – 10 600 Absolventen haben seinerzeit diese Chance genutzt (Schaubild 2).

10 Jahre später konnten grundsätzlich alle allgemeinbildenden Abschlüsse auch an einer beruflichen Schule erworben werden. Ein besonderes »Markenzeichen« der beruflichen Schulen ist die Fachhochschulreife, da zu ihrem Erwerb der Nachweis beruflicher Praxis erforderlich ist. Rund 2 900 Absolventen von Berufskollegs und Fachschulen erreichten 1980 dieses Ziel.

Der flächendeckende Ausbau des Berufsvorbereitungsjahrs führte dazu, dass 1990 mehr als 4 100 Absolventen an einer beruflichen Schule den Hauptschulabschluss nachholen konnten. Die Zahl der Abiturienten an den beruflichen Schulen erhöhte sich bis 1990 auf gut 9 200. Noch steiler verlief der Anstieg der Zahl an Fachhochschulreife-Zeugnissen auf 8 100.

2010: Mehr Hochschulzugangsberechtigungen an beruflichen Schulen als an allgemeinbildenden Schulen

Das Abgangsjahr 2000 war an den beruflichen Schulen von einem in erster Linie demografisch bedingten Rückgang der Absolventenzahlen geprägt. Insbesondere der mittlere Abschluss verzeichnete mit unter 11 000 deutlich weniger Absolventen. Hierzu dürfte zusätzlich die Einführung des freiwilligen 10. Hauptschuljahres beigetragen haben. Einen Anstieg gegenüber 1990 konnten dagegen die Zahlen der Absolventen mit Hauptschulabschluss und mit Hochschulreife verzeichnen. Über 6 800 Zeugnisse mit Hauptschulabschluss und fast 10 400 Hochschulreifezeugnisse konnten ausgegeben werden.

Die sinkende Zahl von Abgängern allgemeinbildender Schulen ohne Hauptschulabschluss führte dazu, dass 2010 nur noch rund 3 900 Jugendliche diesen an einer beruflichen Schule nachholten. 14 400 Absolventen erreichten einen mittleren BildungsabschlusS. Die Zahl der Fachhochschulreife-Zeugnisse hat sich zwischen 2000 und 2010 auf 20 300 mehr als verdreifacht. Zum einen wurden Bildungsgänge an Berufskollegs ausgebaut oder ganz neu eingerichtet. Außerdem wurde die Ausbildungsordnung an den Fachschulen für Technik geändert. Dort ist jetzt das Ziel des Erwerbs der Fachhochschulreife integraler Bestandteil des UnterrichtS. Schließlich nutzten als Folge der Wirtschaftskrise 2008 wohl eine Reihe von Unternehmen die rückläufige Auftragslage, um ihren Mitarbeitern eine Weiterbildung zu ermöglichen.

Der in den letzten Jahren forcierte Ausbau der beruflichen Gymnasien ermöglichte den Anstieg der Zahl der Abiturienten beruflicher Schulen auf knapp 14 400 im Jahr 2010. Zusammen mit den Absolventen mit Fachhochschulreife erwarben somit 34 700 Schüler an einer beruflichen Schule eine Hochschulzugangsberechtigung. Das waren mehr als die 34 300 Absolventen allgemeinbildender Schulen.

Mehr als die Hälfte eines Jahrgangs erwirbt heute eine Hochschulzugangsberechtigung

Die Entwicklung hin zu höheren Schulabschlüssen ist auch am Anteil eines Geburtsjahrgangs abzulesen, der eine Hochschulzugangsberechtigung erwirbt. Im Jahr 1960 haben – bezogen auf einen durchschnittlichen Altersjahrgang der 18- bis 20-Jährigen – lediglich 6 % das Abitur erreicht. Bis 1990 hat sich dieser Anteil auf knapp 19 % rund verdreifacht. 2010 war die Abiturientenquote mit über 37 % noch einmal doppelt so hoch.

