:: 4/2012

Wohnungsbau in Baden-Württemberg

Von der Masse zur Klasse

Das Wohnen gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Im Gründungsjahr Baden-Württembergs handelte es sich angesichts der Zerstörung vieler Städte und der Vielzahl der Kriegsflüchtlinge für viele Menschen noch um das einfache Bedürfnis, endlich wieder in einer eigenen Wohnung zu leben. Heute – 60 Jahre später – sind die Ansprüche an eine Wohnung nicht mehr auf das bloße »Dach über dem Kopf« beschränkt. Staatliche Fördermaßnahmen zur Schaffung von preiswertem Wohnraum spielen keine große Rolle mehr. Die Bauherren können sich größere und komfortablere Wohnungen leisten und sie denken bei der Auswahl der genutzten Energie an die Zukunft. Das spiegelt sich auch in der amtlichen Statistik wider.

Bewältigung der Wohnungsnot nach dem Krieg

In den 1950er-Jahren war die Wohnungsnot groß. Auch in Baden-Württemberg waren viele Häuser im Zweiten Weltkrieg zerstört worden, dazu kamen die Flüchtlinge, die untergebracht werden mussten. Die Wohnraumbeschaffung war damals eine der Hauptaufgaben der Politik. Im Jahr 1950 wurden in Deutschland das Erste und 1956 das Zweite Wohnungsbaugesetz beschlossen. Damit war die soziale Wohnungspolitik mit staatlicher Förderung begründet.

Auf den Zählkarten der amtlichen Statistik für die Baufertigstellungen wurde in dieser Zeit noch unterschieden, ob es sich um einen Notbau oder einen Dauerbau handelte. Zudem gab es sehr differenzierte Fragen über die Art und die Höhe der öffentlichen Förderung. Die 1956 durchgeführte Totalerhebung der Wohn- und Mietverhältnisse beinhaltete neben der bloßen Zählung der Wohnungen das Merkmal »Geschädigtengruppe« mit den Ausprägungen »Vertriebener« und »Wohnungsgeschädigter« und auch noch die Frage nach der Belegung einer Wohnung mit einer oder mehreren Wohnparteien.

Im Jahr 1961 fand die nächste Großzählung statt. Sie zeigte, dass sich der Wohnungsbestand in Baden-Württemberg im 1. Jahrzehnt des Bestehens des noch jungen Bundeslandes erheblich erhöht hatte. Ausgehend von 1,44 Mill. Wohnungen, die 1950 gezählt wurden, konnte der Bestand bis zum Jahr 1961 auf fast 2,3 Mill. erhöht werden. Erste größere Neubauquartiere waren am Rande der Städte entstanden, deren Ortskerne im Krieg zerstört worden waren. Aber nicht nur die Zahl der Wohnungen erhöhte sich, auch das Verhältnis von Anzahl der Einwohner zur Anzahl der Wohnungen – die »durchschnittliche Belegungsdichte je Wohnung«. Sie verbesserte sich von 4,3 Personen je Wohnung im Jahr 1951 auf 3,4 Personen im Jahr 1961. Auch wenn dies eine rein rechnerische Größe ist, so kann man aber die Tendenz erkennen, dass bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2,9 Personen je Haushalt im Jahr 1961 das Leben von mehreren Haushalten in einer Wohnung nicht mehr verbreitet war. Angesichts der Tatsache, dass die Bevölkerung in diesen Jahren um rund 20 % zugenommen hatte, war das auch ein Zeichen für eine erfolgreiche Wohnungsbauförderung und für wachsenden Wohlstand.

