:: 4/2012

Investitionen – gestern und heute

60 Jahre Baden-Württemberg haben auch in der Investitionsstruktur im Land ihre Spuren hinterlassen. Dies geschah vor dem Hintergrund deutlich veränderter Rahmenbedingungen. Dazu gehören der Trend zur Wissensgesellschaft, die zunehmende internationale Arbeitsteilung, die Einführung des Internets und die hiermit verbundene weltweite Vernetzung sowie der technische Wandel beispielsweise durch Mikroelektronik, Informationstechnik und Photonik. Spätestens zu Beginn der 1990er-Jahre war der »Wettbewerb im globalen Dorf«1 auch im Land der Tüftler und Häuslebauer greifbar, Standortgebundenheit hatte an Bedeutung verloren und die neuen internationalen Konkurrenten zwangen zu Investitionen in noch effizientere Maschinen und schlanke Prozesse. Innovationen und Humankapital wurden zu immer wichtigeren Einflussfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit des LandeS. 

Tendenziell rückläufige Investitionsquote

In den Anfangsjahren Baden-Württembergs war die Investitionstätigkeit entscheidend vom Wiederaufbau und den Wirtschaftswunderjahren geprägt – bemerkenswerte Investitionsdynamiken und hohe Investitionsquoten2 waren die Folge.3 Dieses Bild veränderte sich in den folgenden Jahrzehnten. Die Investitionsquote der baden-württembergischen Gesamtwirtschaft ging nahezu kontinuierlich zurück (Schaubild 1) und auch der Modernitätsgrad4 – ein Maß für das Altern des Produktivvermögens – sank stetig. Lag dieser Wert bis Mitte der 1970er-Jahre noch über 70 %, so erreichte er 2009 nur noch knapp 60 %.

Besonders ausgeprägt zeigt sich der Trend rückläufiger Investitionen im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung in konjunkturellen Abschwungphasen. So standen in Folge der ersten Ölkrise 1973 nicht nur sporadisch die Autos still, sondern auch die Unternehmen reduzierten ihre Investitionen. Gleiches gilt für die Krisenphase Anfang der 1990er-Jahre, die nach weitgehend stabilen Quoten in den 1980er-Jahren deutliche Investitionskürzungen der Unternehmen mit sich brachte. Folge war, dass sich die Investitionsquote seit Mitte der 1990er-Jahre fortan unterhalb der Zwanzigprozentmarke bewegte.

Auch deutet ein Vergleich der jährlichen Investitionen mit den jeweiligen Abschreibungen, die die Wertminderung durch normalen Verschleiß und wirtschaftliches Veralten messen, auf eine Veränderung der Investitionsmotive in diesem Zeitraum hin. So standen Ersatzbeschaffungen zunehmend im Vordergrund – und dies zu Lasten von Erweiterungsinvestitionen. Denn die getätigten Investitionen überstiegen seit den frühen 1990er-Jahren die Abschreibungen nur noch um weniger als das Eineinhalbfache. Anfang der 1970er-Jahre waren sie hingegen über zweieinhalb Mal höher als die Abschreibungen.5 Aus Veröffentlichungen dieser Jahre erfahren wir weiteres über die Gründe dieses veränderten Investitionsverhaltens, das sich auch in steigenden Rationalisierungsinvestitionen ausgedrückt hat. Mit effizienteren Produktionsanlagen wollte man nach dem Konjunktureinbruch Anfang der 1990er-Jahre gestärkt den Herausforderungen der Globalisierung und den damit veränderten Wettbewerbsbedingungen entgegentreten.6

Neben einer Änderung des Investitionsaufkommens im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt hat sich auch die Verteilung der Investitionen sowohl in Bezug auf die Art der Anlagen als auch hinsichtlich der Wirtschaftsbereiche in den letzten Jahrzehnten in Baden-Württemberg deutlich gewandelt.

Bauinvestitionen verlieren an Bedeutung

Aufgrund der historischen Gegebenheiten ist wenig verwunderlich, dass im Südwesten Investitionen in Wohnbauten, gewerbliche Bauten, aber auch in Infrastrukturprojekte zunächst eine große Bedeutung gehabt haben. Neben einem hohen Bedarf an Wohnraum in den ersten Jahrzehnten des Landes hatte dies sicher auch damit zu tun, dass viele Industrieanlagen und Bürogebäude erst gebaut werden mussten. Doch auch hier zeichnet sich eine Veränderung ab: Entfielen in den 1970er-Jahren noch durchschnittlich rund zwei Drittel der getätigten Investitionen auf Bauten, war es nach der Jahrtausendwende im Durchschnitt nur noch gut die Hälfte (53 %).7 Entsprechend nahm der Anteil der Investitionen in Ausrüstungen im Zeitverlauf zu. Diese Entwicklung war lediglich in den Rezessionsphasen durchbrochen. Ausrüstungsinvestitionen sind stärker konjunkturreagibel als Investitionen in Bauten und so verzeichneten sie temporär teils deutliche Anteilsrückgänge. Über den gesamten Zeitraum seit 1970 erwiesen sich Ausrüstungsinvestitionen in Baden-Württemberg aber als weitaus dynamischer in ihrem Verlauf als die Bauinvestitionen. Gründe für die vergleichsweise verhaltene Entwicklung der Bauinvestitionen mögen unter anderem in einem Rückgang des Wohnungsbedarfs, einer schwachen Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand, der Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland oder schlicht in der gegenüber Maschinen und Fahrzeugen längeren Nutzungsdauer von Gebäuden zu suchen sein.