Bezieht man die Fachhochschulreife in diese Betrachtung mit ein, hatte 1990 etwa ein Viertel eines Altersjahrgangs eine Hochschulzugangsberechtigung erlangt. Im Jahr 2010 erhielten schließlich 53 % eines Geburtsjahrgangs eine Hochschulzugangsberechtigung. Was 1960 noch eine Ausnahme war, ist heute keine Besonderheit mehr.

Deutlicher Anstieg des Frauenanteils unter den Abiturienten

Je höher der Schulabschluss ist, desto höher ist der Anteil weiblicher Schulabsolventen. Im Jahr 2010 waren 39 % der Abgänger ohne Hauptschulabschluss weiblich, bei den Absolventen mit Hauptschulabschluss 43 % und von den Absolventen mit mittlerem Abschluss etwas mehr als die Hälfte. Bei den Absolventen mit Hochschulreife lag der Frauenanteil bei 54 %. Nur die Fachhochschulreife tanzte hier mit gut 41 % etwas aus der Reihe, aber auch hier ist in den letzten Jahren eine steigende Tendenz zu verzeichnen (Schaubild 3). Die unterdurchschnittliche weibliche Beteiligung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Anteil technischer Bildungsgänge in diesem Bereich relativ hoch ist.

Im Jahr 1960 erreichten im Durchschnitt 6 % eines Altersjahrgangs das Abitur, dies galt für 8 % der jungen Männer, aber nur für 4 % der jungen Frauen. Frauen hatten damals also viel seltener als Männer die Chance, die Hochschulreife zu erlangen. Noch 1970 wurden nur 39 % der Hochschulreifezeugnisse von jungen Frauen erworben. Dieser Anteil war sogar noch geringer als der Mädchenanteil an den Abgängen ohne Hauptschulabschluss, der bei 44 % lag. Seit 1995 ist die Zahl der Abiturientinnen aber in jedem Jahr größer als die der Abiturienten.

Religionszugehörigkeit der Abiturienten: in den 1960er-Jahren noch ein Erhebungsmerkmal

Nicht nur die Schullandschaft in Baden-Württemberg hat sich in den vergangenen 6 Jahrzehnten gewandelt, sondern auch die Schulstatistik. Manche Merkmale sind neu hinzugekommen, andere sind dagegen in der Versenkung verschwunden. Zu letzteren zählt die Abfrage der Religionszugehörigkeit der Abiturienten an Höheren Schulen. Von den etwas mehr als 6 600 Abiturienten des Jahres 1965 waren fast 60 % evangelisch und gut 37 % römisch-katholisch (Schaubild 4). Nur knapp 2 % der Abiturienten gaben bei dieser Frage eine sonstige Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft an. Noch seltener waren mit einem Anteil von gut 1 % Abiturienten, die keiner Religionsgemeinschaft angehörten.

Dagegen war die Staatsangehörigkeit der Schüler und Schulabgänger damals kein vorrangiges Thema der Schulstatistik. Jedenfalls erschienen die Ergebnisse nicht so interessant, dass sie in den Statistischen Berichten dieser Jahre veröffentlicht worden wären. Angesichts der starken Zuwanderungen auch aus dem Ausland, die in der 1. Hälfte der 1960er-Jahre deutlich an Fahrt aufnahmen, gehören statistische Informationen zu diesem Themenkreis inzwischen zum Standardprogramm der Veröffentlichungen und Analysen.

1 Die »Höheren Schulen« umfassten neben den Gymnasien die Pro- und Aufbaugymnasien sowie die Evangelisch-Theologischen Seminare.

2 Würth, Adolf: Mannigfaltiges Schulwesen, in: Statistische Monatshefte Baden-Württemberg, April/Mai 1962, S. 181.

3 Landesinstitut für Schulentwicklung und Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildung in Baden-Württemberg. Bildungsberichterstattung 2011, Stuttgart, S. 76.