Die nächste Gebäude- und Wohnungszählung fand 1968 statt. Auf dem Erhebungsbogen fanden sich Fragen nach der Ausstattung der Wohnung mit Bad und WC, nach der Beheizung und nach der Wohnfläche und damit die ersten Ansatzpunkte für die Bewertung der Qualität der Wohnungen. Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass in Baden-Württemberg 25 % aller Wohnungen zum besten Ausstattungstyp (mit Bad, WC und Sammelheizung) gehörten und weitere 37 % besaßen Bad und WC.1 Die durchschnittliche Belegungsdichte je Wohnung war weiter gesunken und betrug rein rechnerisch 3,2 Personen je Wohnung. Insgesamt standen annähernd 2,8 Mill. Wohnungen zur Verfügung. Die durchschnittliche Wohnungsgröße errechnete sich zu 73,6 m2.

Bis in die 1980er-Jahre immer mehr und größere Wohnungen

In den folgenden Jahrzehnten setzte sich die Entwicklung zu komfortableren Wohnungen fort. Es wurde viel gebaut, die Wohnungen wurden immer größer. Durch die Entfaltung des Individualverkehrs war es kein Problem, außerhalb der Städte neue Wohngebiete zu erschließen. Flächenverbrauch war kein Thema. Ein Beispiel ist das bis heute sehr beliebte Wohngebiet Oberreut am Rande von Karlsruhe. Im Sommer 1964 bezogen die ersten Mieter die vornehmlich Kinderreichen zugedachten preiswerten Wohnungen. In drei Bauabschnitten entstand bis in die 1990er-Jahre ein neues Stadtviertel mit Reihenhäusern und Wohnblöcken sowie Gemeinschaftseinrichtungen, Gewerbeansiedlungen und einem Schulzentrum.2

Bauherren und Architekten hatten die Möglichkeit, auch extravagante Lösungen zu realisieren. Als Beispiel soll hier das Hundertwasserhaus in Plochingen genannt werden mit Wohnungen und gewerblichen Einheiten. Es wurde 1985 erbaut und bildet heute einen weithin sichtbaren städtebaulichen Akzent.3

Der Wohnungsbogen der anfangs so umstrittenen Volkszählung 1987 enthielt neben Fragen zum Baujahr, zur Gebäudeart und der Wohnungsgröße auch die Frage nach der Förderung durch den sozialen Wohnungsbau. Bei der angebotenen Auswahl für den verwendeten Brennstoff wurden schon »Sonnenenergie und Wärmepumpe« aufgezählt.

Diese Gebäude- und Wohnungszählung ergab zum Stichtag 25. Mai 1987 nahezu 3,9 Mill. Wohnungen. Die Belegungsdichte lag bei 2,4 Personen je Wohnung und die durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung betrug 89 m².

Umdenken bis zur Jahrtausendwende

Die Bevölkerung wuchs weiter, der Wunsch nach den eigenen vier Wänden war nach wie vor stark. Im Jahr 1995 wurde die Eigenheimzulage als staatliche Fördermaßnahme eingeführt. Mit Beginn der 1990er-Jahre bot sich in manchen Städten und Gemeinden noch einmal eine Chance, in die Fläche zu gehen. Durch den Rückzug der alliierten Streitkräfte stehen Bebauungsflächen zur Verfügung. In Ostfildern, in der Nähe von Stuttgart entsteht zum Beispiel der Scharnhauser Park – ein neues Wohngebiet, in dem neben Reihenhäusern auch Geschosswohnungen und Gewerbeobjekte gebaut werden. Das Konzept des »SchaPa« wurde in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre nach Abzug der Amerikaner entwickelt. Ziel war zum einen die Befriedigung des Bedürfnisses junger Familien nach einem bezahlbaren Eigenheim, zum anderen aber auch der Bau einer Modellsiedlung energieeffizienter Gebäude, die regenerative Energiequellen nutzen.4

Mitte der 1990er-Jahre wurde neben der Art der Beheizung (zum Beispiel Einzelöfen oder Zentralheizung) auf dem statistischen Erhebungsbogen für Baugenehmigungen und Baufertigstellungen auch schon differenzierter nach der Heizenergie gefragt. Erstmals erobern sich erneuerbare Energien wie Solarenergie oder der Einsatz von Wärmepumpen nennenswerte Anteile gegenüber den herkömmlichen fossilen Brennstoffen wie Gas, Öl oder Kohle.

