:: 4/2012

Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit seit 1952

Der baden-württembergische Arbeitsmarkt hat in den 6 Jahrzehnten seit der Gründung des Landes einen grundlegenden und dynamischen Wandel erfahren. Die Zahl der Erwerbstätigen und die Erwerbsbeteiligung ist, nicht zuletzt durch die zunehmende Zahl berufstätiger Frauen und ein stark ausgeweitetes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen, deutlich angestiegen. Die Branchenstruktur hat sich vor dem Hintergrund der Globalisierung und des technischen Fortschritts stark gewandelt, das Qualifikationsniveau der berufstätigen Baden-Württemberger ist so hoch wie nie zuvor. Der vorliegende Beitrag dokumentiert und analysiert die wichtigsten Entwicklungen des Arbeitsmarktgeschehens der letzten Jahrzehnte.

Starker Anstieg der Erwerbstätigenzahlen und der Erwerbsbeteiligung

In Baden-Württemberg leben heute rund 5,4 Mill. berufstätige Männer und Frauen. Zu Beginn der 1950er-Jahre waren es noch knapp 3,2 Mill., das heißt die Zahl der Erwerbstätigen hat seit Gründung des Landes um über 70 % zugenommen (Schaubild 1). Dabei verlief die Entwicklung nicht gleichförmig. Eine besonders dynamische Entwicklung war in den 1950er-Jahren zu beobachten. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg um rund 809 000 Personen an, dies entspricht einem prozentualen Anstieg um knapp 26 %. Auch in den 1960er-Jahren ging der Trend zunächst nach oben. Bedingt durch die erste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit war die Zahl der Erwerbstätigen in den Jahren 1967 und 1968 rückläufig. Per Saldo ist für die 1960er-Jahre somit eine Zunahme der Erwerbstätigenzahlen um knapp 221 000 (+ 5,6 %) zu vermelden. In den 1970er-Jahren stiegen die Erwerbstätigenzahlen um rund 75 000 (+ 1,8 %) an, während in den 1980er- und 1990er-Jahren die Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen insgesamt positiv war.

Insbesondere in den Jahren seit 2000 ist die Erwerbstätigenzahl kräftig, nämlich um nahezu 450 000 Personen (+ 9,1 %) angestiegen. Während die Zunahmen in den 1950er- und 1960er-Jahren von einem kräftigen Wirtschaftswachstum, dem sogenannten »Wirtschaftswunder«, begleitet waren, dürfte der Anstieg der letzten Jahre sehr stark auch mit dem wachsenden Stellenwert atypischer Beschäftigungsformen und geringfügiger Beschäftigung in Verbindung zu sehen sein.

Seit den 1990er-Jahren zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen

Unter den Erwerbstätigen in Baden-Württemberg sind – heute ebenso wie zum Zeitpunkt der Gründung des Landes – Männer in der Mehrzahl. Von den 1950er- bis in die 1980er-Jahre hinein waren jeweils um die 60 % der Berufstätigen Männer. Erst in den Jahren nach 1990 stießen immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt vor. Im Zeitraum von 1990 bis 2010 ist die Zahl der berufstätigen Frauen um gut 500 000 angestiegen, was einem stattlichen Zuwachs von rund 26 % entspricht. Die Zahl der erwerbstätigen Männer erhöhte sich im gleichen Zeitraum dagegen lediglich um etwa 84 000, das heißt um 3 % (Schaubild 2). Aufgrund der steigenden Zahl berufstätiger Frauen hat sich seit Anfang der 1990er-Jahre der Frauenanteil an allen Erwerbstätigen von annähernd 41 % auf nunmehr knapp 46 % erhöht.

Die angewachsene Erwerbsbeteiligung der baden-württembergischen Frauen spiegelt sich auch im Anstieg der Erwerbstätigenquote1, dem Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung, deutlich wider. So erhöhte sich der Anteil der erwerbstätigen Frauen im Alter von 15- bis unter 65 Jahren an allen Frauen dieser Altersgruppe seit Anfang der 1990er-Jahre deutlich von rund 59 % auf gut 68 % im Jahr 2010. Der Trend bei den Männern verlief gegenläufig. Hier sank die Erwerbstätigenquote von annähernd 82 % auf jetzt knapp 80 %. In Sachen Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt Baden-Württemberg heute über dem Bundesdurchschnitt von rund 66 %. Auch im EU-Vergleich (der Vergleichswert in der EU-27 liegt bei gut 58 %) weist Baden-Württemberg eine überdurchschnittliche Frauenerwerbstätigenquote auf.

