:: 4/2012

Im Wandel der Zeit: Preise, Verdienste und Konsum

Die ökonomische Entwicklung hängt in der Wahrnehmung der meisten Bürger und Bürgerinnen von der Preis- und Verdienstentwicklung sowie den Möglichkeiten des individuellen Konsums ab. Trotz der phasenweise deutlichen Teuerungswellen liegen die Bruttostundenverdienste im Produzierenden Gewerbe heute real fünf Mal höher als Anfang der 1950er-Jahre. Andere Indikatoren wie die Struktur der Konsumausgaben oder die Verfügbarkeit von modernen Mitteln und Geräten der Haushaltsführung, Kommunikation und Mobilität zeugen von einem sichtbaren Wandel des materiellen WohlstandS. Zurückschauend auf die vergangenen 60 Jahre seit Gründung des Südweststaates dürfte das Urteil bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern hierzu positiv ausfallen.

Dauerthema Inflation: Die Preisentwicklung in Baden-Württemberg seit 1952

Die Entwicklung der Inflationsrate bleibt nach wie vor eines der ökonomischen Themen, das in der Öffentlichkeit große Beachtung findet. Dies dürfte auch vor 60 Jahren nicht anders gewesen sein. Zumal die Währungsreform mit der Einführung der D-Mark erst 3 Jahre zurück lag und sich mit der neuen Währung in der Bevölkerung die Hoffnung auf wirtschaftliche Solidität verband, nach den Erfahrungen der Nachkriegszeit mit Schattenwirtschaft, Schwarzmärkten und Zigarettenwährung.

Die Phase des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in den 1950er-Jahren war trotz des hohen wirtschaftlichen Wachstums geprägt von einem relativ niedrigen Anstieg der Teuerungsrate (Schaubild 1). Für den Zeitraum 1952 bis 1962 lag die durchschnittliche jährliche Preissteigerungsrate in Baden-Württemberg bei etwa 1 ½ %. Bemerkenswert ist dabei, dass in den Jahren 1952 und 1953 sogar eine rückläufige Preisentwicklung zu verzeichnen war (− 1,4 % bzw. − 0,7 %).

Mit Beginn der 1960er-Jahre lösten veränderte Bedingungen die Ära der Wirtschaftswunderjahre ab. Insbesondere die steigenden Löhne und Gehälter aufgrund der günstigen Beschäftigtensituation, Konzentrationsprozesse bei Handel und Industrie sowie die Einführung der Mehrwertsteuer 1968 wirkten an den Preissteigerungen im Südwesten mit. In den Jahren 1962 bis 1972 lag die durchschnittliche Preissteigerungsrate bei etwa 3 %. Dämpfend wirkte sich zwischenzeitlich die Rezession ab dem Jahr 1966 auS. In den beiden Folgejahren lag die Inflationsrate bei 1,3 % (1967) bzw. 1 % (1968).

Zwei gravierende Ereignisse sorgten dann ab Beginn der 1970er-Jahre für einen markanten Anstieg der Inflation: Zum einen der Zerfall des Weltwährungssystems von Bretton Woods und die damit verbundene Verunsicherung des internationalen Welthandels (das Bretton-Woods-System war ein Währungssystem von festen Wechselkursen mit dem goldgedeckten US-Dollar als Leitwährung). Zum anderen – und dies noch unmittelbarer – der Ölpreisschock von 1973. Bereits im Jahr 1971 stieg die durchschnittliche Teuerungsrate auf 5,2 % und erhöhte sich in den folgenden Jahren auf bis zu 6,7 % (1973). Höhepunkt war der Juni 1973, in dem die Inflationsrate in Baden-Württemberg auf 7,8 % anstieg. In den Folgejahren ging die jährliche Preissteigerung wieder zurück, bewegte sich aber weiterhin auf einem deutlich erhöhten Niveau. Zusammen mit einer rückläufigen Wirtschaftsentwicklung bescherte sie eine Situation, für die der Begriff der Stagflation geprägt wurde. 1979 folgte mit der zweiten Ölkrise ein erneuter deutlicher Preisanstieg, der sich im Jahr 1981 auf 6,4 % belief und fast bis an den Spitzenwert von 1973 heranreichte. Insgesamt lag die Preissteigerungsrate im Zeitraum 1972 bis 1982 bei jahresdurchschnittlich etwa 5 %.

