:: 4/2012

Kind, mach doch eine Ausbildung!

Entwicklung der dualen Ausbildung im »Ländle«

In einer Kombination zwischen Theorie und Praxis werden in der dualen Ausbildung an den beiden Lernorten »Berufsschule« und »Betrieb« die Auszubildenden an die Arbeitswelt herangeführt. Seit 1973 haben gut 2,8 Mill. Jugendliche in Baden-Württemberg eine duale Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und können sich damit zu den Fachkräften zählen. In den letzten 38 Jahren wurden im dualen System in den Ausbildungsbereichen Industrie und Handel, Landwirtschaft, Öffentlicher Dienst, Freie Berufe und Hauswirtschaft gut 2 Mill. junge Menschen zu bestens ausgebildeten Fachkräften und 800 000 zu geübten Handwerkern ausgebildet. Die Industriekaufleute waren dabei mit 150 000 bestandenen Abschlussprüfungen der beliebteste Beruf. All diese erfolgreich abgeschlossenen Ausbildungen haben einen großen Anteil daran, dass Baden-Württemberg über all die Jahre bundesweit als Wirtschaftsmotor angesehen wird.

Vom Kfz-Schlosser zum Kfz-Mechatroniker

Die berufliche Ausbildung wurde seit den 1950er-Jahren systematisch auf Bundesebene nach Berufen und nach Ausbildungsbereichen erfasst. Zu Beginn erfolgten die Datenzusammenstellungen durch die Kammern im Bereich Industrie und Handel, im Handwerk und bei der Bundesbahn/-post. Im Jahr 1960 kamen die Ausbildungsbereiche Landwirtschaft, Öffentlicher Dienst, Freie Berufe und Hauswirtschaft hinzu. Ab 1973 erfolgte dann der Nachweis aller Ausbildungsbereiche nach Ausbildungsberuf und Bundesland. Bis 1972 wurden die Daten vom Bundesarbeitsministerium (BMA) veröffentlicht, zwischen 1973 und 1976 vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) und später vom Statistischen Bundesamt und den Statistischen Landesämtern.1 Für Baden-Württemberg lagen daher erst ab 1973 Zahlen vor.

Über die Jahre wurden insgesamt etwa 600 Lehr-/Ausbildungsberufe statistisch erfasst. 2010 gab es 348 anerkannte Ausbildungsberufe mit ihrer jeweiligen Ausbildungsordnung. In der Genealogie einzelner Berufe finden diese ihre erste Erwähnung im Jahr 1934 wie zum Beispiel Kraftfahrzeugmechaniker (heute Kraftfahrzeugmechatroniker), Feinmechaniker oder auch Dreher. Die Weiterentwicklung der dualen Ausbildung wird nicht nur in den Ausbildungsordnungen deutlich, sondern auch in den geänderten Berufsbezeichnungen (Übersicht).

Durchschnittlich 218 000 Auszubildende pro Jahr, aber große Schwankungen

Das duale Ausbildungsystem genießt nicht nur im »Ländle« einen herausragenden Ruf. Diese berufliche Ausbildung, die einen Übergang von der Schule in die Arbeitswelt darstellt, ist beständig weiterentwickelt worden und allgemein akzeptiert. Die »Lehrausbildung« oder auch nur »Lehre«, wie sie gerne genannt wird, formt, fordert und fördert die Auszubildenden. Seit 1973 standen pro Jahr durchschnittlich 218 000 Jugendliche in einem AusbildungsverhältniS. Im Zeitverlauf hat sich die absolute Zahl zwischen den Ausbildungsjahren 1973 mit seinen 198 000 und dem Berichtsjahr 2010 mit 205 000 Auszubildenden scheinbar nur wenig verändert. Doch in den knapp 4 Jahrzehnten gab es je nach Ausbildungsbereich sehr starke Schwankungen (Schaubild 1).

Die Kurvenverläufe spiegeln in erster Linie die demografischen Gegebenheiten wider, also den Wechsel von geburtenstarken und geburtenschwachen Jahrgängen, aber auch andere Einflussgrößen spielen eine Rolle. Der Auszubildendenbestand in Industrie und Handel sowie im Handwerk wurde vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten stark von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung geprägt.2 Auch die umstrittene Einführung der Berufsbildungsabgabe im Ausbildungsplatzförderungsgesetz 1976 trug möglicherweise dazu bei, dass alle Ausbildungsbereiche in den nachfolgenden 10 Jahren Zuwächse verzeichneten. Zwischen 1980 und 1989 waren im Durchschnitt 259 000 Jugendliche jährlich in Ausbildung. Der höchste Gesamtbestand von Auszubildenden mit knapp 275 000 wurde 1985 erreicht, dagegen im Jahr 1996 der niedrigste mit knapp 184 000.

Während das Handwerk zeitlich leicht versetzt vom »Mauerfall« (1989) profitierte und sich ab 1993 vom Abwärtstrend erholt zeigte, hat der ausbildungsstärkste Ausbildungsbereich Industrie und Handel seinen Tiefpunkt im Jahr 1996 mit 91 000 Auszubildenden erreicht. Seit der Jahrtausendwende ist wieder eine gegenläufige Entwicklung dieser beiden großen Ausbildungsbereiche erkennbar. Der Auszubildendenbestand von Industrie und Handel liegt trotz der Wirtschaftskrise (2009) über dem Stand im Basisjahr 1973, während der negative Trend im Handwerk verstärkt wurde und so im Jahr 2010 den niedrigsten Bestand erreichte (54 700).