Boom der Teilzeitarbeit

Die beachtliche Bilanz bei der Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen in den letzten Jahrzehnten beruht vor allem auf dem starken Zuwachs an TeilzeitjobS. Nahezu 930 000 Teilzeitstellen kamen in Baden-Württemberg seit 1980 hinzu. Während die Teilzeiterwerbstätigkeit mit einem Plus von knapp 157 % kräftig expandierte, hat sich die Zahl der Vollzeitstellen um rund 179 000 (+ 4,9 %) erhöht. Die Struktur der Erwerbstätigkeit hat sich damit erheblich verändert. Zu Beginn der 1980er-Jahre waren nur knapp 14 % der Erwerbstätigen teilzeitbeschäftigt, bis zum Jahr 2010 hat sich der Anteil der Teilzeiterwerbstätigen verdoppelt und lag bereits bei über 28 %. Der Anteil der Erwerbstätigen mit einem Vollzeitjob hat sich entsprechend von gut 86 % auf nur noch knapp 72 % vermindert (Schaubild 3).

Keine wesentlichen Änderungen gab es jedoch im Hinblick darauf, wer Teilzeit arbeitet. Teilzeit zu arbeiten ist nämlich wie schon Ende der 1950er-Jahre2 auch heute noch immer eine Domäne der Frauen, denn 2010 waren immerhin nahezu 82 % der gut 1,5 Mill. Teilzeiterwerbstätigen in Baden-Württemberg Frauen. Teilzeit arbeitende Männer sind mit einem Anteil von 18 % nach wie vor unterrepräsentiert, obwohl auch die Zahl der männlichen Teilzeitbeschäftigen gegenüber 1980 um rund 208 000 Personen stark zugenommen hat. Die Expansion der Teilzeitarbeit beruht nicht zuletzt darauf, dass Teilzeitjobs sowohl im Interesse der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber liegen. Viele Männer und Frauen können überhaupt nur deshalb am Erwerbsleben teilnehmen, weil ein Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen besteht. So gaben 84 % der Teilzeiterwerbstätigen an, eine Vollzeittätigkeit nicht zu wünschen oder aus anderen Gründen (familiäre Verpflichtungen, Ausbildung) nicht ausüben zu können. Nur 13 % arbeiteten Teilzeit, weil sie keine Vollzeitstelle finden konnten und 3 % hatten gesundheitliche Gründe für die Wahl dieser Arbeitszeitform.

Strukturwandel der Wirtschaft

Die Entwicklungen auf dem baden-württembergischen Arbeitsmarkt seit 1950 waren von einer deutlichen Umverteilung der Erwerbstätigen innerhalb der Wirtschaftsbereiche geprä­gt. Die Zahl der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft beläuft sich heute nur noch auf etwas weniger als ein Zehntel der Erwerbstätigenzahl des Jahres 1950. Statt rund 842 000 Erwerbstätigen im Jahr 1950 zählte diese Branche 2010 nur noch knapp 71 000 Erwerbstätige. Die Entwicklung im Produzierenden Gewerbe, worunter der Bergbau, das Verarbeitende Gewerbe, die Energie- und Wasserversorgung und das Baugewerbe zusammengefasst sind, verlief – bei einer Betrachtung der einzelnen Jahre – dagegen wellenförmig. Während zu Beginn der 1950er-Jahre lediglich rund 1,41 Mill. Männer und Frauen in dieser Branche arbeiteten, stieg ihre Zahl bis zum Jahr 1973 auf rund 2,37 Mill. Erwerbstätige an. Heute sind noch 1,86 Mill. Personen in diesem Wirtschaftsbereich tätig. Im Gegenzug hat sich die Zahl der Erwerbstätigen, die im Dienstleistungssektor, mit den Wirtschaftsbereichen Handel, Gastgewerbe, Verkehr und sonstige Dienstleistungen, arbeiten, seit 1950 von gut 890 000 auf heute rund 3,42 Mill. Erwerbstätige nahezu vervierfacht.