Ab 1982 begann die weitere Entwicklung der Teuerungsrate wieder moderater zu verlaufen. Gründe waren die konjunkturelle Erholung verbunden mit ersten Ansätzen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen. 1986 blieb daher die jährliche Teuerungsrate im Vergleich zum Vorjahr unverändert – der niedrigste Stand seit 1954. Für die Zeiträume August 1986 sowie Oktober 1986 bis Februar 1987 wurde dabei erstmalig seit 20 Jahren eine rückläufige Teuerungsrate festgestellt.

Abgelöst wurde diese Phase durch die wirtschaftliche Sonderentwicklung im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung, flankiert durch das kurzzeitige Anziehen der Ölpreise aufgrund des Kuwait-Krieges 1990. Dies ließ die Jahresteuerungsrate ab 1989 wieder auf Werte von über 3 % zulegen – 1992 stieg die Inflation gegenüber dem Vorjahr sogar auf 3,9 % an. Die Folgen der Rezession ab 1992 und eine nachfolgende Konsumzurückhaltung führte in Baden-Württemberg ab 1995 zu Jahresteuerungsraten von unter 2 %. Am niedrigsten lag sie dabei im Jahr 1999 mit 0,6 %.

Mit Beginn des Jahres 2002 kam es dann mit der Einführung des Euro zur tiefgreifendsten währungspolitischen Neuerung seit der Währungsreform. Allerdings lässt sich die seither viel diskutierte Annahme, dass die Währungsumstellung zu einer Beschleunigung der Teuerungsrate geführt hätte, aus dem weiteren Verlauf nicht herauslesen. Zwar hat seit dem Jahr 2000 die wirtschaftliche Globalisierung zu stärkeren Preisausschlägen bei Rohstoffen und Nahrungsmitteln geführt, die sich spürbar auf die Entwicklung der Teuerungsraten auswirkten. So war 2007 der starke Preisanstieg bei Nahrungsmitteln zumindest zum Teil auf die weltweit gestiegene Nachfrage und durch witterungsbedingte Ernteausfälle in verschiedenen Teilen der Erde zurückzuführen. Insgesamt jedoch belief sich die Gesamtteuerungsrate zwischen 2001 bis 2011 auf jahresdurchschnittlich etwa 1 ½ %, wobei sie sich in einem Korridor zwischen 0,4 % (2009) und 2,7 % (2008) bewegte.

Arbeitszeiten: Von der 47-Stundenwoche zur 38-Stundenwoche

Im Jahr der Gründung des Landes Baden-Württemberg betrug die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eines Arbeiters im Produzierenden Gewerbe knapp 47 Stunden pro Woche. In der Stunde verdiente ein Arbeiter damals umgerechnet 77 Cent. Mitte der 1950er-Jahre wurde die 6-Tage- durch die 5-Tagewoche ersetzt. Im Jahre 1960 betrug der durchschnittliche Bruttostundenverdienst 1,29 Euro und die wöchentliche Arbeitszeit lag nur noch bei knapp 46 Stunden. Zu Beginn der 1970er-Jahre verdiente ein durchschnittlicher Arbeiter 3,06 Euro und arbeitete nicht ganz 44 Stunden pro Woche. Bis 1980 verringerte sich die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden und der Verdienst stieg auf 6,86 Euro je Stunde an. Im Jahre der deutschen Vereinigung verdiente ein Arbeiter in Baden-Württemberg bereits 10,50 Euro. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit betrug nur noch gut 39 Stunden. Im Jahr 2000 lag der Durchschnittsverdienst im Produzierenden Gewerbe bei 14,92 pro Stunde. Zum damaligen Zeitpunkt wurden durchschnittlich 38,4 Stunden pro Woche gearbeitet.

Bis 2006 wurden Arbeiter und Angestellte statistisch getrennt erfasst. Ab 2007 ist diese Unterscheidung weggefallen, da die meisten Tarifverträge nur noch einheitlich für Arbeitnehmer abgeschlossen werden. Ein Arbeitnehmer wies 2010 einen Durchschnittsverdienst pro Stunde von 22,24 Euro auf. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Bruttostundenverdienste sehr stark variieren. Maßgeblich für die Verdiensthöhe ist neben der Qualifikation eines Arbeitnehmers die Größe und die Branchenzugehörigkeit des Unternehmens, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist. Schaubild 2 zeigt, wie sich diese Unterschiede heute darstellen.