Dienstleistungssektor bestimmt zusehends das Investitionsvolumen

Der Wandel zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft machte auch vor dem industriegeprägten Baden-Württemberg nicht halt. Bereits 1970 entfielen annähernd zwei Drittel der Investitionsausgaben auf den Dienstleistungssektor8 und diese stiegen bis heute kontinuierlich weiter an. In 2008 wurden 77 % aller Investitionen in jeweiligen Preisen in diesem Sektor getätigt – dies ist ein Zuwachs um über 12 Prozentpunkte gegenüber 1970. Entsprechend reduzierten sich die Anteile der Investitionen im Produzierenden Gewerbe und im Bereich Land- und Forstwirtschaft (Schaubild 2).

Zu den Anteilsgewinnen des Dienstleistungssektors hat auch der Umstand beigetragen, dass die Investitionen des Dienstleistungssektors von den Konjunktureinbrüchen während der 60-jährigen Landesgeschichte weniger betroffen waren als die der Industrie (Schaubild 3). Zudem dürfte bei den Dienstleistungen die Verlagerung von Produktionskapazitäten, also von Bauten und Ausrüstungen, ins Ausland eine geringere Rolle gespielt haben. Bei den Dienstleistungen handelt es sich nämlich um immaterielle Güter, die begünstigt durch moderne Informations- und Kommunikationstechniken vielfach auch ohne örtliche Firmenpräsenz angeboten werden können.

Starker Anstieg der Kapitalintensität

Gleichzeitig ist die Produktion selbst aber im Zeitverlauf kapitalintensiver geworden. So drückt sich in der gestiegenen Kapitalintensität9 der zunehmende Ersatz von Arbeit durch Kapital auS. Diese Substitution von Arbeit, die auf Basis der Erwerbstätigenzahlen gemessen wird, wird vor allem vom technischen Fortschritt bestimmt. Während die Kapitalintensität in der Südwestindustrie im Jahr 1970 real gut 52 000 Euro je Erwerbstätigen betrug, waren es 2008 – also fast 40 Jahre später – bereits rund 128 000 Euro. Dies entspricht einem Plus von 144 %. Die Fotos verdeutlichen diese Entwicklung von arbeitsintensiven manuellen Tätigkeiten in der Industrie hin zu arbeitssparenden, aber investitionsintensiven Produktionsanlagen. Dass dieser Effekt im Dienstleistungssektor schwächer ausfällt ist auch vor dem Hintergrund stetig steigender Beschäftigtenzahlen in diesem Sektor zu sehen. Zwischen 1970 und 2008 ist für die Dienstleistungsbereiche nur eine Zunahme der Kapitalintensität um 41 % zu beobachten.

Der Tüftler ist immer gefragter

Der Tüftlergeist, der schon lange in Baden-Württemberg verwurzelt ist und sicher bereits viel zur Prosperität des Landes beigetragen hat, erscheint heute ausgeprägter und wichtiger denn je. Zwar sind Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung keine Investitionen im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.10 Aber gerade der Trend zur Wissensgesellschaft unterstreicht ihren investiven Charakter, sichern sie doch vor dem Hintergrund der weltweiten Konkurrenz und Arbeitsteilung die Zukunftsfähigkeit eines LandeS. Dass hierbei der Südwesten gut aufgestellt ist, zeigt sich unter anderem an den hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung. So wurden im Jahr 1995 hierzulande 3,6 % des nominalen Bruttoinlandprodukts für Forschung und Entwicklung aufgewendet. Seit 2005 waren es sogar stets – und teilweise deutlich – über 4 %. Sowohl bundes- als auch europaweit nimmt der Südwesten damit eine Spitzenstellung ein.

Während in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahrzehnten folglich einerseits ein Trend rückläufiger Investitionsquoten, das heißt rückläufiger Investitionen in Ausrüstungen und Bauten in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, zu beobachten ist, haben andererseits weitere »Investitionsformen«, wie Investitionen in Forschung und Entwicklung, an Bedeutung und auch an Dynamik gewonnen.

1 Steingart, Gabor: Die Chancen der Krise, in: Der Spiegel 36/1993, S. 37 f.

2 Investitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, jeweils in jeweiligen Preisen.

3 Da für die Anlageinvestitionen nur bis 1970 zurück vergleichbare Ergebnisse vorliegen, konzentrieren sich die Betrachtungen im vorliegenden Beitrag auf den Zeitraum seit 1970.

4 Als Modernitätsgrad wird das Verhältnis von Netto- zu Bruttoanlagevermögen bezeichnet.

5 Über diesen langen Zeitraum sind die Ergebnisse zu den Abschreibungen aufgrund nicht angepasster Daten an große Revisionen, die methodische und datenbedingte Änderungen mit sich brachten, nur eingeschränkt vergleichbar.

6 Vergleiche dazu Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hrsg.): Zeit zum Handeln – Antriebskräfte stärken, Jahresgutachten 1993/94, S. 95 f.

7 Die Ergebnisse zu den Ausrüstungs- und Bauinvestitionen sind für diesen langen Zeitraum nur eingeschränkt vergleichbar, vergleiche dazu i-Punkt.

8 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der kapitalintensive Bereich »Grundstücks- und Wohnungswesen«, in dem auch der private Wohnungsbau angesiedelt ist, im Dienstleistungssektor erfasst wird.

9 Verhältnis zwischen Kapitalstock und der Zahl der Erwerbstätigen.

10 Überlegungen, Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (FuE) in der revidierten Fassung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG), das für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union rechtsverbindlich ist, als Investitionen zu behandeln, sind im Gange. Ein Entwurf eines deutschen Satellitenkontos für FuE liegt bereits vor. Vergleiche dazu: Oltmanns, Erich/ Bolleyer, Rita/ Schulz, Ingeborg: Forschung und Entwicklung nach Konzepten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, in: Wirtschaft und Statistik 2/2009, S. 125–136.