»Kein Handwerk ohne Lehrzeit.«3 – 2,8 Mill. neu abgeschlossene Ausbildungsverträge seit 1977

Das Gefühl vor dem schulischen Abschluss nicht genau zu wissen, was man danach machen soll, kennen viele aus eigener Erfahrung. Beim Abwägen aller vorhandenen Möglichkeiten fällt dann immer wieder folgende Aussage:

Mach doch eine Ausbildung, dann haste was!

Diese Aussage beschreibt in wenigen Worten die Attraktivität und das Ansehen der Berufsausbildung. Die duale Ausbildung, die je nach Beruf4 über einen Zeitraum von 18 bis 42 Monaten dauert, genießt einen hohen Stellenwert. Rund 2,8 Mill. Jugendliche haben seit 1977 eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf begonnen. Bis zum Jahr 2010 wurden allein im Ausbildungsbereich Industrie und Handel 1,5 Mill., im Handwerk 890 000, in der Landwirtschaft 71 000, im Öffentlichen Dienst 93 000, bei den Freien Berufen 230 000 und in der Hauswirtschaft 20 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen.

Ausländische Jugendliche schwächer vertreten

Zu den ausländischen Jugendlichen in der beruflichen Ausbildung gab es erstmals im Jahr 1983 Daten für Baden-Württemberg. Damals lag der Anteil am Bestand der Auszubildenden bei 3,5 %. Der Anteil an der Bevölkerung lag jedoch bei 9,7 %. Die ausländischen Jugendlichen fanden schwer Zugang zum Ausbildungsmarkt und waren bis zur Wiedervereinigung Deutschlands unterrepräsentiert. Das Berichtsjahr 1989 war ein Wendepunkt für die ausländischen Jugendlichen in Baden-Württemberg. Es wurden in den Folgejahren so viele ausländische Jugendliche ausgebildet wie nie zuvor. Prozentual gesehen lag die Ausbildungsquote von ausländischen Jugendlichen zwischen 1992 bis 1998 über dem Ausländeranteil an der Bevölkerung (Schaubild 2).

Ausbildungsbereich Öffentlicher Dienst avanciert zur Frauendomäne

Der Anteil der weiblichen Auszubildenden stieg in den rund 4 Jahrzehnten seit 1973 von 33 % auf nun knapp 41 %. Vor allem die Ausbildungsbereiche Öffentlicher Dienst und Handwerk haben dazu beigetragen. 1973 waren im Öffentlichen Dienst gut 13 % der Auszubildenden weiblich. In den Jahren danach entwickelte sich der Öffentliche Dienst zu einer Frauendomäne. So wurden 1989 erstmals mehr Frauen als Männer ausgebildet und im Berichtsjahr 2010 lag der Frauenanteil bei 74 %. Die Berufe Sozialversicherungs-, Justiz- und Verwaltungsfachangestellte/-r haben ihren Teil dazu beigetragen. Im Handwerk ist 2010 jede vierte Auszubildende weiblich. 1973 war es noch jede sechste (16,2 %). Typische Frauenausbildungsbereiche über all die Jahre sind die Freien Berufe (2010: 97 %) und die Hauswirtschaft (96 %). Bei Industrie und Handel sowie der Landwirtschaft lag der Frauenanteil im Jahr 2010 bei 38 bzw. 22 %.

»Ländle« der Kaufleute und Mechaniker

Seit 1973 haben rund 2,8 Mill. junge Menschen ihre Ausbildung in den verschiedenen Ausbildungsbereichen erfolgreich abgeschlossen. Darunter befanden sich etwa 800 000 ausgebildete Handwerker. Die übrigen gut 2 Mill. waren in den Bereichen Industrie und Handel, Landwirtschaft, Öffentlicher Dienst, Freie Berufe und Hauswirtschaft ausgebildete Fachkräfte. Dabei war jede vierte bestandene Abschlussprüfung im Bereich Industrie und Handel eine zum Industriekaufmann/-kauffrau, zum Kaufmann/-frau im Einzelhandel oder zum Bankkaufmann/-kauffrau. Auch die insgesamt fast 124 000 Abschlüsse zum (heutigen) Kraftfahrzeugmechatroniker/in belegen die Attraktivität dieses Berufsfelds im Land.

Die Ergebnisse für ausgewählten Berufe laden zu »Zahlenspielen« ein: Die knapp 22 000 Landwirte/-innen kultivieren die Felder, damit die gut 27 000 Bäcker und die 22 000 Fleischer den 39 000 Köchen zuliefern können. Jeder von diesen bekocht dann drei Kfz-Mechatroniker. Jede der fast 79 000 ausgebildeten medizinischen Fachangestellten könnte zwei Industriekaufleute betreuen. Die Friseure (73 000) könnten gleichzeitig allen Bäckern, Fleischern und Landwirten die Haare schneiden oder auch färben (Schaubild 3). Die Dichter und die Denker des Landes lassen sich dagegen nicht in Zahlen fassen.

1 Werner, Rudolph: Entwicklung der Berufsbildungsstatistik – Grundlagen und Inhalte seit 1950, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Heft 4/2000, Seite 23 ff.

2 Landesinstitut für Schulentwicklung und Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildung in Baden-Württemberg. Bildungsberichterstattung 2011, Stuttgart, S. 170.

3 Jean de La Bruyère, französischer Schriftsteller.

4 Ohne die Berufe für Menschen mit Behinderung. In diesen gibt es auch Berufe mit einer Ausbildungsdauer von 12 Monaten.