Die Wochenarbeitszeit hat sich seit 2000 kaum verändert. Ausnahme davon war die durch Kurzarbeit gekennzeichnete Periode, die als Folge der Banken- und Wirtschaftskrise 2009 und teilweise auch noch 2010 zu einer kürzeren durchschnittlichen Wochenarbeitszeit führte.

Nominal haben sich also die Stundenverdienste in den vergangenen 60 Jahren seit der Gründung des Landes Baden-Württemberg vervielfacht. Wie sieht es aber mit der realen Entwicklung aus? Dies lässt sich am besten mit dem Index der realen Bruttostundenverdienste im Zeitablauf darstellen.

Verdienstentwicklung durch sinkende Zuwächse gekennzeichnet

Es ist sicher keine überraschende Erkenntnis, dass der Wohlstand in Baden-Württemberg in den vergangenen 60 Jahren fast kontinuierlich zugenommen hat. Dies zeigt sich deutlich, wenn die Verdienstentwicklung der vergangenen 6 Jahrzehnte mit Hilfe des preisbereinigten Indexes der Bruttostundenverdienste für vollzeitbeschäftigte Arbeiter (ab 2007 Arbeitnehmer) im Produzierenden Gewerbe grafisch veranschaulicht wird (Schaubild 3).

In den 1950er- und 1960er-Jahren nahm der Bruttostundenverdienstindex real um durchschnittlich 5 bis 6 % zu. Besonders Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre gab es aus heutiger Sicht kaum vorstellbare Steigerungsraten. Im Jahre 1970 stiegen die Stundenverdienste der Arbeiter im Produzierenden Gewerbe verglichen mit dem Vorjahr preisbereinigt um mehr als 10 %. Mit der ersten Ölkrise 1973 und den daraus resultierenden Auswirkungen auf die wirtschaftliche Gesamtentwicklung konnten die zuvor hohen Steigerungsraten nicht mehr erreicht werden. In den 1970er-Jahren betrug der durchschnittliche reale Zuwachs des Bruttostundenverdienstindexes nur noch 3,1 % pro Jahr.

Mit der zweiten Ölkrise im Jahre 1979/80 ging der reale Verdienstindex im Verarbeitenden Gewerbe erstmals seit Gründung des Südweststaates zurück. Der stärkste Rückgang war im Jahr 1982 zu verzeichnen, als die Stundenverdienste real um gut 1 % niedriger lagen als im Vorjahr. Im weiteren Verlauf der 1980er-Jahre wurden diese Einbußen aber wieder wett gemacht. Insgesamt betrug der durchschnittliche Anstieg des Bruttostundenverdienstindexes von 1980 bis 1990 rund 1,4 %.

In den ersten 10 Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung nahm der reale Verdienstindex durchschnittlich nur noch um 1,2 % pro Jahr zu. Seit der Jahrtausendwende sind die realen Verdienste im Verarbeitenden Gewerbe gemessen am Bruttostundenverdienstindex hingegen kaum noch angestiegen (durchschnittlich + 0,2 % pro Jahr).

Langfristig betrachtet, sind die realen Verdienstzuwächse pro Arbeitsstunde für Arbeiter (ab 2007 Arbeitnehmer) sogar in dem in Baden-Württemberg starken Produzierenden Gewerbe, zu welchem unter anderem erfolgreiche Branchen wie Fahrzeug- und Maschinenbau gehören, fast kontinuierlich zurückgegangen. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass der reale Bruttostundenverdienstindex heute etwa fünfmal so hoch ist wie in den 1950er-Jahren.

Strukturwandel bei den privaten Konsumausgaben

Bei den Konsumausgaben der privaten Haushalte haben sich im Laufe der Jahrzehnte Verschiebungen ergeben, weil einzelne Ausgabenbereiche an Bedeutung gewonnen und andere verloren haben. Schaubild 4 zeigt anhand der Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe die Anteile ausgewählter Ausgabenbereiche am gesamten Konsum der Haushalte für die Jahre 1973, 1988 und 2008 in Baden-Württemberg.

Der größte Teil der Ausgaben privater Haushalte entfällt auf den Bereich Wohnen. Hierzu werden neben den Wohnungsmieten auch die Kosten für Energie sowie Haushaltsgeräte und -ausstattung gerechnet. Der Anteil der Kosten rund ums Wohnen stieg seit den 1960er-Jahren kontinuierlich an und macht heute über ein Drittel des privaten Verbrauchs auS. Der wesentlichste Faktor für diesen Anstieg sind die Wohnungsmieten, deren Anteil seit 1973 von gut 15 auf 25 % im Jahr 2008 anwuchs.