Die Ergebnisse der Fortschreibung des Gebäude- und Wohnungsbestandes ergaben zum Ende des Jahres 1999 insgesamt rund 4,7 Mill. Wohnungen bei einer durchschnittlichen Belegungsdichte von 2,2 Personen (Schaubild 1). Auch die durchschnittliche Wohnungsgröße war mit 89,8 m² weiter gestiegen (Schaubild 2).

Neue Schwerpunkte im 21. Jahrhundert

Das neue Jahrtausend brachte dann den Wandel von der Förderung der »Quantität« zur Förderung der »Qualität« und zur Förderung von Maßnahmen, die den Wohngebäudebestand verbessern sollen. Im Jahr 2006 wurde die Eigenheimzulage wieder abgeschafft.5 Dem Programm Stadtumbau Ost aus dem Jahr 2002 folgte 2004 das Programm Stadtumbau West. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bietet spezielle Programme für »Modernisierung + altergerechtes Wohnen« im Bestand an und für den Neubau für Energiespar- und Passivhäuser.6

Am 1. Januar 2008 trat das Erneuerbare-Wärme-Gesetz EWärmeG Baden-Württemberg in Kraft, 2009 das Erneuerbare-Energie-Wärme-Gesetz des Bundes EEWärmeG. Damit werden Hausbesitzer verpflichtet, ihren Beitrag zur CO2-Einsparung zu leisten und bei Neubau- bzw. Bestandsmaßnahmen einen festgelegten prozentualen Anteil der Heizenergie aus erneuerbaren Energien zu gewinnen oder alternativ durch eine geeignete Bauweise den Energieverbrauch entsprechend zu senken. Mit Beginn des Jahres 2012 wird auch der statistische Erhebungsbogen für Baugenehmigungen und Baufertigstellungen dahingehend angepasst.

Ein herausragendes Beispiel für die neue Herangehensweise an Bauvorhaben ist der Umbau eines Hochhauses durch die Stadt Freiburg im Breisgau. Im Rahmen der Sanierung des Freiburger Stadtteils Weingarten-West ist das bundesweit erste Passiv-Hochhaus mit 139 Wohnungen entstanden. Mit hocheffizienter Wärmedämmung, neuen Fenstern, modernen Heizungs- und Lüftungstechniken und weiteren Maßnahmen wie zum Beispiel energiesparender Beleuchtung wurde für das aus den 1960er- Jahren stammende 16-geschossige Gebäude der Passivhausstandard erreicht. Damit sinken auch für die Mieter die Energiekosten, sodass die sanierungsbedingten Mietaufschläge zum überwiegenden Teil aufgefangen werden.7

Im Jahr 2010 hat die Zahl der Wohnungen in Baden-Württemberg die Fünfmillionengrenze überschritten. Berechnet man den Durchschnitt, leben in jeder Wohnung 2,1 Personen und die mittlere Wohnungsgröße beträgt 92,2 m2.

Ausblick

Im Jahr 2010 lag die Zahl der bezugsfertig erstellten Wohnungen mit insgesamt gut 22 200 Wohnungen im Neubau und rund 2 000 Wohnungen durch Bestandsmaßnahmen in Baden-Württemberg so niedrig wie nie zuvor seit Bestehen des LandeS. Angesichts der demografischen Entwicklung und einem Wohnungsbestand, der davor Jahr für Jahr gewachsen ist, kein dramatisches Zeichen. In der regionalen Wohnungsbedarfsvorausrechnung für Baden-Württemberg bis zum Jahr 2030 zeigt sich sogar, dass der Wohnungsbaubedarf insgesamt weiter sinken wird.8 Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass die Verbesserung und der Ersatz des Wohngebäudebestandes in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen wird.