Diese Entwicklungen haben zu gravierenden wirtschaftlichen Strukturverschiebungen geführt. 1950 arbeitete noch mehr als jeder vierte Baden-Württemberger in der Land- und Forstwirtschaft; heute liegt der Anteil der Erwerbstätigen in diesem Bereich nur noch bei 1,3 %. Der Anteil der Erwerbstätigen im Produzierenden Gewerbe ist ausgehend von knapp 45 % im Jahr 1950 auf mehr als 55 % im Jahr 1973 gestiegen. 2010 waren hingegen nur noch knapp 35 % der Erwerbstätigen in dieser Branche angesiedelt. Im Gegenzug ist der tertiä­re Sektor zum wichtigsten »Brötchengeber« in Baden-Württemberg geworden. Während im Jahr 1950 etwa 28 % der berufstätigen Baden-Württemberger im Dienstleistungssektor tätig waren, sind heute immerhin bereits nahezu 64 % der Erwerbstätigen diesen Bereichen zuzuordnen (Schaubild 4).

Berufliche Qualifikation der Berufstätigen steigt

Das berufliche Qualifikationsniveau der Baden-Württemberger ist so hoch wie nie zuvor. Immer mehr Erwerbstätige in Baden-Württemberg verfügen über einen akademischen AbschlusS. Während Anfang der 1980er-Jahre gerade 9 % der Berufstätigen im Land eine akademische Ausbildung vorweisen konnten, hatten im Jahr 2010 bereits knapp 18 % einen Hochschulabschluss (einschließlich Fachhochschulabschluss). Der Anteil der Männer und Frauen mit Lehre oder Anlernausbildung ist seit 1982 mit 52 bzw. 53 % nahezu konstant geblieben und der Anteil derjenigen mit Meister- und Technikerabschluss von knapp 8 auf gut 11 % im Jahr 2010 angestiegen. Im Gegenzug ist der Anteil der Baden-Württemberger ohne beruflichen Ausbildungsabschluss in diesem Zeitraum erheblich kleiner geworden. Anfang der 1980er-Jahre hatten noch etwa 30 % der Erwerbstätigen im Land keine Berufsausbildung, im Jahr 2010 war dies noch bei rund 19 % der Fall (Schaubild 5).

Insbesondere die Frauen haben bei der beruflichen Qualifikation seit Beginn der 1980er-Jahre spürbar aufgeholt. So hat sich der Anteil der berufstätigen Frauen ohne Berufsausbildung seit 1982 von rund 42 % auf nur noch 21 % halbiert. Der Anteil der Akademikerinnen wiederum ist in diesem Zeitraum von rund 6 auf etwa 15 % erheblich angestiegen.

Getragen wurde diese Entwicklung vor allem von den jüngeren Frauen, die von den bildungspolitischen Bemühungen der letzten Jahrzehnte offensichtlich zu profitieren wussten. Daher sind unter den jüngeren Berufstätigen die Frauen ihren männlichen Altersgenossen in Sachen Qualifikation mittlerweile dicht auf den Fersen. Einen akademischen Ausbildungsabschluss haben – in der Altersgruppe der 30- bis unter 35-Jährigen – heute mit jeweils 26 % ebenso viele junge Frauen wie junge Männer. Einen Meister- bzw. Technikerabschluss können rund 12 % der jungen Männer und knapp 9 % der Frauen vorweisen. Eine Lehrausbildung haben deutlich mehr junge Frauen (nahezu 55 %) als Männer (rund 50 %) abgeschlossen. Der Anteil an den Berufstätigen ohne berufliche Ausbildung ist bei den jungen Männern sogar etwas höher als bei den Frauen. Gut 12 % der erwerbstätigen Männer bzw. knapp 11 % der Frauen im Alter von 30 bis unter 35 Jahren haben (noch) keinen Beruf erlernt (Schaubild 6).

Ausblick

Trotz vieler positiv zu bewertenden Entwicklungen zeigen die Daten des Mikrozensus auch Nachholbedarf. Obwohl bereits seit den 1950er-Jahren Ausländer bzw. Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg leben und arbeiten, ist ihre Arbeitsmarktintegration nicht vollständig gelungen. Dies zeigt sich unter anderem an der niedrigeren Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund, jedoch auch an der geringeren beruflichen Qualifikation gerade der jüngeren Migranten. Aber auch in der beruflichen Realität von Männern und Frauen gibt es noch erhebliche Unterschiede. Frauen sind nach wie vor in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert. Zudem sind die Nettoeinkommen von Frauen, auch bei gleicher Arbeitszeit und gleichen beruflichen Ausbildungsabschlüssen erheblich niedriger als die der Männer.

1 Erwerbstätigenquote in der Abgrenzung nach Eurostat-Definition.

2 Gröner, G.: Das wöchentliche Arbeitsvolumen in der baden-württembergischen Wirtschaft im Oktober 1957, 1958 und 1959, in: Statistische Monatshefte Baden-Württemberg, Heft 9, 1960, S. 279–282.