Die Ausgaben für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren standen früher nach dem Wohnen an zweiter Stelle. Sie haben jedoch im Laufe der Jahre an Bedeutung verloren und umfassten im Jahr 2008 mit noch knapp 14 % den drittgrößten Posten der Konsumausgaben. Ein weiterer wichtiger Ausgabenbereich betrifft Verkehr und Nachrichtenübermittlung. Während 1973 hierfür etwa jede siebte DM des Haushaltsbudgets ausgegeben wurde, war es 2008 jeder fünfte bis sechste Euro. Diese Zuwächse hängen zum Teil mit den gestiegenen Ausgaben für Kraftstoffe zusammen. Damit steht dieser Bereich mittlerweile an zweiter Stelle der Ausgaben der privaten Haushalte im Lande. Merklich zugenommen hat auch der Anteil der Ausgaben für Freizeit, Unterhaltung, Kultur und Bildung in den vergangenen rund 25 Jahren. Demgegenüber ging die Bedeutung der Ausgaben für Bekleidung und Schuhe kontinuierlich zurück und ist mittlerweile auf unter 5 % der Konsumausgaben gesunken.

Die Entwicklung bei den Ausgabenstrukturen in den letzten Jahrzehnten zeigt auch für Baden-Württemberg die allgemeine Tendenz, dass mit steigendem Wohlstand und Einkommen der Anteil der Ausgaben für die Grundbedürfnisse – also Nahrungsmittel und Getränke ebenso wie Bekleidung und Schuhe – abnimmt. Deutlich fällt jedoch die wachsende Bedeutung der Wohnausgaben auf, die zu einem bestimmenden Faktor der privaten Konsumausgaben geworden sind.

Ausstattung mit Gebrauchsgütern als Wohlstandsindikator

Über die Struktur der Konsumausgaben hinaus lässt sich der Lebensstandard in den privaten Haushalten im Weiteren anhand der Ausstattung mit Gebrauchsgütern beschreiben. Diese ermöglichen persönliche Mobilität, erleichtern häusliche Arbeit und gewährleisten Kommunikation und Information. Die Entwicklung im Verlauf der letzten Jahrzehnte lässt für Baden-Württemberg einen steigenden Wohlstand der Bevölkerung erkennen (Schaubild 5).

Bei Pkw und Fahrrädern wurde in den privaten Haushalten bereits Ende der 1960er Jahre ein Ausstattungsgrad von rund 60 % erreicht. Seitdem nahmen diese Anteile weiter kontinuierlich zu und liegen heutzutage bei fast 85 % (Pkw) bzw. rund 80 % (Fahrräder). Fernsehgeräte und Fotoapparate gehören zu den technischen Gebrauchsgütern, die schon in den 1970er-Jahren weite Verbreitung fanden und heute zu den am häufigsten vorhandenen Geräten zählen (Fernseher in rund 95 %, Fotoapparate in rund 85 % der Haushalte). Kühlschränke waren schon in den 1960er-Jahren kaum mehr aus Haushalten wegzudenken.

Bei anderen Haushaltsgeräten zeigt sich in den vergangenen Jahrzehnten ein stetiger ZuwachS. So standen Geschirrspülmaschinen 1969 nur in 3 % der baden-württembergischen Haushalte, 2008 hingegen in fast 70 %. Wäschetrockner sind seit den 1980er-Jahren immer häufiger in den Haushalten zu finden, während Waschmaschinen (früher auch ohne eingebaute Schleuder) schon 1969 in rund drei Vierteln der Haushalte zur Ausstattung gehörten. Mikrowellengeräte hielten dort seit Ende der 1980er-Jahre Einzug und stehen heute in zwei Dritteln der Haushalte. Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik zeigt die Ausstattung mit Telefonen einen kontinuierlichen Anstieg von nur rund 15 % im Jahr 1962 zu einer fast vollständigen Verbreitung in den Privathaushalten seit Beginn der 1990er-Jahre. PC und Handy starteten zu dieser Zeit ihren Siegeszug und sind heutzutage in rund 4 von 5 Haushalten in Baden-Württemberg vorhanden.